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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 345

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

19. Oktober 2020

HEUTE: 1. „Gespenster“ – Berliner Ensemble / 2. Friedrichstadt Palast Nr.1 ‑ Fotoschau „Stageless“ / 3. Friedrichstadt Palast Nr.2 – Denkmalschutz für DDR-Repräsentationsbau 

1. Berliner Ensemble: - Böse funkelnde Preziose

Gespenster / v.l. Judith Engel, Paul Zichner © Matthias Horn
Gespenster / v.l. Judith Engel, Paul Zichner © Matthias Horn

Es ist der Horror, den Henrik Ibsen in dem Familiendrama „Gespenster“ ausbreitet ‑ die unerfüllte Sehnsucht nach Wärme, Licht, Luft, Lust; das Eingesperrtsein in Konventionen, Lügen, Bigotterie; der toxische Mix aus Begehren, Verwehren und Verzichten, aus Gier, Angst und Betrug und noch dazu Syphilis, Alkohol, finanzielle Kataststrophen… Alles das lastet wie Blei auf den verwundeten, verkrampften, verhärteten Seelen der Alvings in ihrem verstockten Bürgerhaus.

 

Seinerzeit, anno 1882, war „Gespenster“ ein Skandalstück, ein provokantes Sittengemälde, ein Aufschrei. Heute noch ist es interessant durch das Raffinement des Autors, der die Mechanik der Zwänge und Vergeblichkeiten packend offenlegt, durch die hier Menschen zu Gespenstern ihrer selbst werden. Und sich unfreiwillig gegenseitig kaputt machen.

 

Die slowenische Regisseurin Mateja Koleznik, eine strenge Formalistin mit einer Prise schwarzen Humors, stellt ‑ auch durch ihre reduzierte Textfassung ‑ die subtile Entfaltung der inneren wie äußeren Dramatik eher zurück zugunsten der stimmungsstarken Suggestion des Grauens. Dabei spielt das grandiose Bühnenbild ganz in schwarz von Raimund Orfeo Voigt und Leonie Wolf die Hauptrolle. Mehrere fahrbare Türme durchsetzt mit riesigen Türen bilden in frappierenden Bewegungen von Szene zu Szene ein sich immerzu unheimlich wandelndes, angstmachend enges Labyrinth der Finsternis. Bloß ein paar trübe Leuchten geben schauerlich Licht.

 

Die fünf Figuren – Mutter Helene (Corinna Kirchhoff) und Sohn Osvald Alving (Paul Zichner), das Dienstmädchen Regine Engstrand (Judith Engel), ihr vermeintlicher Vater Jakob Engstrand (Wolfgang Michael) und Pastor Manders (Veit Schubert) – sie alle erscheinen im trostlosen Dämmer wie Schatten, wie verirrte, verlorene Zombies. Das ist toll gedacht und gemacht.

 

Und gespielt! In korsettartiger Kostümierung (Ana Savic-Gecan) und jeder einsam für sich auf minimalistische Art mit beeindruckender Sprechkunst. Was für ein Ensemble! Und, um auf eine Einzelheit zu kommen, was für präzise Schusswechsel zwischen Mutter und Sohn: Die Kirchhoff, ein Konzentrat wie aus Beton, verteidigt mit schneidender Intelligenz ihr mit eisernem Willen errichtetes Gehäuse; der Zichner, sarkastischer Trotzallem-Romantiker, wütet über erlittene Zukunftszerstörung.

 

Alles in allem: Ein virtuoses Kammerkonzert des eher leisen, schleichenden Schmerzes und Schreckens im Leichenhaus der Alvings. – Ja schon, das ist von Anfang an klar: Hier geht nichts mehr. Wir schauen auf ein beklemmendes Totenhaus. Doch das Monotone des morbid schimmernden häuslichen Irrgartens, dieses statische Setting entzieht der 90-Minuten-Vorführung von Endzeitstimmung trotz beeindruckender Schauspielkunst einiges an Spannung. Dennoch und bei aller Bedrückung: Die zelebrierte Vereisung und Erstarrung fasziniert. Als böse funkelnde Preziose.

(wieder 23., 24. Oktober) 

 

*** 

2. Palast 1: - Das Studio im Lastenaufzug

Sven Marquardt Installation © Pedro Beccera
Sven Marquardt Installation © Pedro Beccera

Hallo! Der Friedrichstadt-Palast ist wieder offen! Zwar nicht der Riesensaal – dort geht es erst 2021 wieder los mit der „Vivid Grand Show“, dafür öffnet das große Foyer ‑ tagtäglich. Für eine Foto-Schau „Stageless“ des Fotografen Sven Marquardt.

 

Vielleicht hat es sich noch nicht überall herumgesprochen, dass Marquardt seit längerem schon als Fotokünstler reüssiert. Als Türsteher des Clubs Berghain avancierte er zu einer geradezu weltweit berühmten Persönlichkeit; um so erstaunlicher, dass der bullige Kerl mit den Wahnsinns-Tattoos am ganzen Schädel (und nicht nur dort), dass dieser Superstar der Club-Szene ein feinsinniger Mensch ist. Mit genauem Blick fürs perfekte Bild sowie ausgeprägtem ästhetischen Fingerspitzengefühl. Und fototechnischem Können.

 

Was ist zu sehen? Das Friedrichstadtpalast-Ballett. Aber nicht hoch gerüstet in Glanz, Gloria und Action auf der Welt größten Bühne, sondern in einem zum Fotostudio umgerüsteten Lastenaufzug Backstage. In Trainigsklamotten mit Resten von Kostüm und Maske. Marquardt konzentriert sich – es war im Herbst vor Corona – auf den Moment vor oder nach der alltäglichen Tortur beim Ballettmeister im Spiegelsaal der Exerzitien; zeigt die drei Dutzend Hochleistungssportler des„Vivid“-Ensembles beim Aufbrausen oder Absinken ihrer Adrenalinspiegel im kalten Neonlicht des Fahrstuhlkäfigs. Das Ergebnis: Höchst unterschiedliche, enorm ausdrucksstarke Charakterskizzen. Alle in schwarz-weiß, grobkörnig, teils mit raffinierten Unschärfen, sehr plastisch. Gedruckt auf großformatige Industrieplanen entfalten sie eine suggestive Wirkung, die durch ihre labyrinthartige Hängung im abgedunkelten Foyer noch verstärkt wird, das eine seltsam melancholische Grundstimmung erzeugt.

 

Tolle Idee des Intendanten Berndt Schmidt in Zusammenarbeit mit der c/o-Galerie, auf diese kunstvolle Art mit starken Künstler-Bildern jenseits vom Glitzer wieder Leben ins Vorderhaus dieses Monumentaltheaters zu bringen. Ums Bühnenhaus und drumherum arbeiten ja Künstler, Techniker und Handwerker unentwegt weiter – an der Wiederaufnahme des regulären Spielbetriebs mit „Vivid“ hoffentlich am 2. Januar sowie schon an der neuen Show in einem Jahr: Premiere Herbst 2021.

(bis 29. November täglich von 11 bis 20 Uhr, Haupteingang Friedrichstraße, Eintritt frei) 

 

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3. Palast 2: - Denkmal DDR-Postmoderne

Friedrichstadt-Palast © Bernd Brundert
Friedrichstadt-Palast © Bernd Brundert

Endlich hat es sich auch in den höchsten Instanzen der Landesverwaltung durchgesetzt: die Denkmalwürdigkeit der DDR-Postmoderne, mithin ihre Unterschutzstellung. Wie vorschnell hat man schon – Schattenseite kapitalistischer Grundstücksverwertung – die Abrissbirnen in Gang gesetzt und geschichtlich, künstlerisch sowie städtebaulich Bedeutsames vernichtet. In den 1990er Jahren hätte es beinahe auch den Friedrichstadt-Palast getroffen, über den man sich lustig machte als asiatischen Großbahnhof mit kitschiger Fassadengestaltung.

 

Jetzt gilt der im April 1984 von Honecker eingeweihte (allein das schon galt nach der Wende als Makel) „letzte Repräsentationsbau vor der politischen Wende als Höhe- und Endpunkt der Epoche der DDR-Paläste“, so der Berliner Landeskonservator Christoph Rauhut.

 

 

Jugendstil trifft Platte 

 

 

Das Gebäude zeige, so Rauhut, das hohe technische Können der Plattenproduktion, die Sichtbetonplatten an der Fassade wirkten dank des Zusatzes von Travertin wie Werkstein und die Betonglaselemente – Anklänge an Jugenstil und Art déco ‑ seien dekorativer Blickfang, Lichtreklame und Innenraumbeleuchtung zugleich. Der Entwurf stammt von Manfred Presse und Jürgen Ledderboge; die Ausführung des Baus mit der Adresse Friedrichstraße 107 geschah von 1981 bis 1984 in nur 39 Monaten unter Leitung von Erhardt Gißke, dem Generaldirektor der Baudirektion Mitte beim Ministerium für Bauwesen. Sein Vorgängerbau um die Ecke am Bertolt-Brecht-Platz wurde aufgrund statischer Probleme 1980 abrupt geschlossen. Der Charité-Hochausbau grub ihm im sandigen Boden das Grundwasser ab. Der Abriss zog sich über Jahre hin.

 

 

Zirkus Schumann, Reinhardt, Poelzig, Charell 

 

 

Das monumentale Gebäude mit der Adresse Am Zirkus 1 war ursprünglich eine Markthalle, wurde alsbald jedoch zum Zirkus Schumann umgebaut. Der schon damals legendäre Regisseur Max Reinhardt inszenierte hier 1911 die Uraufführung von Hofmannsthals „Jedermann“. Anno 1917 kam es in seinen Besitz zusammen mit dem Deutschen Theater in der Schumannstraße 13a und man firmierte fortan als AG Deutsches Nationaltheater.

 

Reinhardt war Mehrheitseigner, errichtete neben seinem DT die seinerzeit höchst luxurlösen Kammerspiele mit den teuersten Eintrittskarten Berlins und ließ Zirkus Schumann von Stararchitekt Hans Poelzig 1918/19 grundlegend umgestalten zum Großen Schauspielhaus, einem republikanischen „Theater der Massen“. Reinhardt eröffnete es am 29. November 1919 mit einer sensationellen Inszenierung der „Orestie“. ‑ Der geschichtsbewusste Palast-Intendant in der Friedrichstraße, Berndt Schmidt, ließ es sich nicht nehmen, im vergangenen Jahr das 100-jährige Bühnenjubiläum der theatergeschichtlich bedeutsamen Institution zu feiern.

 

 

Zu großer Aufwand, zu hohe Kosten 

 

 

Doch schon Mitte der 1920er Jahre verpachtete Reinhardt – finanziell klamm ‑  das Riesenhaus mit 3000 Plätzen an denRevuemeister Erik Charell. Der glänzte innovativ, endete jedoch mit einem finanziellen Desaster.

 

Das aufwändige Großunternehmen ging in die Hände von Reinhardts Hauptgläubiger, dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund. Nach der Gleichschaltung der Gewerkschaften durch das NS-Regime kam das Haus in den Besitz der Organisation Deutsche Arbeitsfront. Nach 1945 etablierte hier die SED das hoch subventionierte „Weltstadt-Varieté“ namens Friedrichstadtpalast. Anfang der 1980er Jahre fehlte das Geld, den kulturgeschichtlich hochbedeutenden, aber einsturzgefährdeten Poelzig-Bau samt seinen ebenso geschichtsträchtigen Räumlichkeiten im Keller („Große Melodie“, „Kleine Melodie“) durch eine Generalsanierung zu retten. Es kam zum raschen Friedrichstraßen-Neubau, der, nüchtern betrachtet, die monetäre Leistungsfähigkeit der DDR letztlich überforderte (in Dresden lief der Wiederaufbau der Semper-Oper, in Berlin der des Konzerthauses). Trotzdem: Die SED zeigte keine Schwäche in der Hauptstadt, klotzte fürs Entertainment und kassierte die Begeisterung der Bevölkerung. Und hatte einen letzten Trumpf.

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