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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 234

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

27. November 2017

HEUTE: 1. „Die Frau, die gegen Türen rannte“ – Kleines Haus Berliner Ensemble / 2. „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ – Studio Admiralspalst / 3. Gedenken an den Regisseur Luc Bondy. Archiveröffnung und Buchvorstellung ‑ Akademie der Künste

1. Berliner Ensemble: - Noch’n Schluck aus der Pulle und weiter gekämpft ums kleine bisschen Glück

 © Birgit Hupfeld
© Birgit Hupfeld

Um es gleich zu sagen: Berlin hat seit kurzem eine Theatersensation! Es braucht dafür bloß sechzig Minuten, eine Hintergrund-Tapete in Weiß, einen großen Text, eine große Schauspielerin. Die unglaubliche, das perplexe Publikum vom Hocker reißende Show ereignet sich, sagen wir mal, im Abseits; unbemerkt auch von der örtlichen theaterprofessionellen Öffentlichkeit. Das muss anders werden. Deshalb mein Ruf an alle, ob Enthusiast oder bloß Gelegenheits-Genießer oder Noch-Gar-nicht-Theatergänger: Auf ins Kleine Haus (Studio) des Berliner Ensembles! Hin zu dem von Oliver Reese aufreizend cool inszenierten Monologstück des Brooker-Preisträgers Roddy Doyle „Die Frau, die gegen Türen rannte“ mit Bettina Hoppe!

Um was es in dieser unglaublich intensiven Theaterstunde geht, hört sich zunächst nicht sexy an: Eine Frau aus der US-Unterschicht, gedemütigt, missbraucht womöglich schon vom Vater, dann von Liebhabern, vom Ehemann; hat vier Kinder, keinen Beruf, ist Putze, Alkoholikerin. Doch dieses ungeniert geile, aber auch erstaunlich dünnhäutige Kraftpaket mit Blondlocken-Wuschelkopp und Jeans-Minirock versucht, trotz widrigster Ausgangslage, ihr marodes Leben noch einigermaßen fest zu packen. Wacklige Aufbrüche wechseln mit Vergeblichkeiten, den Schmutz ab- und wegzuwischen. Schließlich rutscht ihr das dreckige Leben so gut wie völlig aus den eigentlich handfesten Fingern.

Roddy Doyles grandios ätzender Text schießt los wie ein auf Dauerfeuer eingestelltes Maschinengewehr. Sarkasmus, Lakonie, Zynismus kompakt. Unvergleichlich. Herzblut spritzt uns gezielt ins Hirn. Ein hin gespuckter Halbsatz allein schon umreißt komplexe seelische, soziale und auch noch gesellschaftliche Zustände. Missstände. Was für ein dichtes dramatisches Sprachkunstwerk.

Was für eine Schauspielerin! Allein für diesen konzentrierten Alkoholerin-Report, diesen Trotzdem-Überlebenskampf gebührte Hoppe der Titel „Schauspielerin des Jahres“. Eine signifikante Kunstleistung: Diese sensibel balancierte Raserei durchs innere und äußere Leben einer insgeheim unentwegt blutenden, wehen, wunden, verstörten Frau mit immer wieder aufschreckend hellwachen Momenten; einer grandiosen, einer fast kaputten Frau, die – was für ein Menschenwunder ‑ vor irrer Daseinslust immer wieder wie mit letzter Puste die Backen, Brüste, Herzkammer bläst. Weil: Da glimmt, da funzelt oder lodert (ganz kurz) noch ihre Sehnsucht nach wenigstens einem Minimum oder – im Zustand der Euphorie – nach einem Riesenquantum an Daseinsschönheit und Liebesglück. Die Hoppe lässt das immer und immer wieder hinreißend aufblitzen. Diese Blitze geben eine Ahnung vom Geheimnis ihrer Figur, ihrem von Gott oder wem auch immer gegebenen Kraftzentrum. Ob es unerschöpflich ist? Die Frage bleibt offen; gut so.

Ansonsten steckt dieses prollige, an schwer verkümmerten Gaben zum Glücklichsein so reiche Ungetüm mit dem (grausam) klaren Verstand ihre Not, Wut, Verzweiflung nicht verklemmt weg, sondern rotzig-trotzig aus. Und durchsetzt es zugleich wie nebenher mit Gesten der Anklage gegen den Himmel, das Publikum, gegen sich selbst. Eine Art Hiob im Plastikbeutelformat. Die Pulle fest im Griff. Gegen die Schmerzen. Man geniert sich bisschen für die Seelenstrips, die Abstürze, den Suff, den man kaltschnäuzig abstreitet wie alle Alkis. Ach, diese unendlichen Ambivalenzen… Deshalb ‑ Entspannung, Leute! – fix auf die Schnelle noch ‘ne Runde enthemmt torkeln zu rockigen Hits der Popmusik unterm Geflacker grellbunter Scheinwerfer… – Man muss es lieben, dieses Weib. Diese Figur. Diese Schauspielerin, die so nüchtern, spröde, herb und bitter sein kann. Und dann wieder zart, weich, warm, innig.

Wir haben Bettina Hoppe lange in Berlin vermisst– wie viele andere Schauspieler auch, die einst glänzten am DT. Jetzt hat sie Oliver Reese uns ins BE zurück gebracht. Danke. ‑ Roddy Doyles Monolog ist auch so ein Mitbringsel aus Frankfurt und rutschte wie nebenher ins Berliner Programm. Es ist ein Hauptstück! Hoppe ist ein Hauptstück! In jeder Hinsicht. Wahnsinn!
(wieder 30. November, 9. Dezember)

2. Admiralspalast: - Thomas Manns Saga vom Super-Kerl Krull

 © FRANZHANS 06
© FRANZHANS 06

„Indem ich die Feder ergreife, um in völliger Muße und Zurückgezogenheit – gesund übrigens, wenn auch müde, sehr müde (so dass ich wohl nur in kleinen Etappen und unter häufigem Ausruhen werde vorwärtsschreiten können), indem ich mich also anschicke, meine Geständnisse in der sauberen und gefälligen Handschrift, die mir eigen ist, dem geduldigen Papier anzuvertrauen, beschleicht mich das flüchtige Bedenken, ob ich diesem geistigen Unternehmen nach Vorbildung und Schule denn auch gewachsen bin.“

Mit diesem gewagt gewundenen Satz beginnt das erste Kapitel des Romans „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ von Thomas Mann. Die koketten Skrupel, die der Autor dem charmant durchtriebenen, sympathisch betrügerischen Sohn eines rheinischen Sektfabrikanten ins gespitzte Mäulchen legt, mögen auch die beiden Jungschauspieler Leonard Scheicher und Felix Strobel gehabt haben, bevor sie sich (einst noch in Peymanns Berliner Ensemble) daran machten, den Klassiker mit seinem „in einer Glückshaut geborenen Sonntagskind“ mit all den Mannschen „Einfällen und Einbildungen“ übers Brettl zu jagen. Ihre skrupulöse Sorge – vergebens. Den beiden Jungkünstlern gelang mit dem Text des Alten ein dem genialen Autor angemessener Geniestreich.

Mit hinreißendem Können spielten beide ganz locker in einer Art „Krull“-Revue eine umwerfend vergnügliche Stunde lang ihre Lieblingsszenen aus immerhin 400 Seiten Thomas-Mann-Text. Eine rasende Two-Men-Show, in der die phantastischen Zwei von einem Moment zum nächsten präzise die Rollen (und Romanfiguren) der Weltliteratur wechseln. Ein verwegener, geistreicher Spaß der beiden Theater-Sonntagskinder mit der Glückshaut, dieser verrückte Geschwindmarsch durch Manns Meisterwerk, das teils noch im amerikanischen Exil entstand und 1954, ein knappes Jahr vor des Autors Tod, in beiden Deutschlands erschien. – An seine Tochter Monika schrieb der beinahe achtzigjährige Zauberer: „Der Erfolg von ‚Krull‘ ist ganz lächerlich. Er hält schon beim 42. Tausend und hat eine verzückte Presse. Ich falle aus den Wolken, wie gewöhnlich.“ ‑ Wir tun es ungewöhnlicher weise auch und sind verzückt und immer wieder verzückt ob dieser ganz und gar großartigen Theaterstunde mit Schleicher & Strobel, Mann & Krull. Jetzt endlich von den beiden Pfiffikussen neu aufgelegt im Studio vom Admiralspalast; die zwei Stars könnten mit diesem T.M. um die Welt tingeln! Die traditionsreiche Großspielstätte des Entertainments am Bahnhof Friedrichstraße macht damit seinem Publikum und auch sich selbst ein feines Weihnachtsgeschenk. Was für ein erquickend-ergötzlicher Abend.
(6., 12., 13. Dezember, 20 Uhr Studio unterm Dach vom Admiralspalast)

3. Akademie der Künste-Gedenken: - Luc Bondy, Fest des Augenblicks

Graben Wien
Graben Wien

Das schwitzende Wuchten dramatischer Felsblöcke war seine Art nicht. Luc Bondy, seit den 1970er Jahren bis zu seinem Tod einer der prägenden europäischen Schauspiel- und Opernregisseure, Bondy zielte auf ein „Theater der völligen Schwerelosigkeit“. Ein so genanntes Theater der Exzesse war ihm zuwider. Ihm ging es zuerst um Schauspieler und um Text. Jedes Komma, jede Gedankenpause müsse durch den Körper hindurch. Es sei wirkungsvoller, einem Schauspieler vorzuschlagen, er solle sich vorstellen, seine linke Hand sei schwerer als die rechte, statt von ihm zu verlangen beispielsweise „sei eifersüchtig!“.

Bondy machte nicht Theater, damit sich, wie er sagte, die Leute mehr lieben oder damit es Frieden auf der Welt gibt oder der Kapitalismus untergeht. „Mir egal. Für mich ist Theater weder Waffe noch Spiegel, sondern Ausdruck verwandelter Wirklichkeit.“ Er habe keine andere Aufgabe, als Fragen zu stellen, damit die Luft im Zuschauerraum sauerstoffreicher werde. Theater sei eine wunderbare Illusion, die zugleich und vor allem von Desillusionierung handelt. „Alles, was ich auf einer Bühne oder Leinewand zu erzählen versucht habe, kommt aus Unterbewusstem, aus assimilierter Lebenserfahrung.“ Nur so werde eine Aufführung zum unvergesslichen „Fest des Augenblicks“.

Der 1948 in der Schweiz geborene Künstler verstarb am 28. November 2015; noch zu Lebzeiten hatte er der Berliner Akademie der Künste sein Archiv anvertraut. Inzwischen ist es wissenschaftlich aufbereitet und wird am zweiten Todestag von Luc Bondy in einer Akademie-Gedenkstunde frei gegeben zur Nutzung durch die Öffentlichkeit. Zugleich wird die im Alexander Verlag von Geoffrey Layton herausgegebene Monografie „In die Luft schreiben. Luc Bondy und sein Theater“ vorgestellt (Achtung Liebhaber: Ein Weihnachtsgeschenk!). Eine Einführung gibt der Frankfurter Theaterkritiker Peter Iden, der Schauspieler Jens Harzer wird lesen.
(Am Dienstag, 28. November, um 19 Uhr im AdK-Plenarsaal, Pariser Platz.)

 

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