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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 262

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

18. Juni 2018

HEUTE: 1. „Ballroom Schmitz. Ein Radioclub für Weltempfänger“ – Berliner Ensemble / 2. „Melange“ oder „Brauner“ im Schanigarten – Postkarte aus Wien

1. Berliner Ensemble - Bommeln an der Tracht

 © Matthias Horn
© Matthias Horn

Bertolt Brecht wollte, wie jeder, der sich für modern und berühmt hielt, unbedingt bei Bernhard „Bernie“ Schmitz auftreten. Und Bernhard „Bernie“ Schmitz wollte unbedingt anno 1928 in Brechts „Dreigroschenoper“-Uraufführung den Bettlerkönig Peachum spielen. Daraus wurde nichts – bei beiden. Weil: Sie stritten sich um eine Dame. So kam Brecht nie zu Schmitz, und Schmitz, ein paar Jahre später, nicht zu Brecht, der stur blieb im Übelnehmen. – Doch wer war überhaupt dieser Schmitz?

 

Seine Fans feierten ihn enthusiastisch als „menschliche Gipfelgottheit“ – und nur wer derart prominent war, konnte derart vergessen werden. Tatsächlich, der 1891 im Rheinischen geborene Schmitz war ein umtriebiges Allroundgenie hinsichtlich Kunst und Technik. So erfand er als bewunderter Rundfunkpionier das Format Radioshow, erstmals im Oktober 1923 mit Stargästen aller Branchen vor Publikum im Theater am Schiffbauerdamm produziert und live gesendet. Eine technische Sensation und künstlerisch ein früher Vorläufer heutiger Diversität: Man spielte Musiken aller Arten, sang querbeet, kabarettelte, tanzte (Moderator Bernie kommentierte für die Hörerschaft); man las kurze Texte und Gedichte, plauderte und blödelte, verteilte Kochrezepte, Lebensweisheiten sowie vermischte Nachrichten bis hin zu Wetterbericht und Zeitansage.

 

Man muss dem BE gratulieren, dieses amüsante Detail der so langen wie (welt)bedeutenden Geschichte dieser Bühne aus den Archiven gegraben und als Parodie wiederbelebt zu haben auf dem Originalschauplatz; freilich auf ganz eigene Art. Nämlich: Jetzt werden nostalgisch arrangiert jede Menge Pophits aus einem sagen wir fünfzig Jahre alten Plattenschrank gespielt – etwa von Elvis, Beatles, Stones, Hendrix, Crosby, Stills, Nash & Young bis Cocker und Jackson.

 

Den Titel dieser akribisch gearbeiteten Memory-Show liefert die Glam-Rock-Band The Sweet mit ihrem Evergreen „Ballroom Blitz“, der hier postwendend zum „Ballroom Schmitz“ wird, in dem ein ballettös, sängerisch und spielerisch hochqualifiziertes Ensemble marthalermäßig ‑ mithin melancholisch beschwert, absurd abgehoben ‑ sich trollt: Nico Holonies, Annika Meier, Tilo Nest, Friedrich Paravicini, Owen Peter Read, Clemens Sienknecht, Carina Zichner.

 

Für ein solch seltsames Ding wie dieses Theater- und Pop-Historical ist das Doppel Clemens Sienknecht (Konzept, Regie, musikalische Leitung) und Barbara Bürk (Konzept, Regie) wie geschaffen. Sind doch beide erfahren im Metier sarkastisch-ironischer Verfremdung: Durch ihre fantastisch versponnenen Tonstudio-Versionen von Klassikern wie „Madame Bovary“, „Anna Karenina“ oder ‑ 2016 eingeladen zum Berliner Theatertreffen ‑ „Effi Briest – allerdings mit anderem Text und anderer Melodie“, was auch auf die beiden anderen Skandaldamen zutrifft. Und jetzt auf diesen sagenhaft unbekannten Bernhard „Bernie“ Schmitz.

 

Übrigens, die Roaring-Twenties-Szenegröße (musste 1933 türmen) entwickelte, auch das, einen frühen Computer („High Tech auf Low Level“ im Handbetrieb), kreierte avantgardistisches Tanztheater („Blusen der Böhmen“) und Singspiel („Atom der Oper“) und erinnert an seine Mitwirkung im zukunftsweisenden Theaterstück „Bommeln an der Tracht“ in Brechts Geburtsort Augsburg. Gelegenheiten fürs BE-Show-Personal, hübsch satirische Nummern loszulassen. „Es gibt viel Huhn, backen wir’s an.“ ‑ So in etwa der Grundton in Bernie Sienknechts aberwitzig neuem Zweistunden-Radioclub. Den die Regie, dieser Wermutstropfen schmeckt leider durch, zuweilen ein bisschen allzu vertrödelt und verschroben arrangiert. Nichts gegen entrückten Singsang plus ironisch getönten Schwermut. Trotzdem: Bitte beim Work in Progress öfters mal zum Grellen greifen und gelegentlich schneller (also kürzer) werden.

 

Doch dann röhrt Tilo Nest als scharfer Joe-Cocker-Verschnitt plötzlich lustvoll große Erregung in den von Ausstatterin Anke Grot kuschelig dekorierten Laden. Zwischendurch erquicken eingeworfene Feinsinnigkeiten zum Mitschreiben („Frauen sind wie Tee: Man muss sie ziehen lassen.“) und wortverspielte Kalauer („Lieber ein Loch in der Hose als Gewitter im Anzug“). Daneben ein vornehmer Auftritt von Werner Riemann, Mitte achtzig, schon unter B.B. am BE und Faktotum des Hauses. Als honoriger Schmitz-Forscher Dr. Schliemann gibt er gekonnt ein perfekt einfältiges Interview, was groteske Größe hat. ‑ Oder aus dem Off eingespielt der feldwebelhaft knarzende O-Ton Brecht mit albernen Regieanweisungen. Schließlich noch die lose eingestreuten Werbeblöcke für süßes Naschwerk und strapazierfähige Papiertaschentücher. „In der kalten Jahreszeit, wenn die Nase Hilfe schreit…“

(wieder 4., 8. Juli und in der nächsten Spielzeit)

2. Kaffeetrinken im Unesco-Welterbe


Liegt es am Ende womöglich doch am Wasser? Seit der letzte Kaiser Österreichs vor gut einem Jahrhundert die Installation der damals (und bis heute) super modernen Ringwasserleitung für seine Haupt- und Residenzstadt beförderte, mit der „Hochquellwasser“ aus dem nahen Schneegebirge in die Kaiserstadt gepumpt wird, seither hat Wien selbst im heißesten Sommer eiskaltes Leitungswasser. Und was da frisch aus Gebirgsquellen strömt, das schmeckt ‑ erfahren im Selbstversuch unterwegs in Wien (sogar im Burgtheater und in der Staatsoper steht auf dem Klo ein Glas zum Wasserschlürfen).

 

Also darf ich sagen, köstliches Wasser ist gut für köstlichen Wiener Kaffee (natürlich vom Traditionsröster Meinl), dessen bitteres Aroma zergeht auf der Zunge wie tiefschwarze Schokolade. Und mit Milch wird alles noch besser. Und solch „ein Melange“ aus Mokka mit fein geschäumter Milch gilt als der Klassiker. Dabei ist es so, dass in Wien der „normale“ Kaffee, genannt „Brauner“, schmeckt wie hierzulande doppelter Espresso.

 

Im nostalgischen „Tiroler Hof“ hinter Albertina und Staatsoper (mittlerweile ein bisschen schlampert) kostet „ein Melange“ 4,20; mit Trinkgeld fünf. Aber man gibt dem Kellner (weißes Hemd, schwarze Fliege) gerne die Handvoll Euro. Denn im Wiener Kaffeehaus (Unesco-Welterbe) wird Zeit und Raum konsumiert, wobei bloß Kaffee auf die Rechnung kommt.

 

Zum Raum gehören die Ausstattungs-Klassiker Lüster, Marmortisch, Zeitungsstand, Logen. Logen sind einander gegenüber stehende, mit Plüsch gepolsterte Sitzbänke etwa wie einst im Erste-Klasse-D-Zugabteil. Das mit den Zeitungen war schon im 18. Jahrhundert so. Die Kaffeesieder hatten die prima Marketing-Idee, mit der Auslage möglichst vieler der schon damals nicht sonderlich preisgünstigen Druckerzeugnisse der Konkurrenz paroli zu bieten; je mehr Papier, desto mehr Publikum. – Aber warum wird bis heute zu jedem Kaffee auf dem Tablett ein Glas Wasser kredenzt? Etwa, um einem Koffein-Schock vorzubeugen? Falsch! Ein Glas reines Wasser galt im 19. Jahrhundert als Referenz für die Qualität des Brunnens, mit dessen Wasser gekocht wurde. Charmante Idee der Traditionalisten, noch heute diese kostenlos zusätzliche Erfrischung zu bieten, die ein aufmerksamer Kellner gern auch ohne Zweit-Kaffee nachreicht zum stundenlangen Festlesen in den Gazetten der Welt.

 

Natürlich kann man seinen Kaffee auch draußen trinken, im Schanigarten. Der exotische Begriff geht zurück auf Wiens Frankophilie am Ende des 18. Jahrhunderts. „Hans“ nannte damals der Herr seinen Bediensteten, dessen Namen er nicht kannte oder hochmütig sich nicht merken wollte. Und weil es sich vermeintlich besser anhörte, wurde aus dem deutschen Hans der französische Jean. Und so rief der Oberkellner zum Piccolo: „Jean, trag den Garten raus!“ Schließlich wurde aus „Jean“ ein wienerischer „Schani“.

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