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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 92

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

23. Juni 2014

Toller Vierer in schwerer Not

Wer sie noch nicht kennt, sollte sich gelegentlich auf die Socken machen, sie kennenzulernen. Es warten Entdeckungen, womöglich auch Irritationen, in jedem Fall aber überraschend Neuartiges. Die Rede ist von vier mittlerweile über Berlin weit hinaus bekannte Truppen der Freien Szene, die dazu da sind, Neuartiges, Unerhörtes, Ungewöhnliches, vermeintlich Unmögliches zu erforschen und erproben. Labor-Charakter, doch in den gegebenen Fällen darf man sagen: weithin anerkannter, sozusagen schon berühmter, im Handwerklichen längst höchst professioneller Laborbetrieb.

 

– Als da sind erstens:

 

Das Solistenensemble Kaleidoskop. Da wird Musiktheater gemacht zwischen Konzert und Performance, Neuer Musik und Installation – die Fachschaft spricht von einer „europäischen Avantgarde-Größe“; mittlerweile ein attraktiver Festposten des Berliner Kulturexports.

 

Zweitens: Die Tanztruppe Rubato, eine der ältesten freien Compagnien der Stadt mit ihren, wie es heißt, radikal ästhetischen Setzungen.

 

Drittens: Die Zeitgenössische Oper Berlin mit Projekten, die meist an originellen und pittoresken, zuweilen spektakulären Orten der Stadt gezeigt werden.

 

Viertens: Die Vierte Welt, das, so die Kennerschaft, wohl „diskursstärkste Projekt der Freien Szene“ – auf einem Brettel in einem Hochhaus am Kottbusser Tor. Ihr Chef, Dirk Cieslak sagt, Innovation sei das Kerngeschäft des Freien Theaters. Wenn das nur noch produktorientiert und also auf Quote und Einnahmen hin arbeite, sei es einfach nur Dienstleister und Teil der Kulturindustrie. Womit er total Recht hat.

Aber jetzt kommt der Hammer: Die Jury, die entscheidet, welche Freie Truppe die auf jeweils zwei Jahre ausgelegte staatliche Basisförderung erhält (daneben gibt es die Projektförderung sowie die auf vier Jahre angelegte Konzeptförderung), hat ausgerechnet jenen vier Truppen diese Stützung verweigert, wohl wissend, dass der Etat der Konzeptförderung längst verteilt ist. Wahrscheinlich meint man, wer so erfolgreich ist wie dieser Vierer, kann sich auch auf dem freien Markt behaupten – was selbst erfolgreichen Einrichtungen der Hochkulturszene unmöglich ist ohne Staatsstütze. Wir protestieren! Denn mit der Verweigerung der finanziellen Beihilfe setzt man die Fortexistenz der tollen Vier aufs Spiel. Das ist kulturpolitisch irre und setzt völlig falsche (rückwärtsgewandte) Zeichen.

Gedenken in Liebe

Ein unbedarfter kleiner Kaufmann, geboren am 26. Juni vor 110 Jahren in der österreichisch-ungarischen Provinz, kam als Jüngling karrierehungrig und spielwütig (Theater!!) nach Berlin, Europas Kunsthauptstadt. Dort traf er Brecht, der ihn für das neue Stück seiner Freundin Fleißer empfahl: den so verklemmten wie hysterischen Dorftrottel Fabian in „Pioniere in Ingolstadt“ (1929).

 

„Ein neues Gesicht ist da, ein fürchterliches Gesicht“ schwärmten die Kritiker. Und attestierten dem 25jährigen Peter Lorre, er sein ein Schauspieler „ersten Ranges“. Schon zwei Jahre später war er auch international ein Star: Mit der Hauptrolle in Fritz Langs erstem deutschen Psychothriller „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“.

 

„Meine beste Empfehlung war immer schon, dass ich nicht wie ein Schauspieler aussehe“, sagte Lorre. Der sehr gut wusste um das Geheimnis seiner unvergleichlichen Wirkung und seines enormen Erfolgs. Äußerlich war er unattraktiv: klein, dicklich und mit traurigen Glubschaugen. Das taugt nicht fürs Heldische, aber fürs Unheimlich-Unerklärliche. Nach dem Welterfolg „M“ gab Lorre in mehreren Ufa-Filmen den Mörder vom Dienst. Propagandaminister Goebbels machte ihm später ein großes Angebot. Doch Lorre, der jüdische Kaufmannssohn Laszlo Löwenstein, schickte aus der Emigration ein Telegramm: „Für zwei Mörder wie Hitler und mich ist in Deutschland kein Platz.“

 

1941 wird Peter Lorre US-Bürger, spielt in Klassikern wie „Malteser Falke“, „Arsen und Spitzenhäubchen“, „Casablanca“. 1950 versucht er ein Comeback in Deutschland, scheitert, kehrt tief deprimiert und außerdem kränkelnd nach Hollywood zurück. „Ich filme, bis ich sterbe.“ Er tat es eines Tags vereinsamt und korrekt nach Drehschluss eines Films.

Ausflugstipp Doberlug

Sagt König August III. von Sachsen zu seinem Premierminister: „Brühl, weißt du was? So muss es in die Annalen eingehen: Die Preußen Soldatenkönige; die Sachsen: Kunstkönige.“ Und so ging es denn auch ein in die Historien-Plauderbücher, womit der Unterschied zwischen beiden Königreichen und zudem ein süffiges Klischee auf den Punkt gebracht ist.

 

Der berühmte Satz vom berühmten Sohn Augusts des Starken an Reichsgraf Heinrich von Brühl, nach dem die später weltberühmte Terrasse am Dresdner Elbufer benannt wurde, ist ein Zitat aus dem TV-Mehrteiler „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“, der in amüsanten Geschichten die spannende Geschichte der Rivalitäten zwischen Preußen und Sachsen erzählt; heute abrufbar auf Youtube. Mit dieser angeblich teuersten Produktion des DDR-Fernsehens, die auch international ein großer Erfolg war, zielte man „innenpolitisch“ auf landsmannschaftliche Identitätsfindung, was damals, Mitte der 1980er Jahre, eine Novität war. Hatte man doch schon bald nach Gründung der DDR die Länder aufgelöst zugunsten der Bildung kleinteiliger Bezirke, die so wenig geeignet waren zur Stiftung von Identität wie es die ihrem Untergang entgegen taumelnde DDR war.

Jetzt endlich gibt nach dem Muster anderer Bundesländer, die mit finanziell üppig ausgestatteten kulturgeschichtlichen Ausstellungen die regionale Identität festigen und obendrein dem Tourismus Beine machen wollen, jetzt endlich gibt es auch in Brandenburg eine so genannte Landesausstellung (die erste!); ihr Thema: „Preußen und Sachsen. Szenen einer Nachbarschaft“. Ihr Ort: Das in strahlendem Weiß prunkvoll wieder hergestellte Renaissanceschloss Doberlug (zu DDR-Zeiten war es NVA-Kaserne), einer einst respektablen Nebenresidenz der Wettiner im südlichen Brandenburg. Die üppig ausgestattete Rück-Schau erinnert zwei Jahrhunderte nach dem Wiener Kongress an die sächsischen Wurzeln Preußens. War doch die Gegend zwischen Elbe und Elster bis 1814 sächsisch! Erst als 1813 die Wettiner fatalerweise weiterhin zu Napoleon hielten, wurde nach dessen Niederlage am grünen Tisch in Wiens Hofburg – ein Ausstellungsexponat! der strafende Gebietsabtritt beschlossen: Der Norden Sachsens wurde preußisch. Womit die Wettiner noch Glück hatten in ihrem Unglück: Um ein Haar wäre ganz Sachsen von Preußen annektiert worden.

Vor diesem der Allgemeinheit eher wenig bekannten Hintergrund beleuchtet die vom Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte konzipierte Großausstellung erstmals und detailreich das politisch und vor allem kulturell so überaus reiche, von Konkurrenz und Koexistenz geprägte Beziehungsgeflecht dieser beiden jeweils auf ihre Art weltberühmten deutschen Staaten.

Doberlug, wie sein opulentes Schloss gegründet 1664 (vom Kloster der Zisterzienser 1165 ist noch die ebenfalls jetzt fein restaurierte Kirche erhalten), dieses abseits der Touristenströme liegende Landstädtchen ist heutzutage wohl höchstens Durchreisenden bekannt als Bahnknotenpunkt "Doberlug-Kirchhain" etwa in der Mitte zwischen Berlin und Dresden. Nun aber wird es nicht nur für Berliner höchste Zeit, dies hübsch herausgeputzte Nest mit ziemlicher Vergangenheit zu inspizieren – die Glanz-und-Gloria-Schau gibt die passende, so unterhaltsame wir lehrreiche Gelegenheit (bis 2. November).

Also auf ins Elbe-Elster-Land, doch zuvor feiern wir kommenden Samstag das FVB-Sommerfest in der Ruhrstraße 6. Natürlich bin ich mit von der Partie-Party und freu mich, wie alle Mitarbeiter und auftretenden Künstler, auf Ihr Kommen!

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