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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 83

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

22. April 2014

Schlossparktheater


Bernard und Philippe sind ganz, ganz dicke Freunde, dabei von höchst gegensätzlichem Naturell. B. mimt den supertollen Hecht, haut protzend auf die Kacke, hängt aber von seiner reichen Gemahlin Nelly ab (Ehevertrag mit Gütertrennung). Und er vögelt heimlich Soraya, was ihn in die Bredouille bringt. Zum einen beschwert die sich, dass er beim Orgasmus bloß still sich abrackere, anstatt lustvoll zu stöhnen; zum anderen ist sie von ihm schwanger und droht, das Verhältnis offen zu legen. - Philippe hingegen ist schüchtern und gutmütig bis zur Dämlichkeit, lebt seit langem mit Freundin Alice zwar brav, aber nicht recht glücklich zusammen.

 

Soweit zwei klassisch-bürgerliche Ehe-Konstellationen mit ihren klassisch-erotischen „kleinen Abnützungskoeffizienten“, wie B. das mit dem Stöhn-Stöhn nennt, das ihm bei seinem vermeintlich harmlosen Seitensprung („man sagt ‚Ausrutscher‘“) plötzlich so existenzbedrohend auf die flotten Füße zu fallen droht. Weshalb er, angstschlotternd in die Enge getrieben, Philippe bequatscht, die Chose mit Soraya auf sich zu nehmen, womit das große Chaos aus exorbitanten Lügen und arger Verzweiflung unter den Paaren programmiert ist. Und mithin das Thema der mit galligem Witz und verrückter Situationskomik durchgespielte Thema der Komödie „Der Lügenbaron“ vom französischen Star-Autor Eric Assous, die der francophile Chef des Schlosspark-Theaters, Dieter Hallervorden, trefflich saftig ins Deutsche übersetzt hat. Und die von Thomas Schendel derart gekonnt in Szene gesetzt wurde, dass ihre beträchtlichen Dimensionen zwischen leidvoller Bitternis und schamlosem Zynismus fein zum Tragen kamen – wie auch ihr Vortrieb ins Aberwitzige.

 

Eine Komödie im Schwebezustand zwischen Klamotte und Farce. Ein Kunststück, das freilich nicht ohne das prima Ensemble gelang. Wobei Marko Pustisek als Lügenbaron Bernard im Mittelpunkt steht. Dabei mag er womöglich zunächst heimlich-identifizierende Sympathien im männlichen Teil des Publikums kassieren. Letztlich jedoch steht er ertappt und seines Mackertums entblättert im Regen – eine Fallhöhe, die er überzeugend meistert.

Ihm zur Seite Désirée Nick als Gattin Nelly: eine teuflisch selbstironische Sexbombe. Beherrscht doch die langbeinige Göttin schamlosen Krawalls als Schauspielerin (wie erfahrene Philosophin) ganz lässig und mit zartem Gelispel die bösen Pointen des Lebens. Jetzt hatte sie wiederholt Gelegenheit dazu; wie schon unlängst im Schlosspark als knallharte Verlegerin in „Ein Mann fürs Grobe“.

 

Pustisek ist als „bester Freund“ das erpresserisch verlogene Ekelpaket, letztlich ein elendes Würstchen auch als Ehemann und Fremdgeher. Und Effenbergs Philippe ist sein skrupulös mitmachender Depp; mittendrin in diesem Doppel die Nick das schlaue Weib, das immerzu eine Ahnung hat von der hässlichen Wahrheit, die hinter der biederen Fassade ihrer und nicht nur ihrer Ehe schwelt, das Entrüstung vorspielt, sich aber am Ende cool abfindet mit dem gewissen Quantum Mumpitz, ohne den, um mit Fontane zu sprechen, im (Ehe-)Leben halt nichts läuft. Klasse Casting (Birger Funke ist Alice, Isabella Redfern die Soraya) für einen grellen, zugleich ziemlich schwarz gerahmten Abend.

Zu Recht großer Jubel! Das Schlosspark, einst mit allerhand Flops, nunmehr auch ein Hit-Macher auf dem Berlin-Boulevard. In scharfer Konkurrenz zum Renaissance-Theater, zu den Kudamm-Bühnen. (wieder 24. bis 30. April)

Tipi am Kanzleramt

Wer über Ostern Zoff hatte mit dem(n) liebsten Hasen, der sollte schnurstracks ein Billett ordern für Gayle Tufts im Tipi. In ihrem gewitzt deutsch-englischen Kauderwelsch plappert die mit Grips, Sentiment und Ironie reichlich begabte Plaudertasche ganz zauberhaft und ungeniert bissig über die Liebe sowie die damit einhergehenden Zustände. Also lustvolles Prickeln, juckende Ruhlosigkeit, Schweben überm Erdboden und Schmerz im Herz. So etwa die sehr ernste Angelegenheit. die zugleich allerhand komische Seiten hat. Zwar alles keine Neuigkeiten, trotzdem gibt’s viel zu lachen, zu kichern und mitzufühlen. Ziemlich auffrischend, falls sich da (über Ostern) etwas verspielt haben sollte.

 

Doch die gute Gayle macht natürlich keinen Liebesworkshop, so hingerissen sie auch spielt, beispielsweise mit tiefsinnig-schönen Vokabeln wie „Glückseligkeit“. Die gute Gayle macht vielmehr Entertainment! Macht eine imperativ mit „Love!“ betitelte tolle Show.

Also verkleidet sie sich zwischendurch, Ulknudel, die sie auch sein kann neben ihren Berufungen als Philosophin, Lebenskundlerin, Tänzerin (gern etwas selbstironisch tapsig trippelnd) und Sängerin mit fulminanter Röhre, Gayle also verkleidet sich („ich bin eine realistische Romantikerin“) schnell mal zwischendurch als Biene Maja, um sich hopsend und trällernd in Frühlingsgefühlen zu aalen. Dann plötzlich wirft sie sich nieder, um auf dem Boden strampelnd mit „Without you“ die irre Parodie einer unglücklich Verlassenen zu mimen. Schreiend komisch!

 

Überhaupt die Musik! Marian Lux hat die geballte Sammlung diverser Welthits der Popgeschichte mit romantischem Touch raffiniert neu für Klavier und Streicher-Trio arrangiert („Strings de luxe“ als Special Guest). Gelegentlich läuft da, neben dem Parodistischen, der Laden auf zur großen Oper. Und der genialische junge Herr Lux ist zugleich in allen (Extrem-)Situationen Tufts feinfühliger Begleiter am Flügel – und überhaupt der beflügelnde musikalischen Leiter der herzigen Veranstaltung.

Man muss nicht erst das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ bemühen um zu wissen, dass G.T. zu den „Besten der Deutschen Comedyszene“ zählt. Schon nach nur 30 Minuten „Love!“ ist wiederum klar: Sie ist umwerfend. Sie bringt selbst bei hartleibigsten Miesepetern den lange verschütteten Rest an guter Laune wieder gellend auf Hochtouren. Und zum Schluss kommt es wie immer in ihren schimmernden, funkelnden und ordentlich gleißenden Veranstaltungen zum großen Aufriss: Sie holt die Leute vom Hocker. Die Leute werfen „german Schüchternheit“ beiseite und rocken mit der Hüfte wackelnd ungeniert drauflos. Wirklich. Wahnsinn. Noch bis zum 5. Mai.

Kammerspiele Deutsches Theater

Der von mir sehr geschätzte Regisseur Frank Abt inszeniert keine Stücke, er entwickelt – sagen wir so: Projekte. Ich gestehe, Stücke sind mir eigentlich lieber als Projekte. Doch mir gefällt, wie der Abt das macht, was er dann nach akribischer Feldforschung unter dem Motto „Geschichten von hier“ nun schon zum vierten Mal im DT an die Öffentlichkeit bringt.

Gewiss, das Motto klingt simpel, doch die gesammelten Geschichten waren es nie. Sie waren stets spannend, konfliktreich, komisch, traurig, schlimm und schön. Sie erzählen eben allerhand von uns hier, privat-schicksalshaft; weisen aber zugleich darüber hinaus ins Allgemeine. Und das ist oft viel aufregender als so manches neue Stück aus den zeitgenössischen Schreibwerkstätten. – Wobei anzumerken ist, dass die dokumentarischen Recherchen (Gesprächsprotokolle, Interviews, Tagebücher, Briefe, Memoiren) von der DT-Dramaturgie geschickt gestrafft und pointiert worden sind, um dann von Schauspielern wirkungsvoll dargebracht zu werden.

 

Jetzt also brandneu „Geschichten von hier“ Nummer vier, diesmal sonderlich zum Thema Familie. Die zentrale Frage dabei: Was macht unser familiäres Erbe mit uns; wie werden wir zu dem, was wir sind? Ankerpunkt sind Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs.

 

Am Anfang dieses Abends steht ein schier sensationeller, zutiefst schockierender Fund: nämlich das (im Sprachlichen bemerkenswert dichte) Kriegstagebuch 1941-1945 von Wolfgang Weimar. Der intelligente junge Mann zieht als tausendprozentiger Nationalsozialist begeistert ins Schlachtfeld („Endlich am Feind!“). Er freut sich diebisch, dass die Deutschen Warschau „zur Sau machen konnten“, bewundert die Schönheit brennender russischer Dörfer und sieht bei seiner Ausbildung zum Führungsoffizier einem möglichen Heldentod mit stolz geschwellter Brust entgegen („Das ist doch was!“). Die Kapitulation 1945 kommentiert er erhaben: Trotz der Niederlage brauche sich das deutsche Volk nicht zu schämen; die Enkel werden es dann besser machen „beim Aufbau eines Vierten Reichs“.

Man darf annehmen, dass solcherart Denken zeittypisch war. Dazu eine Anmerkung im Programmheft: Eine Umfrage aus dem Jahr 2002 habe ergeben, dass 49 Prozent der Bundesbürger meinen, ihre Angehörigen hätten dem NS-System negativ gegenübergestanden; nur zwei Prozent meinen, ihre Vorfahren seien überzeugte Nazis gewesen. Soviel zum gigantischen Verdrängungsmechanismus der Nachgeborenen.

 

Das entsetzliche Weimar-Tagebuch wird, wir sitzen auf der Bühne der Kammerspiele, von Studenten der Busch-Hochschule vorgetragen. Im Anschluss wird das Publikum nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen geteilt, die sich nach einer kleinen Wanderungen durch das verwinkelte DT wiederfinden im Reinhardtzimmer, in der Tischlerei oder in der Kleindarsteller-Garderobe. Dort werden uns nun von DT-Schauspielern, jeweils bezüglich ihrer Milieus ganz unterschiedliche Familiengeschichten erzählt, generationenübergreifend, also Großeltern (Kriegsgeneration), Eltern (Nachkriegsgeneration), Enkel. Also Lebensläufe zwischen NS-Zeit, BRD-DDR-Zeit und heute. Lauter komprimierte Familienromane. Es gibt nichts Aufregenderes.

 

Zum Schluss versammeln sich noch einmal alle zusammen auf der Kammerspiel-Bühne zum gemeinsamen Suppe-Essen (die Kantine kocht prima Gemüseeintopf). Dabei wird das Ende der Weimar-Geschichte nachgereicht: Der Mann, ehrlich geläutert, machte in Westdeutschland eine Karriere als Demokrat, als Staatsdiener und Lokalpolitiker. So kann’s gehen.

Obendrein gab das Tafeln Gelegenheit, beim löffelnden Nachbarn zu erfragen, was man verpasst hat. Ein bisschen schade, denn man hätte gern alles gehört, was Frank Abt und sein assistierender Rechercheur, der Journalist Dirk Schneider, so alles gefunden haben beim Stöbern im prallen Leben draußen, in den Erinnerungen der Leute, in ihren Kartons mit den Dokumenten und den Memorabilien der Familienhistorie. Ein sehr nachdenklich stimmender Abend, herausfordernd zum Nachforschen in eigener Sache. (wieder am 29. April)

Eigentlich schade - Claus Peymann übernimmt nicht die Burg

Und: Claus Peymann über Idiotien bei der Intendantensuche

 

In den letzten Tagen haben mich viele Wiener Theaterbesucher, aber auch Politiker,

Journalisten und – last but not least – viele Mitglieder des Burgtheaters gebeten, als

Burgtheaterdirektor nach Wien zurückzukehren und die Burg zu "retten".

Dazu heute ein klares Nein. Ich stehe für diesen Posten nicht zur Verfügung.

Spekulationen darüber sind also abwegig.

Tatsache ist: Der Minister Ostermayer hat mich über Georg Springer, Geschäftsführer

der Bundestheater-Holding, gebeten, Mitglied einer Findungskommission zu werden,

die bis Mitte Juni einen Nachfolger für den fristlos entlassenen Burgtheaterdirektor

Matthias Hartmann auswählen soll. Warum bis Juni? Warum diese Hast und dieser

selbstgemachte Termindruck?

Abgesehen davon, dass Findungskommissionen sowie pompöse und teure Stellen-

anzeigen noch niemals einen halbwegs vernünftigen Theaterdirektor hervorgebracht

haben, wollte ich auch prinzipiell an dieser Suchaktion nicht teilnehmen.

Die verantwortlichen Politiker in Wien sollten besser etwas mehr Gelassenheit zeigen

und alles unternehmen, dass die jetzige Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann (übrigens

eine großartige Mitarbeiterin aus meiner Wiener Zeit) in Ruhe das österreichische

Nationaltheater in eine sichere Zukunft steuern kann – wahrlich eine Herkules-Arbeit

bei diesem theatralischen Augias-Stall! Dazu braucht sie Zeit!!

 

Die jetzt ausgebrochene Hysterie bei der Kandidatensuche vom "Kandidaten-Ranking"

bis zur "Kandidaten-Hotlist" beweist einmal mehr den Dilettantismus der Politik und

Presse im Umgang mit künstlerischen Fragen. Es geht nicht um die Besetzung einer

Zweigstelle der Bank Austria oder um die Leitung der Verkehrsbetriebe der Stadt Wien,

sondern um die geliebte Burg.

Für die Entscheidung über einen neuen Direktor (oder einer Direktorin – sic!) dieses

wahrlich komplizierten Hauses braucht es Sachkenntnis, Phantasie, Leidenschaft fürs

Theater, Fingerspitzengefühl, Diskretion, viel Vertrauensvorgabe und auch Diplomatie

– aber kein politisches Muskelrollen der zuständigen Minister.

Ich bin glücklich mit meiner Arbeit am Berliner Ensemble und stolz, dass wir,

gemessen an Subvention, Besucherzahl und Einnahmen, das erfolgreichste Theater im

deutschen Sprachraum sind – künstlerisch gefeiert auf vielen Gastspielen in der ganzen

Welt.

Das BE wird, nach dem TAT (Theater am Turm) in Frankfurt, der Berliner Schaubühne,

dem Staatsschauspiel Stuttgart, dem Schauspielhaus Bochum und dem Wiener

Burgtheater, die letzte Station meiner Arbeit als Theaterdirektor sein.

Claus Peymann

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