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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 279

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

17. Dezember 2018

HEUTE: 1. „Komplexe Väter“ – Kudamm-Komödie im Schiller Theater / 2. „Flash Dance“ – Admiralspalast/ 3. Heiner Müller zum 90. Geburtstag / 4. Gruß zum Jahreswechsel

1. Komödie am Kudamm im Schiller Theater: - Es geht um nichts und gleichzeitig um alles

Anton (Jochen Busse, l.) und Erik (Hugo Egon Balder) © Bo Lahola
Anton (Jochen Busse, l.) und Erik (Hugo Egon Balder) © Bo Lahola

Komplexe Väter! ‑ Wieso komplexe Väter? Weil sie allumfassende Erziehungsarbeit leisten? Weil sie kompliziert – also komplex ‑ miteinander verbunden sind? Weil es einen Vaterkomplex gibt, entsprechend dem Mutterkomplex? Und gibt es auch – Plural ‑ einen Väterkomplex? Geht es überhaupt nur um reine Komplexe?

 

Allein in dem Titel „Komplexe Väter“, den der erprobte Komödienschreiber René Heinersdorff seinem neuen Opus gab, stecken viele Fragen. Der Autor selbst erklärt es schlicht komplex so: „Es geht um nichts und gleichzeitig um alles.“ Doch keine Angst, die komplexe Problematik der Veranstaltung wird auf geistreiche Art aufgedröselt.

 

Grob gesagt: Es geht in diesem wirklich witzigen Stück (voller untergründigem Ernst) um eine doppelte Vaterschaft arg grantelnder älterer Männer: Hugo Egon Balder als Erzeuger Erik und Jürgen Busse als Anton, der Ernährer einer mittlerweile dreißigjährigen Nadine (Katarina Schmidt), die wiederum den Liebhaber Björn (René Heinersdorff) hat, der altersmäßig als ihr Papa durchgehen könnte, derweil Ziehvater Anton vom Alter her locker ihr Opa hätte sein können. Nun will Nadines Mama, verheiratet mit Anton, den sie einst mit Erik betrog, der sie wiederum mit Nadine schwängerte (Fremdgehen als kleine Ehe-therapeutische Auszeit), nun will Mutter Ute (Alexandra von Schwerin) die bis dato verfeindeten Herren Väter in mütterlichem Versöhnungswahn zusammenbringen. Anlass ist der Antrittsbesuch des allen noch unbekannten Björn, der möglicherweise der Schwiegersohn wird von Erik, Anton, Ute, um daraufhin die Patchworkfamilie zu komplettieren. Komplexe Verhältnisse also, denen wiederum keiner der Beteiligten sich wirklich stellen will. Es klappt aber nicht mit der Problemverweigerung. Die Schwierigkeiten eskalieren und prallen aufeinander; vermeintliche Souveränitäten krachen zusammen, Handgreiflichkeiten, Chaos unter allen Beteiligten, jeder kriegt sein Fett weg, keiner bleibt ungeschoren. Wahrheiten und Lügen spielen Pingpong, Vorurteile schwinden, Erkenntnisse schwelen.

 

Ein Happyend fällt aus, doch am Ende sind allerhand Komplexe gebannt, wenn nicht abgebaut, und die zunächst heillos zerstrittene Sippschaft um mindestens einen Zacken klüger. Wie auch das gelegentlich verdutzte, doch letztlich schwer begeisterte Publikum. Rasender Beifall.

 

Der natürlich vornehmlich dem Herren-Trio Balder-Busse-Heinersdorff gilt. Die Redeschlacht ist maßgeschneidert für das Terzett der Komödianten, das genau weiß, wie man Pointen und Spitzen setzt, Ironisch-Sarkastisches eiskalt serviert und Lebensweisheiten wie nebenbei in die Luft wirft. Da läuft alles wie am Schnürchen; da wird inne gehalten, wenn Erschreckendes auftaucht, da wird Gas gegeben, wo das Groteske lauert. Perfekt das Timing für Tempi und Pausen; das Spiel (Regie: Heinersdorff) frei von Mätzchenmacherei, Alberei, Allotria konzentriert auf das verrückt Komplexe wie komisch Offensichtliche des brillanten Textes von René, an dem die beiden Metier-erfahrenen Kollegen Jochen und Hugo Egon wohl kräftig mit geschliffen haben. Mit feinen Farben souverän hin getuschte Unterhaltung vom Feinsten.

 

(wieder 18.-22., 25.-31. Dezember, 2.-6. Januar)

2. Admiralspalast: - Hochtourige Gute-Laune-Maschine

 © 2entertain.com
© 2entertain.com

„What a Feeling“ ist ein Stück Musik, das wohl auch unser Jahrhundert überleben dürfte. Kein Wunder, es gehört zur Filmmusik von „Flashdance“, den Adrian Lynes anno 1983 inszenierte und für den er einen der Besten der Branche, nämlich Giorgio Moroder engagierte, der dafür prompt einen Oscar kassierte.

 

„Flashdance“ gehört neben „Fame“, „Footloose“, „Staying Alive“ oder „Dirty Dancing“ zu jenen angesagten Tanzfilmen, die in den 1980er Jahren die um die Welt schwappende Aerobic- und Modern-Dance-Welle auslösten. „Flashdance“ ist Kult bis heute, und inzwischen gibt es davon mehrere Musical-Versionen. Eine davon produzierte die schwedische Unterhaltungsfirma „2Entertain“, mit der sie nun auch auf ihrer Deutschland-Tour punkten will.

 

Die Handlung ist schlicht: Die kleine Fabrikarbeiterin Alex tanzt nachts in Harry’s miesepetrigem Club, will aber groß rauskommen als Tanzstar, kämpft um einen Studienplatz an einer berühmten New Yorker Ballettschule und schafft es schließlich in die Aufnahme-Audition („Nur drei Minuten!“), freilich mit Hilfe eines auch finanziell potenten Liebhabers (toller Tänzer und Spieler: Nick Sasha Di Capri), der die Jury schmiert mit einer Geldspende. Nach besagten drei Minuten fällt besagte Jury in Ohnmacht vor Begeisterung über Alex‘ Showtalent. – Dem Publikum im Admiralspalast geht es ähnlich; die bislang unbekannte Stage-School-Absolventin Hannah Leser reißt alle vom Hocker. Kluges Casting!

 

In die einigermaßen verzweigte Story, die übrigens eine berührende Nebenrolle für die wunderbare Gitte Haenning mit der rauen Sexy-Stimme parat hält, ist in homöopathischen Dosen Kapitalismuskritik eingestreut (drohende Massenentlassung in der Fabrik) sowie die Me-Too-Problematik (Macker-Missbrauch der Tanzmädels) und Mutmach-Weisheit („Man schaffst alles, wenn man nur will!“). Vor allem aber geht es in den zahlreichen, locker bewältigten Sprechszenen (auf Deutsch) darum, präzise Anstöße zu geben für die nächste Tanzszene, den nächsten Hit (Regie: Anders Albien).

 

Das optisch grandiose, suggestiv Video gestützte, super praktikable, stimmungsvolle Bühnenbild sorgt für fliegende Szenenwechsel zwischen Breitwand-Totale und intimem Kammerspiel. Und die Choreographien sowohl für Massenauftritte wie Soli sind wahrlich der Hammer. Große Hingucker bei mitreißender Musik (die tolle Sechs-Mann-Band). Und als die Eurovision-Contest-Teilnehmerin Ann Sophie Dürmeyer als unfreiwillig verkokste Nightclub-Tanzratte Gloria und Freundin von Alex sich selbst errettend am „Gloria“ von Laura Branigan wieder hoch zieht – ein starker Show-Act ‑, da hält der Saal den Atem an, bis er schließlich explodiert.

 

Allerdings ist zu protokollieren: Schon zur zweiten Vorstellung nach der Berlin-Premiere war die Riesenhalle Admiralspalast bloß höchstens halbvoll; und es haperte zumindest am Anfang noch mit der Tonsteuerung, was man wohl inzwischen korrigiert hat. Dennoch gilt: Ein furioses, perfekt trainiertes Hochleistungsensemble liefert klasse Entertainment für Fans, Nostalgiker und alle Leute mit Lust auf gute Laune.

 

(bis zum 23. Dezember)

3. Lese-Tipp und Mitschreib-Lust: - Heiner-Müller-Bücher zum 90. Geburtstag am 9. Januar 2019

Heiner Müller © Bundesarchiv
Heiner Müller © Bundesarchiv

3.1. Müllers Texte bei Suhrkamp: Dauerhaft im Krieg

Sein strenger, kaltblütiger Glaube galt einem einzigen: dem Konflikt. Was für ein Bekenntnis! Was für eine Abkehr von allem, was eine heile Welt bedeuten könnte: „Es gibt kein Leben ohne kaputtes Leben. Wenn ich morgens Müsli esse, will ich mich eine Stunde später erschießen. Da trinke ich lieber Benzin zum Frühstück.“ – Was für ein Satz; schrecklich und schön. Heiner Müller, der Poet…

 

Der Dichter Durs Grünbein schrieb über ihn; Aufklärung sei diesem Mann „eine ununterbrochene Katastrophe“ und „gerechte Güterverteilung ein Streit, der auf Ausrottung hinauslaufe“. – Derartige Ansichten sollte man sich vergegenwärtigen, wenn man in Heiner Müllers verstreuten Texten zum Kapitalismus liest, die vor einigen Monaten von Helen Müller unter dem beängstigend prophetischen Titel „Für alle reicht es nicht“ bei Suhrkamp (16,50 Euro) herausgegeben wurden.

 

Die Sammlung blättert zielgerichtet in Müllers Essays, Reden, Interviews, seinen Stücken und Gedichten. Und umkreist sein tiefes Einverständnis mit den unlösbaren Widersprüchen des trostlosen menschheitlichen Daseins einschließlich seines dauerhaft kriegerischen Zustands. Die mit hohem Aufwand hergestellten Trostpflaster aus Moral und Idealen hält HM für absolut wirkungslos. „Du musst einverstanden sein auch mit der Grausamkeit“, schrieb er mit finsterem Blick auf die Gebrüder Kain und Abel. „Es ist sicher ein Problem, worüber man streiten kann: ob Kunst überhaupt human ist. Sie ist es nicht. Sie hat nichts damit zu tun.“

 

Keine unbedingt erbauliche Lektüre. Dennoch bleibt es zumutbar, sich den nach wie vor fest nistenden todernsten Dingen dieser eben nicht nur schönen Welt zuzuneigen. Sie vor allem haben mit dem Wesen unserer  fragilen Existenz zu tun.

 

 

3.2. Müller-Anekdoten im Verlag Theater der Zeit

Allseits bekannt ist, dass Heiner Müller ein Meister des süffisanten Bonmots war, der abgründigen Pointe. So ist die Idee des Fachmagazins Theater der Zeit naheliegend, Heiner-Müller-Anekdoten fleißig zu sammeln und in einem Hundert-Seiten-Büchlein für zehn Euro zu veröffentlichen; Redaktion, Sammlung, Herausgabe: Thomas Irmer. Bis jetzt sind 87 der amüsanten, frechen, nicht zuletzt zeitgeschichtlich aufschlussreichen Dingelchen zusammen gekommen. Deshalb noch eine pfiffige Idee Irmers: nämlich die Sache offen zu halten und alle Welt aufzurufen, weiteres „Material“ beizusteuern für einen – nur einen? – Folgeband. Also: Jeder, der auch nur irgendwie müllerte und diverse Sarkasmen oder Erlebnisse im Hinterkopf hat, kann da mitmachen per Post (Winsstraße 72, 10405 Berlin) oder per E-Mail (lektorat@theaterderzeit.de).

 

Hier schon mal zwei Kostproben: Eine Fernsehtalkshow. Frage: „Nach der Wende gab es doch viele Probleme. Leute verloren ihre Arbeit. Manche haben sich umgebracht...“ – HM: „Ja, aber es gab auch negative Entwicklungen.“

 

Lothar Trolle, dessen dramatische Arbeiten lange Zeit nur ausnahmsweise gespielt und noch seltener gedruckt wurden, erhielt von HM den Hinweis: „Nichts ist gefährlicher als der frühe Erfolg.“ – Wäre hinnehmbar als Müllers Gruß zum neuen Jahr!

 

 

3.3. Müllerei im BE, DT, Gorki

„Ich habe kein Geld für Blumen und keine Zeit, Verse zu machen für dich“ ist das Motto vom „Müllersalon #11“ in den DT-Kammerspielen; gelesen (auf Sächsisch!) wird das von bornierten SED-Politikern zum Skandal erhobene Stück „Die Umsiedlerin“; Kommentator: Jürgen Kuttner. Danach in der DT-Bar die Demonstration der „Gesammelten Irrtümer“, die Heiner Müller und Alexander Kluge im Laufe ihrer Gespräche angehäuft haben: Mit u.a., man staune, Christian Grashof, Corinna Harfouch, Kathleen Morgeneyer, Karkus Kunze, Jürgen Kuttner, Agnes Julia Mann, Anja Schneider, Michael Schweighöfer, Beat Siebenhaar, Almut Zilcher.

(9. Januar 20 Uhr, danach in der Bar ‑ all night long oder zumindest, bis niemand mehr zuhört)

 

„Das Liebesleben der Hyänen. Müllers 90.“ im Großen Salon des Berliner Ensembles. Mit Müller-Witwe Brigitte Maria Mayer, Müller-Tochter Anna Müller, Regisseur Lars Ole Walburg u.a. Der Abend ist eine Einstimmung auf die bevorstehende Fritz-Kater-Uraufführung am 26. Januar „heiner 1-4 (engel, fliegend, abgelauscht)“.

(9. Januar, 20 Uhr)

 

„Was auf der Flucht ist, bleibt“ in der Gorki-Kantine mit Texten von Rosa Luxemburg (vor 100 Jahren ermordet) und Heiner Müller, mit Whisky und Zigarren. Von collektive temporaire (Einrichtung: Volker Kula; Musik/Video: Volkan T. Error) sowie mit Schauspielern des Ensembles im Anschluss an die Vorstellung „Die Hamletmaschine“ von HM.

(8. Januar, 21 Uhr, Gorki-Kantine. Eintritt frei. Die Vorstellung „Hamletmaschine“ beginnt 19.30.)

 

***

4. Gruß zum Jahreswechsel

Neujahrspostkarte um 1900
Neujahrspostkarte um 1900

Der Schreiberling macht mal Pause und steht mit seinem Blog Nr. 280 am 7. Januar 2019 wieder online. Frohes Fest! Prosit Neujahr!

 

„Manchmal denke ich, es ist schon des Menschen ganzes Glück, es weder zu suchen noch es finden zu wollen.“ Wolf Wondratschek

 

Bei dieser Gelegenheit: Hinweis auf den Wondratschek-Roman „Selbstbild mit russischem Klavier“. Bei Ullstein, 271 Seiten, 22 Euro. Was für eine Silvester-Rakete!

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