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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 252

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

9. April 2018

HEUTE: 1. „Rom“ – Deutsches Theater / 2. Jürgen Holtz liest Heiner Müller – Berliner Ensemble / 3. TV-Theatertalk / 4. Gedenken an Jesús López Cobos – Deutsche Oper / 5. Staatsopernintendant Matthias Schulz zu Gast bei den Berliner Wirtschaftsgesprächen und Kulturvolk – Ruhrstraße 6

1. DT: - Man sagt nicht Scheißwähler!

 © Arno Declair
© Arno Declair

Ein Bauzaun versperrt die Bühne, es ist die schwierige Baustelle „Demokratie“. Doch da kommt gleich eine halbwüchsige Göre im Kapuzenpullover um die Ecke Reinhardtstraße/Schumannstraße direkt auf die Bühne gelatscht. Mit Farbeimer und Pinsel. Hingebungsvoll schmiert das Bürschlein mit blutroter Farbe in Großbuchstaben die Worte „Rom“ und „Republik“ an die Wand. Dann dreht es sich um zum Publikum, zeigt grinsend den Stinkefinger und trollt sich.

 

Das stumme Vorspiel zum Shakespeare-Konzentrat Marke „Rom“ fasst lakonisch signifikant die Aussage des reichlich dreistündigen Ritts durch drei eher selten gespielte Stücke des Elisabethaners zusammen: „Coriolan“, Julius Cäsar“, „Antonius und Cleopatra“. Gemeint sind verheißungsvolle Anfänge der römischen Republik und ihr blutiges Ende.

 

Historisch gesehen ist das ein flotter Dreisprung über reichlich viereinhalb Jahrhunderte: Vom Sieg des römischen Feldherren Gaius Marcius, genannt Coriolan, über die Volsker anno 493 v. Chr., dann die Ermordung Gaius Julius Cäsars im Jahr 44 v. Chr. bis hin zu Kleopatras Selbstmord mit Schlangengift aus wütender Eifersucht gegenüber ihrem auch aus Machtgier untreuen Ehemann Marcus Antonius anno 30 v. Chr.

 

DT-Dramaturg John von Düffel, unser begnadete Weltmeister im Eindampfen literarischer Wälzer oder ‑ wie hier ‑ gleich mehrerer wuchtiger Dramen zu pädagogisch eingängigen Kurzfassungen, dieser tollkühne Meister des Effekt Machenden montierte einen übersichtlichen Polit-Thriller über Macht-Gewinnung, -Erhaltung, -Missbrauch, -Manipulation. Über das Entstehen und vor allem das Vergehen der Demokratie. Über das Übel mit starken geilen Kerlen nebst deren starken Müttern oder Frauen hinter ihnen (Ansage: „Man sagt nicht Scheißwähler. Die Leute müssen dich lieben!“) sowie über das Übel einer dämlichen Bevölkerung mit weichen Eiern. Der Plebs schreit bloß immerzu „Volksverräter!“, hungert und darbt jedoch ansonsten murrend weiter.

 

Freilich, bei Shakespeare werden die politischen wie privaten Konflikte der Spitzenmanager des Staates deutlich komplexer, auch psychologischer ausgemalt – es sind dies der das Volk verachtende, leider an seiner Machtgier scheiternde Coriolan (Michael Goldberg); der von der Römischen Regierung ermordete Cäsar, kurz bevor er als Diktator (auch Michael Goldberg) die totale Macht an sich reißen konnte, und schließlich Antonius, der erstickt am Kotz über sich selbst, über die Verleugnung seiner Triebe-Liebe zugunsten des Machterhalts, der ihm elend giftig aufsteigt. Doch Komplexes ist hier nicht Sache Düffels. Und auch nicht der Regisseurin Karin Henkel.

 

Beiden geht es vielmehr ums musterhafte Demonstrieren der freilich immergrünen Bezüge zum Gegenwärtigen. Wie das halt geht mit der Herrschaft und dem wie auch immer gearteten Eindämmen der (störenden) Volksherrschaft in der Demokratie. Die römische Antike liefert da feine Fallbeispiele. Shakespeare spielt sie poetisch-dramatisch vielschichtig durch. Was bei Henkel eher eindimensional mit Düffels pässlicher, gewitzt heutiger Sprache durchexerziert wird.

 

Bei „Coriolan“ und „Cäsar“ funktioniert das ziemlich spannend ‑ der groß-klassische Dialog Brutus-Antonius, die groß-klassische Grabrede auf Cäsar („Brutus ist eine ehrenwerter Mann…“). Da steckt man das Plakative gern weg, schaut (DT-Schauspieler!) und hört (Düffel-Shakespeare!) gebannt zu. Da blüht spannendes politisches Mitdenktheater. Allein schon solche Momente lohnen den Abend.

 

Und dazu das komödiantische Vermögen einiger Ensemble-Mitglieder – allen voran die kraftvolle Kate Strong, die in suggestivem Denglisch als witzige Kommentatorin des Geschehens für einen gewissen dramatischen Sog der Diskurs-Veranstaltung sorgt. Felix Goeser überzeugt sonderlich als nüchtern vergrübelt-reflexiver Tyrannenmörder Brutus; und Manuel Harder (Antonius) kaschiert seine verlogene Rolle im mörderischen Putsch von oben mit durchtriebener Coolness, um dann als Herr Kleopatra wie im Delirium eines versifften Rockstars in T-Shirt und Lederhose durch seine Macht- und Gewaltoptionen zu taumeln. Anita Vulesica, ansonsten immer eine bewunderte Zentralfigur in DT-Inszenierungen, ist diesmal als Frau Antonius auf weiberwilden Keif-und-Wut-Modus festgelegt. Macht sie auch markerschütternd.

 

Drei Shakespeare-Großklassiker in eins geschrumpft zur Plakatierung aktueller Bezüglichkeiten mit vielerlei gekonnt komödiantisch-komischen Einschüben, das passt immerhin bis zur Pause. Und mag auch passen zur fleißigen Rotation der gewisse Spannungsbögen andeutenden, ansonsten mit bloß praktischen Versatzstücken nichtssagend dekorierten Drehbühne; wären da nicht die vielsagend – aha, Demokratie heute! ‑ auf dem Kopf stehenden gelegentlichen Videoprojektionen von Wolkenkratzern. Ziemlich banal.

 

Nach der Pause dann der Clinch Kleopatra-Antonius. Der verzweifelt und wie auf Droge zwischen Staatsmachtraison, Erotik und, ja doch, Gefühl taumelnd schließlich zum doof-kecken Liebchen Oktavia wechselt (süß zickig Wiebke Mollenhauer). Das ist feines Kammerspiel. Das wäre ein Abend für sich gewesen. Vorausgesetzt, die Regisseurin inszenierte ihn ordentlich durch. So aber, nervös und lieblos dem Geschehen zuvor nach der Pause angepappt (dabei ist alles zu Sagende längst gesagt), so aber ist diese Psycho-Nummer überflüssig. Dann nämlich wäre Karin Henkel in zwei Stunden fertig gewesen. Und gut ist. Das Doppel „Coriolan“ und „Cäsar“ hätte uns den alles einleitenden Stinkefinger genug erklärt.

 

Tja, das Elend mit der Demokratie als unvollkommenste aller praktizierten Staatsformen. Diese fies geschmähte, glühend verteidigte Dauerkrise. ‑ Da sagt, ganz nebenbei, der gute Brutus: „Ich glaube an das Schlechte in uns. Deshalb glaube ich an die Republik.“ Denn da wird das notorisch Schlechte in uns durch Widerspruch und Kompromiss geschmälert in seiner ansonsten infernalischen Wirkung. Also: „Rom“ gucken tut doch gut. Klärt auf, was allein schon viel ist. Wer mehr will, lese Shakespeare in Gänze.

(wieder 11., 22. April; 1., 22., 24. Mai)

2. BE: - „Ich bin das Drama“

 © Matthias Horn
© Matthias Horn

Er gilt als der Grand Old Man der deutschen Schauspielkunst: Jürgen Holtz. Seit sechs Jahrzehnten spielt er fast ununterbrochen Theater; auch am BE, hier jetzt unter Frank Castorfs Regie in „Les Misérables“ (s. Blog 238).

 

Holtz ist dafür bekannt (und für einige berüchtigt), dass er in künstlerischen aber auch politischen Fragen kein Blatt vor den Mund nimmt. Erinnert sei an die Dankesrede zur Verleihung des Konrad-Wolf-Preises Ende 2014 in der Akademie der Künste, die zur Brandrede wurde gegen eine Gesellschaft, die sich an der „Quotenpornografie“ ergötze und die gesellschaftsstiftende Rolle des Theaters als Verständigungsmittel kaputt spare; aber auch gegen gewisse Kollegen Theaterleute, ihrer Ignoranz des Publikums, ihrer sensationsheischenden Abgehobenheit. Dennoch sei das Theater nicht tot zu kriegen, so sein Credo. „Womöglich muss es sich aber neu erfinden als ein Ort magischer Belebung der Toten sowie der Worte der Dichter.“

 

Jürgen Holtz war, sagen wir, sehr gut bekannt mit Heiner Müller; stand einst im Westen wie im Osten unter dessen Regie auf der Bühne. Jetzt wird er Auszüge aus Müllers später Lyrik vortragen; als Motto wählte er sarkastisch selbstbezüglich ein Müller-Zitat: „Ich bin das Drama!“.

 

Die Literaturwissenschaft zählt Müllers poetisches Spätwerk zum Besten, was der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert gelang. Mit beunruhigend prophetischer Weitsicht dachte Müller in seinen letzten Jahren nach über die Zukunft des Theaters, die Illusionen seiner Epoche zwischen Faschismus, Stalinismus-Kommunismus sowie die Widrigkeiten der menschlichen Existenz überhaupt.

Holtz liest Müller am 12. April, 20 Uhr, im Berliner Ensemble.

3. TV-Rederei über Theater

 © Karin Krämer
© Karin Krämer

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, die „Montagskultur unterwegs“ von Kulturvolk live auf Alex-TV (44. Sendung) aus dem Studio in der Friedrichshainer Rudolfstraße 1-8 (Eingang Ehrenbergstraße); nahe S- und U-Bahnhof Warschauer Straße. Mit Erik Günther sowie den Kritikern Stefan Kirschner und Reinhard Wengierek. Der besondere Gast ist diesmal Philipp Harpain, Künstlerischer Leiter des Grips Theaters. Kritisch betrachtet werden die Premieren „#BerlinBerlin“ von Sina Ahlers, Uta Bierbaum, Günter Jankowiak, Jörg Steinberg (Theater Strahl); „Finale“ (Chamäleon Theater), „Blaubart“ von Jacques Offenbach (Komische Oper). Später auch im Netz auf YouTube.

4. Hinweis: - Gedenken an Jesús López Cobos in der Deutschen Oper

Noblesse, Souveränität, Vielseitigkeit und unbeirrbare Ernsthaftigkeit der künstlerischen Arbeit, das charakterisiert Jesús López Cobos, der von 1981 bis 1990 als Generalmusikdirektor an der Seiten von Götz Friedrich den Erneuerungsprozess des Musiktheaters an der Deutschen Oper mitgestaltete und vor einem Monat, am 2. März, in Berlin verstarb. Das Haus an der Bismarckstraße lädt am Sonntag, 15. April, 11 Uhr, zu einer Gedenk-Matinee ins Parkettfoyer (Eintritt frei). Dominique Meyer, der Direktor der Wiener Staatsoper, wird sprechen; Irene Roberts, GMD Donald Runnicles sowie Mitglieder des Orchesters und des Chores werden musizieren.

5. Frisch im Amt: - Staatsopernintendant Schulz steht Rede und Antwort

 © Martin Lengemann Welt24
© Martin Lengemann Welt24

Im Juni 2015 wurde Matthias Schulz designierter Intendant, im September 2017 übernahm er, als Partner von Jürgen Flimm, die Ko-Intendanz; und seit dem 1. April, nach der Verabschiedung Flimms auf offener Bühne nach dem Karfreitags-„Parsifal“, ist er nun endlich Chef der Lindenoper.

 

Man darf erwarten, dass mit Schulz, Jahrgang 1977, ein neuer Führungsstil einzieht und der Generationswechsel den gesamten Opernapparat mit diversen Neuerungen konfrontieren wird (etwa ein intensiveres Zugehen auf die Stadtgesellschaft). Schulz, der am Salzburger Mozarteum Klavier und an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität Volkswirtschaft studierte, wird also anstehende Veränderungen – an der Seite des mächtigen Superstars Barenboim als GMD der selbstbewussten Staatskapelle – mit entsprechendem Fingerspitzengefühl durchzusetzen haben. Immerhin, der geborene Münchner ist mit den Besonderheiten des Hochkulturbetriebs bestens vertraut. Er war (nicht nur) zu Zeiten des Intendanten Gérard Mortier Konzertchef der Salzburger Festspiele, baute den künstlerischen Betrieb am neuen Dortmunder Konzerthaus auf und übernahm später die Kaufmännische Geschäftsführung und Künstlerische Leitung der Stiftung Mozarteum Salzburg, wobei sich seine Verantwortlichkeit auch auf die Verknüpfung der drei Kernbereiche der Stiftung – Konzerte, Wissenschaft, Museen – erstreckte.

 

Freilich, die Führung eines derart komplexen Betriebs wie den eines (noch dazu weltberühmten) Opernhauses, das ist – selbst bei dreijähriger Einarbeitungszeit ‑ eine enorme Herausforderung. Was der Neue, ein exzellenter Pianist, aber (im Gegensatz zu Flimm) kein Regisseur, nun anders oder eben neu machen will, aber auch, was bleiben wird, weil es gut und richtig ist, darüber wird der 1,96-Meter Mann Matthias Schulz, verheiratet mit einer Staatsanwältin, fünf Kinder, im Rahmen der Berliner Wirtschaftgespräche mit der Geschäftsführerin von Kulturvolk | Verein Freie Volksbühne, Alice Ströver, reden. Ein spannender, womöglich aufregender Abend für alle Opernfreunde! Es besteht natürlich die Möglichkeit, kritisch nachzufragen. Man darf auch intelligente Verbesserungsvorschläge machen oder Wünsche äußern.

Am 19. April, 19 Uhr, Ruhrstraße 6. Eintritt 10 Euro; für Mitglieder (der Vereine Kulturvolk oder Berliner Wirtschaftsgespräche) 5 Euro.

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