0
Service & Beratung: (030) 86009351
Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 219

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

12. Juni 2017
HEUTE: 1. „Zwei Zimmer, Küche, Staat“ – Kabarett Die Distel / 2. „Viel Lärm um nichts“ – Pfefferberg Theater / 3. TV-Tipp Kulturvolk-Theatertalk / 4. Hermann Beil und Thomas Bernhard – Berliner Ensemble

1. Zwergstaat macht Großkrach

 © Johannes Zacher
© Johannes Zacher

Eine uraltlinke Utopie: Die schlaue Köchin macht den Staat; ab sofort wird „von unten“ regiert. Die umstürzlerisch politische Konstellation hat freilich jede Menge grotesk-kabarettistisches Potenzial. Thomas Lienenlüke packte es mit könnerischem Griff und erfand für das traditionsreiche Kabarett-Theater „Die Distel“ die – um es gleich zu sagen – hoch komische Kabarett-Komödie „Zwei Zimmer, Küche, Staat“.

Also wieder ein Erfolg für das sage und schreibe schon ein reichliches Halbjahrhundert existierende Spaß-und-Schimpf-Institut im historischen Admiralspalast am Bahnhof Friedrichstraße – eine schier unkaputtbare Institution, die (hoch subventioniert, scharf kontrolliert) erst das SED-Regime überlebte und zuweilen austrickste, dann die „Wende“ und jetzt (von staatlicher Stütze unberührt) als Publikumsmagnet präsent ist wie zu allen Zeiten. Auch das spricht für den Bums oder, um im Bilde zu bleiben, für die geschätzte, gelegentlich auch geschmähte Kratzbürstigkeit der „Distel“.

Doch zurück zu Thomas Lienenlüke. Der taffe Mann ist ein alter Hase im Drehbuchschreiben für TV-Shows beispielsweise mit Rudi Carrell, Harald Schmidt, Jürgen von der Lippe, Ingo Appelt oder Dieter Hallervorden. Er ist obendrein erfahren als Autor von „Scheibenwischer“ und „Satiregipfel“. Er kann eine prima verrückte Story erfinden und verfügt über die nötige Kraft und Fantasie, Wortwitz am laufenden Band zu produzieren sowie immer wieder Gag-Kaskaden abzufeuern.

Zur Story in Stichworten: Von der Friedrichstraße um die Ecke liegt die Dorotheenstraße und dort die Wohnung der unfroh aufs kurz bevorstehende Rentnerdasein starrenden Margie Plenzkow (Dagmar Jaeger). Nämlich: ihre Kassenlage ist prekär und wird absehbar noch sehr viel prekärer werden. Sohn Kevin (Rüdiger Rudolph), Mitte vierzig, ist da wie ihr halbseidener Untermieter (Michael Nitzel) auch keine Hilfe, indem er emsig aber ertraglos immer nur von Praktikum zu Praktikum hastet. Also muss etwas geschehen, finden die drei in ihren zwei Zimmern plus Küche in der Dorotheenstraße und erinnern sich an früher. Was vor zwanzig Jahren die Ich-AG war, ist heute der eigene Staat. Also gründen sie einen und werden alsbald zum Hotspot aller ihrer Kumpels aus der Stammkneipe sowie aller Arten Transfer-Empfänger, Hochstapler, Geschäftlhuber, Populisten, Euroskeptiker, Spekulanten und natürlich Politiker – auch Donald Trump kommt vor und natürlich die sowohl besorgte als auch irritierte Kanzlerin.

Was für eine Steilvorlage für massenhaft Parodien; was für eine fantastische Kostümshow im fliegenden Wechsel (Hannah Hamburger); was für eine groteske Geschichte mit scharfen Stichen ins Hochpolitische, aber auch mit Momenten, die innehalten im Lärm und im Trubel und die – ja doch – still ergreifen. Regie: Dominik Paetzholdt.

Last but not least: Was für eine brillante Besetzung! Alle drei Schauspieler sind super Entertainer, klasse Komiker (und mithin zünftige Rampensäue), haben Rhythmus in den Knochen sowie Singsang in der Kehle. Schließlich sorgen Matthias Felix Lauschus und Fred Symann an ihren Instrumenten für ordentlich Musike. An dem völlig verrückten Abend in der als „Freie Republik Dorotheanien“ firmierenden Kleinwohnung geht die Post ab, gellen Wahn-, Tief- und Blödsinn, kocht die Show, lacht das Herz, bekommt der Grips sein Fressen. Was will man mehr.

(wieder 19. 23. Juni)

2. Pfefferberg - Shakespeare schlägt Kalauer-Polizei

 © KIKE Photography
© KIKE Photography

Bevor es zur Sache geht mit Shakespeare und seiner wohl beliebtesten, in späteren Jahrhunderten vielfach bearbeiteten und sogar (von Berlioz) veroperten Komödie „Much Ado About Nothing“ überfällt uns mit energischem Geschrei eine in gelbe Ganzköperkondome gehüllte Armada. Es ist die Kalauer-Polizei mit Knollennase im Gesicht. Wehe, einer im Parkett konnte bei strenger Befragung keinen Kalauer zum Besten geben – es konnte keiner. Und so kalauerte die gelbe Plastik-Eingreiftruppe eine ganze lange Weile lang selbst was das Zeug hielt für sich hin. Kostproben: „Was ist ein toter Spanner vorm Fenster? – Weg vom Fenster.“ Oder: „Was macht ein Pimmel auf Thron? – Er-regiert.“ Hahaha! Dann wird noch ein ziemliches Bisschen philosophiert über deutschen Leithumor unter neoglobalem Einfluss und ein vielstrophisches, für typisch deutsch gehaltenes „Melancholied“ angestimmt nach dem Klassiker „Heut kommt der Hans zu ihr, freut sich die Lies“. Die schönste der vielen, vielen Strophen geht so: „… Er isst gern Schweinebraten ohne Gebiss. Ober aber mit‘m Oberkiefer kaut oder aber mit’m Unterkiefer kaut, ist nicht gewiss…“

So trödelte im Saal das Intro dahin zu „Viel Lärm um nichts“ entfernt nach William Shakespeare in der Fassung von Jan Zimmermann (Ansage: „Deutschlehrer, haltet die Klappe!“) bis sich endlich, endlich der schöne rote Samtvorhang teilt und das Komödienpersonal sein schickes Outfit im Stil der Golden Twenties präsentiert.

Zimmermann, Regisseur, Dramaturg und Bühnenbildner in einer Person (die schlichte Szene ist ein lichter Leer-Raum bestückt mit ein paar meterhohen Versatzstücken, die als Heckengewächse dekoriert sind), der umtriebige Jan Zimmermann versetzte also das total irreale, aber hübsch spaßhafte Shakespeare-Märchen in zaghafter Vergegenwärtigung vom intriganten ritterlichen Minnehof auf Messina anno 1599 in einen etwas spartanisch anmutenden Park – das eigentlich dazugehörige Schloss mit einem stilechten Salon im Art Déco wurde aus Gründen der Sparsamkeit nicht gezeigt. Dafür fielen die dazu pässlich prächtigen Kostüme von Verónica Toledo de Marth umso mehr ins Auge.

Obendrein strich Zimmermann ordentlich Originaltext zugunsten einer Fülle ganz gegenwärtig-frecher Sottisen. Hat Pfiff! Und konzentrierte sich auf das aberwitzige Intrigenspiel einerseits um die schüchterne Verliebtheit des soft lyrischen Paares Claudio (Andreas Klopp) und Hero (Carsta Zimmermann), die vom aashaften Juan (Torsten Schnier) als Dirne verleumdet wird (was allseits Ärger einbringt) sowie andererseits ums Liebes-Hickhack des extrem zänkischen Paares Benedikt (Vlad Chiriac) und Beatrice (Samia Chancrin), den eigentlichen Hauptfiguren der mit Verlaub etwas albernen Chose im Park ohne Schloss und – oho! Minnehof.

Den beiden Giftzähnen B&B hat denn auch schon Shakespeare ein wahres Wortgewitter schier unversiegbarer Streitlust in die stets scharf geschliffenen Münder gestoßen. So hauen sie in rhetorischer Hochform mit rasendem Tempo auf die Pauke. Natürlich hat Meister Zimmermann auch noch ein paar selbst ertüftelte Streit-Sprüche drauf gelegt, um das Zentrum der ganzen Veranstaltung zusätzlich und deftig-heutig aufzupeppen. Macht Laune! Doch dann tritt noch einmal und zum überflüssigen Abgesang die ominöse gelbe Kalauer-und-Spaß-Polizei auf und labert gedrechseltes Zeug, was man nicht wirklich kapiert, das aber den ansonsten flott dahin geistreichelnden Abend unnötig verlängert. Ein ordentlicher Schuss mehr Shakespeare wäre, alles in allem, besser gewesen.

Vielleicht ist es doch ein bisschen schade, dass sich die jahrelang mit größtem Erfolg in der intimen Open-Air-Arena im Monjibou-Park unterm Logo Hexenkessel-Hoftheater auftretende Truppe aufgespalten hat. Dort sommers im Freien das Monjibou-Ensemble (diesmal neu mit „Macbeth“, „Faust“; Wiederaufnahme: „Die lustigen Weiber von Windsor“). Hier im geschlossenen Gehäuse das Pfefferberg-Ensemble um Regisseur Zimmermann und den künstlerischen Chef Roger Jahnke. Die Pfefferberg-Werbung sagt, hier rückten leidenschaftliche Theatermacher und Schauspieler die alten bekannten Stücke noch näher ans Publikum. Ich meine, für die Monbijou-Künstler trifft all das mindestens ganz genauso zu. Schade, eine Trennung wohl ohne wirklichen Gewinn für die Pfefferberger.

Vielleicht findet man zu aller Lust und Frommen in Zukunft doch wieder zurück und zusammen. Doch eins steht fest: Das gastronomische Ambiente des Pfefferbergs an der Schönhauser Allee, die herrlich ausstaffierte historische Schankhalle, der märchenhaft mit Monden illuminierte Biergarten sind wahrlich wunderbar – im Monbijou ist das Drumherum aber auch einzigartig herrlich. Es wäre also für beide Seiten (der eigentlich einen Medaille) befruchtend und beflügelnd, wenn – gebt Euch einen Ruck! Pfefferberg und Monbijou unter einem künstlerischen Dach tobten.

(Pfefferberg Theater, Schönhauser Allee 176, U-Bahn Senefelderplatz. „Viel Lärm um nichts“ wieder am 16., 17., 25. Juni, jeweils 19.30 Uhr. Nach der Sommerpause Wiederaufnahme im September.)

3. TV-Rederei über Theater

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, live die „Montagskultur unterwegs“ aus dem Studio in der Friedrichshainer Rudolfstraße 1-8 (nahe S- und U-Bahnhof Warschauer Straße). Mit Alice Ströver, Arno Lücker sowie Stefan Kirschner, der dankenswerterweise für seinen sonst antretenden Kollegen Reinhard Wengierek einspringt, der gerade ausgiebig unterwegs ist im Wiener Kulturbetrieb. Der besondere Gast ist diesmal Stefan Plepp, Geschäftsführer der Shakespeare im Grünen GmbH. Kritisch betrachtet werden die Premieren „Medea“ von Aribert Reimann (Komische Oper), „Phädra“ von Jean Racine (Deutsches Theater), „Peng“ von Marius von Mayenburg (Schaubühne). Später auch im Netz auf YouTube.

4. Berliner Ensemble - Noch ein Abschied Hermann Beil als großer Vorleser von Thomas Bernhard

 © Marcus Lieberenz
© Marcus Lieberenz

Scharf geschliffene, tief stechende, aufregende Texte vom genialen Österreicher auf der BE-Probebühne: „Beton, ein Selbstgelächter“ am 17. Juni, 19.30 Uhr; „Ich will in die entgegengesetzte Richtung (Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte)“ am 21. Juni, 20 Uhr; „Ein Kind“ am 25. Juni, 19.30; „Wittgensteins Neffe“ am 27. Juni, 20 Uhr.

Hermann Beil, langjähriger Mitarbeiter, Vertrauter und dramaturgischer Kopf von Claus Peymann, über seine natürlich auch den Hörer beglückende Leidenschaft fürs Vorlesen:

„Lese, damit du dein Recht erweist“, so möchte ich den Originaltitel der Erinnerungen „Erzähle, damit du dein Recht erweist“ von Ernst Josef Aufricht, dem großen Direktor des Theaters am Schiffbauerdamm von 1928 bis 1931, abwandeln – übrigens, unter Aufrichts unermüdlicher Hin- und Geldgabe kam nach irrsinigen Querelen die „Dreigroschenoper“-Uraufführung hier, an dessen Haus, zustande.

Seit 1999 habe ich am Berliner Ensemble von vierzig Schriftstellern mehr als 260 Lesungen gemacht. Die große Fülle war – darf ich sagen NATÜRLICH? – das Werk von Thomas Bernhard. Und mit ihm (und witzigerweise seinem Lieblingswort „natürlich“) fing meine Lese-Lust auch an; noch damals in Wien und mit einer Absage.

Im Grunde verdanke ich Ulrich Matthes und seiner sehr kurzen Absage der Lesung von „Wittgensteins Neffe“ in der Österreichischen Nationalbibliothek meine erste öffentliche Leseerfahrung. Ich fühlte mich verpflichtete und sprang ein. Aus dieser spontanen und überraschend schönen Erfahrung ergaben sich fast wie von selbst unzählige Leseauftritte in Berlin und in vielen anderen Städten und Ländern. Das Musizieren mit Worten, eine Geschichte zur großen Szene zu machen allein durch Worte – diese wunderbare und herausfordernde Möglichkeit hatte ich all die Jahre am BE. Und so steht, naturgemäß, zum Abschied ein kleiner Bernhard-Zyklus auf dem Programm; auch mit jener Erzählung, mit der alles anfing, als Schlusspunkt zum 90. und letzten Mal: „Wittgensteins Neffe. Eine Freundschaft“.

Verwendung von Cookies

Zur Bereitstellung des Internetangebots verwenden wir Cookies.

Bitte legen Sie fest, welche Cookies Sie zulassen möchten.

Diese Cookies sind für das Ausführen der spezifischen Funktionen der Webseite notwendig und können nicht abgewählt werden. Diese Cookies dienen nicht zum Tracking.

Funktionale Cookies dienen dazu, Ihnen externe Inhalte anzuzeigen.

Diese Cookies helfen uns zu verstehen wie unsere Webseite genutzt wird. Dadurch können wir unsere Leistung für Sie verbessern. Zudem werden externe Anwendungen (z.B. Google Maps) mit Ihrem Standort zur einfachen Navigation beliefert.

  • Bitte anklicken!