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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 186

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

24. Oktober 2016
HEUTE: 1. „Inside IS“ – Grips-Theater / 2. „Therapie“ – Berliner Kriminaltheater / 3. Erinnerung an Dario Fo

1. Grips-Theater - Die verlogenen Verheißungen des Islamismus und ihre mörderische Kraft


Gerade kommt auf ntv die Meldung, dass 75 Prozent der Deutschen sich vor einem islamistischen Terroranschlag fürchten. Da ist es kein Wunder, dass der zwischen den syrischen Kriegsfronten hin und her pendelnde, gar bis in die Höhle des Bösen vordringende Journalist Jürgen Todenhöfer 700.00 Facebook-Fans hat und sein Buch „Inside IS – 10 Tage im ‚Islamischen Staat‘“ ein Bestseller ist. Allerdings ein umstrittener; wird doch dem pazifistischen Aufklärer vorgeworfen, in seinen vermeintlich sensationslüsternen Recherchen und Interviews den massenmörderischen Kriegern und langbärtigen Terrorfürsten eine allzu große Plattform für deren Selbstdarstellung zu bieten. Das mögen manche so sehen, doch ich finde, diese Innenansichten eines menschenverachtenden Systems tragen dazu bei, etwas Licht in diese Abgründe menschlicher Verirrung zu bringen. Den Gegner zu verstehen heißt ja mitnichten, dessen Gräueltaten hinzunehmen. Und immerhin entbehren diverse islamisch-islamistische Vorwürfe an den „Westen“ nicht rationalen Grundlagen. Schließlich tragen auch abendländische Gesellschaften mit ihren politischen wie militärischen Einmischungen in den Nahen Osten eine gewisse Schuld am gegenwärtigen Desaster. Todenhöfer liefert dazu eindrückliche Fakten in seinem Buch, das die Vorlage gibt für Yüksel Yolcus dokumentarisch grundiertes Theaterprojekt „Inside IS“ .

 

Der türkischstämmige Autor (und Regisseur) Yolcu verschränkt nun aber Todenhöfers Berichterstattung, die nicht nur das Grauen beschreibt, sondern vor allem den Missbrauch der Religion bloßstellt, mit den Schicksalen deutschstämmiger IS-Überläufer. Im Kern geht es um die Frage: Wie kann es dazu kommen, dass unter uns aufgewachsene Jugendliche sich für einen islamistischen Vernichtungsfeldzug begeistern? – Kurz gesagt: Es ist deren tiefe Ratlosigkeit angesichts unserer als ungerecht empfundenen Ich-Gesellschaft mit ihrem fatalen Hang zur Doppelmoral, ist deren verzweifelte Suche nach Orientierung, nach einem Halt in der als grenzenlos und verwirrend empfundenen Freiheit; ist die Sehnsucht nach einem „gelungenen Leben“.

 

Gerade die theatralisch wirkungsvoll aufbereiteten Skizzen der Lebensläufe und Charaktere der Konvertiten zum Islam, die sich erstaunlich schnell radikalisieren vor allem durch die so simplen Weltbilder der Hassprediger, wirken stark und überzeugend. Das sind erhellende Warnbilder; sie illustrieren nachdrücklich die Todenhöfer-Texte über den Wahn in der IS-Terrorzentrale, die mit verlogenen Verheißungen lockt und manipuliert.

 

Nach jeder Vorstellung von „Inside IS“ gibt es ein von Experten geführtes Publikumsgespräch. Dazu die GRIPS-Dramaturgie: „Wir denken, dass wir mit Jugendlichen unbedingt über die falschen Versprechungen und die Gewalt des ‚IS‘ reden können und müssen. Es wäre sträflich, sie mit ihren Gedanken darüber alleine zu lassen. Eltern und Großeltern junger Moslems sind oft überfordert, wenn ihr Religionsverständnis in den womöglich fundamentalistischen Traditionen der Herkunftsländer verhaftet ist. Sonderlich Jugendliche mit Migrationshintergrund brauchen Räume, in denen sie frei über Fragen zu Herkunft, Zugehörigkeit, Identität, Kultur und Religion reden können. Sonst kommen andere, füllen das Vakuum und geben ihre einfachen Antworten.“

 

Das GRIPS gibt einen solchen Raum. Und mit „Inside IS“ eine Diskussionsvorlage. Ein politisch wie sozial und geistig hoch löbliches Unterfangen.

(wieder 28., 29. Oktober, 18., 19., 21. November, 8., 10. Dezember)

2. Kriminaltheater - Kidnapping, Kindsmissbrauch, Mord? Ein Psycho-Doktor quatscht sich ins Entsetzen

Im historischen Umspannwerk Ost in der Palisadenstaße hinter der Karl-Marx-Allee am U-Bahnhof Weberwiese residiert das deutschlandweit einzige Krimitheater – es ist längst weit über Berlins Stadtgrenzen hinaus bekannt und gastiert fleißig im gesamten deutschsprachigen Raum. Das intime Theater betreut bewundernswert ingeniös das Duo der beiden Wolfgangs: Der eine namens Rumpf, ist Hausregisseur, der andere heißt Seppelt, ist Dramaturg und Geschäftsführer. Die beiden Herren, schlaue Brüder im Geiste mit der innovativen Nase, haben jetzt wieder einen super Coup gestartet: Sie engagierten Beststeller-Autor und TV-Star Sebastian Fitzek mit seinem Psychothriller „Therapie“ und brachten den erstmals weltweit auf eine, auf ihre Theaterbühne. Tolles Ding. Chapeau!

 

Was soll man dazu weiter sagen, ohne die Spannung zu nehmen. Über Krimis zu reden, ihn also zu zerreden, ist Schwachsinn. Oder Verrat am Publikum, das vorher gar nicht wissen will, wie die böse Chose ausgeht, sondern sich gruseln und rätseln möchte. Zur Pause immerhin tappte ich als altgedienter Theaterzausel noch immer total im Dunkeln. Mit meiner vermutlich absolut triftigen Vermutung lag ich völlig daneben, was wohl hinter dem Verschwinden der 12-jährigen Tochter des berühmten Psychiaters Dr. Victor Lorenz (Thomas Gumpert) steckt – keine Leiche, keine Zeugen, aber das Mädel ist weg. Regisseur Rumpf inszeniert den als raffiniert geschliffenes Konversationsstück angelegten Schocker mit der ihm eigenen hinlänglich bewiesenen Könnerschaft auch für intelligent durchdachte Personenführung im so besonders schwierigen Genre des dramatischen Kammerspiels; hier: ein Konversationsstück nach klassischem Muster.

 

In dem steht Gumpert als Dr. Lorenz im Mittelpunkt sehr seltsamer, den mysteriösen Fall langsam einkreisenden Gespräche (Journalistin / Therapeutin, Arztkollege, Nachbar – Esther Esche, Peter Groeger, Wolfram von Stauffenberg). Gumpert gibt mit akademischem Hochmut aashaft geschmeidig den zunehmend verunsicherten Psycho-Doktor, der allmählich immer undurchsichtiger, immer beängstigender wird. Ein Abend, an dem keine bluttriefende Schlachteplatte serviert wird, sondern brillante Dialoge, die changieren zwischen Verlogenheit, Entsetzen, Wahn, Furcht, Leid und Ernüchterung.

(wieder am 27., 28. Oktober)

3. Verdienter Narr des Volkes und fleißig fahrender Sänger der Lebenslust - Zum Tod des italienischen Theatermachers Dario Fo

„Ich bin entsetzt“, soll er gerufen haben, als die Nachricht kam, dass der Nobelpreis für Literatur 1997 an ihn geht. Denn akademischer Ruhm und Weihen, erst recht allerhöchste Weihen, waren Dario Fo stets suspekt. Auch begriff er sich nicht als Literat oder Dichter, sondern sah sich hauptberuflich als Volkstribun.

 

Der italienische Stückeschreiber, Schauspieler und Regisseur war ein streitbarer Anwalt der Machtlosen, der die Mächtigen, besonders den Klerus, lustvoll attackierte und die Straße liebte, die er, erpicht auf Randale und Skandale, als Bühne nutzte. Das Theater war ihm das andere Sprachrohr für seine weltverbesserischen Ideen, Verstärker seiner Protestaktionen und prickelnder Ort für einen rotzig sozialkritischen, plebejisch ballernden Unterhaltungsbetrieb. Dort inszenierte er, meist locker improvisatorisch, seine anarchischen, saftig unterhaltenden Stücke aus Komödie, Klamotte, Kabarett, aus Schwank, Farce und Propaganda.

 

Bei diesen unentwegten Klein- und Großeinsätzen für die „Würde der Schwachen und Gedemütigten“ (so die Preis-Begründung der Schwedischen Akademie) trat man selbstverständlich gezielt in alle nur erdenklichen Fettnäpfe. Es gab viel Ärger mit Polizei und Justiz; Fo wurde mehrmals von der offenen Bühne weg in Untersuchungshaft gesteckt. Die USA verhängten ein Einreiseverbot, weil er, so die Begründung, zu Terrorismus, Diebstahl, Lüge und zur Schändung religiöser Gefühle verführe. – Und im katholischen Italien gab es den meisten Ärger mit der Geistlichkeit; denn ihr machte der sarkastische große Spötter besonders lustvoll die Hölle heiß.

 

Das Stirnrunzeln der Obrigkeiten (und womöglich so mancher aufs „Höhere“ spezialisierte Kunstkritiker), doch auch das Schenkelklopfen eines amüsierten Massenpublikums versteht man schon beim Nennen der Titel der agitprophaften Stücke, teils plump, verwegen oder geradezu virtuos zusammenschustert mit Blick auf Fernsehen und Tageszeitungen sowie mit Seitenblicken auf die urwüchsige, noch nicht von Goldoni gezähmte Commedia dell’arte, aufs Varieté, auf Slapstick und Sketch.

 

Diese in viele Sprachen übersetzten Gebrauchsdinger heißen „Siebentes, stiehl ein bisschen weniger“, „Zufälliger Tod eines Anarchisten“, „Ordnung für die Geld-Götter“, „Der Papst und die Hexe“, „Ruhe, wir sind im Absturz“, „Hilfe, das Volk kommt“ oder „Der Teufel mit den Titten“. Das krachende Ehe-Kabarett „Offene Zweierbeziehung“ oder die Kleine-Leute-Revolte „Bezahlt wird nicht“ sind bis heute Kassenschlager aller Komödienstadl und Staatstheater.

 

„Wir sind Flegel“, sagte der unduldsam klassenkämpferische Spaßmacher, und meinte mit „wir“ selbstverständlich seine Co-Autorin und Mitmacherin in jeglicher Hinsicht Franca Rame, beide waren mehr als ein halbes Jahrhundert lang glücklich miteinander verheiratet. „Wir sind überzeugt, dass im Gelächter, im Grotesken, in der Satire, der höchste Ausdruck des Zweifels liegt, die wichtigste Hilfe der Vernunft.“ – So einfach das klingt, es ist das stets nur mit Anstrengung zu erfüllende künstlerische Credo eines menschenfreundlichen, bissigen und schalkhaften Aufklärungsunternehmens.

 

Dario Fo wurde 1926 in San Giorno am Lago Maggiore als Sohn eines Eisenbahners und einer Bäuerin geboren. Er studierte Malerei und Architektur – ohne Abschluss, ging zum Rundfunk, blieb erfolglos, schmiss hin. Als Mittzwanziger begann er in Mailand mit der Schauspielerei, traf dabei auf seine Kollegin Komödiantin Franca, heiratete sie und fing an, gemeinsam mit ihr die berüchtigt-berühmten, drastisch volkstümlichen Verrücktheiten zu schreiben. In den 1960er Jahren begann ein wildes Gründen, Auflösen, Neugründen diverser eigener Theatertruppen, mit denen am laufenden Band tagesaktuelles Politkabarett aus dem Hut geworfen wurde. Fo ist also einer der Ahnherren der Off-Szene, ohne jedoch, wie so viele freie Gruppen, alsbald im Nebel der Subkultur abzutauchen. Er hing immer mit beiden Ohren, erregt links pochendem Herzen und nadelspitzer Zunge am Ton der einfachen Leute; an dem, was sie quält und schmerzt und worüber sie schimpfen oder schallend lachen.

 

Dario Fo stand lebenslang politisch weit links; derart weit, dass er selbst der Kommunistischen Partei suspekt war. Später dann war ihm die italienische KP suspekt, er beschrieb sie als haltungslose, völlig nach rechts ausgebüxte Truppe. Ohnehin aber ließ sich ein Star wie Fo, der bei aller Leutseligkeit ziemlich arrogant und hochmütig sein konnte, von keiner Firma vereinnahmen.

 

Doch blieb er, bekannt wie ein bunter Hund in seinem Land, süchtig nach Politik. Noch als Achtzigjähriger wollte er es wissen und warf sich in den Wahlkampf ums höchste Amt im Rathaus seiner Heimatstadt. „Wenn ihr wollt, dass man in aller Welt von Mailand spricht, nehmt Dario“, schrie er auf Kundgebungen. „Ein Literatur-Nobelpreisträger als Bürgermeister wäre weltweit neu!“ Kurzum verglich er sich bescheiden mit Machiavelli. „Der war ein großer Schriftsteller, schrieb Komödien und wurde Kanzleivorsteher der Republik Florenz.“ Die Mailänder blieben skeptisch, Fo verlor gegen die Liberalen. Zuletzt unterstützte er den Komiker Beppo Grillo, einen Bruder im Geiste, und dessen antieuropäische „Bewegung der fünf Sterne“.

 

Nun kam Fo, dieser Verdiente Narr des Volkes und fleißig fahrende Sänger der Lebenslust an seine Endstation. Vor kurzem ist er in Mailand mit 95 Jahren gestorben. Ciao, Dario!

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