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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 476

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

8. April 2024

HEUTE: 1. Maxim Gorki Theater – „Hund, Wolf, Schakal“ / 2. Berliner Ensemble – „Ellen Babic“ / 3. Deutsches Theater – „Ulrike Maria Stuart“

1. Gorki - Drei Streifen und ab ins Verbrechen

"Hund Wolf Schakal" im Maxim Gorki Theater © Ute Langkafel MAIFOTO

Ein Spiel, das einfach nur ein Spiel blieb, gab es nicht. Immer hatte alles mit den Millimetern der Machtverschiebung zu tun. Immer mit oben und unten. Mit Auslachen und Ausgelachtwerden, mit Ficken und Geficktwerden.“

Klare Ansage aus Berlin-Neukölln: Von einem der halbstarken Migrantenmachos, die im Kampf um Herrschaft heimisch wurden auf dem Schlachtfeld Straße, nicht aber in der Gesellschaft. Die nämlich verachten sie, da fühlen sie sich fremd, unverstanden, ausgestoßen. Zeigen allen anderen die Stinkefinger, leben ungesetzlich nach eigenen Gesetzen.

Der Autor
Behzard Karim Khanis erzählt darüber in seinem biografisch gefärbten Debütroman von 2022 „Hund, Wolf, Schakal“. Der machte ihn quasi über Nacht berühmt; sonderlich durch die überwältigende Kraft seiner Sprache, ihre schonungslose Drastik sowie ihren unerhört poetischen Klang. Hart und Zart. Meisterlich.


Kreuzberger Gangs im Visier


Karim Khani gelangte als Kind aus Teheran in den Ruhrpott. Seine Mutter wurde im berüchtigten Evan-Foltergefängnis vom Mullah-Regime ermordet, Sohn und Vater, ein politisch organisierter Marxist, glückte die Flucht. Später kam Khani nach Berlin, arbeitete journalistisch, betrieb in Kreuzberg die Lugosi-Bar und wurde zum genauen Beobachter der Ghetto-Gangs. Tief drang er da ein in die eiskalten Mechanismen ihrer Machtverteilung beim Dealen, Schlagen, Messerstechen und schnell groß Geld machen; erspürte aber bei diesen Rasenden, Protzenden, auch angstvoll Verzweifelten verschüttete Sehnsüchte nach wärmendem Zuhause. Und einiges vom allgemein Menschlichen.

Eine grandiose Vorlage für
Nurkan Erpulat, den aufs sinnliche Geschichtenerzählen höchst erfolgreich fixierten Regisseur (im Gorki „Dschinns“ oder „Verrücktes Blut“). Seine diesmal wuchtig minimalistische Inszenierung baut nun ganz stark auf Sprache und Sprechen, auf die Wirkmacht der scharfen, sarkastisch pointierten Dialoge, die Erpulat aus den 288 Seiten Buchtext rigoros filterte. Für eine Handvoll Testosteron-Helden (der Roman verfolgt freilich mehr Figuren), deren Bizepse aus den T-Shirts quellen und die in virtuoser Choreografie (Modjgan Hashemian) an-, mit- und aufeinander knallen. Sehr dramatisch; sehr kunstvoll. In einer leeren, oft düster vernebelten, von grellen Spots oder bedrohlichen Hip-Hop-Beats durchzuckten Black-Box (Bühne: Magda Willi).


Zwischen Caritas und Adidas


Unter der kraftmeierischen Fünferbande sind die Brüder Saam (Dogar Gürer) und der jüngere Nima, die mit ihrem politisch verfolgten Vater, jetzt Taxifahrer (Mehmet Yylmaz), aus dem Iran nach Berlin kamen. Nima, der jüngere, im Wechsel gespielt von zwei Kindern, sondert sich rasch ab, schafft es aufs Gymnasium – die nur knapp angerissene Alternative zum kriminellen Sumpf (wohl ein Selbstbild des Autors).

Saam hingegen, anfangs träumerisch und schwächlich, lässt sich einpressen ins verhängnisvolle System, in dem allein schon Klamotten das Oben oder Unten klären: Zwei Streifen heißt Caritas, drei Streifen Adidas. Und Saam will Adidas. Will oben sein, kein weicher Junge, sondern ein Mann, eisenhart. Und steigt unter Beihilfe falscher Freunde, vor allem unterm Beifall von Obermacker Heydar (
Edgar Eckert), Stufe für Stufe hinab ins Verbrechen. Wird zum skrupellosen Auftragskiller und landet im Knast.

Dort kommt es zu einer entsetzlich eskalierenden Prügelei, die von den Beamten niedergeknüppelt wird. Das, minutenlag gespielt in Zeitlupe, als knochenbrechendes Ballett des Grauens. Und – als schockierender Kontrast und Steigerung ins Monumental-Archaische – unterlegt vom so wehmutsvoll weltverlorenen Adagietto aus Gustav Mahlers 5. Sinfonie.

Die brutalen, bitteren Szenen aus dem Unterwelt-Milieu überwältigen mit ihrer geradezu spektakulären Vehemenz und schauspielerischen Präsenz. In Erpulats tiefschwarz gerahmter, fatalistisch durchwehte
r, bis ins Artifizielle getriebenen Inszenierung wirkt das als erschütterndes Menetekel.

Maxim Gorki Theater, 13., 26. April und 12. Mai. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Berliner Ensemble - Verstörend unklare Beweislage

"Ellen Babić" im Berliner Ensemble © Matthias Horn

Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“ So fragten trällernd freche Frauen vor hundert Jahren mit gewitztem, schon deutlich emanzipatorisch gemeintem Augenaufschlag. Derartige Fragen haben sich längst erledigt. Wir haben andere: Etwa, ob das Verhältnis fair ist; ob da Machtausübung, Gewalt, gar Missbrauch mitspielen. Fragen, die heutzutage vornehmlich und zu Recht sehr energisch Männern gestellt werden bezüglich Beziehungen zu Frauen oder Kindern. Frauen freilich bleiben da eher außen vor; Minderheiten (Stichwort queer) sowieso.

In seinem neuen Stück „
Ellen Babić“ befragt Marius von Mayenburg vornehmlich eine lesbische Frau. Astrid (Bettina Hoppe), erfolgreiche und beliebte Gymnasiallehrerin, lebt seit vielen Jahren offen und allgemein akzeptiert zusammen mit der deutlich jüngeren Klara (Lili Epply), ihrer ehemaligen Schülerin. Eines Abends kommt, korrekt angemeldet, Astrids Vorgesetzter zu Besuch: Wolfram, der ihr kollegial-freundschaftlich zugeneigte Musiklehrer und Schuldirektor (Tilo Nest). Um „etwas Persönliches“ im privaten Rahmen zu besprechen.


Missbrauch oder Erste Hilfe?


Nach einigem Geplänkel zwischen Astrid und Wolfram spitzt sich die Lage schnell zu: Wolfram konfrontiert Astrid mit der Elternbeschwerde ihrer Schülerin namens Ellen Babić. Erst nach einigem Hin und Her bei reichlich Weißwein legt Astrid alle Vorwürfe bestreitend offen: Ja, auf der mehrtägigen Klassenfahrt kam es nachts zu einem Besäufnis (wie das so geht bei Sechzehnjährigen). Ellen lag betrunken am Boden, erbrach sich, sie habe sich um sie gekümmert, auf ihr Zimmer in ihr Bett gebracht. Sie selbst habe – selbstverständlich! – auf dem Sofa geschlafen. Am nächsten Morgen sei alles okay gewesen.

Doch Ellens Vater hat beim Direktor Astrid angezeigt: Wegen Missbrauchs der minderjährigen Schutzbefohlenen nach Eingabe von KO-Tropfen. Astrids Vernichtung – beruflich wie moralisch – wäre die Folge von Wolframs immerhin zwingender Meldung an die Behörden. Was tun, fragt er entnervt, der gerade in Begriff war, Astrid zu seiner Nachfolgerin als Schulleiterin vorzuschlagen. Er wolle im Ruhestand fortan nur noch Musik machen.

So steht der schwere Vorwurf, stehen Aussage gegen Aussage im Raum. Hinzu kommt Wolframs belastender, freilich unbewiesene
r Verdacht, Astrid habe die damals minderjährige Klara verführt.


Verworrene Gemengelage


Doch da packt Astrid aus. Sie droht mit einer akribisch geführten, juristisch belastbaren Dokumentation, die Wolframs jahrelanges übergriffiges Verhalten ihr gegenüber auflistet. Wolfram, alleinstehend, unverheiratet, fällt aus allen Wolken und bestreitet alles. Das sei immer rein liebevoll-kollegial gewesen. – Vielleicht aber auch nur, um von seiner – das schwebt im Raum ‑ verklemmten Homosexualität abzulenken.

Die Gemengelage aus Schuldzuweisungen, Rechtfertigungen, Verdrängungen, Vertrauensverlusten, einander Erkennen und Verkennen wird im Verlauf der rhetorischen Kampfgewitter immer unübersichtlicher. Erst recht, als Astrid nach Wolframs verzweifelt-wütendem Abgang Klara gesteht, ihr Me-Too-Verzeichnis existiere überhaupt nicht. Eine Lüge als Waffe zur Selbstverteidigung – Klara reagiert kopfschüttelnd und verlässt – ob für immer? ‑Astrid.


Spielerische Könnerschaft


Mayenburgs packendes Psychospiel gleicht einer Redeschlacht. Oliver Reese inszeniert sie souverän zurückhaltend ganz im Vertrauen auf die Könnerschaft des grandiosen Trios – es zählt zum Besten der Stadt. Am Ende stehen sämtliche bisherige Gewissheiten auf der Kippe; ist alles verschoben und unklarer denn je. Nun traut keiner, traut keine mehr einander. Lauter Verzweifelte.

Berliner Ensemble, Neues Haus; am 3. Juni. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Deutsches Theater - Geisterstunde mit Ulli und Gundi

"Ulrike Maria Stuart" im Deutschen Theater © Eike Walkenhorst

Da Frauenpower auf welche Art auch immer angesagt ist, besonders im Theater, müssen auch im DT starke Frauen an die Rampe: Beispielsweise Nora, Penthesilea, demnächst Brünhild und Krimhild und jetzt, kompakt als Viererpack, in Elfriede Jelineks Königinnendrama: Maria Stuart, Elisabeth I., Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin.

Wer da an Schiller denkt, liegt einigermaßen daneben. Die österreichische Nobelpreisträgerin lässt in „Ulrike Maria Stuart“ auf hundert Druckseiten den nicht zimperlichen Damen-Vierer in scharf geschliffene Debatten über Macht, Herrschaft, Gewalt und Umsturz gegeneinander antreten. Genauer gesagt: Es ist eine lose Verquickung der Figuren Stuart und Meinhof sowie Elisabeth und Ensslin. Im Kern geht es um den Krach der beiden RAF-Diven hinter Stammheim-Gittern und Jelineks erbitterte (verbitterte) Abrechnung mit der radikalen Linken und ihren terroristischen Verbrechen, von denen sie glaubten, es sei das Fanal zur Revolution.

Alles lange her. Derart lange, dass Regisseurin Pinar Karabulut, künftige Chefin vom Schauspielhaus Zürich, von der Jelinek-Großfläche gleich mal gut 90 Prozent wegschnitt. Immerhin blieb Ensslins nüchterne Bemerkung als Zentralsatz vom Clinch der Knast-Königinnen erhalten: „Das Volk, zu dessen allerbesten Freunden wir uns aufgeschwungen haben, will uns nicht; womöglich hat es bessere Freunde.“

Der allerletzte Rest vom Text wird in knappen 65 Minuten abgespult im mal mehr, mal weniger pathetischen, hysterischen, heulenden oder kokettierenden Geplapper von Meinhof (Regine Zimmermann) und Ensslin (Abak Safaei-Rad).


Gespenstergesellschaft als Spaßmacher


Doch versorgt uns die Regie noch mit einem hübschen Theatercoup: Sie verlegt den Krampf der Untoten keck ins groteske Reich der Vampire. Für eine vernebelte Geisterstunde auf dem Friedhof, wo die Geister aus Grüften kriechen: Katrin Lehmann, Daria von Loewenich und Caner Sunar wagen da Tänzchen zwischen Grabsteinen und bieten alberne Showeinlagen unter einem blau-rot giftig dräuenden Barock-Himmel (Bühne: Michela Flück).

Die geschwätzige Gespenstergesellschaft als Spaßmacher am verwitterten Königshof. In den glitzernden Show-Kostümen von Claudia Irro gibt die ins Spinnerte weit- und weggeworfene Komikertruppe wenigstens den Hingucker. Und spielt so was wie Mensch-ärgere-dich nicht.  Aber sonst…?

Deutsches Theater, 13. April. Hier geht’s zu den Karten.

 

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