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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 95

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

8. September 2014

Flotter Dreisprung


Noch kurz vor diversen Berliner Premierenterminen habe ich – flotter Dreisprung kurz mal reingeschaut in die Probenbetriebe, denn: Ich bin jetzt fix auf ein paar Tage verreist; zu Napoleon auf Elba und zu Michelangelo in Florenz. Hier meine Impressionen und Prognosen...

 

Berliner Ensemble

 

Nach Leander Haußmanns spektakulärem, dabei überhaupt nicht flachgeistigem „Hamlet“ mit dem supertollen Christopher Nell in der Titelrolle, schon der allein ein Ereignis, also nach „Hamlet“ nun „Woyzeck" . Georg Büchners Fragment, dessen geniale Szenenfolge, die hat Haußmann ergänzt mit Sentenzen aus anderen Texten von Büchner, sonderlich solchen, die von der Absurdität unseres Daseins sprechen. Und er inszeniert wie schon bei "Hamlet" in Richtung Große Oper, wüstes Spektakel. Die Sache kann, wenn am Ende alles gut wird, ein schwerer Hammer werden – doch noch, auf einer Probe, wackelte der Hammer gefährlich am Stiel. Er kann womöglich auch kräftig danebenhauen. Hoffen wir das Beste. Eine Woche vor der Premiere gab es nämlich noch sehr viel zu tun. Die angesagte Drei-Stunden-Probe wurde nach zwei Stunden abgebrochen vor dem großen Show-Down, der Ermordung Maries. Also da kommt noch ein grandioses Überwältigungs-Finale. Wäre zu wünschen.

Die Titelrolle gibt Peter Miklusz als geschlagener Hund, neurotisch, juckig, traurig und für meinen ersten Eindruck (noch?) ein bisschen blass. Die Marie macht Johanna Griebel als dralles, freches Sexy-Girl, ein bisschen einfältig, aber immerhin ahnungsvoll hinsichtlich der schlimmen Dinge, die das Dasein womöglich bringt – ihr selbst wie der Welt überhaupt.

Die eigentliche Hauptrolle in diesem enorm bildmächtigen, mit süffigen Popsong-Klassikern gespickten Woyzeck-(End-)Spiel ist eine Kompanie von drei Dutzend Soldaten, die martialisch aufmarschieren und sich entsprechend austoben – die Hauptrolle also gibt die uniformierte, manipulierte, so angstvolle wie gewaltbereite Masse Mensch (hier: als Masse Mann; oder auch: der Mann als Täter, als Opfer). Man weiß schon sehr bald in dieser dröhnenden, dampfenden, irrlichternden, für Momente auch unendlich zarten Inszenierung: Der Universalität des Büchner-Textes will die Haußmann-Regie nicht nachhinken. Im Übrigen: Zum zirzensischen wie transzendenten Teil dieses Abends gehört der Auftritt eines schönen, gutmütigen und vor allem lebendigen Pferdes – falls es sich das nicht noch anders überlegt.

Schlossparktheater

Dieter Hallervordens nunmehr bereits sechste Spielzeit seit der rühmlichen Wiederbelebung seines Schlossparktheaters (Lob fürs Durchhalten!) beginnt mit französischem Boulevard, prickelnd ins Deutsche übersetzt vom frankophilen Direktor höchst selbst. Titel „Die Selbstanzeige" , Autor Francis Veber.

Ich muss sagen, man wundert sich, dass solcherart entlarvend witzige wie ansteckend vergnügliche und immer exzellent „gebaute“ und so gut gebräuchliche Dramatik hierzulande so wenig heimisch wird. Liegt’s am germanischen Bierernst? Schon „Der Lügenbaron“ von Eric Assous mit einem klasse Ensemble sowie einem klasse Ensemble-Star namens Désiré Nick (Hallervorden ist nicht nur ein prima Stücke-Entdecker, sondern ein ebensolches Besetzungsbüro), also schon „Der Lügenbaron“ war mir ein großer Spaß mit allerhand ernstlichen Bezüglichkeiten; steht noch bis Oktober im Programm des Schlossparks.

Und nun brandneu „Die Selbstanzeige“ in deutschsprachiger Erstaufführung, eine heftig das Groteske streifende Komödie über einen arbeitslosen armen Hund, der durch eine fingierte Selbstanzeige beim Steueramt auf sein beschissenes Dasein aufmerksam machen will – denken doch nunmehr all seine verflossenen Freund- und Liebschaften, Monsieur Pignon sei insgeheim ein reicher Kerl, weshalb alle Welt sich plötzlich um ihn bemüht, um an dessen vermeintlich dicke Knete zu kommen. Ziemlich witzig, sehr beziehungsreich.

„Nasenhaarschneider sammeln, Langstreckenschwimmen, Kinder zeigen. Ich habe in meinem Leben schon alles Mögliche gemacht – aber Theater habe ich noch nie gespielt“, sagt Wigald Boning alias Pignon, der Hauptdarsteller, über sich. Der prominente Komiker und TV-Moderator hat also im Schlosspark sein Debüt als Theaterschauspieler. Und: Er macht es wunderbar; er hat Ausstrahlung, er zeigt Charakter, ist sehr viel mehr als bloß eine sympathische Fernseh-Ulknudel. Eine Entdeckung, das kann ich schon sagen nach nur ein bisschen Kiebitzen auf der Fotoprobe.

Neben Wigald Boning diesmal gleich noch ein Theater-Debüt: Der TV- und Radio-Moderator Thomas Koschwitz als lakonisch trockener, aber saftig eloquenter Finanzberater Maurice. Zwei tolle Theater-Frischlinge (Toitoitoi!) liefern gemeinsam mit dem quicken Ensemble unter Regie von Thomas Schendel (der auch den „Lügenbaron“ erfolgreich inszenierte) – wenn nicht noch alles schief geht – einen neuen Hit für Didis Steglitzer kleine Weltbühne.

Theater am Kurfürstendamm

„Heiße Zeiten“ hieß die sensationell erfolgreiche Revue der Firma Euro-Studio Landgraf mit vier Damen, die sich mit viel Witz und Sarkasmus und vornehmlich singend über ihre Wechseljahre lustig machten; das war vor knapp einem Jahr. Jetzt steht mit „Höchste Zeit!" die Fortsetzung an. Wobei nun nicht mehr (oder nicht nur) die Hormonexplosionen im Mittelpunkt stehen, sondern der Männerfang. Jetzt soll, immerhin im fortgeschrittenen Alter jenseits der 50, geheiratet werden. Entsprechende Turbulenzen sind da vorprogrammiert. Aber alles bleibt beim furios bewährten Rezept: Die deftig ironische Selbstreflektion, die pfiffigen Intrigen, komischen Missverständnisse sowie das Herz-und-Schmerz-Chaos, all das teilt sich unter der schmissigen Regie von Katja Wolff vorwiegend musikalisch mit. In wirklich geistreich und sogar herzhaft böse von Carsten Gerlitz neu getexteten und geschickt für eine Live-Band neu arrangierten Ohrwürmern der internationalen Popmusik von Cher bis Baccara, Stevie Wonder bis Maggie Mae. – Und hier die kostbaren, so gelenkigen wie stimmgewaltigen und nicht zuletzt im Showbiz wie im Leben erfahrenen Bestandteile des Quartetts der Ladies im späten Hochzeitsrausch: Angelika Mann, Heike Jonca, Franziska Becker und Nini Stadelmann. Da geht die Post ab. Da rast die Hitmaschine, das weiß man schon nach einer halben Stunde Probe-Gucken.

Filmtipp

Noch bevor die dicke Welle der Neuproduktionen über die Bühnen schwappt, zur frühherbstlichen Entspannung ein kleines, frech in die Kamera gedonnertes Filmchen für Leute mit zumindest leicht abgefahrenem Humor. Schon der auf den ersten Blick kesse, auf den zweiten ziemlich treffliche Titel sagt fast alles über Inhalt und Machart dieses Streifens von Isabell Suba: „Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste“ . – Ich habe oft gelacht und noch öfters die Stirn gerunzelt bei diesem bissigen Blick hinter die Kulissen des welttollsten Filmfestivals in Cannes.

Da rast eine Jungregisseurin Isabell, gespielt von Anne Haug, gemeinsam mit ihrem Produzenten, gespielt von Matthias Weidenhöfer, durch die Büros einschlägiger Förderungsgremien und Vertriebsagenturen, eilt von Pressetermin zu Pressetermin, schluckt sich durch die fetzigen Premierenparties, um ihr neues Projekt zu „pitchen“. Dabei geht es drunter und drüber (organisatorisch, geistig, sexuell). Fast alles geht schief: kleine Euphorien, größere Depressionen. Dazu Kräche ohne Ende zwischen der lesbischen Regisseurin und ihrem beruflichen Partner, einem süßen Chaoten mit feinen Tattoos und „beständig wedelndem Penis“.

Aber Achtung! Der 77-Minuten-Film ist kein Porno, sondern eine Quasi-Doku. Die echte Regisseurin Suba nutzte ein Cannes-Ticket, um mit ihrer halbfiktiven Filmfigur, eben der Jungregisseurin Isabell-Anne Hugh, durch die Festivalitis zu streunen. Das brachte sarkastische Bilder in echt über diesen Riesenzirkus an der Cote Azur von oben (Glamour) und von unten (Geschäft, Enttäuschung, Erniedrigung, Katerstimmung). Man sieht, was offenbar Sache ist: Männer zeigen das, Frauen jenes. Machobetrieb! Außerdem kommt über äußerst witzig pointierte Dialoge allerhand rüber von dem, was da – intellektuell abgeht zwischen jungen, aufstrebenden Leuten, die Filmkunst machen wollen, aber noch nicht genau wissen, wie das geht und obendrein schlampert organisiert sind. Kleiner Blick ins geistige Nähkästchen vom ehrgeizigen Nachwuchs – und arroganten Establishment. Und man ahnt, wie ein Erfolg organisiert werden muss oder sollte. Alles nicht ganz einfach, besonders, wenn man noch keinen Fuß drin hat im knallharten Business. Übrigens: Künstlerische Stütze für diesen Wasserstandsbericht aus dem beruflichen Grabenkampf gab die Babelsberger Filmhochschule. Prima Professoren haben die dort!

 

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