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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 76

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

3. März 2014

Renaissancetheater


John bespringt, im 15. Jahr seiner Ehe mit Constanze, seit längerer Zeit schon deren beste Freundin. Alle wissen es und bedauern die arme Conny, die wohl von nichts was weiß. Als der Seitensprung schließlich auffliegt, bleibt sie die Ruhe selbst. Und schmettert mit verblüffender Gelassenheit kalt lächelnd ihrem Gatten den bemerkenswert klaren Satz ins entnervte Gesicht: „John, wir hatten fünf heiße Jahre, dann kam für uns beide zugleich der Punkt, da wir nicht mehr verliebt waren ineinander – die ideale Ehe.“

 

Rumms, da steht er deppert da, der Betrüger. Und die Betrogene ist obenauf; erst recht mit dem Nachsatz: „Nun gibst du einer anderen, was ich nicht mehr brauche.“ Peng, das sitzt!

 

Die Salonkomödie „The constant wife“ des britischen Unterhaltungsschriftstellers William Somerset Maugham (1874-1965) hatte anno 1927 in London ihre Uraufführung; hierzulande lief das Erfolgsstück unter dem Titel „Finden Sie, dass Constanze sich richtig verhält?“ und wurde mehrfach verfilmt (1962 mit Lilli Palmer in der Titelrolle).

Jetzt kam diese frühe, gutbürgerlich Heile-Welt-Fassaden niederreißende Geschlechterkampfkomödie in neuer, gegenwartsgriffiger Übersetzung von Michael Raab am Renaissancetheater heraus – unter dem neuen Titel „Die ideale Frau“. Regisseur Antoine Uitdehaag sowie seine Ausstatter Momme Röhrbein (Bühne) und Erika Landeringer (Kostüm) versetzten das gallige, mit schamloser Verlogenheit und knallharten Wahrheiten durchsetzte Pokerspiel um gleiche Augenhöhe, das in diesem spitzzüngigen Konversationsstück steckt, sinnigerweise (und optisch attraktiv) in die frühen 1960er Jahre, als man sich vehement daran machte, das Wort „Emanzipation“ aufklärerisch durchzubuchstabieren.

Um es kurz zu machen: Das Ensemble dieser Produktion ist prima wie fast immer in diesem Theater mit seinem stets klasse Casting. Die Krone freilich gebührt Annika Mauer als kühne und kühle, sexy selbstbewusste, aber auch zart sein könnende, verletzliche und gelegentlich unglaublich durchtriebene, als sich schämende, schmerzlich in sich krümmende, traurige Constanze. Annika Mauer ist absolut der Star – ein Kollege meinte: mit Helen-Hunt-Qualität. Lassen wir Vergleiche. Annika ist Annika. Ist eine feinnervig schwingende, fein differenzierende, schöne, große Schauspielerin. Eine aus der ersten Reihe. Bravo! Ein toller Abend mit allerdings kleinen Längen; der Autor verliert sich zuweilen vom Reden in die Rederei. Trotzdem: Bravo! (bis 15. März)

Typisch R.

Eine Zuschauerbefragung im Renaissance-Theater ermittelte den „typischen Besucher 2013“. Hier ein paar Ergebnisse: Von den Befragten waren zwei Drittel weiblich, das Durchschnittsalter hat sich im Unterschied zur Letzten Erhebung vor 15 Jahren um 10 Jahre auf 54 verjüngt (und muss noch jünger werden!!). 48 Prozent der Befragten sind Angestellte/ Beamte, 27 Rentner, 12 Selbstständige. Nur 10 Prozent beträgt der Anteil an Schülern, Studenten, Azubis (es gibt ein „Azubi-Ticket“). Im Schnitt besucht die Hälfte der Gäste das Renaissance drei bis sechs Mal im Jahr; 15 Prozent noch öfters. 67 Prozent der Befragten fanden die Aufführungsqualitäten „sehr gut“, 31 „gut“. Die meisten Befragten besuchen natürlich auch andere Berliner Theater: 42 Prozent das BE, 39 das DT, 28 das Schlossparktheater, 25 die Kudammbühnen, 20 die Schaubühne, 41 die Deutsche Oper, 31 jeweils Staatsoper und Komische Oper.

Volksbühne

Das reine Wellness-Kuschel-Seelenmassage-Träumerei-Theater ausgerechnet am Rosa-Luxemburg-Platz, wo man doch ansonsten so sehr viel Wert legt aufs Politische und Soziale, auf Diskurs, Dekonstruktion, Provokation. Doch diesmal, beim musikalisch gerahmten Bildertheater mit dem himmlischen Titel „Der Klang der Offenbarung des Göttlichen“ , da ist alles ganz, ganz anders als sonst im Theater und erst recht in der Volksbühne: Auf der Bühne sind keine Schauspieler, es gibt also keine Figuren, keine Handlung, keinen Text. Dafür hat der isländische Konzeptkünstler Ragnar Kjartansson als Regisseur dieser wundersamen Seance eine Folge höchst stimmungsvoller Naturbilder auf die Bühne gestellt – Walddickicht, Gletscherhöhle, Meeresbrandung in Mondscheinnacht, beim Sonnenaufgang, im Schneegestöber. Hochromantisch raffinierte Kulissenmalereien wie im 19. Jahrhundert. Wer einmal das Museum des berühmten herzoglich Meininger Theaters (Thüringen) mit seiner kostbaren Sammlung historischer Bühnenprospekte auf Schloss Elisabethenburg besichtigte, weiß, wovon sich der artifizielle Isländer inspirieren ließ.

Und unten im Orchestergraben das Deutsche Filmorchester Babelsberg sowie der Berliner Filmchor (Dirigent: David Thor Jonsson). Für die hat Kjartan Sveinsson, Gründungsmitglied der wagnerianischen Dream-Pop-Band „Sigur Ros“, eine in Moll dahin dämmernde, wabernde, wallende, summende Melancholie-Musik komponiert; klingt bisschen nach Richard Wagners „Siegfriedidyll“ oder den „Metamorphosen von Richard Strauss.

 

Den einzigen Text des meditativen Abends hat der erhaben tönende Chor. Es sind bloß ein paar Zeilen aus der um 1940 entstandenen Romantetralogie „Weltlicht“ von Halldor Laxness, aus der auch der Titel dieser so außerordentlich sinnigen Veranstaltung stammt, die in ihrer extrem alternativen Art eben doch, wenn auch auf unendlich sanfte Weise provoziert. Und die nach schon 50 entrückten Minuten endigt mit dem vielfach wiederholten universalen Sehnsuchtsruf „Und die Schönheit wird allein herrschen“. So wurde die Seele entspannt und tröstlich gestreichelt. Aber auch der Verstand zärtlich gepiekt. Wie schön!

Berliner Ensemble - Letzter Aufruf „R & J“

Die Regisseurin Mona Kraushaar hat ein tolles Händchen, die Herz-und-Trieb-Raserei erster großer Teenagerliebe hinreißend auf der Bühne zu entfesseln – etwa in Shakespeares „Romeo und Julia“. Da fallen, wie immer bei diesem Autor, Lust und Leid so herrlich wie grauenvoll in eins. Denn die Albtraum-Mär von R. & J. (Christopher Nell & Anna Graenzer) ist sowohl Lovestory als auch Schlachteplatte; erzählend von der irren Gier auf Krieg, der immerzu die irre Gier auf Liebe im Wege steht – oder umgekehrt. Und eben dieses beständige Bändeln und Händeln bringt die Shakespeare-und-Leben-Versteherin Mona Kraushaar mit leichtester Hand schwer erschütternd auf die Bretter des Berliner Ensembles.

 

In der Schaubühne inszenierte Lars Eidinger den Thriller aus Wahnsinnsglück und Wahnsinnsunglück als schnellen, schrill-grotesken Comic. Beim Berliner Regie-Debüt von Mona Kraushaar geht es romantischer zu, beseelt. Sie entschleunigt, tänzelt, lächelt, lacht schallend. Wird bitter und böse, schlägt schonungslos zu. Wildes Leben und elendes Sterben; uns befremdlich fern, dann wiederum ganz nah. Ein Wurf nach Sternen und in Abgründe. Ein tolles Schau-, ein philosophisch schimmerndes Kunststück. Eine preziöse Seltenheit in der gern poltrigen Hauptstadtszene. Zum Lachen und Heulen für Abgebrühte wie Sentimentale, für Schulgören wie Professoren – wer bringt das schon für jedermann so scheinbar lässig zustande. Zum letzten Mal am 7. März!! Nix wie hin!

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