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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 331

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

9. März 2020

HEUTE: 1. „Ubu Rex” – Berliner Ensemble. Neues Haus / 2. Gratulation – „Bilderlust“, Volker Pfüller zum 80.Geburtstag

 

1. Berliner Ensemble: - Remmidemmi im Deppen-Stadl

Tilo Nest in
Tilo Nest in "Ubu Rex" © JR Berliner Ensemble

Der Mensch ist ein Ungeheuer und die Welt ein Schlachthaus. Diese uralten Tatsachen hatte der genialische Franzose Alfred Jarry (1873-1907) früh begriffen. Schon als Gymnasiast sah er im Sadismus eines Lehrers das unausrottbar urmenschliche Prinzip Ego-Monster. Einzige Waffe gegen seine Verzweiflung: Das unverschämt zynische Ausstellen der Menschenmonströsität in der Erfindung eines extrem bösartigen, säuischen Hanswursts namens Ubu, der sich aus Dreck zum gottgleichen König der Welt empor mordet und mit seinem Weib alle Welt terroristisch ausbeutet.

 

Die rabenschwarze Horror-Posse „Ubu Roi“ (1896), ein Frühchen der Moderne (surreal, expressiv, absurd), ist seither eine beliebte Vorlage für grotesk kabarettistische Adaptionen, jeweils angereichert mit Aktualitäten. Schließlich geht es nicht nur ums maßlose Fressen, Ausrauben, Morden, sondern um Weltherrschaft, gar Weltvernichtung. Um die uralte „große Scheiße“.

 

Diese kredenzt uns jetzt – „Uraufführung nach Alfred Jarry“ ‑ im Neuen Haus des BE der, so die Reklame, aufs „Schauerliche und Poppige“ orientierte belgische Autor und Regisseur Stef Lernous. Doch in seinem „Ubu Rex“ wird der zum Himmel stinkenden Kot bloß mit Remmidemmi klein gehackt und breit getrampelt im düster versifften Wohnloch von Pa Ubu und Ma Ubu (Tilo Nest, Stefanie Reinsperger; Bühne: Sven van Kuijk).

 

Da rackern sich die beiden BE-Stars wie im Deppen-Stadel als pervers machtgeiles Diktatoren-Duo ab, in dem ein kreischend gefährliches Spießer-Paar wohl stecken mag. ‑ Doch mit gefährlich, mit Perversion und Machtgeilheit ist nicht viel. Es bleibt beim Kreischen, Kloppen, Saufen, Motzen, Chips-Tüten-Schmeißen. Selbst die Geilheit liegt im argen: Mama Ubu stöhnt in dauernder Erregung, weil Papa, der eklige Fettsack, außer Kacke nix in der Hose hat.

 

Man suhlt sich – im Beisein von drei schikanierten und verstörten Randfiguren (der Doktor: Owen Peter Read; das Gewissen: Cynthia Micas; der Kellner: Paul Zichner) – hundert lange Minuten so genüsslich wie harmlos in der Gosse. Die Monströsität des verbrecherisch Bösen, die entsetzlich auf Vernichtung zielende Egomanie, das exzessiv Dämonische, Ungeheuerliche wird zugepappt mit Klamauk.

 

Um der Posse noch einen sagen wir politischen Anstrich zu geben, fallen Stichworte wie Atomkrieg, Klima, Fake News, Trump, Internet, Staatspleite, Flüchtlinge und noch dazu einige Vokabeln AfD-Sprech. Das meiste davon, wie auch Ubus ewiger Hunger aufs Böse, seine Lust auf Ausgrenzen oder Erniedrigen sowie die ewigen Hilflosigkeiten des beständig schikanierten Domestiken-Trios Doktor-Gewissen-Kellner, das kommt als Gesang. Es ist das Beste im Getöse. Jörg Gollasch komponierte –  Eisler & Weill grüßend ‑ eine kleine feine Reihe von Songs (Live Band: Lukas Fröhlich, Peer Neumann, Tilo Weber). An diesen Sound hätte sich die auf kraftmeierndes Allotria erpichte Regie halten sollen.

 

„Die Welt soll sich mir beugen oder zerbrechen“, sagt – so sein furchtbares Credo ‑ König Ubu als Ahnherr und immergrüner Gründergeist aller theatralischen Schreck-, Schock- und Schrottmomente. Schreck und Schock waren nicht, dafür viel Schrott. – Wie leider fast immer bei den Novitäten-Produktionen im BE-Studio. Was ist da los im Haus?

 

(Wieder am 11.-13., 17., 18. März.)

 

***

2. Lust auf Bühnen und Bilder. - Happy Birthday, Volker Pfüller!

Plakat zu
Plakat zu "Medea", Deutsches Theater © Volker Pfüller

Er sei auf Stimmung aus und kein Grundrissästhet, bemerkte der freundlich-verschmitzt dreinschauende Herr vor einiger Zeit. Das war weit vor dem 80. Geburtstag des Bühnenbildners Volker Pfüller, dem kürzlich die Akademie der Künste, das Deutsche Theater und der Verlag Theater der Zeit eine launige Feier ausrichtete; leider im dafür viel zu kleinen DT-Rangfoyer – viel Volks musste draußen bleiben. Denn die Gemeinde seiner Freunde und Verehrer ist riesig. Pfüller ist ein Meister seines Fachs – ist eine Berühmtheit, die das ganze Theater gefüllt hätte. Wie konnte man das nur so unterschätzen… ‑ Der sanfte Jubilar lächelte den Ärger melancholisch weg.

 

Doch was heißt hier „Pfüllers Fach“! Schließlich wirkte er auf sehr vielen Bühnen: Auf den ganz kleinen zwischen zwei Buchdeckeln, den ganz vielen auf den Litfaßsäulen (als es diese noch gab und das Geld für Kulturplakate), den ganz großen der Oper, den ganz berühmten deutscher Schauspielhäuser – den Münchner Kammerspielen, der Volksbühne, dem Schiller Theater, dem Thalia Hamburg und, natürlich, seinem Heimathaus, dem Deutschen Theater.

 

Pfüller, geboren in Leipzig, aufgewachsen im Erzgebirge, doch längst ein Berliner, ist Gebrauchsgrafiker, Gebrauchsdichter, Illustrator, Kostüm- und Bühnenbildner, Maler und Zeichner – das alles eigentlich immer zugleich. Er war Lehrer an den Kunsthochschulen in Leipzig, Kassel und Berlin-Weißensee. Dort traf ich, schon etliche Jahre her, den Bühnenbild-Professor bei der Arbeit mit Studenten beim Fantasiespiel zum Thema „Der Stuhl“. Das Sitzmöbel im Wandel der Formen und Materialien als Spielzeug, Skulptur, philosophischer Scherzartikel, als Akteur eines Comics, Videoclips oder einer Performance. Eine so erstaunliche wie lehrreiche Spinnstunde. Schließlich fuße ein Bühnenbild, so der Prof., auf visueller und auf technischer Fantasie. Es müsse etwas darstellen und zugleich, rein konstruktiv gesehen, perfekt funktionieren.

 

 

Zwei Welten: Kunstschule Ost – Kunstschule West

 

Damals, in den 1990er Jahren, wurde noch heftig (oder ist das noch heute so?) über die Unterschiede künstlerischer Ausbildung in Ost und West gestritten. Im Schauspiel galt, so die Vorurteile, die Busch-Hochschule als Drill-Anstalt, die West-Hochschule als gruppentherapeutisches Institut. Pfüller hält tapfer den althergebrachten DDR-Akademismus in dem Sinne hoch, als er handwerkliche Perfektion vermittle. „Die soll man nicht geringschätzen, aber auch nicht als allein seligmachend hochschrauben.“ Wenn Westkollegen lästerten, dass ein nach der akademischen Tippeltappeltour durchgezogenes Seminar ein Ausdruck von ostdeutscher Kampfgruppenmentalität sei, konterte er gelassen, dass Studierende sich nur ausnahmsweise im Freiflug in die Gefilde des Genialen verirrten. Zur Kreativität gehöre halt die Beherrschung des Artistischen, des Erlernbaren und, ganz wichtig: Routine. Derlei sei, bei allem in Aufnahmeprüfungen getesteten Talent, ohne Lehre und Lehrer im Alleingang kaum erreichbar. Punkt.

 

 

Wann ist das Stimmungsvolle stimmig?

 

Und wie passt das zur eingangs zitierten „Stimmung“? Also doch Intention, Genie, Eingebung zuerst? ‑ Pfüller: Stimmung habe nichts mit Sentimentalität zu tun. Vor Beginn der Arbeit (ob am Bühnenbild, am Plakat oder an einer Illustration), also noch vor der ersten Absprache  über das Konzept des Regisseurs (wir bleiben im Theater), habe er sinniert, welche Farbe, welcher Raum dem Klang und Geist des Stücks, seinem Klima, seiner Aura  grundsätzlich entspräche. Es gilt die Regel: „Das Stimmungsvolle eines Bühnenbildes ist dann stimmig, wenn es zugleich der  poetische Ausdruck des Stücks ist.“

 

Zum Beispiel Grabbes „Herzog Theodor von Gothland“ 1984 im DT (Regie: Lang). Da fiel ihm beim Kramen in Fächern die Fraenger-Monographie über Grünwald in die Hände. Sie gab die optische Initialzündung für ein giftig glühendes Farbspektrum. Dazu der weite höhlige Raum, die glatten kalten fjordischen Felsen. Übrigens, die Partnerschaften am DT mit Alexander Lang (u.a. „Trilogie der Leidenschaften“, „Danton“, „Dreigroschenoper“) und später an den Münchner Kammerspielen mit Hans-Joachim Ruckhäberle gehörten zu einer der wohl fruchtbarsten unserer jüngeren Theatergeschichte. Oder Rossinis „Barbier“, Stuttgarter Oper 1993: Da gaben die absurd verschachtelten Treppenkonstruktionen eines M.C. Escher die Grundidee der Szene; die räumliche Entsprechung sowohl fürs Dramatische (das Verfolgen und Flüchten) als auch fürs Musikalische (das Rauf und Runter der Tonleitern).

 

Dabei soll das Bühnenbild noch Raum lassen für die Fantasie des Zuschauers, des Regisseurs, der Schauspieler. – Ach, die Schauspieler! V.P. hat viele gezeichnet und bezüglich Physiognomie und Rolle frappierend scharf getroffen. Also Freiräume für die Fantasie; deshalb sei er eben kein Grundrissästhet. Er mag nämlich nicht das demonstrativ Erklärerische. Das mache das Theater zum Seminar, den Akteur zum Roboter. Kunst decke nicht auf, sondern rufe hervor. Etwa ein überraschtes Aha angesichts einer möglichst fein ironischen Entlarvung. Das Dauer-Entertainment der Gags, die permanente Überrumpelung des Publikums, das liege ihm nicht. Man darf annehmen, die gegenwärtig gängige Theatermode auch nicht.

 

 

Im Schönen der Schreck, im Scherz der Schrecken

 

Eigentlich hatte V.P. keine Karriere als Bühnenbildner im Sinn. „Es kam eher über mich. Dabei bin ich ein über die Rampe gekletterter Zuschauer geblieben.“ Was er aber immer auch war und blieb: Ein Maler und Zeichner; sein verehrtes Vorbild: der Ostberliner Werner Klemke.

 

Bei der Geburtstagsfeier zum 80. war denn auch immer wieder von Pfüllers ungebrochener „Bilderlust“ die Rede. Von der ins Groteske stechenden, raffiniert naiven Expressivität, dem Farbenfrohen, dieser erregenden Eintracht von Widersprüchen – im Schönen der Schreck, im Scherz der Schrecken. Nicht zufällig liebt der Schnauzbart so besonders den Dadaisten, Individualisten und Realisten, den Erzähler und Krimiautor Walter Serner. Die Bebilderung seiner Geschichten beispielsweise lässt den giftigen Biss spüren, den das Entsetzen hat, das da hinter der Komik des Gewöhnlichen lauert. Bei seinen so zahlreichen, geradezu ikonenhaften Plakaten ist es ähnlich.

 

Pfüllers surreale Bizarrerie, das bis ins Absurde kobolzend Kauzige offenbart sich wundersam auch in seinen Kinderbüchern. Oder in den köstlich mit Banalem und Bedeutungsvollem kokettierenden Bildchen zu den von ihm gedichteten „Musenküssen“. Eine Kostprobe: „Von Heinrich von Kleist weiß man nicht, wie er aussah, nur, wie er heißt.“ Oder: „Die Schlechten schreiben, wie sie mechten, aber die Guten schreiben exakt wie Duden.“ Und aller tollen Dinge sind drei: „Es geht ganz sachte, und es geht mit Geschrei, es geht auch anders, und es geht vorbei.“ – Die Miniatur dazu: Zwei umschlungene Gerippe im Grab.

 

Kürzlich erschienen: Das Buch zum Geburtstag: Volker Pfüller „Bilderlust“. Herausgegeben von Stephan Dörschel, Leiter des Archivs Darstellende Kunst der Berliner Akademie der Künste. Im Verlag Theater der Zeit, 208 Seiten, 25 Euro.

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