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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 187

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

31. Oktober 2016
HEUTE: 1. „Doris Day – Day by Day“ mit Angelika Milster – Schlossparktheater / 2. Jürgen Wölffer 80 – Jubiläum in der Komödie am Kurfürstendamm / 3. „Iphigenie auf Tauris“ – Deutsches Theater / 4. „Don Carlos“ – nochmal Deutsches Theater als besonderen Tipp

1. Schlossparktheater - Schwaches Drama für starke Sängerin bei prima Musik


Ihre Stimme ist stark, ihr dramatischer Ausdruck differenziert, ihre Bühnenpräsenz enorm. Sie kann Dame sein, aber auch die kesse Göre heraushängen lassen oder das naive Blondchen. Sie kann Melancholie, Ironie und Frechheit; das Pompöse, Glänzende und Glatte, aber auch das Angeknackste, Gebrochene, Verlorene. Sie kann tanzen, ladylike daher schreiten und plötzlich umknicken oder zusammenbrechen. Kurz gesagt: Angelika Milster ist eine vielseitige Könnerin, welt- und lebenserfahren und mit allen Wassern der Show sowie des musikalischen Theaters gewaschen. Angelika Milster ist ein Star. Wo bleiben nur die Intendanten und Regisseure, die sich diese Künstlerin greifen, um mit ihr tolle Sachen auf die Bretter zu stellen wo auch immer, aber sonderlich hier. Was für eine Blindheit gegenüber solchen Ressourcen; und das betrifft auch viele andere klasse Künstler, die wir sonderlich in Berlin glücklicherweise haben.

 

Deshalb besonders löblich der Coup von Schlosspark-Chef Dieter Hallervorden, mit der Milster in seinem Schlossparktheater eine Show zu machen. Endlich! – Doch was heißt Show. Es ist ein – wie man sagt – Biopic-Musical. Oder anders: Ein Musical-Drama; ein Lebensbild der Hollywood-Ikone Doris Day (Jahrgang 1922); Titel „Day by Day“.

 

Doris Day ist eine ziemlich widerspruchsvolle amerikanische Großkünstlerin mit einem extremen Rauf-und-Runter-Leben voller Irrtümer, Enttäuschungen, schwerer Not, Krankheit und Schmerzen. Und trotz allem: Ein Leben voller Ruhm. Weltruhm! Happy End, das gab‘s nur in ihren Filmen. Privat war aber noch lebt sie ja hoch betagt -, privat war das Dasein der Doris Mary Ann Kappelhoff. ziemlich steinig. – Was für ein Futter für eine Sängerin und Schauspielerin wie die Milster.

 

Aber ach, abgesehen vom Musikalischen (großartig: Ferdinand von Seebach), das „Stück“, das Doris-Drama von Rainer Lewandowski und Holger Hauer, das ist kein fettes Futter. Eher Schonkost aus ein paar schlichten, stichwortartigen Szenen. Der starke Stoff arg unterbelichtet. Und auch Hauers Regie strotzt nicht vor Herausforderungen und originellen Einfällen. Trotzdem: Die Sache darf man getrost als ein fulminantes Doris-Day-Konzert nehmen – mit Angelika Milster im Doris-Day-Gewand; prima assistiert von Nini Stadlmann, Sascha Rotermund und Tobias Licht (alternierend: Marco Billep). Das ist feines Entertainment. So kommt man doch auf seine Kosten.

 

Mein frecher Vorschlag: Alles umkrempeln und neu ordnen; das Biographische auf pointierte Ansagen reduzieren (es gibt da den tollen Texter Tom van Hasselt) und als musikalische Doris-Day-Revue groß ausstellen (Kollegin Nini Stadlmann hat es kürzlich anderen Orts mit Alma Mahler super vorgemacht). Immerhin, der Schatz an Liedern, Schlagern, Songs, an Hits, darunter Welthits, der ist ja gigantisch. Und schreit geradezu nach Show; nach einer fein nostalgisch grundierten Herrlichkeit voller unvergesslicher Evergreens – und nach der Milster. Für sie könnte es das ganz große Ding sein!

(wieder 2.-7. November; 1.-5. Dezember)

2. Kudamm-Komödie - Geburtstagskind Jürgen Wölffer – Party für den Prinzipal

Er ist ein original Berliner Kindl, das da im Herbst 1936 im Westendsanatorium Joachimsthaler, Ecke Kudamm zur Welt kam als ein Theaterkind. Papa Hans Wölffer (1904-1976) war Operndirigent, Regisseur und Chef der Kudammbühnen. Sohn Jürgen begann als Schauspieler: Debüt 1958 mit Shakespeare in Düsseldorf. Sechs Jahre später holte Hans den Jürgen zurück nach Hause an seine beiden Theater. 1976, nach Vaters Tod, wurde Jürgen deren Chef. Das Jahr drauf hatte er sein Regie-Debüt am Kudamm, wo immer schon und nun erst recht so gut wie alles, was Rang und Namen hatte in der Branche, furios aufspielte. Die Kudammbühnen gilt bis heute als glamouröse Rampe der Stars. Anlässlich des 100. Geburtstags von Hans Wölffer übergab Jürgen 2004 die Theaterleitung (das dynastische Prinzip!) an seinen Sohn Martin Woelffer, Jahrgang 1963. Der pflegte weiterhin den lachenden Glitzerboulevard und ergänzte ihn geschickt mit zeitgenössischer Dramatik. Und kämpft nun schon seit reichlich einem Jahrzehnt mit allen, freilich nicht immerzu optimalen Mitteln um den Fortbestand der Traditionstheater.

 

Das Problem: Der Berliner Senat hob gegen Geld den (vorläufigen) Denkmalsschutz beider Häuser auf. Seither spekulieren Großinvestoren wie verrückt und ziemlich undurchsichtig mit dem Gebäudekomplex Kudamm Karree, in dem angeblich kein Platz mehr ist für die Theaterkunst. Die nämlich stört bei der Profitmaximierung, was zwar das Publikum auf die Barrikaden bringt, vom Senat aber in seltsamer Gleichgültigkeit hingenommen wird. Unterhaltungstheater am Kudamm sei altmodisch, so die heimliche Meinung der Politik, der freilich das enorme Besucherinteresse widerspricht.

 

Bei allem Glanz und Gloria um den ruhmreichen Jubilar Jürgen Wölffer, die Party wurde zwangsläufig zur Großdemo für den Erhalt der Kudammtheater, in welch geeigneter Form auch immer. Noch-Kultursenator Müller steckte zwar fest in den anstehenden Koalitionsverhandlungen, schickte aber seinen Staatssekretär Tim Renner aufs Fest, wo er ein bisschen jungenhaft hilflos optimistische Beteuerungen abwarf. Unverhohlen streitbar indes war die eloquent gewitzte Rede des Staatsopern-Intendanten Jürgen Flimm. Er gab mit heißem Herzen und kühlem Kopf ein fulminantes Plädoyer für den dauerhaften Fortbestand dieser Bühnen. Das war überzeugender Klartext aus prominentestem Mund. Ein starker Affront gegen die so fatale wie peinliche Eierei der kulturpolitisch Regierenden, die noch immer, auch jetzt, wo es fast schon zu spät ist, störrisch um den heißen Brei herumreden. Zugleich bekräftigte Flimms Rede den Wöfferschen Familien-Willen, nach wie vor weit offen zu sein für Verhandlungen mit den Investoren, deren Vertreter die herzliche Einladung zur Feier annahmen und sichtlich erstaunt und wohl auch beeindruckt waren von der geradezu kämpferischen Stimmung im Saal.

 

Dann endlich, nach vielen starken, herzbewegenden Worten und viel schöner Musik mit kapriziösem Gesang, konnte die illustre Schar der Geburtstagsgratulanten – Vivat Jürgen! hochgestimmt Buffet und Bar stürmen bis tief in die berauschende Nacht.

3. Deutsches Theater - Klassiker-Utopie dick verkleistert mit alpin-weiß

Achtung: Frisch gestrichen! Und jeder der fünf Mitwirkenden in Goethes abgeklärt abstraktem Denkspiel „Iphigenie“musste mitmachen, musste Eimer voll „Alpina weiß“ schleppen sowie fleißig Pinsel und Roller schwingen auf der Treppenleiter vom Baumarkt. Die Fünf schafften es gerade mal bis höchstens zur Hälfte, den riesigen schwarzen Kasten mit dem mannshoch monumentalen Tisch (oder Altar) notdürftig zu weißen. Johannes Schütz hat diesen Bunker auf die Rampe vors Publikum geknallt als Sinnbild für eine Welt der Finsternis, in der mythische Gottheiten drakonisch-blutig herrschen über eine ihnen hilflos ausgelieferte Menschheit (soweit Goethe). Nun kommt da diese Handvoll Goethe-Figuren, um gegen das ewig-dunkle Böse endlich und im Guten anzugehen mittels Pinsel und Farbe, womit sie sich – fern von Goethe reichlich bekleckern und alsbald gegenseitig einseifen.

 

Diese stumme Ouvertüre ist das starke Bild einer gescheiterten Weltverschönerung und Menschenbesserung. Zugleich aber macht sie von vornherein den in preziöse Verse gegossenen Klassiker „Iphigenie auf Tauris“ platt. Der nämlich handelt von möglicher Selbstbestimmung und mutiger Befreiung des Menschengeschlechts von göttlicher Bevormundung und vermeintlich schicksalhaft bestimmter, ewiger Kriegerei von Mensch zu Mensch. Doch das Personal auf dieser Insel namens Tauris (heute: Krim) hat allein schon wegen der geradezu himmlischen Höhe dieser Black-Box-Tauris-Welt keine Chance zur Goetheschen Selbstbefreiung. Denn die Farbe reicht nicht, und die Treppenleiter ist viel zu kurz, das Schwarze ins Weiß zu wandeln, wie Goethe es wollte. Regisseur Ivan Panteleev will es anders. Seine immerhin originell witzige Anstreicher-Performance bekräftigt von Anfang an nur das eine: Achtung, Vergeblichkeit! Dazu passend sein Schlussbild: Alle stehen bekleckert und bedeppert da als Alpina-vergipste Menschenkinderclowns. – Keine Menschheits-Erhöhung. Goethes Humanismus höchstens närrisch vorgegaukelt. Alles bleibt beim bösen Althergebrachten. So etwa die fundamentale Regie-Kritik am Stück.

 

Selbstredend war Goethe klug genug, das Ganze als einen schönen, zugleich quasi zwingend notwendigen Traum zu nehmen. An Versuchen, diesen szenisch zu hinterfragen, hat es bislang nicht gefehlt. Panteleev tut dies gleich vorab mit besagter Anstreicher-Pantomime. Die vermeldet als programmatischer Auftakt: Keine Utopie! Folglich gibt es auch kein Spiel, keine szenische Kollisionen der Konfliktparteien, keinen Kampf gegen himmlische Blutgesetze wie das Töten von Fremdlingen, die sich einschleichen auf Tauris. Kathleen Morgenheyer als Iphigenie im lächerlich kurzen weißen Leinenhemdchen macht erst ordentlich larmoyant auf Klageweib, um dann zum Finale mit keckem Triumphalismus ihren Big Boss abzubürsten. Der soll gefälligst Schluss machen mit dem Opfern von Menschen sowie, das auch noch, verzichten auf die Heirat mit ihr. Oliver Stokowski als Inselkönig Thoas bleibt da nix weiter übrig, als ausgetrickster, zur Menschlichkeit zwangsbekehrter Depp offenen Munds dumm da zu stehen und Iphigenie ziehen zu lassen gemeinsam mit den frechen Eindringlingen, nämlich ihrem Bruder Orest (Moritz Grove) und dessen Kumpel Pylades (Camill Jammal).

 

Überhaupt gehört zur Grundidee dieser Inszenierung, ihr Personal rumstehen und Goethes kunstvolle Verse abspulen zu lassen, so, als sei man ziemlich genervt von den Zumutungen dieses Dichters. Mithin wirken die Redner, weiß verschmiert, wie abgeschmiert aus der philosophisch-moralischen Höhe, die der Autor ihnen andichtete. Man darf das womöglich hinnehmen als Realismus. Doch wozu dann noch Goethes kämpferischer Idealismus? Etwa als reine Idiotie? Warum denn nicht wenigstens einmal diesen immerhin genial formulierten Idealismus als grandioses Exempel demonstrieren?

 

Dazu freilich fehlte es der Regie an Lust und Mut. Sie lässt Goethe mürrisch durchlaufen und schielt dabei aufs konservative Publikumslob der Texttreue. Meuchelt aber so den Klassiker samt seiner Intentionen hinterrücks. Goethes hoffnungsselige „Iphigenie“ plappernd entsorgt in die schwarze Kiste als Endstation jeglicher Hoffnung. Warum dann aber überhaupt noch diesen Johann Wolfgang von?

(wieder am 8., 17., 21., 24. November)

4. Deutsches Theater - Mit Schiller war alles schön. Da kam endlich ein Klassiker, der erschüttert. Deshalb jetzt wieder„Don Carlos" gucken!

Ist schon etwas länger her: Stephan Kimmig inszeniert am DT Schillers „Carlos“. Und da hatte ein Regisseur den Mut, dieses meisterliche Sprachkunstwerk gelassen auszubreiten; deshalb hier im Kontrast zu Panteleevs Goethe-Vernichtung mit „Iphigenie“ dieser Extra-Theatertipp.

 

Kimmig spulte nämlich nicht, wie heute oft üblich, das „dramatische Gedicht“ als Sprechblasen-Comic flott und platt ab. Er nahm sich vielmehr angemessen reichlich Zeit für diesen Schiller-Thriller voller Sehnsucht nach privatem Liebesglück und politischer Freiheit. Knapp vier Stunden braucht es, bis die martialische Staatsmacht – König Philipp II. von Spanien, die Spitzen der katholischen Kirche – wieder blutig triumphiert mit ihrem diktatorischen Status quo, den die höfische Jugend in republikanisch-revolutionärem Furor und im geheimen Bündnis mit dem gequälten Volk endlich hinweg fegen wollte.

 

Knapp vier Stunden! (Panteleev schafft seine „Iphigenie“ in 130 Minuten.) Doch das Erstaunen ist grenzenlos. Hochspannung bis zuletzt. Das Schiller-Historical aus dem 16. Jahrhundert, das Schiller-Drama von 1787 ganz heutig. Im gespenstisch labyrinthischen Bühnenbild von Katja Haß. Ein schleichend rotierender Unort für das Unglück einer unmöglichen Liebe (der alte Philipp, die junge Elisabeth von Valois) sowie das einer verbotenen Liebe (des Königs Sohn Carlos, Elisabeth) und noch das einer unerwiderten Zuneigung (Hofdame Eboli, Carlos). Eine fahle, nüchtern möblierte Zentrale der Bürokratie des Schreckens für das grauenvolle Desaster des Schwärmers Marquis von Posa mit seinem „kühnen Traumbild“ vom neuen Bürgerstaat, das zerschellt an den Realitäten. Die kommen ohne Videoschnipsel, Handys, Pophits, Gehopse und Geblödel, Dekonstruktionen, Fremdtext-Schübe und Farbeimer aus. Und das Ensemble immer vorn an der Rampe.

 

Doch der Vorwurf Frontalunterricht zieht nicht. Denn Kimmig vermochte wie sonst wohl noch nie, das berühmte Diktum des Ur-Großkritikers Kerr zu erfüllen: nämlich die hohe Klassik-Wortoper „auf Gesprächston“ zu bringen. Die kostbaren Jamben bekommen einen allgemein nachvollziehbaren, zum Mit- und Nachdenken animierenden, also packenden Verständlichkeitston. Die hohe Schule der Sprechkunst.

 

Die Monologe des übermüdeten, einsamkeitskranken, mit schier letzter, zuletzt grausiger Kraft am Thron krampfenden Philipp (Ulrich Matthes) oder die des naiv-jungenhaften Carlos (Alexander Khuon), der versucht, mit heftigen Leibesübungen seine ach so frühen Lebensenttäuschungen zu therapieren, aber auch die Sprech-Arien der verklemmt wütenden Eboli (Kathleen Morgeneyer) und verbittert beherrschten Elisabeth (Katrin Wichmann) – sie alle kommen herzzerreißend rüber in ihrem Chaos aus Wahn, Trotz, Aufruhr, Schmerz. Und in der Mitte der Regie: Andreas Döhlers Posa: kerlig, sarkastisch, witzig; verwegener Himmelsstürmer, politisch kluger Pragmatiker, zarter Seelenversteher – ziemlich moderne Figur.

 

Das letzte Wort aber in diesem unheimlichen Vergeblichkeitsspiel, das hat in eisiger Beherrschung die alles kontrollierende Stasi-Supermacht Kirche Barbara Schnitzler (die in „Iphigenie" mit stoischer Strenge den Arkas gibt) als Großinquisitor wie eine todbringende Beton-Statue des unerbittlich Bösen: „Statt Freiheit Verwesung!“ Es triumphiert der Tod. Posas schöne Utopie im Grab – wie er selbst. Sein Ruf nach Gedankenfreiheit – wie ein Witz; aber folgenreich.

(wieder am 3. November)

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