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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 9

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

5. November 2012

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz


Stellt euch vor, es ist Castorf-Premiere und die Volksbühne nicht ausverkauft – wie jetzt zur Adaption von Dostojewskis Prosastück „Die Wirtin“. „Man kann nicht durchgängig Erfolg haben“, sagt der große Zampano. Dabei ist seine inzwischen sechste Dostojewski-Bearbeitung kein Flop, aber eben auch kein echter Hit. Die „Wirtin“-Novelle dieses Typus von Autor, in dem „der Heilige und der Verbrecher eins werden“ (so Thomas Mann über Dostojewski), dieses surreale Gedankenspiel über russisch-mystische Wahnsinnsfiguren (ein höllischer Dreier mit einer jungen Schönen, Kathrin Angerer, zwischen zwei Kerlen, Marc Hosemann & Trystan Pütter), dieser monologisierende Text voller ex- und implodierender Leidenschaften mag fantastische Literatur sein, fürs Theater taugt er kaum. Es fehlt ein ordentlicher Plot, und so bleibt die Veranstaltung weitgehend kryptisch. Aber immer vehement theatralisch: 200 Minuten ausgetüftelte schauspielerische Rasereien der Entgrenzung, suggestiv videogestützt (wie im Kino des David Lynch!). Eine Eruption hetzt die andere – ein Irrsinnstanz zwischen Schrei und Stille. Und immer wieder die zum Himmel wie zur Hölle weit aufgerissenen, keusch-geilen Augen der Angerer. Ein von Bert Neumann signifikant ausgestattetes artistisches Hochleistungstheater. Die hohe Castorf-Schule – vornehmlich für deren Kenner und Liebhaber.

Maxim Gorki Theater

„Eine Laborgeburt mit dem Samen von Stalin und Stanislawski“, eine der wenigen trefflich-sarkastischen Bemerkungen auf der ansonsten tranig erinnerungsseligen 60-Jahr-Feier des Gorki-Theaters. Doch es sei ja nicht alles schlecht gewesen, auch wenn es schlecht anfing als damals, anno 1952, Ulbricht den Aufbau des Sozialismus befahl. Und seine SED aus allen kulturpolitischen Rohren schoss gegen „westlichen Existenzialismus“, „dekadenten Kosmopolitismus“ und „spätbürgerlichen Modernismus“. Lauter böse Sachen, die der DDR-Kunst schaden. Das ging auch gegen den Brecht-Betrieb, gegen dessen Zeige-Theater (wie die Verhältnisse zu ändern sind), dessen Verfremdung (keine richtigen Menschen, bloß V-Effekte). Ein sozialistisches Modelltheater musste her für den Sieg im Klassenkampf! Also wurde das „Gorki“ gegründet in der ehemaligen Singakademie, wo einst Furtwängler dirigierte und Marlene Dietrich mit Hollaender am Klavier ihre erste Schallplatte aufnahm („Ich bin von Kopf bis Fuß …“). Von nun an regierte hier also Stanislawskis naturalistisches Psycho-Dogma: Einfühlung, Identifikation (nur richtige Menschen auf der Bühne). Das politisch auf Bestätigung der Verhältnisse orientierte „Gorki“ war vor allem auch der Gegenentwurf zu Brechts politisch-kritischem Berliner Ensemble. Das „Gorki“ voll von Holzhammer-Propaganda mit Sowjet-Dramatik, mit Stücken sozialistischer Bruderstaaten und aus DDR-Produktion, dazu Stanislawski pur und stur – für diesen Eintopp fand das Volk, der große Lümmel, schnell den Gorki-Aufkleber „Geltungsbedürfnisanstalt“. Deshalb wurde schon unterm streng linientreuen Erst-Intendanten Maxim Vallentin zaghaft versucht, die gestrenge Linie ein klein bisschen aufzuweichen. Genosse Albert Hetterle, Intendant seit 1968 (bis 1994), setzte diese Mühseligkeit fort. Mit stark wechselndem Erfolg. Und in den 1980er Jahren mit dem Engagement der für neue poetische Spielweisen stehenden Geheimtipp-Regisseure Rolf Winkelgrund und Thomas Langhoff („Drei Schwestern“, „Die Übergangsgesellschaft“). So wurde „das kleine Theater mit dem großen Komplex“ doch noch zur ernst zu nehmenden Kunst-Bude. An diese relativ gloriose DDR-Endzeit erinnerte man sich zum Geburtstagsfest (mit Prosecco für alle) derart hingebungsvoll, als wäre in den zwei Jahrzehnten danach unter Wilms, Hesse, Petras nichts los gewesen. Dafür schwelgte man drei Stunden lang und oft verklärend im DDR-Präteritum mit ausgefranstem Gerede geladener Altstars sowie zahlreichen, meist unkommentierten Filmschnipseln. Bis zuletzt doch noch der sich neigenden Petras-Ära gedacht wurde mit einem großen Kurzauftritt von Fritzi Haberlandt und Peter Kurth. Vielleicht gelingt ja beim nächsten Jubiläum der cool rasende Revue-Ritt durch die Epochen.

Am Vorabend des ausgeleierten Gedächtnisabends lallte Rainald Grebe im Gorki sein „Dada Berlin“. Dada, so die Ansage, sei alles oder nichts. Bei Grebe als noch immer überschätztem Theatermann wurde es: Nichts! Alles zusammenkleistern, was einem eitel herum blödelnd so grad einfällt zum Einst und Jetzt, zu Politik und Kunst, Zeitgeist, Berlin und dem Weltzustand, das macht noch lange kein Theater. Sondern Langeweile mit wirr herum kreischendem Trallala.

Vaganten Bühne

Abteilungsleiter Adam Krusenstern überlebt als einziger den Rausschmiss-Tsunami der neuen Betriebsführung. Die nun hat den honorigen Familienmann eingeladen ins Gästehaus der Firma. Er denkt an Fachgespräche, doch das neue Management tickt diametral anders als der Alte. Keine Zielorientierung, kein Anforderungsprofil, nur lockerer Spaß. Denn gerade der Mangel an Vorgaben ist ihr perfide neoliberales Prinzip der Steigerung des Leistungsdrucks. Was den auf konkrete Normerfüllung trainierten alten Adam (Jörg Zuch) verrückt macht. Er wankt zwischen Selbstbehauptung, Flexibilität, Anpassung und schlägt letztlich in der Konfrontation mit einer ihm völlig undurchsichtigen, irrationalen Unternehmenskultur aus Angst, Hass und Verzweiflung wie wahnsinnig um sich. Doch die oberschlauen Unternehmer-Schnösel Johann Fohl, Manolo Palma, Sann Schnapp nebst süß-doofer Assistentin Alex Anasuya erkennen durch diese Wut-Attacke den kreativen Feind im neuen Betrieb und feiern das Fossil der „Old School“ als künftigen Leistungs-Stimulator. Oder war das alles nur Adams Alptraum? „Die Firma dankt“ heißt das amüsant erschreckende Arbeitgeber-Psychospiel mit einem Arbeitnehmer-Frustbolzen von Lutz Hübner. Er ist einer unserer gegenwärtig meist gespielten, potentesten zeitgenössischen Autoren (im Grips-Theater läuft sein ätzend kritisches Wahnsinns-Stück aus dem Schulmilieu „Frau Müller muss weg“). Regisseurin Bettina Rehm hat Hübners tollkühnen Firmen-Diskurs über Old- und New-Economy gekonnt leichthändig sowohl ins Tragische als auch ins Absurd-Groteske getrieben. Im schlagend einfachen Dschungel-Bühnenbild von Julia Hattstein. Die Unmenschlichkeiten einer „neuen Unternehmenskultur“ werden so ernüchternd komisch aufgeblättert wie die zwingende Frage, inwieweit klassisches Normerfüllen noch das innovativ Normsprengende zulässt. Eine Farce vom Feuern und Heuern. Und ein ernstes Denkstück. Die kleinen „Vaganten“ mal wieder ganz groß! Der Blogger dankt ...

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