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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 304

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

24. Juni 2019

HEUTE: 1. Iffland-Ring an Jens Harzer – Burgtheater Wien / 2. Blick nach vorn: Das künftige Berliner Ensemble-Quartier / 3. Vor der Einweihung: Das „Neue Haus“ / 4. BE-Spielplan-Spitzen der kommenden Saison

1. Wien feiert den „Würdigsten“: - Jens Harzer als neuer Herr des Rings

Jens Harzer © Georg Soulek
Jens Harzer © Georg Soulek

Geschmeidig wie eine Katze nimmt er das Treppchen von der ersten Reihe im Parkett auf die Burgtheater-Bühne. Dort steht er dann, scheu, schlank, rank und im dunklen Anzug mit schwarzem T-Shirt, ernstem Blick und ziemlich blass: Der Schauspieler Jens Harzer. Ganz offiziell gehört er jetzt zu den „bedeutendsten und würdigsten Bühnenkünstlern der Gegenwart“, was er für „geradezu absurd“ hält. Aber so steht es in der Satzung für die Vergabe des „Iffland-Rings“, einer der bedeutendsten Auszeichnungen in der deutschsprachigen Theaterwelt.

 

Nun also ist nach Albert Bassermann, Werner Krauß, Josef Meinrad und Bruno Ganz der so in sich Gekehrte mit der faszinierenden, jeden Laut austarierenden Stimme der Herr des sagenhaften Rings auf Lebenszeit – durch testamentarische Verfügung von Bruno Ganz, so ist die Regel. Nach der Übergabe durch den österreichischen Bundesminister für Kultur wurde der 47jährige vom Publikum hingebungsvoll im Wiener Burgtheater gefeiert, das an jenem himmelblau sonnigen Sonntagvormittag nach Pfingsten bis unters Dach gefüllt war.

 

Zur Eröffnung dieses denkwürdigen, weithin strahlenden Hochamtes der darstellenden Kunst feierte Burg-Direktorin Karin Bergmann den Ring als empathische Auszeichnung eines großen Künstlers durch einen anderen großen Künstler. Sie sei keine Goldmedaille. Sie komme still und vom Herzen als völlig subjektives, von jeglicher Beeinflussung freies, weil im Geheimen fixiertes Vermächtnis.

 

Übrigens, die Ring-Feier ist zugleich Karin Bergmanns letzte öffentliche Amtshandlung als Burg-Herrin. Aus dem Ruhrpott stammend kam sie 1986 mit Claus Peymann ins Direktorium, war Vize-Chefin unter Klaus Bachler und wurde, bereits pensioniert, 2011 zurückgeholt als Chefin, um die desaströsen geschäftlichen Zustände der Intendanz Matthias Hartmanns aufzulösen. Ihre Berserker-Arbeit an diesem weltweit einzigartig gigantischen Betrieb war erstaunlich erfolgreich – gerade auch in künstlerischer, kulturpolitischer Hinsicht. Karin Bergmann ist durch profunde Breitband-Fachkenntnis, Sensibilität und persönliche Integrität ein seltenes Kunststück gelungen. Es steht beispielhaft da in der nicht eben unkomplizierten Theaterwelt. Besonderer Beifall auch dafür bei dieser Gelegenheit zum Abschied.

 

Erstaunlicherweise traten nur zwei hohe Herren der Szene – der Dichter Peter Handke, der Regisseur Johan Simons ‑ an für jeweils knappe, freilich bewegende Worte der Bewunderung für den seit einem Jahrzehnt am Thalia-Theater Hamburg engagierten Preisträger und seine ruhmreiche Verwandlungskunst, die mit auratischer Unverwechselbarkeit einhergehe, so Simons; gegenwärtig Intendant in Bochum. In Harzer sei das Kind „gespeichert“, also immerzu lebendig, sagte er insgeheim verweisend auf Max Reinhardt.

 

Handke, extra eingeflogen aus Paris, beschwor die Dreieinigkeit von Gefühl, Verstand, also Menschenerkenntnis im Moment des Spiels, sowie das Schwingen eines Geheimnisses als wesentlich für Schauspielkunst. – Also Gefühl, Verstand, Aura, diese drei…!

 

Man sage, so Handke weiter, viele Menschen seien eine gute Haut. Harzers begnadetes Spiel sei auf der Suche nach dem guten Menschen. Es erinnere ihn an Oskar Werner und Albin Skoda, die er als Schulkind erlebt hatte. Und an ein Fußballbuch von Ror Wolf. Darin der Satz: „Netzer kam aus der Tiefe des Raums.“ So sei es mit Harzer auf der Bühne.

 

Die Matinee rundete ein Klarinetten-Solo von Jörg Widmann ab. Und natürlich ein Füllhorn von signifikanten Szenenausschnitten auf der Videowand ‑ Harzers ein Vierteljahrhundert umspannende Bühnenarbeit; Kino und Fernsehen blieben ausgespart. Und schließlich eine Harzer-Lesung: „Unverhofftes Wiedersehen“ von Johann Peter Hebel, ein 1811 erschienener zart melancholischer Text über das Glück und die Katastrophe, tapfere Trauer und innige Liebe über den Tod hinaus. Standing Ovationes.

 

Die Geschichte des Iffland-Rings geht zurück auf die Zeit um 1875 und ist benannt nach dem Schauspieler August Wilhelm Iffland (1759-1814), ein taffer Gebrauchsdramatiker der Goethezeit und Franz Moor in der Uraufführung von Schillers „Räubern“, Mannheim 1782. Der erste Ring-Träger war Ludwig Devrient, er starb 1832. Bruno Ganz erhielt den Ring 1996 vom Burg-Schauspieler Meinrad.

 

Die Satzung verlangt, dass der Träger den Nachfolger bestimmt in einem erst nach seinem Tod zu öffnenden Brief. Der (zu hinterfragenden) Tradition nach soll der in einer samtenen Kapsel aufbewahrte Ring stets an einen männlichen deutschsprachigen Schauspieler gehen. Die Preziose (Eisen, Halbedelstein mit Iffland-Profil, 28 Diamantsplitter) ist seit den 1950er Jahren „zweckgebundenes Eigentum“ der Republik Österreich. ‑ Jens Harzer hat jetzt drei Monate Zeit, in einem Schreiben den Nach-ihm-Träger (oder die Trägerin?) zu benennen und die versiegelte Nachricht amtlich zu deponieren. Sie bleibt sein Geheimnis bis zum Tod.

 

(Am 4. September ist Jens Harzer als Arzt Astrow in Jürgen Goschs Inszenierung von Tschechows „Onkel Wanja“ im Deutschen Theater zu sehen.)

 

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2. Zwischen Schiffbauerdamm und Brecht-Platz: - Der Traum vom BE-Quartier wird wahr

Bertolt-Brecht-Platz © Markus Hilbich
Bertolt-Brecht-Platz © Markus Hilbich

Kleine Fantasie in allernächste Zukunft – was für ein toller Kulturplatz ist da zwischen Bertolt-Brecht-Platz, Spree und Schiffbauerdamm: Bei warmem Wetter ein Gartenlokal unter alten Bäumen, die schon zu Brechts Zeiten hier im Hof vom Berliner Ensemble Schatten spendeten; ansonsten die öffentliche Kantine halbe Treppe im Souterrain vom Probenhaus. Dann ein hübsches Gartenhäuschen noch aus Peymanns Zeiten für diverse Veranstaltungen der intimen Art. Dann das historische Schiffbauerdamm-Theater, üppig und aufwändig neubarock verschnörkelt (für Brecht ein gegebener V-Effekt), das jetzt, unter Oliver Reeses Direktion, Großes Haus heißt. Dabei müsste das seit 1954 als Berliner Ensemble titulierte Gebäude aus der Kaiserzeit eigentlich Altes Haus heißen, was wohl zu despektierlich klingt. Gibt es doch mit Beginn der kommenden Saison ein Neues Haus.

 

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3. Letzte Bauarbeiten: - Die komplett hergestellte BE-Zweitspielstätte „Neue Haus“

Visualisierung des Foyers der neuen Spielstätte © Möhring Architekten
Visualisierung des Foyers der neuen Spielstätte © Möhring Architekten

Es ist die für 5,5 Millionen Euro aufwändig um- und ausgebaute ehemalige, moosgrün angestrichene uralte BE-Probebühne, 1952 auf dem Fundament einer im Krieg zerstörten Volksschule extra für den Einzug des Brecht-Theaters errichtet. Seinerzeit technisch ziemlich Spitze mit Extra-Tonstudio für Plattenaufnahmen (da ließ die DDR sich nicht lumpen). Und mit Räumen für Sprech- und Bewegungserziehung, einem Schach-Club, mit Gästezimmern für Künstler, die noch keine eigene Wohnung hatten, dazu das Atelier des berühmten Bühnenbildners Karl von Appen. Im Keller war eine Sauna für die Werktätigen, darüber zwei spezielle Räume für die SED-Betriebsparteileitung, um die führende Rolle der Partei ordnungsgemäß durchsetzen zu können.

 

Seit vielen Jahren wurde diese „alte“ Probebühne ohne Lüftung, Barrierefreiheit und moderne Lichttechnik auch als dringend benötigte Zweitspielstätte genutzt, was freilich den Probebetrieb einengte. Zu DDR-Zeiten kein so großes Problem, weil man ohnehin kaum mehr als ein halbes Dutzend Großproduktionen herausbrachte.

 

Das änderte sich nach 1990, und Direktor Peymann machte anno 2000 seinen Amtsantritt davon abhängig, dass man ihm zusätzlich ein nagelneues Haus für Technik, Verwaltung sowie Probebühne in den Hof setzte. Daraus machte dann Reese die Spielstätte Kleines Haus, die ab dem 3 Juni geschlossen wird, um künftig wieder, wie zu Peymanns Zeiten, ausschließlich dem Probieren zu dienen.

 

 

SCHLIESSUNG EINER HISTORISCHEN WUNDE

Am 20. September wird dann die total um- und aufgerüstete uralte Probebühne als zusätzliche, also zweite Spielstätte unter dem Namen Neues Haus eröffnet werden ‑ mit einem 185-Plätze-Saal, dazu Bühne mit Hebezügen und Drehscheibe, ein „Werkraum“ (90 Plätze) für begleitende Formate jenseits des Repertoirebetriebs; für alle Besucher wird es ein großzügiges Foyer geben nebst Bar. Das Treppenhaus samt Fahrstuhl wird, um im Innern Freiflächen zu gewinnen, von außen an die Fassade quasi angeklebt werden. ‑ So bekommt das Theater am Schiffbauerdamm / Berliner Ensemble erstmals nach mehr als125 Jahren eine zeitgemäß voll ausgestattete, also hochmoderne zweite Spielstätte, womit „eine Wunde der Historie“ (Reese) endlich geschlossen wird. – Hoch lebe das Neue Haus!

 

Fehlt nur noch, dass der graue, öde Brecht-Platz mit dem schönen, einst von Büschen und Bäumen umstandenen Brecht-Denkmal von Fritz Cremer endlich wieder ein freundliches Aussehen bekommt, das zum Verweilen einlädt – was wiederum in der Verantwortung der öffentlichen Hand liegt (Stadtbaudrektorin Regula Lüscher bitte melden!).

 

Und dass, mein ganz persönlicher Wunsch, neben dem weltberühmten BE-Logo, dem weithin rot-weiß leuchtenden Drehkreis (längst ein Berliner Wahrzeichen), die beiden weißen BE-Fahnen wieder flattern. Claus Peymann ‑ selbst ein Flatternder, dabei beständig sich dem Gegenwind Stemmender – hatte sie einst auf dem Dach installiert. Reeses Fahnenstürmerei, sein dauerhafter Verzicht auf dieses stolze theatralische Sinnbild, bliebe mir unverständlich.

 

 

Ein KUNST- UND GENUSS-QUARTIER

Was für ein grandioses öffentliches Ensemble: Großes Haus, Kleines Haus, Gartenhäuschen, Kantine. Dazwischen ein begrüntes, womöglich beblümtes Hof-Idyll zum gemütlich Sitzen und Schauen – wie auch auf dem Vorplatz mit Blick aufs Denkmal des großen Rauchers. Um die Ecke der Fluss mit seiner Restaurant- und Kneipenmeile. Oliver Reese spricht zu Recht begeistert von einem künftigen BE-Quartier. Einem Ort vielfältiger Unterhaltung und Genüsse in der Mitte Berlins.

 

Klingt vielversprechend! Und verlangt ein entsprechend anziehendes Programm. Immerhin, die vergangene Saison sorgte insgesamt für reichlich 80 Prozent Platzauslastung; doch da ist noch Luft nach oben.

 

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4. BE-Programmspitzen 19/20

Spielzeit 19/20 © Moritz Haase
Spielzeit 19/20 © Moritz Haase

Man darf sich schon mal freuen auf ein zünftiges Wochenend-Happening mit Party und Hoffest im Herbst (20.-22. September) zur Einweihung vom Neuen Haus u.a. mit der Uraufführung einer „dokumentarischen Inszenierung ‚Mütter und Söhne‘“ von Karen Breece, die sich mit rechtem Denken und rechter Gewalt auseinandersetzt, also mit politischer Radikalisierung. Überhaupt gilt: „Gegenwärtigkeit ist mein Programm“ (Reese). Zwei Drittel aller 14 Premieren seien von lebenden Autoren.

 

Ein Gag zum Start im Neuen Haus: Das „Pay what you want“. Auf gut deutsch heißt das, bis Ende September zahlen die Zuschauer bei allen Vorstellungen im Neuen Haus erst im Anschluss an den Theaterbesuch. Und zwar einen selbst bestimmten Preis. Der richtet sich danach, wie viel Geld ihnen der Abend wert war. – Übrigens: Das historische, neubarock prunkende „alte“ BE-(Stamm-)Haus eröffnet die neue Saison am 16. August mit der Premiere „Felix Krull – Stunde der Hochstapler“ nach Thomas Mann, inszeniert von Alexander Eisenach.

 

Desweiteren: Frank Castorf wird „einen seiner Lieblingsromane adaptieren“, Erich Kästners „Fabian“ (vielsagend neuer Titel: „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“). Andrea Breth (nach einem Jahrzehnt wieder im Berliner Schauspielbetrieb) inszeniert „Drei Mal Leben“ von Yasmina Reza, Michael Thalheimer „Glaube und Heimat“ von Karl Schönherr sowie Fassbinders „Katzelmacher“ und Ersan Mondtag Brechts „Baal“. Der Intendant selbst besorgt die Uraufführung von Ferdinand von Schirachs zweitem, das Thema Sterbehilfe umkreisende Theaterstück „Gott“.

 

Klingt alles ganz spannend, verspricht Aufregung. Und ist doch bloß ein Schlaglicht auf bevorstehende Programmfülle. Bleibt nur noch unser Ausruf eines kräftigen „Toitoitoi!“ für sämtliche Vorhaben. Für pünktliche Erfüllung der Baupläne (im Sommer wird durchgearbeitet). Für das BE-Quartier überhaupt.

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