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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 142

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

12. Oktober 2015

Deutsches Theater


Parallel-Uraufführung in Berlin und Frankfurt/Main: Und schon im Voraus 14 Anzeigen von deutschen Stadt- und Staatstheatern fürs Nachspielen. Das schafft so schnell kein zweiter Autor. Doch der Jurist (Anwalt und Strafverteidiger) Ferdinand von Schirach, Jahrgang 1964, ist als sympathisch unterkühlt, aber enorm spannend schreibender Bestseller-Autor von Erzählungen, Romanen und Essays berühmt genug, dass schon jetzt seine erste Arbeit fürs Theater mit dem marktschreierischen Titel „Terror“ zum wohl meistgespielten Stück der Saison avanciert.

 

Um es vorweg zu nehmen: Es ist kein gutes Stück. Sondern ein schlichtes Gerichtsprotokoll, das wiederum auch nicht wirklich die (in der Regel ansteigende) Dramatik eines juristischen Prozesses spiegelt. Vielmehr wird da in einer teils an den Haaren herbei gezogenen, teil populistisch einseitigen und klischeehaften Plauderei über einen schier unauflöslichen Gewissenskonflikt schwadroniert.

 

Es geht um den angenommenen, tatsächlich jedoch so gar nicht lebensfernen Fall, dass ein Bundeswehr-Kampfflieger ein von Terroristen entführtes Lufthansa-Flugzeug abschießt, weil es, so die Ansage der islamistischen Selbstmordattentäter, in die Münchner Allianz-Arena gestürzt werden soll. Nur der Abschuss der Zivilmaschine mit 164 Passagieren an Bord kann die Katastrophe verhindern, in der 70.000 Münchner Stadionbesucher den sicheren Tod finden würden. 164 Geopferte retten viele Tausende. Ist der Kampfflieger mit Namen Lars Koch (Timo Weisschnur) – als Mörder nun schuldig? Darüber wird knapp zwei Stunden lang hölzern hin und her geredet (die Vorsitzende Almut Zilcher, die Verteidigerin Aylin Esener, die Staatsanwältin Franziska Machens, die beiden Zeugen Helmut Moshammer und Lisa Hridina). – Hin heißt hier: das Gewissen des Angeklagten, seine Moral. Her: das ist die höhere Ordnung, die gesetzliche Verfassung, die es verbietet, Menschenleben einander aufzurechnen.

 

Tolles Thema – eigentlich. Aber alles bleibt beim aseptischen und flachbrüstigen Gerede. Unangemessen hinsichtlich der Komplexität des Konfliktes (historisch, philosophisch, metaphysisch – ein paar Zitate von Kant und aus dem Grundgesetz machen den Diskurs-Kohl auch nicht fett). Unangemessen aber auch hinsichtlich des Dramatisch-Theatralischen (psychologisch, sozial). Da raschelt ein Jurist mit Material. Ein Literat begnügt sich mit dürftiger Sprache und mit Dramatik ist gleich überhaupt nichts…

 

So begnügen sich die braven Schauspieler an der Rampe gelegentlich mit etwas Einfühlerei, die sie sich getrost hätten sparen können. Ansonsten liefern sie den dürren Text ab. Arrangeur dieser Lieferung ist der Regisseur Hasko Weber, Chef am Weimarer Nationaltheater; er hätte den Mimen auch das Script zum Ablesen in die Hand drücken können (spart das überflüssige, aber aufwändige Auswendiglernen). Überflüssig erst recht die Dekoration mit lächerlichen Videoeinspielern, die schwebende Flugzeugtrümmer und Menschenleiberfetzen (blutlos abstrahiert) über den eisernen Vorhang flimmern lassen. Zum Finale des von tieferen Einsichten völlig freien Gedankenexperiments kommt ein als spektakulär gedachter Gag: Das Publikum muss in der Rolle des „Schöffen“ via Hammelsprung für „Schuldig“ oder „Unschuldig“ abstimmen, indem es nach kleiner Pause durch entsprechend gekennzeichnete Saaltüren zurückzuströmen hat (O seliges Mitmachtheater!). Im DT wurde Lars Koch mit 255 zu 207 Stimmen freigesprochen; das Frankfurter Ergebnis fiel ähnlich aus. Na und?

 

Das hat sich Oliver Reese in Frankfurt (in zwei Jahren Chef im BE) wohl auch gefragt und an das dürre Stückchen, das er als Regisseur ohne Kinkerlitzchen rasch durchzog, ein Stück ganz starker Literatur drangehängt, damit die Leute für ihr Geld auch wirklich was geboten kriegen: nämlich Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“.

Gratulation!

Die 72 Jahre alte, aus Hamburg stammende Wiener Burgschauspielerin Kirsten Dene erhält den Joana-Maria-Gorvin-Preis 2015. Die mit zehntausend Euro dotierte Auszeichnung wird (von einer Männer-Jury) alle fünf Jahre von der Berliner Akademie der Künste vergeben und würdigt die Leistung einer deutschsprachigen Theaterkünstlerin. In der Begründung heißt es in romantischer Begeisterung, Dene gehöre zu jenen großen Darstellerinnen, „die, wenn sie die Bühne betreten, uns in Bann zu schlagen und beseligend zu betören vermögen“. Stimmt! Die Präsenz und zugleich die Präzision dieser Künstlerin sind, sagen wir gleichermaßen hingerissen, schier überwältigend – und erhellend zugleich. Ihre Aura bleibt unvergesslich. Kirsten Dene gehört zu jenen Schauspielern, denen (was für eine Seltenheit!) ein berühmter Autor – zusammen mit Ilse Ritter sowie dem im vergangenen Jahr verstorbenen Gert Voss – ein Theaterstück schon im Titel gewidmet hat: „Ritter, Dene,Voss“ von Thomas Bernhard. – Joana Maria Gorvin übrigens galt als Schauspielerin mit absolutem Star-Status und als epochale „Verwandlungskünstlerin“; sie starb mit 71 Jahren 1993 in Wien.

Tipp für Ausstellung / Ausflug

Zugegeben, ich bin etwas spät dran, weil: ich fand vor kurzem erst den Weg nach Rostock in die dortige Kunsthalle zu dem von mir seit langem bewunderten Maler Arno Rink. Ihm ist – noch bis zum 18. Oktober! – an der Warnow eine große Ausstellung gewidmet. Und meiner Begeisterung muss ich hier Luft machen! Wer es aber in der Kürze der Zeit nicht mehr schafft an die Küste, kann die so bedenkenswerte wie großartige Schau in einem profunden Katalog (im Hirmer Verlag) nachempfinden; muss man nicht gleich kaufen, man kann ja bei Dussmann schmökern…

 

Arno Rink ist einer, der in tiefsten DDR-Zeiten zwar ein bisschen Lenin, Antifaschismus und Arbeiterklasse malte. Ansonsten aber vornehmlich Menschen: Extrem verrenkt, fest ineinander verschlungen, dabei meist schwebend über Bodenlosem. Lauter Entrückte und Verrückte, Narren und Gaukler, Gefesselte, Entfesselte, stur Insichgekehrte, exzessiv Extrovertierte. Alles starke, schwer durchschaubare Individualisten, vehement mit sich und ihren Süchten und Trieben ringend sowie ihrer offensichtlich schwer erträglichen Sicht aufs Leben wie auf die Welt. Darunter auch unheimliche, teils aus Biblischem hergeleitete, erotisch schwer aufgeladene Figuren (monströse Hintern, stramme Schenkel).

 

Ein rätselhaftes, grelles, zugleich düster melancholisches und ahnbar symbolisches Panoptikum mit Hund oder auch Pferd. Ein Menschen-Kosmos, kraftvoll und zart und oftmals segelnd ins Transzendente; rauschhaft schwelgend in Farben, monumental. Eine in ihrer Raffinesse und delikaten Könnerschaft kostbare Überwältigungsmalerei – von fern grüßend die frühe Renaissance in Italien sowie den Surrealismus. – Das alles und noch einiges letztlich Unerklärliches mehr ist das Werk von Arno Rink, dem die Kunsthalle Rostock jetzt anlässlich seines 75. Geburtstags diese Werkschau widmet.

 

Alles begann an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, also unterm Diktat des „sozialistischen Realismus“, das zu unterwandern einem unabhängigen Geist durchaus möglich war trotz SED-Mitgliedschaft, trotz Rinks langer Lehrerschaft und zuletzt seines (bis Anfang der 1990er Jahre) Rektorats dieser stilprägenden Anstalt (Rink als graue Eminenz der „Leipziger Schule“). Jenseits aller Zeitläufte schuf dieser Künstler – unter durchaus missbilligendem Blick mancher Genossen mit inzwischen weltweit bewunderter Meisterschaft sein ureigenes, letztlich schmerzvoll verdunkeltes Bild vom so elenden und gequälten wie erhabenen Menschen.

 

Da drängt sich die Sotisse aus dem Mund eines seiner (immerhin hochberühmten) Kollegen auf, dass alle DDR-Künstler „Arschlöcher“ seien. Allein schon diese Ausstellung stellt es vom ideologisch verkrampften Kopf auf die Füße einer völlig undogmatischen, staunenswert freien Kunst. Auch das begreift man in Rostock.

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