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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 130

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

11. Mai 2015

Gedenken


Alfred Kerrs kauzige Liebeserklärung an seinen „Freiheitsschwaben“ wurde ich sag‘ das nicht ohne Rührung zum Kalauer der Nation: „Nichts an dir war scheel und niedrig, teurer Schiller, edler Friedrich.“ Just in diesen Tagen gedenken wir seiner in Verehrung; feiern seine Größe in grenzenloser Bewunderung: Denn vor 210 Jahren, am 9. Mai 1805, starb der Mediziner, Dichter, Dramatiker, Historiker und Philosoph Professor Friedrich von Schiller nach zuletzt schwerem und schmerzvollen Leiden in Weimar in seinem bescheidenen Häuschen in der heutigen Schillerstraße, unweit vom Frauenplan, wo sein Freund und Kollege, sein Bewunderer und Konkurrent Goethe fürstlich residierte.

Deutsches Theater

Ziemlich punktgenau zu diesem Gedenktag inszenierte Stephan Kimmig am DT Schillers „Don Carlos“ . Und endlich hatte mal wieder ein Regisseur den Mut, dieses meisterliche Sprachkunstwerk gelassen auszubreiten. Denn Kimmig spulte nicht, wie heute oft üblich, das „dramatische Gedicht“ als Sprechblasen-Comic flott und platt ab. Er nahm sich vielmehr angemessen reichlich Zeit für diesen Schiller-Thriller voller Sehnsucht nach privatem Liebesglück und politischer Freiheit. Knapp vier Stunden braucht es, bis die martialische Staatsmacht – König Philipp II. von Spanien, die Spitzen der katholischen Kirche – wieder blutig triumphiert mit ihrem diktatorischen Status quo, den die höfische Jugend in republikanisch-revolutionärem Furor und im geheimen Bündnis mit dem gequälten Volk endlich hinweg fegen wollte.

 

Knapp vier Stunden! Schon rumorte es im Publikum: Och, so lange… Doch dann: Das Erstaunen war grenzenlos. Man mochte keine Sekunde missen. Atemlose Stille, Hochspannung bis zuletzt. Das Schiller-Historical aus dem 16. Jahrhundert, das Schiller-Drama von 1787 ganz heutig. Im gespenstischen Bühnenbild von Katja Haß. Ein Labyrinth aus Türen, Jalousie-auf-und-zu-Fenstern, Kellertreppen. Ein schleichend rotierender Unort für das Unglück einer unmöglichen Liebe (der alte Philipp, die junge Elisabeth von Valois) sowie das einer verbotenen Liebe (des Königs Sohn Carlos, Elisabeth) und noch das einer unerwiderten Zuneigung (Hofdame Eboli, Carlos). Eine fahle, nüchtern möblierte Zentrale der Bürokratie des Schreckens für das grauenvolle Desaster des Schwärmers Marquis von Posa mit seinem „kühnen Traumbild“ vom neuen Bürgerstaat, das zerschellt an den so unüberwindlichen Realitäten. Und alles sehr gegenwärtig. Immer dicht am Text. Ohne Videoschnipsel, Handys, Pophits, Gehopse und Geblödel, Dekonstruktionen, Fremdtext-Schübe.

 

Der Vorwurf Frontalunterricht zieht nicht. Denn Kimmig vermochte das berühmte Diktum des Ur-Großkritikers Kerr zu erfüllen: nämlich die hohe Klassik-Wortoper „auf Gesprächston“ zu bringen. Die kostbaren Jamben bekommen einen allgemein nachvollziehbaren, zum Mit- und Nachdenken animierenden, also packenden Verständlichkeitston. Die hohe Schule der Sprechkunst. Denke ich da an den sonst meist laxen, läppischen Umgang mit klassischer Dichtung heutzutage, dann ist das bewundernswert…

 

Die Monologe des übermüdeten, einsamkeitskranken, mit schier letzter, zuletzt grausiger Kraft am Thron krampfenden Philipp (Ulrich Matthes) oder die des naiv-jungenhaften Carlos (Alexander Khuon), der versucht, mit heftigen Leibesübungen seine ach so frühen Lebensenttäuschungen zu therapieren, aber auch die Sprech-Arien der verklemmt wütenden Eboli (Kathleen Morgeneyer) und verbittert beherrschten Elisabeth (Katrin Wichmann) – sie alle kommen herzzerreißend rüber in ihrem Chaos aus Wahn, Trotz, Aufruhr, Schmerz, Verzweiflung und Verlorenheit. In der Mitte der handwerklich so gekonnten Regie: Andreas Döhlers Posa: Kerlig, sarkastisch, witzig; verwegener Himmelsstürmer, politisch kluger Pragmatiker, zarter Seelenversteher – ziemlich moderne Figur. Unvergesslich sein verrückt verzückter Freiheitstanz mit Elisabeth.

 

Ja, alle hier reiben sich, jeder auf seine Art, die Herzen blutig in ihrem Unerfülltsein, ihren Sehnsüchten, fatalen Irrtümern, ihren Sturheiten. Tolles Menschentheater, gemacht aus toller Redekunst: Explosiv, hitzig oder streng, ausgekühlt – dabei doch stets greifend ins Universelle. Die scharfen Dialoge – jeder ein hochdramatisches Kammerspiel für sich , die entfesselt Kimmig zu erregenden, teils gar schwer handgreiflichen Redeschlachten. Das Deutsche Theater nach üblen Durststrecken endlich mal wieder auf der Höhe seiner Möglichkeiten; abgesehen von ein paar Banalitäten, die zu vernachlässigen sind.

 

Das letzte Wort aber in diesem unheimlichen Vergeblichkeitsspiel, das hat in eisiger Beherrschung die alles kontrollierende Stasi-Supermacht Kirche Barbara Schnitzler als Großinquisitor wie eine todbringende Beton-Statue des unerbittlich Bösen: „Statt Freiheit Verwesung!“ Es triumphiert der Tod. Posas schöne Utopie im Grab – wie er selbst. Sein Ruf nach Gedankenfreiheit – wie ein Witz; aber folgenreich.

 

(wieder am 14., 19., 29. Mai)

Gratulation Corinna Harfouch

Die Stiftung Preußische Seehandlung vergab gestern im Haus der Berliner Festspiele an der Schaperstraße an die Schauspielerin Corinna Harfouch den Theaterpreis Berlin 2015, der mit 20.000 Euro dotiert ist. In der Begründung heißt es:

 

„Man muss sich mit Geschichten beschäftigen, die einem fremd sind, hat die Harfouch einmal gesagt. Diese verlockende, unsere Seelenräume erweiternde und aufwühlende Fremdheit hat auf den deutschsprachigen Bühnen (und Leinwänden) über die Jahrzehnte hinweg kein klareres Gesicht gefunden als eben das der Corinna Harfouch. Schauspielerei war für sie von Anbeginn ein Würdenberuf. Und diese Würde braucht den poetischen Stoffwechsel mit der Gesellschaft und mit Geschichten, die durch Lebensabgründe hindurch in fremde und freiere Bereiche des Daseins führen. … Die restriktiven Verhältnisse der DDR waren eine Art Treibstoff für ihre Arbeit. Im Wesentlichen aber ging es um eine Not, die erst von Wohlstand und Freiheit aufwärts spürbar wird und von tiefer her rührt. Wie soll man leben? Dieses „Mehr“ an Leben, das sie da entdeckt, wo das Leben einem fremd und unerklärlich erscheint, hat Corinna Harfouch ohne übertriebene Freundlichkeit ganz unwiderstehlich in ihren Figuren freigelegt.“

Hommage RWF - Rainer Werner Fassbinder

Er galt als ein Miststück und war ein Genie, er terrorisierte seine Künstler-Family, feierte Sex and Drugs, brachte deutsches Autorenkino und Hollywood in eins, in Seins – und revolutionierte so unser Kino. Und das Theater gleich mit (gerade gegenwärtig adaptieren zahlreiche Bühnen Fassbinder-Filme). -- Fassbinders Credo: Im Privaten gärt immer auch das Politische. In der Grundierung seiner lebensprallen, unverwechselbaren Menschengeschichten mit Gesellschaftlichem, Zeittypischem gelangen die so beklemmend grandiosen Kunstwerke.

 

Als Rainer Werner Fassbinder 1982 mit nur 37 Jahren starb, hinterließ er 44 Filme und TV-Serien und war weltberühmt. 1969 auf den Berliner Filmfestspielen wurde sein erster Film „Liebe ist kälter als der Tod“ noch ausgepfiffen; kurz vor seinem Tod bekam er von der Berlinale-Jury für „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ den Goldenen Bären. Jetzt, anlässlich seines 70. Geburtstags am 31. Mai, feiert ihn, der mit rasender Energie in den 1970er Jahren gleich die ganze (west)deutsche Kulturlandschaft umpflügte, eine groß angelegte Ausstellung im Martin-Gropius-Bau.

 

Das wilde Wunderkind des neuen deutschen Kinos drehe Filme wie andere Leute Zigaretten, schrieb 1975 der „Spiegel“. Noch besser erfasste die „Stuttgarter Zeitung“ das Wesen dieses Berserkers der Kunst, dieses politisch hellwachen Aufklärers und hypersensiblen Menschenkenners: „Er arbeitet wie andere atmen.“ Beides, das Atmen und Arbeiten, imaginiert die Gropius-Schau. Natürlich mit jeder Menge Filmausschnitten. Mit einer Kostümshow; darunter atemberaubende Roben, die wirken wie eine Verführung (für Lili Marleen) oder wie eine Panzerung (für Petra von Kant). Dazu schicke Kostüme und Hüte der Wirtschaftswunderzeit (für Maria Braun), rosa Flittchenhaftes für Lola oder eine schnittige Uniform nebst Matrosenkluft aus „Querelle“. Die große Kostümbildnerin Barbara Baum („Ich denke immer in Stoffen“) beherrscht perfekt die Kunst, die Figuren dem Charakter und ihrer sozialen Repräsentanz gemäß anzuziehen, also ihr Innenleben in die Sprache der Kleidung zu übersetzen. (Soeben erschienen: „Film/Stoffe. Kostüme: Barbara Baum“, herausgegeben vom Deutschen Filminstitut, Redaktion: Reichmann / Eikebusch, 208 S., 336 Abb., 19,80 Euro. Tolles Buch zum Gucken und Begreifen.)

 

Sonderlich anrührend sind natürlich die gezeigten Memorabilien; beispielsweise die Lederjacke mit dem knallroten Futter und den acht Reißverschlüssen (RWF war nicht zu denken ohne Macho-Leder, hautenge Hosen, weit aufgerissene Hemden – und stets hing die Fluppe im Mundwinkel). Oder das FC-Bayern-Trikot mit der 8 auf dem Rücken (der Spieler-Nummer von Paul Breitner), sein silbernes Rennrad namens „Franzl II“, die Schreibmaschine „Triumph“, die Filmkritik für seine Aufnahmeprüfung 1966 an der Berliner Filmhochschule zu Godards „Vive sa vie“, in der der damals 21-Jährige das von Montaigne stammende und ihn offensichtlich bewegende Film-Motto umspielt: „Man muss sich den anderen hingeben und sich selbst treu bleiben.“ Neben diesem Text unter Glas in der Vitrine der Ablehnungsbescheid so viel zum Gespür von Kunsthochschulen für Talente. Unweit davon - Zeitsprung auf gut ein Jahrzehnt später das Aufnahmegerät, in das RWF das Script der 78-Stunden-Fernsehserie (14 Folgen) nach Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ diktierte, fehlerfrei und immer nachts. Tags darauf tippte es seine Mutter in die Maschine (sechs Wochen Arbeit für den „lieben Rainer“). Und schließlich der Flipperautomat aus der Münchner Wohnung, in der RWF am 10. Juni 1982 durch das Zuviel von Chemie im Leib an Herzversagen starb.

 

Selbstredend vermittelt die Schau auch Einblicke in Fassbinders Arbeitsweise. Ein schier sagenhaftes Beispiel: Das A4-Blatt mit dem kompletten Drehplan über 30 Tage mit 27 Schauspielern, akribisch von Hand geschrieben in einer Tabelle – der animalische Chaot im (privaten) Alltagsleben war zugleich perfekt strukturiert und ein konzentrierter Manager seiner Kunst.

Filmtipp

Parallel zur Ausstellung, die bis zum 31. August läuft, gibt es im Kino den Dokumentarfilm „Fassbinder“ von Annekatrin Hendel. Die Regisseurin geht autobiographisch vor, lässt RWF vielfach selbst zu Wort kommen, bringt bisher unveröffentlichte Passagen aus dessen schriftstellerischem Frühwerk und Ausschnitte aus seltenen Interviews mit RWF. Dazu aufschlussreiche Aussagen seiner Stars – Hanna Schygulla, Irm Hermann, Margit Carstensen – sowie seiner Weggefährten, Freunde, Förderer wie Harry Baer, Thomas Schühly, Günter Rohrbach, Volker Schlöndorff und Juliane Lorenz, seine Cutterin und letzte Lebensgefährtin, heute Chefin der Fassbinder-Foundation, die das verzweigte Erbe hütet.

 

Die nicht unerheblichen Probleme dieser Nachlassverwaltung spart Annekatrin Hendel aus (deshalb keine O-Töne von Michael Ballhaus, Volker Spengler oder Ingrid Caven). Und doch gelang ihr, alles in allem und in aller gebotenen Kürze, eine sehr informative Kunst-, Kultur- und Lebensgeschichte. Man kapiert, wie das Phänomen RWF tickt. Man ahnt, wie es sein konnte, dass dieser Künstler die deutsche Nachkriegs-Wirtschaftswunder-Gesellschaft derart schmerz- und wahrhaft porträtieren konnte – auf dass alle Welt sie begriff. Und woher dieser selbstquälerische Charismatiker, Träumer, Verführer und hoch gebildete Alleskönner, dieser feine Dichter, unerbittliche Schwerstarbeiter, Radikalist und Perfektionist seine Wut nahm, den Glauben und die Durchsetzungskraft aber auch das Wissen, um das zu werden, was er auf so unvergessliche, schrecklich bewundernswerte, letztlich den frühen Tod bringende Art war.

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