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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 278

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

10. Dezember 2018

HEUTE: 1. „Italienische Nacht“ – Schaubühne / 2. Dokfilm „Gosch“ – Kammerspiele des Deutschen Theaters / 3. „Der Weihnachtsstern“ – Zeiss-Großplanetarium

1. Schaubühne: - Miefige Demokraten, geile Neonazis

Traute Hoess, Benjamin Schröder, Sebastian Schwarz, Juri Padel, Annedore Bauer, Veronika Bachfischer, Christoph Gawenda © Arno Declair
Traute Hoess, Benjamin Schröder, Sebastian Schwarz, Juri Padel, Annedore Bauer, Veronika Bachfischer, Christoph Gawenda © Arno Declair

Das Gasthaus Lehninger irgendwo tief in der süddeutschen Provinz um 1930 müssen sich neuerdings die örtlichen Demokraten mit grölenden Nazis als Versammlungslokal teilen. Zunächst aber tagt noch der örtliche SPD-Vorstand, derweil draußen schon mal die Jung-Faschos die Fäuste recken: „Hier marschiert der nationale Widerstand!“ Später, wenn die grün-weiß-rote Girlande gespannt sein wird und die Sozen „Italienische Nacht“ feiern, ihr süffiges Vereinsfest, dann erst soll es ordentlich losgehen mit dem nationalen Widerstand: Die Rechten wollen die Linken kaputt hauen. Doch zuvor hissen sie beim Lehninger die Reichskriegsflagge und tanzen martialisch ab. So feiern die Jung-Nazis ihren Deutschen Tag, bevor dann die lauschige italienische Nacht kommt.

 

Soweit die Grundsituation in Ödon von Horváths Polit-Schwank „Italienische Nacht“ – eine Milieustudie der kleinen, politisch erregten Landleute; uraufgeführt 1931 durch Ernst Josef Aufricht an dessen Berliner Theater am Schiffbauerdamm.

 

In Thomas Ostermeiers Inszenierung an seiner Berliner Schaubühne sind selbstredend die kleinen Leute jetzt von nebenan. Der SA-Nachwuchs ist eine brutale Neonazigang ‑ Schaubühnen-Statisten in schwarzen Kapuzen-Pullis marschieren mit Fackeln in Mannschaftsstärke auf. Die Republikaner jedoch sind ein sich müde quasselnder Altherren-Verein mit SPD-Parteibuch im Nachtschränkchen. Doch dieser labernde Schlaffi-Klub in ausgeleierten Hosen und Strickjacken ist durchmischt mit ein paar linksradikalen, im Kampf gegen Rechts gewaltbereiten Jusos in Lederjacke und Jeans. Die taffen Kerle sorgen immerhin dafür, dass später, als „Die Ricardos“ zum Schwof aufspielen, die roten Vereinsmeier mit blauen Flecken davon kommen und die Schwarzen (letztmalig?) in die Flucht geschlagen werden. Umso krampfhafter bemüht sich der biedere Ortsvorstand, gleich wieder übliche Gemütlichkeit (=Normalität?) herzustellen bei Skat, Braten, Bier und Damenwahl.

 

Ostermeier zeigt in Horváths „Volksstück in sieben Bildern“ heutige Verhältnisse: Nämlich die programmatische Auseinandersetzung zwischen erschreckend braver Kleinbürgerei, dem opportunistisch-reformistischen Alt-Rot („Keine Gewalt!“), und dem linksradikal schäumenden neu-roten Jungblut. ‑ Das ewige Dilemma: Die gespaltene Linke. Kostümbildnerin Ann Poppel liefert die dazu passende Kostümierung (Strickweste, Lederjacke), Nina Wetzel den passenden Rahmen: Ein pittoresk runtergekommenes Kneipenhäuschen als grauenvolle Spießerhölle und laubenpieperhafte Amüsierbude der Sozialdemokratie. Dort wabert und labert das verschimmelte Parteivölkchen. Eine vor Klischees strotzende Deppen-Vollversammlung. Da kann man dem lebensgierigen, rockigen und geilen Polit-Nachwuchs sowohl von extrem Links wie extrem Rechts nur Recht geben, wenn der diesen zukunftslosen sozialdemokratischen Muff mit samt den aufgeputzten Eheweibchen sowie „Santa Maria“ dudelnden Ricardos hinweg blasen will.

 

So toben denn gut zwei Stunden lang in Horváths ohnehin eher schwachem Stück umso heftiger die Klischees. Die Auseinandersetzung Rot-Rot und Rot-Braun geht vornehmlich über Klopperei. Über allem steht das Motto: SPD ist total Scheiße! Geradezu unheimlich drängt sich da die Frage in den Vordergrund: Haben, zumindest hier im Landhaus Lehninger, die Faschos ein Recht, womöglich gemeinsam mit den Radikalen von der Gegenseite, mit dieser SPD-Scheiße endlich Schluss zu machen? Ist diese Inszenierung, die, teils völlig zurecht, ein linkes Milieu derart brutal und hoffnungslos bloßstellt (aber das rechte vergleichsweise unterbelichtet rechts liegen lässt), ist dieses totale SPD-Bashing etwa eine unfreiwillige Werbung für revolutionär angestrichene Populisten? Das will die Schaubühne selbstverständlich nicht. Es kommt aber – ziemlich gefährlich – so rüber.

 

Pause im Text. Und alles völlig anders gesehen: Ostermeier will ein beklemmend grelles Warnbild setzen. Etwa so: Wenn ihr gutmeinenden Linken euch weiter derart zofft und zerteilt und unentwegt entrückt von der Welt die Bauchnabel inspiziert und ängstlich die ideologisch vergrübelten Köpfe hin und her wiegt, dann haben die Rechten oder überhaupt Anti-Demokraten jeder Art ein leichtes Spiel, euch alle samt der Demokratie hinweg zu fegen. Also: Währet geschlossen den Anfängen. Also Brecht: „Der Schoß ist fruchtbar noch.“ Unter diesem Aspekt ist Ostermeiers „Italienische Nacht“ Pflicht für jeden Demokraten. Für jene der SPD ganz besonders!

 

(wieder 23., 26, 31. Dezember)

2. Deutsches Theater Kammerspiele: - Eine „gewisse Blindwütigkeit im Spiel.“ Porträt-Film über den Regisseur Jürgen Gosch

Anton Tschechows
Anton Tschechows "Die Möwe", inszeniert von Jürgen Gosch © Matthias Horn

Kollegen sagen, er war ein Eigenbrötler, Nörgler, Schimpfer, hochmütig, verschlossen, geheimnisumwölkt, immer scharf beobachtend. Und hätte wenig gelten lassen von dem, was andere auf die Bühne stellten. Doch die Schauspieler, die habe er geliebt…

 

Was für ein Kerl, dieser Gosch!

 

Dabei war der große Regisseur Jürgen Gosch – anlässlich seines 75. Geburtstags drehten die Filmemacher Jentzen & Barthel ein Porträt ‑, also er war doch ziemlich klein und schmächtig. Überhaupt nicht das, was man ein tolles Mannsbild nennt. Sondern leise, von eher zarter Statur. Und schüchtern (Gosch: „Es kostet Mühe, die anderen auszuhalten.“).

 

Wenn ich ihn nach vielen Versuchen doch mal am Telefon hatte (Journalisten gingen ihm grundsätzlich auf den Keks), dann konnte er sehr ätzend sein und unergiebig. Man musste den Mut haben, es später ungeniert noch einmal zu versuchen. Hatte man Glück, womöglich gar bei ihm zu Hause in der luftigen Charlottenburger Altbauwohnung, dann überraschte er möglicherweise als Plaudertasche, die locker los legt und austeilt.

 

Aber er stellte sich selbst ja auch sehr in Frage. Doch die Quälerei mit der Kritik an sich wie an den anderen, „was immer ziemlich weh tut“, die halte frisch, so seine unerschütterliche Meinung. „Meine selbstsichersten Phasen, das waren stets die schlechtesten.“

 

Beispielsweise sein Desaster mit der Antritts-Inszenierung als Chef und Nachfolger von Stein und Bondy an der Berliner Schaubühne mit „Macbeth“ anno 1989. Dieser Riesenreinfall folgte auf die von Selbstsicherheit getragenen Jahre zuvor, als Gosch – aus der DDR kommend ‑ im Westen als Regisseur bejubelt wurde. Danach dann der unsägliche „Macbeth“, ein geradezu traumatisierendes Debakel. Gosch verließ die Schaubühne sofort, tauchte fast ein Jahrzehnt lang ab. „Ich war verzweifelt; habe mich geschämt und wusste nicht, wie ich je wieder rauskommen sollte aus diesem Loch.“ Zwar holte ihn Thomas Langhoff ans Deutsche Theater, doch Gosch blieb wie gelähmt. „Es war totale Scheiße“, sagte er kalt im Rückblick auf die 1990er Jahre.

 

Erst viel später, mit Albees Eheschlacht „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ 2005 am Deutschen Theater (mit Harfouch und Matthes), da brach wie ein Wunder das Eis. Gosch war wieder da – und bereit, gereift oder seelisch wie geistig frei für eine zweite, eine beispiellose, wundersam blühende Spätkarriere. ‑ Seine beiden zwar nüchtern lakonisch, aber mit Schmerz und Herzblut betriebenen Sehnsuchts- und Vergeblichkeitsspiele mit Tschechow gibt es noch heute im Deutschen Theater: der unendlich traurige, elend komische „Onkel Wanja“; die so unendlich liebevolle, so gelassen sarkastische „Möwe“ im rabenschwarzen Käfig. Zwei epochale Welt- und Menschendeutungen.

 

Einhergehend mit der „Haha!-Alterskarriere“ (O-Ton Gosch) habe er sich sehr viel mehr als zuvor für die Leute interessiert, mit denen er arbeitete, habe wenigstens etwas abgelassen vom Tunnelblick auf sich selbst. Die Kollegen taten ein Gleiches, auch aus Zuneigung. Und ließen sich ein auf sein unerhört freies, von Scham und Hemmung befreites Probieren. Nur so, meinte Gosch, sei eine „gewisse Blindwütigkeit im Spiel“ zu erreichen, ohne die man nichts Neues im Stück entdecke. Erst ungeniertes Sich-Gehen-Lassen der Schauspieler „im verschwenderischen Sinn“ mache Theater stark.

 

So kam es anno 2006 zu der als Irrsinns-Skandal wahrgenommenen „Macbeth“-Inszenierung in Düsseldorf. Sie führte zu massenhaft Schnappatmung im Publikum: Die Ströme von Blut und Kot, die wüste Horde nackter Kerle, die ob Mann oder Frau alle Rollen spielte, dieses unentwegte Gegeneinander und Abschlachten, das war den Leuten zu viel Wahrhaftigkeit. Das vorgeführte Grauen einer gefallenen Schöpfung im dampfenden Orkus überforderte. Und war doch nichts weiter als ein Spiel – mit dem Text, mit den Leibern der Spieler. Ein Kunststück; freilich mit unerbittlicher Wucht. Aber doch nur der alten Wahrheit entsprechend, dass der Mensch des Menschen ärgster Feind sei. Eine Wahrheit, die zumutbar sein muss. ‑ Was sonst sollte uns all das Theater, meint Gosch. „Man guckt immer, wie weit man gehen kann. Und muss immer gucken, ob man schon weit genug gegangen ist.“ Tolles Theater müsse anstößig sein. Ein anderes Konzept habe er nicht. Und das Geschrei nach der Sittenpolizei im Theater sei „nur dumm und verlogen“.

 

„Freilich, jeder Dödel will heutzutage Grenzen einreißen, schon um aufzufallen. Doch es gibt nichts Dümmeres, als sich das vorzunehmen.“ Den Impuls dazu, den immerhin müsse man haben, aber merken dürfe das keiner. Goschs „Impuls“ allerdings ist bemerkenswert hemmungslos: „Den Autorentext begrapsche ich mit Schmutzfingern ‑ aber erst nach pingelig genauem Lesen.“ Soviel zum Handwerk; zu Exzess und Analyse.

 

Jürgen Gosch wurde 1943 in Cottbus geboren und in Ostberlin als Schauspieler ausgebildet. Nach einer so eisig grotesken wie entrückt märchenhaften Inszenierung von Georg Büchners bitterbösem Traumspiel „Leonce und Lena“ 1978 an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz fiel der Regisseur in Ungnade (Büchners Staatsrat als blinde Greisentruppe an Krücken war zu viel DDR-Analogie). Man schob ihn ab „nach drüben“. Sein Weg dort war ihm nicht leichter; er war anders schwer; war weit und führte nach ganz oben sowie in tiefe Löcher.

 

Er habe erst ziemlich spät zu dem gefunden, was ihm ein einigermaßen akzeptables Theater sei: Verheißung, Verstörung, Erkenntnis, Lust, Leid. „Theater ist eben auch Leidensort!“, rief er sibyllinisch grinsend ‑ oder war es Traurigkeit? Vielleicht hatte er ja zu viel gelitten und zu viel unerträglich gefunden und die Skrupel wüteten zu heftig in ihm – der Preis für sein spätes Glanzwerk, das abbrach durch eine tückische Krankheit. Schon früh, mit 65 Jahren, raffte sie im Sommer 2009 den Familienvater hinweg. Vielleicht hat auch der finale Schicksalsschlag einiges zu tun mit seinen Ansprüchen und Schwächen, die er nur allzu genau sah, aber nicht wegstecken konnte, sondern aushalten musste. – Es heißt, er war ein fanatischer Grübler, sich selbst kaum erträglich, seltsam. Ich gedenke seiner in Liebe.

 

(Der Gosch-Dokumentarfilm von Grete Jentzen und Lars Barthel läuft am Sonntag, 16. Dezember, um 11 Uhr im DT, Goschs letzter Wirkungsstätte, in den Kammerspielen. Anschließend Gespräch mit den Filmemachern. Die beiden Tschechow-Stücke „Onkel Wanja“ und „Die Möwe“ befinden sich nach wie vor im DT-Repertoire.)

3. Zum Advent ins Planetarium: - Die drei berühmten Sterndeuter B-M-C


Alles, was wir bislang noch nicht wussten über den Stern von Bethlehem, das erzählt uns beim vorweihnachtlichen „Astronomie-Konzert“ auf unterhaltsame Weise der ‑ auch prima Klavier spielende ‑ Wissenschaftler Dr. Jürgen Rienow. Es geht also darum, welchem astronomischen Phänomen die Heiligen Drei Könige, die drei weltberühmten Sterndeuter Balthasar, Melchior und Caspar, gefolgt sind mit Myrrhen, Weihrauch, Gold im Gepäck. ‑ Und was sagt eigentlich die Bibel im Matthäus-Evangelium dazu?

 

Eine launige Plauderei unterm künstlichen Sternenhimmel des grandiosen Zeiss-Planetariums. Dazu weihnachtliche Sternenmusik vielfältiger Art (Klassik, Kabarett, Folk, Jazz). Live gesungen und gespielt von der Sopranistin Laila Salome Fischer und dem Tenor Sebastian Köchig. Dazu der Moderator Arno Lücker und – wie gesagt ‑ der professionelle Himmelsbeobachter Jürgen Rienow am Steinway-Flügel.

 

(Donnerstag, 13. Dezember, 20 Uhr, im Zeiss-Großplanetarium Berlin, Prenzlauer Allee 80 – S-Bahnhof Prenzlauer Allee.)

 

Und so wundersam schlicht sah Heinrich Heine die erregende Angelegenheit B-M-C und Weihnachtsstern:

 

 

Die Heilgen Drei Könige aus dem Morgenland,

sie frugen in jedem Städtchen:

„Wo geht der Weg nach Bethlehem,

ihr lieben Buben und Mädchen?“

 

Die Jungen und Alten, sie wussten es nicht,

die Könige zogen weiter,

sie folgten einem goldenen Stern,

der leuchtete lieblich und heiter.

 

Der Stern bleibt stehn über Josefs Haus,

da sind sie hinein gegangen, das Öchslein brüllt, das Kindlein schrie,

die Heiligen Drei Könige sangen.

 

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