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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 164

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

14. März 2016
HEUTE: 1."Glasmenagerie" - Kudamm-Bühne / 2. "Kleines Stück Himmel" -Tischlerei Deutsche Oper / 3. Berliner Zuschauer-Statistik 2015

1. Komödie am Kurfürstendamm


Klassische Prekariatsfamilie, und das am Kudamm… Dazu sei bemerkt: Der Theaterzwilling am Kudamm ist schon längst kein Hort mehr nur für Glamour und Betuchte, fürs bloß Witzeln und lachend auf die Schenkel schlagen. Er widmet sich vielmehr immer wieder auch so genannten „ernsten“ Texten und in jeder guten Komödie steckt bekanntlich immer auch ein gut Stück Tragödie. Schon deshalb wäre es eine Riesenverantwortungslosigkeit, wenn die Zuständigen der Stadt tatenlos zusähen, wenn ein kaltblütiges Immobiliengeschäft die beiden erfolgreichen, das Antlitz der Stadt mit prägenden Kudamm-Bühnen aus dem Weg räumte, was womöglich – ließe man den Dingen gleichgültig ihren Lauf alsbald bevorsteht. Wir werden reichlich zu protestieren haben...

 

Also das Wingfield-Prekariat in der Kudamm-Komödie im „Glasmenagerie“ von Tennessee Williams. Das gibt sich redlich Mühe, wenigstens einen kleinbürgerlichen Mindeststandard zu halten, denn Papa Wingfield hat sich längst längst aus dem Staub gemacht und seine Frau mit zwei fast erwachsenen Kindern in St. Louis -tief im US-amerikanischen Süden- sitzen gelassen. Mama Amanda (Anna Thalbach), eine in Einsamkeit dahin welkende Schönheit, ist das energische, allzu rechthaberische Muttertier, das um Aufrechterhaltung häuslicher und restfamiliärer Ordnung ringt und den Laden krampfhaft zusammenhält. Sohnemann Tom (Leonard Streicher) ist der von spießiger Enge und Mamas gestrengem Regiment genervter Sohn. Er schreibt heimlich Gedichte und träumt vom Ausreißen in ein Abenteuer als Seemann, muss aber als Alleinverdiener tagtäglich in einer tristen Lagerhalle schuften. Dann ist da Tochter Laura (Nellie Thalbach), ein fragiles Seelchen, deren Behinderung (ein verkrüppeltes Bein) gigantische Minderwertigkeitskomplexe auftürmte, die das zarte Wesen zunehmend an den Rand der Lebensuntüchtigkeit treiben. Sie rettet sich in musikalische Träumereien (nach Schallplatten, die der getürmte Papa zurück ließ) sowie als einzige Beschäftigung in die hingebungsvolle Pflege ihrer wundersamen Sammlung kleiner, in Glas gegossener Tierchen; eben die Glasmenagerie.

 

Williams gelang mit diesem autobiographisch geprägten, psychologisch fein ziselierten Kammerspiel von 1944 der internationale Durchbruch. Thema sind nicht allein die schwierigen, von Liebe und Fürsorge, von Abhängigkeit, Konventionen und widerständiger Greiztheit geprägten Beziehungen des familiären Dreiers. Thema ist darüber hinaus vor allem die Wirklichkeitsverweigerung. Es ist die Wirklichkeitsflucht des Trios aus der engen, ärmlichen Realität: Amanda schwärmt von alten Zeiten , als sie begehrt und gesellschaftlich bewundert war; Tom entrückt sich ins Dichten, in die Traumfabrik Kino und sucht einen Absprung weit weg in die Seefahrt; Laura, das verschüchterte Heimchen, vergräbt sich in die schön schillernde Welt ihres fragilen Zoos aus Glas. – Und als Mama schließlich das Rendezvous mit Jim (Florian Donath) organisiert, damit das Töchterchen ja nicht als alte Jungfer endigt, geht auch das total daneben.

 

Katharina Thalbach inszeniert das zwischen Schmerz, Tristesse und Verzweiflung, Demütigung und Repression changierende, dennoch von fein komischen Momenten durchzogene Sehnsuchts- und Vergeblichkeitsstück mit bewundernswert zarter Hand, aber doch präzise zupackend. Eine Inszenierung leicht wie Aquarellmalerei, dabei die schweren inneren Spannungen der quasi permanent unter Hochdruck stehenden Figuren genau nachzeichnend. So führt sie das Personal der Beschädigten und Traurigen zu Höhen der Schauspielkunst, deren Intensität so nur selten zu erleben ist. Die wiederum wird aufgelockert durch ironische Zwischenspiele: Da schlüpft Sohnemann Tom unversehens aus seiner Rolle und macht als flotter Bursche mit Pudelmütze auf dem Kopf und Mikro in der Hand vor dem Zwischenvorhang quasi als Entertainer seine kommentierenden Ansagen, begleitet von dem aus der Proszeniumsloge heraus heftig jazzenden Musiker Emanuel Hauptmann. Raffinierter Kontrast zur Tristesse, zur lastenden Schwermut dieses feinsinnig-elegischen Psycho-Dramas, das bei aller Melancholie doch nicht ins aufdringlich Schwerblütige, schwiemelnd Gefühlige oder gar vordergründig Plakative rutscht. Nie werden die wie Glas zerbrechlichen Figuren denunziert, womöglich gar zu Gunsten wohlfeil klirrender Theatereffekte. Immer bleibt ihnen in all ihrem freudlosen Elend ungelebter Lust, unterdrücktem Aufbruch ein schönes Maß an – um es hochtrabend zu sagen: stiller, herzergreifender Würde. Da gehen das Einfühlsame, Poetische und die kritische Distanz ganz selbstverständlich in eins. Gerade das ist das Aufregende, Packende und geradezu Wundersame dieser Geschichte. Ich bin tief berührt.

 

Katharina Thalbach tut etwas heutzutage eher Seltenes: Den intelligent kreativen, lebensweisen Dienst am Autor. Wohl eine ihrer stärksten Regieleistungen in den letzten Jahren. Gestützt auf Altmeister Ezio Toffoluttis ingeniöse, zugleich trefflich sinnbildliche Ausstattung: Wehende weiße Leinenvorhänge, die kreisend konkrete Spielorte abgrenzen (die karg möblierten Zimmer der Wingfield-Wohnung) und sie dennoch luftig, sommerlich-südlich verbinden – wie eine Menagerie für Menschen. Staunenswert.

(Bis 17. April)

2. Großer Tipp - Oper für kleine Zwerge im Studio Tischlerei der Deutschen Oper

Das Vögelchen namens Patti ist aus dem Nest gefallen, sein Flügel gebrochen, aber noch immer kann es wunderbar zwitschern. Da kommt das Mädchen Johanna daher, findet Patti, flügellahm, doch noch immer trällernd, und pflegt das hilflose Tierchen. Macht ihm Mut, tanzt und kocht für es. Patti vergisst die Schmerzen, der Flügel heilt und Patti fliegt auf und davon – schenkt aber zuvor der lieben Johanna noch ein kleines Stück vom Himmel. So geht die Geschichte über (hochtrabend gesagt: kulturelle) Andersartigkeit und über Freundschaft für Kinder ab zwei Jahren, für die die spanische Komponistin Nuria Núnez Hierro eine eingängige, dabei nie kindertümelnde Musik schrieb. Die Berliner Regisseurin Ania Michaelis, ehemals künstlerische Leiterin des Theaters o.N. in Prenzlauer Berg (der Kooperationspartner), inszenierte dieses fantastische Musiktheater für Kinder von zwei bis vier im Studio Tischlerei der Deutschen Oper. Titel: "Kleines Stück Himmel".

 

Tolle Sache, seltenes Ding: Die winzige Off-Bühne kooperiert mit dem größten Haus der Stadt – im Dienst des allerjüngsten Publikums, das für diese köstliche Petitesse – eine feine Melange aus Oper, Schauspiel, Performance, Konzert – selbstredend keinerlei Vorwissen braucht oder gar Theatererfahrung. Ein (pädagogisch wertvoller) Spaß, ein gewiss nachhaltig wirkendes Erlebnis, das jedem Zwerg zu gönnen ist. Wer einen gut kennt, sollte – so mein dringlichster Rat! ihn an die Hand nehmen und für eine reichliche halbe Stunde himmlisch-irdische Poesie in die Deutsche Oper eilen.

(„Kleines Stück Himmel“: Uraufführung am 19. März (16 Uhr), dann am 20. 3. (16 Uhr), 22.-24. 3. (10.30 Uhr), 26.-27. 3. (16 Uhr) und am 22., 23., 27., 28. Mai)

3. Zahlensalat

3,1 Millionen zahlende Besucher hatten im Jahr 2015 Berlins Theater und Orchester. Im Vergleich: Die Einwohnerzahl Berlins betrug 2015 3,5 Millionen was beweist: Die Theater- und Orchesterlandschaft der Hauptstadt ist ein Magnet für Touristen, an ihr besinnungslos herum zu sparen wäre schon aus wirtschaftlichen Gründen Idiotie.

 

An allen großen subventionierten Häusern liegt die Auslastung bei mindestens 85 Prozent; im Großen Saal der Philharmonie sogar bei sagenhaften 100 Prozent. Wie schon im Jahr 2014 konnte auch anno 2015 der Friedrichstadt-Palast 470.072 Besucher verzeichnen. Ihm folgen die Klassik-Anbieter Philharmoniker (263.223), (Deutsche Oper (241.116), Komische Oper (207.849), Staatsoper (174.917), wobei man freilich die Platzkapazitäten in den Vergleich einbeziehen müsste sowie die Anzahl der Vorstellungen. Da käme die Komische Oper wohl am besten weg, auch wenn man bedenkt, dass sie keine Studiobühne hat wie die Deutsche Oper. Die Staatsoper hofft auf den Wiedereinzug ins Stammhaus Unter den Linden im Oktober 2017, das 400 Plätze mehr hat als das Ausweichquartier Schiller Theater.

 

Das Berliner Ensemble zieht zahlenmäßig gleich mit der Staatsoper. Es folgen Deutsches Theater (159.478), Volksbühne (143.198), Schaubühne (118.643). – Dieser Zahlensalat wirft nur ein Schlaglicht auf den Berliner Betrieb; zählte man noch die Freie bzw. „Halb“-Freie (also mehr oder weniger geförderte) Szene, das staatliche Festspielhaus dazu sowie den Riesenbereich Pop- und Eventkultur, würde sofort klar, was für enorme Besuchermassen da bespielt und beschallt werden. Berlins Kulturwirtschaft ist einsame Deutschland-Spitze, zumindest hinsichtlich Masse. Deren Qualität wiederum steht auf einem ganz anderen Blatt.

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