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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 29

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

2. April 2013

Deutsches Theater


Über Ostern haben die beiden berühmten Häuser in der Schumannstraße zwei Eier gelegt: ein winziges goldenes in den Kammerspielen und im „Deutschen“ daneben ein großes dickes schwarzes.

Zuerst das goldene: Tatsächlich steht auf der Bühne in der Kammer eine kostbar funkelnde Goldkiste mit verspiegeltem Boden. Und in die purzelt eine Schar fantastisch verkleideter Schauspieler. Sie erinnern entfernt an menschenähnliche Puppen oder Insekten. Eine Unisex-Meute, von Andrea Schraad todschick kostümiert, frisiert, maskiert   mit Ideen aus Märchen, Fantasy-Film, Pop-Mythen, Avantgarde-Modeschauen. Diese Bande Tollwütiger begrapscht, bekloppt und bespringt sich unentwegt und dabei alle Glieder verrenkend gegenseitig mit viel Huch und Hach, Ja-doch und O-nein. Ein grotesk artistischer Zirkus mit ohrenbetäubendem Maschinenpistolen-Geknatter, der sich nach zwanzig Minuten erschöpft hat. Aber noch zwei Stunden weiter dreht und dreht und blödelt und blödelt und kloppt und kloppt und knattert und knattert. – Das Karacho sind ausgewählte fünf Farcen „aus der Hölle der bürgerlichen Freiheit“ von Georges Courteline; unter dem Titel „Sklaven“ gebündelt. Der Autor schlägt total zynisch zu. Doch wenn der irrende Regisseur (und ingeniöse Bühnenbildner) Andreas Kriegenburg die Ehehölle als bloß blöden Witz und Eheleute von Anfang an als Deppen in der Klapse hinstellt ohne ein Minimum Realismus, dann kann kein Konflikt ins Groteske, keine Situation ins Aberwitzige kippen. Kann man keine Farce lostreten und kein Lachen, das mir dann, logisch, auch nicht im Hals stecken bleiben kann. Unter dieser Regie gibt es keine Farce, keine Hölle, keinen Abgrund, keinen Zynismus, keine Schauspieler (bloß tobende Grobiane). Und es gibt keinen Autor mehr (weggezappelt, weggeblödelt). Und keinen Regisseur, sondern nur einen Arrangeur von Trallala, Krach, sich wiederholende Slapstickiaden. Dem geht freilich – wie könnte es anders sein – nach zwanzig Minuten die Puste aus. Aber man kann ja, nach ein klein bisschen Freude an knallbunten Kaskaden und crazy outfits, in der Pause gehen. Immerhin: Maske und Kostümwerkstätten haben super Arbeit geleistet; endlich mal wieder eine Herausforderung statt der ewig prolligen Ausstattung aus der Humana-Second-Hand-Klamottenkiste! Doch schade um die viele Arbeit; schade um den Autor und vor allem schade um die Spieler, sofern von Spielen überaupt die Rede sein kann.

 

Nun zum große dicken schwarzen Ei im großen Haus: Michael Thalheimer inszeniert „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödon von Horvath. Ein dampfender, dabei doch eisige Schauer lostretender Kleine-Leute-Realismus, der über Menschheitsabgründen brütet. Ein grauenvolles Stück, gegriffen aus dem Nähkästchen der Alltäglichkeit. Und jeder Griff würgt einem das Herz. Um es kurz zu sagen: Große Literatur, große Schauspielkunst, große Regie.

Die Bühne leer und schwarz, ein unvergesslicher Soundtrack von Bert Wrede, gemacht aus ein paar Takten „Donau so blau“, klingt mal martialisch drohend, mal engelsgleich flirrend; ein tolles Kunststück für sich. Dazu das minimalistische Spiel, das dauernde Hin- und Herfallen vom Banalen ins Entsetzliche, vom Reinen ins Dreckige, Sentimentalen ins Verlogene -- das packt, wühlt auf. Und alles hoch konzentriert. In archaischer Kargheit, Schönheit, Härte – und geradezu schwebender Leichtigkeit.

Endlich, endlich, nach langem, langem Warten ein großer Wurf am Deutschen Theater. Ein Kunst-Ereignis, das dem Rang dieses Instituts entspricht. Ein Kultstück, gewiss. Man muss es gesehen haben. Die Schlangen an der Kasse werden endlos sein.

Deutsche Oper

An der Bismarckstraße wurde ein riesengroßes, herrliches Osterei gefunden: Richard Wagners Riesengroß-Herrlichkeits-Komödie „Die Meistersinger von Nürnberg“. Vor genau zwei Jahrzehnten war Premiere dieser Inszenierung von Götz Friedrich, Ostersonntag gab es die 42. Aufführung, und ich bin dankbar, dass die Intendanz nicht in blindwütiger, albern eitler Bilderstürmerei die im besten Sinn konservative, für jedermann sofort begreifliche, pittoresk illustrative Produktion so glänzend aufgehoben hat. Ein Schmuckstück, intelligent und doch frei von hochmögenden Interpreatationsfantasien; aber auch nicht ohne (politischen) Standpunkt (freilich ohne Holzhammer). Etwa kommt da zum Vorspiel erster Akt ein starkes Bild, das frappierend einfach zusammenfasst, was sich nie mehr wegdenken lässt von diesem monumentalen und zugleich subtilen Psychostück mit eingeschlossenem kunstpolitischem Diskurs: Der Vorhang teilt sich bei den ersten C-Dur-Takten, im Hintergrund glimmt wie im Scherenschnitt Alt-Nürnberg, dann schiebt sich in den Himmel unheimlich langsam ein Foto von der grauenvoll zerbombten Albrecht-Dürer-Hans-Sachs-und-NSdAP-Reichsparteitags-Stadt. Ach ja, und der grandiose Wolfgang Brendel als Sachs sprang ein für den erkrankten Robert Holl. Gut eine Viertelstunde Jubel.

 

Ich kann es mir hier nicht verkneifen, den Dichter Wagner zu feiern. Mit 17 von 53 Druckzeilen des „Wahnmonologs“, gesungen vom Schuster-Poeten Hans Sachs: „Wahn! Wahn! Überall Wahn! / Wohin ich forschend blick‘ / in Stadt- und Weltchronik, / den Grund mir aufzufinden, / warum gar bis aufs Blut / die Leut‘ sich quälen und schinden / in unnütz toller Wut! / … / Johannisnacht! - / Nun aber kam Johannistag! - / Jetzt schau’n wir, wie Hans Sachs es macht, / dass er den Wahn fein lenken kann, / ein edler‘ Werk zu tun. / Denn lässt er uns nicht ruh’n / selbst hier in Nürenberg, / so sei’s um solche Werk‘, / die selten vor gemeinen Dingen / und nie ohn‘ ein’gen Wahn gelingen.“

 

So geht Dialektik: Wahn destruktiv, Wahn konstruktiv. So gehen Humanitas, Schönheit.

Hans-Otto-Theater Potsdam

„Mütterliebe als Polizei für das Glück der anderen“. „Miteinander reden kann jeder; miteinander sein ist die Kunst.“ Das sind Sätze aus dem Roman „Wellen“ von Eduard von Keyserling, einem Baltenpreußen aus der deutschen Kaiserzeit. Als der Roman, eine Ostseegeschichte von Ehe, Familie, Verlobung, Liebe, Ehebruch aus dem Jahr 1911 jetzt wieder aufgelegt wurde, feierte ihn nicht nur die Literaturkritik. Ein frappierend moderner Text. Es geht letztlich um das Recht eines jeden auf, wie wir heute sagen, Selbstverwirklichung. Und um dessen Grenzen – bei maßloser Entgrenzung droht Selbstzerstörung, aber auch Zerstörung im Lebensumfeld. Es dreht sich also ums Finden der rechten Balance, was so schwierig ist wie für ein kleines Boot auf der Meereswelle.

Barbara Bürk hat den klugen, auch im sprachlichen meisterhaften Roman für die Bühne adaptiert und mit dramaturgisch fein eingestreuter Musik leichthin quasi wie ein Aquarell auf die Bühne getuscht. In einer Fülle szenischer Einfälle flirrt und wirbelt das verwirrende bürgerliche Sommerfrische-Ostseedasein voller Sehnsüchte und Begehren und voller herber Enttäuschungen vorüber. Das Glück wie Schaum auf der Welle. Wie ein schönes Lied im Wind. Der Abend treibt manches bis ins Kabarettistisch-Deftige, hat viel Komisches, sogar Albernes. Und reichlich Lebensphilosophisches. Er ist süß betörend, aber auch bitter melancholisch und zuweilen gallig, alles raffiniert vermischt. (wieder am 6. und 7. April)

 

„Das sind ja immer die heitersten Gesellschaften, die aus lauter Leuten besteht, welche die Einsamkeit suchen.“ So geht der Keyserlingsche Witz, wunderbar, wie der ganze Roman – und seine sarkastisch amüsante, musikalisch swingende, dennoch unversehens todernste Bühnenversion; erstmals in Potsdam.

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