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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 132

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

26. Mai 2015

Deutsches Theater


Hier mein nachdrücklicher Verweis auf eine politisch wie künstlerisch packende Aufführung im DT: „Tabula rasa“ wird am 5. Juni letztmalig zu sehen sein, danach verschwindet das Stück leider auf Nimmerwiedersehen vom Spielplan. In ihm geht es um den nach wie vor brennend aktuellen Konflikt zwischen dem, was landläufig „links“ und „rechts“ geheißen wird. Und es geht um die gute alte und eigentlich tolle Tante SPD.

 

In einem Schwimmbad realsozialistischen Designs (Bühne: Jo Schramm) lassen die beiden Regisseure Tom Kühnel und Jürgen Kuttner die SPD baden gehen; mit tatkräftiger Beihilfe von Carl Sternheims Satire über den Reformismus der deutschen Sozialdemokratie „Tabula rasa“ von 1914. Und doch, bei aller kabarettistischer Holzschnittartigkeit im Spiel und bei all dem Plakativen der den Sternheim-Plot ergänzenden historischen Verweise – von der SPD-Kaisertreue und den Kriegskrediten 1914 über das Godesberger Programm bis hin zu Gerhard Schröder und der Agenda 2010 – die beiden fantasievollen, unideologischen, dabei hoch politischen und gar nicht überheblich schlaumeierischen Regisseure kippen das alte graurosa Kind Sozialdemokratie nicht mit dem Bade aus.

 

Es geht vielmehr um eine große gesellschaftliche Tragik. Um den bislang nicht gelösten (oder temporär äußerst blutig verdrängten) Widerspruch zwischen Revolution und Reform, zwischen dem „Jeder für sich allein“ und dem „Alle für alle“. Um diese zwei Seelen ach in unserer aller Brust: Bürgerlicher Eigennutz versus dessen mehr oder minder radikale Zurückstellung um der mehr oder weniger allgemeinen Gerechtigkeit willen.

 

Bei aller ätzenden Schärfe, mit der Sternheim die Verlogenheit und Bestechlichkeit sozialdemokratisierter Funktionäre aber auch den umstürzlerischen Partei-Radikalinski geißelt (hier eine Art mopsiger Thälmann mit langen Haaren in Proleten-Lederjoppe), auch Sternheims Text weiß überraschend vorausschauend, dass man mit Liebknecht, Luxemburg und Lenin bloß bis Stalin & Co. kommt. Also ist klar: Der solide Sozi ist fürs kompromisslerische brave „Hinaufentwickeln“ im Gesellschaftlichen, und nicht fürs frech flotte „Hinaufschießen“ wie der Genosse nebenan von der Partei Neuen Typs aus der totalitären Abteilung. Da mag man nun kräftig lästern über die Braven mit ihrer gepflegten Meinungsvielfalt auf dem reformatorischen Mittelweg, was die Inszenierung denn auch gut und gerne tut. Zugleich aber verweist sie, man muss es nur hören wollen im Gelächter, scharf und streng auf die anderen Genossen, nämlich die mit der ständig gereckten Faust, die jeden erschlägt, der sie nicht korrekt radikal reckt. So relativiert sich das Braven-Bashing von selbst. Und philosophisch-politische Ratlosigkeit verströmt. Die Regisseure mögen geistreiche Scherzkekse sein, Besserwisser sind sie nicht.

 

Auf die von ihnen eingeworfenen Fragen, was denn heutzutage Links sei, geben sie in ihrem spannend diskursiven Abend klüglich nur läppische, also unbefriedigende und zugleich lachhafte und gerade dadurch sehr nachdenklich machende Antworten. Und wir kapieren immerhin: Wir alle, die halbwegs bei Verstand und also für Fortschritt, Emanzipation, soziale Gerechtigkeit und Frieden sind und uns heftig darum sorgen, wir alle sind Sozis. Und sind zerfressen vom Konflikt zwischen sozialversicherter, warmer Daseinsgemütlichkeit und schlechtem Gewissen. Wobei wir befürchten, dass diese Wärme nicht Bestand haben könnte in dieser kalten chaotischen Welt. Soweit die unfrohe Botschaft. Was uns da bleibt ist das so gottverdammt schwierige, links-rechte Ringen um die richtige rote Linie.

Ausstellungstipp

Sonderlich in diesem Jahr ist der Mai, 70 Jahre nach Kriegsende, zugleich ein Monat des Gedenkens. Auf ganz besondere Weise erinnert eine Ausstellung im Bode-Museum an das grauenvolle Finale dieser mörderischen Jahre und offenbart schmerzliche Nachwirkungen.

 

Hätten zum Beispiel Botticelli, Caravaggio oder Rubens gewisse Großformate bloß ein bisschen reduziert, würden sie noch heute im Bode-Museum hängen. Doch so, wie sie nun mal waren, passten sie nicht in die Förderkörbe vom thüringischen Salzbergwerk Kaiseroda, in deren Tiefen Anfang der 1940er Jahre ein Großteil des Museumsbestands „kriegsbedingt“ ausgelagert wurde. So kamen die sperrigen Spitzenkunstwerke zusammen mit massenhaft anderen Preziosen in den riesigen Flakbunker im Friedrichshain. Dort überstanden sie zwar sämtliche Bombardements. Doch nur wenige Tage nach Kapitulation des Hitler-Staats brach in dem mit Weltklassekunst vollgestopften Betonverließ ein Großbrand aus. Botticelli, Caravaggio, Rubens und Kollegen verfeuert – insgesamt 434 Gemälde. Doch jetzt sind einige davon, wie Phönix aus der Asche und unter fototechnischer Beihilfe (Fotoplatten aus dem Archiv), wieder auferstanden. Als Schwarz-Weiß-Reproduktionen hängen sie, rahmenlos, aber im Originalformat wieder an der Wand. In der Sonderausstellung „Das verschwundene Museum. Die Berliner Skulpturen- und Gemäldesammlungen siebzig Jahre nach Kriegsende“.

 

Es ist eine faszinierende, wenngleich auch höchst traurige Schau. Sie imaginiert noch einmal in einem so grandiosen wie schmerzlichen Aufrauschen, was nicht mehr da ist (allein ein Drittel der Skulpturensammlung). Sie offenbart erschütternd die Leerstellen in der Kunst und Sammlungsgeschichte dieses inzwischen herrlich wieder hergerichteten Museums an der Spree.

 

Ein makabres Kuriosum: Das Repro von Botticellis „Maria mit dem Kind und Leuchter tragenden Engeln" hat als einziges einen pompösen Goldrahmen. Der überstand den Krieg, nicht aber das Werk, für das er einst hergestellt wurde. - Und wir beugen uns über die noch immer faszinierenden Reste der zu Kalk verbrannten Marmorskulpturen; daneben aber strahlen die Gipsabgüsse der verlorenen Originale. Dazu gibt es einen anschaulich an signifikanten Beispielen und mit vielen Materialproben dargestellten Diskurs über Problemlösungen bei der Restaurierung beschädigter Kunstwerke. Sehr lehrreich.

 

Nach der Kapitulation Deutschlands transportierten die Sieger massenhaft Kunst in die USA und UdSSR. Stalin plante, damit ein Weltkunstmuseum einzurichten; die Idee wurde alsbald fallen gelassen. Die Amerikaner veranstalteten in ihren Metropolen die ersten „Blockbuster“-Exhibitions mit Kunstgut aus Berliner Museen; ähnlich die Russen. Beide Staaten gaben die Schätze Ende der 1950er Jahre (freilich nicht ganz vollständig) zurück - auch davon erzählt, politisch so sensibel wie genau, diese Ausstellung. Der eine Teil gelangte nach West-Berlin, der andere in den Ostteil der Stadt sowie in andere Orte der DDR. Vieles verschwand einfach. Die Sowjets, so die Zahlen, nahmen 2,5 Millionen Stück Kunstgut, 1,5 Millionen kamen um 1950 zurück; der Rest verblieb in Russland. Ein so genannter deutsch-russischer Museumsdialog pflegt feinfühlig das „Gespräch“ über das, was wir „Beutekunst“ nennen.

Der Sommer naht, und Bücher sollten sein im Ferienkoffer. Deshalb schon mal ein erster Tipp -

Gerhart Hauptmann und Erkner. Ein Buch für Literatur- und Wanderfreunde

 

Hier, vorm Rand der Reichshauptstadt, lebten Herr und Frau Hauptmann in erster Ehe; hier waren sie sexuell wie literarisch schwer aktiv, hier kamen deren Söhne Ivo, Eckart und Klaus zur Welt. - Es waren „grundlegende Jahre“ in Erkner, erinnert sich der Nobelpreisträger. „Mit der märkischen Landschaft aufs innigste verbunden, schrieb ich dort ‚Fasching‘, ‚Bahnwärter Thiel‘ und mein erstes Drama ‚Vor Sonnnenaufgang‘. Die vier Jahre sind sozusagen die vier Ecksteine für mein Werk geworden“ heißt es in einem rückblickenden Brief zu Weihnachten 1936 an die Gemeinde. Die betreibt seit 1987 mit beträchtlichem Aufwand im „Ecksteinhaus“ (eigentlich Villa Lassen, benannt nach den einstigen Besitzern, die Hauptmanns waren ihre Mieter) ein sehr feines, frisch und geistreich hergerichtetes und mit vielfältigen Veranstaltungen aufwartendes Literaturmuseum zugleich ein zentraler Veranstaltungsort des Städtchens vor den Toren Berlins mit S-Bahn-Anschluss. Das Museum verwahrt wertvollste Archivmaterialien und Bibliotheksbestände und gibt höchst anschaulich und prägnant einen Gesamtüberblick über das von schweren politischen Widersprüchen aber auch künstlerischen Höchstflügen gezeichnete Leben des Ruhmreichen. Die Einrichtung (Möblierung) ist aus dem Teilnachlass des Dichters rekonstruiert worden.

 

Soeben erschien im Verlag für Berlin-Brandenburg ein repräsentativer Museumsführer, der eigentlich sehr vielmehr ist als bloß ein Katalog. Das zeigt sich schon in der Autorenschaft: Stefan Rohlfs, Museumswissenschaftler und so rühriger wie erfolgreicher Direktor des Hauptmann-Hauses, hat sich mit dem Literaturwissenschaftler Robert Schieding zusammen getan. Ihr reich illustriertes Werk bringt ein Porträt des Dramatikers in seiner Frühphase, verweist auf die Umstände seines Schaffens, sonderlich auch die familiären. Obendrein wird das schriftstellerische Schaffen in Bezug zur damaligen Zeit erörtert und Hauptmanns Stellung in der Weltliteratur beleuchtet. Zudem gibt es prima Tipps für herrliche Spaziergänge in Erkner und um Erkner herum. So kann man Hauptmanns Spuren folgen. Pittoreske Heimatgeschichte und große Literaturgeschichte fallen da in eins. Das feine Buch für acht Euro gehört ins Regal eines jeden Märkisch-Oderländers und eines jeden Berliners auch.

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