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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 475

Kulturvolk Blog | Sibylle Marx

von Sibylle Marx

1. April 2024

Heute: 1. Berliner Ensemble – „Fremd“ / 2. GRIPS – „Upload Virgin“ / 3. Kriminaltheater – „Der Enkeltrick“

1. Berliner Ensemble - Klarheit in Schwarz und Weiß

"Fremd" im Berliner Ensemble © Moritz Haase

Der Raum: Schwarz. Ein weißes Podest. Darauf ein kleiner Tisch, ein Stuhl aus Acryl, durchsichtig. Um das Podest herum schwarze Stühle, auf denen niemand sitzen kann, sie sind halb in den Boden eingesunken.

Die Schauspielerin: Sehr gerade. Schwarze weite Hose und Bluse aus Seide, breiter Ledergürtel, streng nach hinten zusammen genommene Haare, perfekt geschminkte dunkelrote Lippen.

Der Text: Spröde, aufwühlend, dringlich, Gedankensplitter werden zu Geschichten.

Sibel Kekilli beschenkt uns mit diesem Abend ( Regie: Max Lindemann), an dem sie eine Stunde lang Auszüge aus dem Buch „Fremd“ von Michel Friedman spricht. Friedman erzählt darin seine Geschichte, die mehr als nur seine Geschichte ist; eine Geschichte über das Fremdsein, eine Geschichte, die er allen Menschen widmet, „die irgendwo im Nirgendwo leben.“

Sibel Kikelli sitzt an dem kleinen Tisch, mal beleuchtet durch einen Strahler, der von oben auf die weiße Fläche trifft, mal durch seitliche Scheinwerfer, die ihr Profil als Schatten auf die Seitenwände werfen. Auf der Leinwand, die den Raum nach hinten abgrenzt, erscheint ihr Gesicht, groß. Mal ganz, mal nur ein Auge, mal nur der Mund.
Sibel Kikelli in ganzer Größe, erst eine, dann eine zweite, eine dritte und vierte. Wie auf einem Laufsteg, aber auch mit festem Ziel gehen sie aufeinander zu, entfernen sich wieder voneinander.

Unterlegt mit einem Sound, der mal dröhnt, mal mehr zu spüren als zu hören ist, flimmern Bilder in verwaschenen Farben mit Alltagsszenen aus den 70er Jahren, auch Demos mit Polizei und Wasserwerfern, brennende Gebäude. Beim Bilderwechsel ein klickendes Geräusch, wie früher, wenn im Diaprojektor die Dias weiter geschoben wurden.

Durchgängig die klare Stimme, die fesselt und Raum für eigene Gedanke lässt Atemberaubend.

Berliner Ensemble, Neues Haus; 26., 27. und 28. April. Hier geht’s zu den Karten.


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2. GRIPS - Erste Liebe digital

"Upload Virgin" im GRIPS Theater

Luc und Pauline haben sich vor zwei Monaten auf einer Klassenfahrt kennengelernt. Luc kam mit seiner Klasse aus Berlin, Pauline mit ihrer aus Stuttgart. Seitdem schreiben sie sich.
So schön es ist, sich jeden Tag zu schreiben – Pauline würde Luc gern wiedersehen. Aber wie soll sie ihm das sagen? Vielleicht will er gar nicht? Sie probiert verschiedene Varianten aus, traut sich schließlich – und: Luc will auch, unbedingt! Also wird Pauline sich um die Fahrkarte nach Berlin kümmern und Luc wird das Wochenende planen.

Aber jetzt wird es schwierig. Wie soll er ihr gegenüber treten? Wie sie am Bahnhof empfangen?
Was soll er anziehen? Wo wird sie schlafen? Fragen über Fragen, die Luc mit niemanden besprechen kann. Also macht er sich im Internet auf die Suche und bekommt von diversen Influencern massenweise Tipps (Männer mit Bart sind toll, große Autos beeindrucken Frauen, Fitsein ist alles). Es ist kein Geheimnis, dass er Antifeminismus und Frauenverachtung sich im Internet breit machen, trotzdem gruselt es bei dieser Flut von Ratschlägen, wie sich ein richtiger Mann nach Ansicht dieser Ratgeber zu verhalten hat.


Coole Sprache


Das Programmheft weist Upload Virgin“ als Gemeinschaftsproduktion von Jaqueline Reddington und Ensemble aus. Dabei ist es gelungen, die Geschichte in die heute von jungen Menschen gesprochene Sprache zu kleiden, gespickt mit englischen Floskeln und Schlagworten. Kommt schon ziemlich lässig rüber.

Florian Buder hat die Bühne bestückt mit Treppen, die auseinander genommen und hin und her gerollt werden können. Rundbogenelemente werden zur Smartphone-Displays, aber auch zu einem dreiflügeligen altarähnlichem Gebilde zusammengeschoben. Ein roter Plastikteppich führt darauf zu. Vorne rechts und links Wolken aus Holz, Projektionen in bunten Farben – warum unscharf? – flimmern immer wieder über die Szene. Das ist alles mit viel Aufwand gemacht und soll wohl die digitale Welt mit ihren überbordenden Einflüssen symbolisieren, entspricht aber in seiner märchenhaften Ästhetik überhaupt nicht der harten Geschichte, die hier verhandelt wird. Denn Luc gerät unter so wahnsinnigen Druck – nicht nur der Influencer, sondern auch seiner Freunde im Chat, der bezeichnenderweise unter dem Namen Dödelz läuft – dass er immer weniger in der Lage ist, sich selbst und seiner Beziehung zu Pauline zu vertrauen und sie schließlich riskiert.


Einfach toll gespielt


Marcel Herrndorf und Lisa Klabunde spielen diese beiden Teenager entwaffnend natürlich und authentisch. Vom ersten Augenblick an schließt man sie ins Herz. Sie verschmelzen geradezu mit ihren Figuren und nehmen so das Publikum mit in ihre gegenseitige Verliebtheit, in ihre Ängste und Zweifel. Sie zeigen ihre Gefühle mit vollem Körpereinsatz (Luc), mit kleinen Gesten, einem Blick (Pauline) und dabei so gut und nachvollziehbar, dass es fast stört, wenn sie ständig die Bühnenelemente hin und her schieben, die Treppen rauf und runter rennen müssen und hinter den Pappwolken auftauchen wie im Puppentheater.

Pauline ist die Stärkere, wen wundert’s. Sie zwingt Luc am Ende in eine direkte Konfrontation, von Ohr zu Ohr, von Auge zu Auge. Wie Marcel Herrndorf da versucht sich zu erklären, sich zu entschuldigen und sich doch immer mehr verheddert und dabei fast verzweifelt; wie er zappelt, sich kratzt, am Kopf, an den Armen, wie er flehentliche Blicke zu Pauline wirft, die einfach nur da steht und sich klar und unmissverständlich behauptet, ließ mich mit ihm leiden, und ich wünsche Luc von Herzen, dass er's hinkriegt.

GRIPS im Podewil, bis 7. Juli. Hier geht’s zu den Karten.

3. Kriminaltheater - Ausgebufft und ausgetrickst

"Der Enkeltrick" im Berlner Kriminaktheater © Herbert Schultze

Alle kennen den Enkeltrick und kennen jemanden aus dem Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis, der schon einmal zum Opfer geworden ist. Es kommt ein Anruf oder eine SMS, in dem die Oma um Hilfe gebeten wird, weil jemand ganz fürchterlich in Not ist und nur mit Geld geholfen werden kann, und zwar schnell.
Alle kennen den Trick und doch fallen immer wieder alte Menschen darauf herein, der Schaden geht in die Millionenhöhe.

Nicht so Veronica, die Oma in der Kriminalkomödie von Frank Piotrascke. Veronica, gespielt von Katrin Martin ist eine sorgfältig gekleidete Dame – schmaler Rock, Rolli, farblich passendes Jäckchen, auffälliger Goldschmuck. Ihre Wohnzimmerwand ziert ein Bild von Neo Rauch, natürlich echt. Da wäre also einiges zu holen.


Unerwarteter Plot


Ihr Enkel Manfred (Vincent Lyssewski) kommt zu Besuch, nicht einfach so, er hat Veronica seit Jahren nicht mehr gesehen. Veronica hat ihn eingeladen, um ihm ein Angebot zu machen, nämlich ihn als Erben ihres Vermögens einzusetzen. Da zögert man natürlich nicht lange. Manfred kommt in ausgeleierten Jeans und schlabbrigen T-Shirt, schon äußerlich ein ganz anderer Typ als seine Oma, pardon, Oma will Veronica auf gar keinen Fall genannt werden, Nica findet sie schön. Manfred geht darauf ein, wie er überhaupt erst einmal auf alles eingeht, was ihm Veronica vorschlägt, bis die Geschichte eine unerwartete Wendung nimmt.

Aber wo ist denn nun der Enkeltrick?, werden Sie fragen. Das kann hier natürlich nicht verraten werden, wir sind ja in einem Krimi. Nur soviel: Der Enkeltrick hat bereits stattgefunden, bevor das Stück beginnt. Eine Frau wie Veronica lässt sich selbstverständlich nicht bluffen, nein, sie hat sich gewehrt, allerdings mit makabren Folgen. Manfred soll jetzt die Dinge wieder in Ordnung bringen, dafür wird er ja eines Tages auch in den Genuss des Erbes kommen...

In der Inszenierung von Sebastian Wirnitzer begegnen sich also zwei sehr unterschiedliche Menschen, die erfahrene clevere Frau und der sympathische, aber unsichere, manchmal sogar tumb wirkende junge Mann. Beide Figuren sind ziemlich überzogen angelegt; Katrin Martin und Vincent Lyssewski gehen damit unterschiedlich um. So wie Veronica im Stück die Fäden in der Hand hält, führt auch Katrin Martin die Szene. Vincent Lyssewski kann da nicht immer mithalten. Sie ist liebenswürdig, aber unter dieser Liebenswürdigkeit blitzt immer wieder die Bösartigkeit durch. Wie eine Spinne im Netz umgarnt sie Manfred, der lange zappelt, aber schließlich aufgeben muss.
Es ist ein vergnüglicher Abend mit ernsten Zwischentönen, so wie wie man es im Kriminaltheater gewöhnt ist.

Das Theater geht übrigens im Herbst in seine 25. Spielzeit, ein Vierteljahrhundert Krimitheater in Berlin – und das ohne öffentliche Förderung!


Berliner Kriminaltheater, bis 28. Juni. Hier geht’s zu den Karten.


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