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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 192

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

5. Dezember 2016


HEUTE: 1. „Affe“ – Neuköllner Oper / 2. Ein Weihnachts-Geschenkbuch: Peymanns Theater-und-Leben-Rückblick Lese-Show mit Kino im Berliner Ensemble / 3. Seit zwei Jahrzehnten: „Regie Thomas Ostermeier“ – Ein Salut zum Jubiläum / 4. Fernsehtipp Montagskultur unterwegs: Der FVB-Theater-Talk auf Alex-TV

 

 

1. Neuköllner Oper: Junkie-Held und Schmerzensmann

Große Party mit Songs vom großen Fox. Von Peter Fox, dem Kreuzberger Musiker mit Echt-Namen Pierre Baigorry, der seine berühmten Songs wie „Schwarz zu Blau“, „Alles neu“ „Ich Steine, Du Steine“ mit dem Babelsberger Filmorchester einspielte, was ihnen einen sehr besonderen, dramatischen Aplomb gab. Das Fox-Album „Stadtaffe“ von 2008 wurde denn auch sofort Kult, manche Hits werden, so die Saga, sogar in Kindergärten gepiepst.

 

An diesen Songs ist aber auch alles stark: Der Sound, die Melodien, die Texte Fox ist wahrlich ein Dichter. Er erzählt von Freundschaft und Einsamkeit, Liebesleid und Liebesglück, von der Sehnsucht nach Seelenruhe und, ja doch, nach Geborgensein. Aber auch und das vor allem erzählt er von der Sucht nach Entgrenzung, von der so herrlichen und gleichsam so fatalen Flucht in unwirkliche Realitäten auf Drogen-Ticket. Da wechseln wie im Fluge die kurzen Euphorien des rauschhaften Überfliegers mit langen Depressionen. Da folgen aus hohen Himmeln tiefe Abstürze bei den höllischen Trips durch Nächte voller Sex, Drugs, Alk und Gewalt.

 

„Alles ist bunt, laut und blinkt, Stadt voller Affen is voll und stinkt.“ So etwa das Motto dieses Abends in der Neuköllner Oper, der nun unter dem Kurztitel „Affe“ eine Art szenisch übermalte Fox-Song-Show ist (Buch: John von Düffel und Fabian Gerhardt). Die kreist um eine der üblichen und schmerzlichen Auf-und-Absturz-Storys. Wir erleben den durch Berlin streunenden Junkie „F.“ (gemeint: Fox) mit seinem besten und bösen Kumpel, mit seiner Liebschaft, seinen horrorhaften Albträumen und dem kotzelenden Erwachen im Klinik-Bett. Wir erleben Gewaltausbrüche, gierigen Sex und zärtlichen und sehen „F.“ in Ekstase auf dem Drahtseil turnen, das hoch und quer über die Bühne spannt. Und dann liegt er eben drunten marode im Bett. – Bett und Drahtseil sind die beiden signifikanten Bestandteile des Szenenbildes – tolle Idee; ein Bravo für den Ausstatter Michael Graessner.

 

Die Neuköllner Oper ist ein dem Experiment wie dem Unterhaltsamen gleichermaßen zugewandtes Off-Unternehmen, das sich löblicherweise besonders dafür einsetzt, dem Musiktheater eher fernstehende, also eher jugendliche Publikümer für diese Genre zu begeistern, indem es seine Inszenierungen (zumeist Neufassungen der klassischen Vorlagen) entsprechend ingeniös zurichtet. Jetzt bringt es mit dem Peter-Fox-Stück keine Um- und Neudeutung berühmter Opern wie meistens sonst, sondern eben die Inszenierung eines (eigentlich auch schon klassischen) Albums der Popmusik. Und will dabei kein komplexes Peter-Fox-Künstlerporträt zeichnen, obgleich die Parade seiner Songs schon viel über diesen Menschen sagt. Es geht vielmehr um Seelenzustände und deren Brüchigkeit.

 

Das Script der beiden Autoren rahmt mit pointierten Kurzszenen aus dem Alltag die Songs und baut auf deren an Nerven, Herz, Hirn zerrende Kraft. Die Band unter Fred Sauer, der den Original-Sound härter, schlagender, unerbittlicher gemacht hat, ist in Hochform. Wie auch der wunderbare Anton Weil mit dem großen „F.“, der herausragt aus dem Ensemble mit Amy Benkestein, Sergej Lubic, Sohel Altan Gol, Achan Maloda, Rubini Zöllner. So sehr die im Musikalischen überzeugen, so sehr dominiert sie doch Anton Weil im Darstellerischen (was für ein Talent!). Er gibt dem In-sich-Zerrissenen das stur Kerlige, aber auch das hilflos Kranke. Dabei hat er immer eine Maske des Gefährlichen, undurchsichtig Rätselhaften. Einer, der immer wie mit offenem Messer in der Hand losrennt. Und mit blutigem Herzen. Seine innere Verkrampfung, Verzweiflung, Verwundung, sein geradezu unheimliches Getriebensein ist stets spürbar. Der wüste Rocker zugleich als armer Schmerzensmann.

 

Was für eine Leistung – und super singen kann Weil auch noch. An ihm liegt es vor allem, dass der elende Ernst des Junkie-Daseins immer wieder durchscheint und aufblitzt in der Inszenierung von Fabian Gerhardt, die sich freilich redlich bemüht, dass das Abgründige, Quälerische und Zerstörerische von Drogen nicht untergeht in der ansonsten mit Schmiss arrangierten Revue – im Dauerton des Hit-Alarms.

 

So geht da halt (allzu?) mächtig die Post ab. Die hinteren Reihen (wo keine Kritiker saßen) johlten zur Uraufführungspremiere auf bei jeder Pointe, jeder noch so kleinen Witzigkeit und lachten sich halbtot auch an Stellen, wo es überhaupt nichts zu lachen gibt, wo die Tragik des weltverlorenen Junkies aufscheint.

 

Schließlich soll’s ja bei aller rockigen Coolness keine rauschende Feier des unbehaust frohen Jugendlebens der Suchtkranken sein. Dennoch droht die schwierige Balance zwischen Lebensgier und Krankheit, zwischen Lust und Gier und Todesnähe immer wieder aus der Achse zu kippen und sich aufzulösen in Partystimmung. Dass diese wahrlich hin-, aber auch herreißende Veranstaltung absolut Kult werden wird, dürfte klar sein. Mit lautstarker Mitmache auf den Klappsitzen; ob’s nun passt oder nicht: „Schüttel Deinen Speck“!

 

Dabei ging im geschüttelten Fortissimo des musicalhaften Fox-Fieber-Finales ziemlich unter, dass da am gar nicht guten Ende unser Titelheld „F.“ nach all seinen Auf- und Zusammenbrüchen gemeinsam mit seinem Suff-Kumpel wieder – auf ein Neues! – zur Schnapspulle und zwanghaft wohl zu noch stärkeren Dröhnungen greift mithin nach der falschen Erlösung. Was für ein schlimmes Fanal! Was für ein wahnsinniger Kreislauf!

(wieder 8.-11., 15.-18., 22., 23., 26., 29. 31. Dezember, 3.-5. Januar)

2. BE - Die komplette Peymannerei auf 500 Seiten Papier

„Alle verlassen das brennende Haus. Bis auf Claus. Der schaut raus…“ (Heiner Müller).

Claus Peymann, Jahrgang 1937, BE-Chef seit 2000, zuvor an der Burg in Wien und in Bochum und Stuttgart, wo ihm (und auch in Salzburg) Epoche machende Inszenierungen von Kleist-, Shakespeare- und Bernhard-Stücken gelangen, dieser sagenhafte Regisseur, striesehaft umtriebige Theaterdirektor (was Heiner Müller bewitzelte) und giftig-bissiger Kultur- und Politikkritiker blickt zurück auf sein Wirken (und Verwirken).

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Das tat er schon einmal, vornehmlich bezogen auf seine Wiener Zeiten, auf vielen hundert großformatigen Buchseiten. Jetzt steht das BE im Mittelpunkt – und darüber hinaus, so seine Ankündigung – eine ganze Theaterepoche von immerhin sechs Jahrzehnten. Unter dem dramatischen Titel „Mord und Totschlag. Theater / Leben“ geht es auf kurz gefasst reichlich 500 Seiten um Peymanns Bühnendasein von Anfang an (im Alexander Verlag Berlin).

 

Das amüsant lehrreiche Büchlein versammelt in Text und Bild so gut wie alles, was C.P. gesagt und getan hat: „Predigten, Polemiken, Paukenschläge, Theatersiege, Theaterniederlagen, Triumphe und Flops“. – Wir dürfen an dieser Stelle, sonderlich für Kenner und Liebhaber, bemerken, dass die bislang erste und einzige C.-P.-Biografie „Aller Tage Abenteuer“ vor fast zwei Jahrzehnten schon Roland Koberg mit Pfiff und Klugheit verfasste (Henschel Verlag 1999) und dass bereits 2008 Hans-Dieter Schütt „Peymann von A bis Z“ herausbrachte, des Meisters gesammelte Weisheiten (Verlag Das Neue Berlin). Der „Entertainer, Mahner, Prophet und Kindskopf“ (Eigenwerbung) ist mithin längst gut dokumentiert.

 

Und jetzt der sozusagen finale „Mord und Totschlag“ – präsentiert von Peymann höchst selbst sowie seinem Adlatus Hermann Beil und seiner beruflichen wie persönlichen Daseinsgefährtin Jutta Ferbers – mit Filmeinblendungen und natürlich anschließendem Signieren des illustren, von Ferbers, Anke Geidel, Miriam Lüttgemann und Sören Schultz herausgegebenen Druckwerks (Vorzugspreis 19,50 Euro).

Am Sonntag, 11. Dezember, um 11 Uhr im BE-Foyer.

3. Legendärer Anfang an der DT-Baracke - Thomas Ostermeier und die fetten Kerle

Anno 1996 warf die Ernst-Busch-Theaterhochschule (mindestens) zwei hoch begabte Absolventen auf den Markt: Thomas Ostermeier und Jens Hillje. Und weil die Intendanz Thomas Langhoff am Deutschen Theater just ziemlich schwächelte und weil gerade neben dem Haus auf einer Brache noch eine Bauarbeiter-Baracke leer stand, gab man den beiden Jungs von der „Busch“ die Hütte als Studio-Labor. Ihr Debüt (Regie: Ostermeier, Dramaturgie: Hillje) mit der wüsten Groteske des amerikanischen Jungdramatikers Nicky Silver „Fette Männer im Rock“ wurde ein Hit, die „DT-Baracke“ avancierte alsbald vom Geheimtipp zum Kult und schnappte sich zwei Jahre später schon den Titel „Theater des Jahres“. Berühmt (und damals sogar berüchtigt) in ganz Deutschland wurde sie schließlich mit der deutschsprachigen Erstaufführung einer sozialkritischen englischen Schmonzette: Mit „Shoppen und Ficken“ von Mark Ravenhill. Ostermeier machte aus dem schlimmen, schmutzigen, archaisch brutalen Ding eine kleine große, hoch spannende, herzzerreißende Tragödie. Sein frühes Meisterstück. Unvergesslich.

 

Wir gedenken jetzt der vor zwanzig Jahren gegründeten legendären „Baracke“ (inzwischen steht an ihrer Stelle ein Büro- und Mietshaus). Und wir kippen einen auf Ostermeiers Bühnen-Jubiläum: Just am 6. November 1996 hatte er seine erste Premiere als fest angestellter Regisseur mit den bösen fetten Männern. Inzwischen ist er an der Schaubühne und nichts weiter als weltberühmt. Prost!

4. TV-Rederei über Theater

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, die „Montagskultur unterwegs“ aus dem Studio Voltastraße mit Alice Ströver, den beiden Kritikern Arno Lücker und Reinhard Wengierek („ihr streitet euch ja richtig“, staunte Thomas Ostermeier in der letzten Sendung am 7. 11.) sowie mit einem Gast; diesmal Jens Hillje, Künstlerischer Leiter des Gorki Theaters. Kritisch betrachtet werden die Premieren „Love it or leave it“ von Erpulet/Kulaoglu (Gorki Theater), „Affe“ von Düffel/Fabian (Neuköllner Oper) und „Die Hugenotten“ von Meyerbeer (Deutsche Oper). Später auch im Netz auf YouTube.

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