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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 80

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

31. März 2014

Gorki Theater


Sie waren noch Kinder, als sie in den 1990er Jahren aus den Kriegsgebieten in Ex-Jugoslawien mit ihren Familien nach Deutschland flohen. Hier haben sie sich eingelebt – mit ihren traumatischen Erlebnissen. Hier haben sie Karriere gemacht, sind Schauspielerinnen und Schauspieler geworden und gehören nun zum wunderbaren Gorki-Ensemble. Mit ihnen hat die aus Israel kommende Regisseurin Yael Ronen das Projekt „Common Ground“ entwickelt, das sich mit der (unbewältigten!), äußerst verworrenen Vergangenheit dieser Schauspieler auseinandersetzt. Mit den Identitätskrisen derer, die sich nunmehr Bosnier, Kroaten, Serben nennen (wollen, sollen) sowie deren schwierigen, schmerzlichen Familiengeschichten. Da ist oft nur schwer auszumachen, inwieweit einzelne Familienmitglieder zu den Kriegsopfern oder zu den Kriegsverbrechern oder deren Mitläufern (Mittätern) gehören. Eine gemeinsame Reise des Ensembles in die alte Heimat (Heimat?) soll ihnen und also auch uns nun wenigstens ein bisschen Klarheit bringen. Doch es bleibt äußerst kompliziert, so das Fazit dieser dokumentarisch-theatralischen Recherche, die Privates, Historisch-Politisches und Gegenwärtiges in all ihren Widersprüchlichkeiten zusammen spannt - unter vehementem Wechsel der Perspektiven und mit irrwitziger theatralischer Vehemenz und Verknappung. Ja, das tut weh, das irritiert äußerst, hat aber auch seine Komik. Sowie ein Problem. Zitat: „Wie kann man versuchen, einen fünfjährigen Krieg auf einer fünftägigen Reise zu verstehen?“

 

Okay, es mag in den 90 Minuten auch nicht in erster Linie ums Verstehen gehen, sondern um Verständnis. Oder Problem- und Krisenbewusstsein. Und darin hat Hausregisseurin Ronen, selbst aus einer von Krisen geschüttelten Region stammend, viel Erfahrung. In ihrem Projekt „Dritte Generation“ beispielsweise (Schaubühne 2009) prallten in einer schier aberwitzigen Redeschlacht junge Israeli, Palästinenser und Deutsche mit ihren Vorurteilen und Empfindlichkeiten unglaublich hart aufeinander.

Doch die begabte Yael Ronen – offensichtlich ein Theaterwunderkind! kann nicht nur das Spektakuläre: In ihrer Adaption des Romans „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ von Olga Grjasnowa (zur Gorki-Saisoneröffnung, Herbst 2013), da erzählt sie traumhaft poetisch und wundersam melancholisch und dabei doch fein ironisch die Lebensgeschichte einer ruhe- und heimatlosen jungen Russland-Emigrantin, die mit sich und aller Welt hoffnungslos uneins ist. Eine der schönsten Inszenierungen, die das Hauptstadt-Schauspiel derzeit zu bieten hat. (Wieder am 8., 18., 27. April.)

Volksbühne

Herbert Fritsch ist der König des völlig überdrehten Vaudeville-Comics („Die Spanische Fliege“), der totalen Vergackeierung der Berliner Operette („Frau Luna“) sowie der Dada-Show („Murmel Murmel“ – alles Volksbühne), einer virtuosen One-Word-Performance, die uns in der variantenreichen Wiederholung der Vokabel „Murmel“ prima die Welt erklärt.

Was kann, fragt man sich besorgt, diesem Geniestreich noch folgen? – Schelm Fritsch sagt: „Das Unartikulierbare, Unaussprechliche.“ Also gibt es in seinem neuen Opus „Ohne Titel Nr.1 (Eine Oper)“ keinen Text, sondern nur zwölf Schauspieler oder Clowns oder Stimm- und Körperakrobaten, die wortlos miteinander, mit Instrumenten, Kehlkopflauten und mit sich selbst sowie einem riesengroßen Sofa spielen. Dabei entstehen herzige Miniaturen, drollige Sauereien, putzige Nonsens-Blödeleien, zärtliche Melancholien und zwischendurch immer wieder Langweiligkeiten. Die Spaßereien wiederholen sich. Sie sind nicht wirklich abendfüllend und lahmen dem Witz von „Murmel Murmel“ schwerfällig hinterher. (Ich bin nicht erpicht auf "Ohne Titel Nr.2“.) - Trotzdem: Eingeladen zum Theatertreffen, wo das Sächelchen natürlich nicht hingehört, dafür aber einer anderen, wirklich bemerkenswerten Produktion den Platz wegnimmt. Doch so ist das halt: Die Jury blind verliebt in Herbert, den Theater-Darling der Stunde.

Nun bin ich aber sehr neugierig auf Herbert Fritschs „Don Giovanni“-Inszenierung („Komisches Drama“ von Mozart) im nächsten Jahr an der Komischen Oper…

Deutsche Oper

Wenn wir schon bei Oper sind: Das Wochenende bescherte mir mal wieder die reine Glückseligkeit in der Bismarckstraße. An zwei Tagen hintereinander zwei fulminante Spitzenwerke der Branche - das ist Leistungsstärke, wie sie sich ziemt für ein bedeutendes Haus: „Die Trojaner“ von Berlioz (David Poutney inszeniert mit äußerstem Geschick das monumentale Historical) sowie Mozarts "Don Giovanni“. Beide Riesenspektakel sind bestens besucht. Obgleich am Eingang eine grelle Fotomontage im Breitwandformat um Besucher wirbt. Zu sehen sind absurderweise 12 menschenleere Parkettreihen…

 

Es war die 20. Vorstellung von Roland Schwabs Mozart-Inszenierung, die trotz ihres hoch artifiziellen Charakters nur so strotzt voller atemberaubend suggestiver Bilder. Da kommen philosophisches Denkstück und Raserei der Leidenschaften, himmlische Glückseligkeit und höllisches Inferno, das schlimm-schöne Spiel um großmächtige Verführung und ohnmächtige Verführbarkeit, die bittersüße Herz-Schmerz-Verzweiflung, das pulsierend Lebendige und eisig Berechnende, da kommen knallige Klamotte, subtile Komödie sowie schwere Tragödie aufregend spielerisch, erregend sexy und unglaublich fantastisch in eins. Toll wie selten! Szenisch und musikalisch. Jubel! Da muss sich Herbert Fritsch warm anziehen, um Paroli bieten zu können…

Deutsches Theater

Sie ist geprägt vom Milieu, aus dem sie kommt: Nämlich aus dem tiefen Südwesten der Republik, dem Badischen, aus der Waldorfschule, wo man, so geht die Saga, immerzu an sich selbst arbeitet. Also immerzu erzieherisch wirkt, kritisch, reflexiv, diskursiv. Natürlich unter permanenter Berücksichtigung alles Korrekten – politisch, sexuell, ökologisch. Dass die schöne Freiheit der Selbstfindung in der entgrenzten „Multioptionsgesellschaft“ ganz schnell umkippen kann in den Terror, alles Normative sowie jedwede Konvention unentwegt hinterfragen zu sollen um dem Zeitgeist zu genügen, das alles zusammen hat die aus Freiburg im Breisgau stammenden Dramatikerin Rebekka Kricheldorf nur allzu oft selbst erlebt – und ihre satirische Begabung entfesselt.

 

Und so lässt die studierte Romanistin (Humboldt-Uni) sowie die gelernte szenische Schreiberin (UdK) und Kleist-Förderpreisträgerin in ihrem jüngsten Opus „Alltag & Ekstase“ dem ätzenden Sarkasmus freien Lauf. Die ins Groteske getriebenen Figuren in diesem DT-Auftragswerk sind unentwegt und verbissen damit beschäftigt, in ihrem Alltag zu sich selbst zu kommen. Zum Außersichsein, zur Ekstase, zum kräftig-saftig erfüllten Leben also können sie vor lauter Schwerstarbeit am Ich überhaupt nicht mehr kommen. Hochkomisch und tieftraurig: Kein Orgasmus niemals, immer bloß selbstkritische Interrupti; immer nur Reden, Reflektieren, „denn Schweigen ist die Mutter der Neurose, das Nichtbenannte das Saatgut der Gewalt“. Dem mag ja so sein. Aber ins Maßlose übertrieben, knallt man schließlich durch, wird gewalttätig. Was da äußerst albern sich anlässt, kippt unversehens ins Schlimme. Man wird irre, kalt, böse und unglücklich an der so schönen wie schwierigen Freiheit unserer „Multioptionsgesellschaft“, wenn man sich ihr bedingungslos ausliefert, um womöglich so sein Glück finden zu wollen – wie eben das grell parodistisch aufgestellte, an allen nur denkbaren Zeitgeist-Macken klebende Personal in „Alltag & Ekstase“. Dass dabei so eloquent wie schnippisch Klischees aufgeschäumt werden, versteht sich. Die Autorin ist bekennender Anti-Feingeist.

 

Schade nur, dass Daniela Löffner, Regisseurin dieser Uraufführung in den DT-Kammerspielen, das flotte Ensemble vornehmlich über die Allotria-Oberfläche dieser das Absurde heftig schrammenden Gesellschaftssatire jagt. Ihr enormes Potential an Abgründigkeit bleibt unterbelichtet. Schade. Es hätte ein fetzig-grimmiger Abend werden können über die elenden Schatten unserer bis zum Exzess aufgeklärten, bis zum Exzess auf angesagt korrekte Formierung erpichten postmodernen Welt.

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