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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 59

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

28. Oktober 2013

Theater des Westens


Ob für den Musicalkonzern Stage Entertainment das Glück ausgerechnet auf dem sprichwörtlichen Rücken der Pferde liegt, sei hier arg bezweifelt. Auch wenn sich die liebenswerten Vierbeiner in der neuen Stage-Produktion in kunstvoller Schönheit höchst lebhaft auf der Bühne tummeln. Dabei sind sie gar nicht lebend, sondern aus Holz, Leder, Bambus und Baumwolle gefertigte und von jeweils drei perfekt trainierten Spielern wundersam belebte Tierpuppen aus der tollen Werkstatt der südafrikanischen Handspring Puppet Company (hierzulande kennen wir sie von Open-Air-Gastspielen mit William Kentridge). Und diese artifiziellen Kostbarkeiten spielen denn auch die Hauptrolle in dem englischen Theatermusical „Gefährten“.

Zur deutschen Erstaufführung im Theater des Westens, dem repräsentativen Flaggschiff des unterhaltenen Großkonzerns, das in der von konkurrierendem Entertainment prallvollen Hauptstadt nicht eben problemlos zu steuern ist, war folglich der werbliche Aufwand enorm. Dennoch muss ich sagen, bei aller vorauseilenden Sympathie für das originelle und durchaus anspruchsvolle Projekt: Die kunstvollen Vierbeiner sind für gut zwei Stunden Spieldauer nicht abendfüllend. Alsbald schon hat sich das Repertoire ihrer Kunststücke erschöpft. Man weiß, wie die animalischen Großpuppen funktionieren, kennt die Tricks, hat gestaunt. Und was weiter?

 

Das Weitere wäre eine echt spannende Geschichte, in die sich die beweglichen Tierskulpturen verwickeln zusammen mit aufregenden menschlichen Figuren voller Saft und Kraft. Anders gesagt: Das Stück schwächelt.

Und das geht so: Ein englischer Bauernjunge namens Albert  es ist die Zeit kurz Ausbruch des Ersten Weltkrieges domestiziert das wilde Pferd Joey, das ihm alsbald zum liebsten Freund wird. Doch mit Kriegsausbruch wird Joey, wie damals tausende Pferde ebenfalls, zum Fronteinsatz „kommandiert“. Daraufhin meldet sich Albert als Freiwilliger ins Feld, um im Schlachtgetümmel seinen Liebling wiederzufinden. Nach einer blutigen Odyssee durch den Horror des Kriegsgemetzels kommt es in einem Lazarett Gott sei Dank zum Happyend: Albert fällt seinem Joey um den Hals. Amen. Diese unwahrscheinliche, geradezu märchenhafte, vor Klischees strotzende Story mit plakativ aufgesetzter Antikriegs-Botschaft ist wenig spannend.

 

Die so romantisch den Krieg überlebende Geschichte einer großen Freundschaft hat schon Steven Spielberg zu einem (floppenden!) Filmepos animiert, das er total kitschig aufschäumte. Der Hollywood-Film basiert auf dem vielgelesenen Jungendbuch „War Horse“ von 1982.

Erst ein Vierteljahrhundert später, anno 2007, wurde der Bestseller vom Londoner National Theatre adaptiert, mit musikalischen Kommentaren eines Balladensängers garniert und von Marianne Elliot und Tom Morris inszeniert. Die Produktion wurde – völlig überraschend! – zu einem Sensationserfolg. Und alsbald nachgespielt im gesamten englischsprachigen Raum: Ein Hit von Melbourne bis New York. Wobei man wissen muss, dass im anglophilen Raum der Erste Weltkrieg noch immer sonderlich präsent ist – hierzulande aber eher nicht. Da stehen Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg im Fokus der „Geschichtsaufarbeitung“.

 

Umso mutiger jetzt die als innovativ verstandene Koproduktion der Stage Entertainment mit dem Londoner National Theatre unter dem neuen, etwas schwammigen Titel „Gefährten“ (deutsche Übersetzung: John von Düffel), die natürlich auch im Hinblick auf das bevorstehende Hundertjahr-Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu verstehen ist.

Dennoch: Das so Gutgemeinte bleibt ein schlichtes Rührstück mit fadem Plot, aufgedonnert mit infernalischem Geschützlärm; das Inferno des Krieges wird klüglich nicht verniedlicht, sondern intensiv und krachend geschildert. Zugleich aber ist das Stück kein Musical, wie von der Kundschaft erwartet, sondern ein dürres Drama, Bildchen für Bildchen naturalistisch ausgepinselt und gerahmt mit ein paar musikalisch griffigen Untertönen. Man muss das bei aller technischen Perfektion nicht haben in einem populären Bespaßungstheater, wo ansonsten der „Tanz der Vampire“ tobt oder „Der Schuh des Manitu“ geworfen wird. Krieg und Massensterben als Entertainment bleiben heikel.

 

Trotzdem rackern sich die vierzig Mitwirkenden redlich ab in minimalistischen, von comichaften Videoeinspielungen geschickt kommentierten, atmosphärisch dichten Arrangements. Zu erleben ist ein seltsamer Bühnenbetrieb, effektvoll wankend zwischen Einfühlungstheater, Antikriegs-Agitprop und Verfremdung (die Pferde als halbabstrakte bewegliche Skulpturen). Ein Hin und Her zwischen Horror und Possierlichkeit, Sentimentalität und Pathetik. Das vermag nur für einige Momente wirklich zu überzeugen; ansonsten befremdet es. Da wäre ein genialer, womöglich radikaler künstlerischer Zugriff vonnöten, um das zwielichtige Stück aus dürftigem Melodram, fadem Singsang und edlem Puppenspiel nebst angestrengter Antikriegsrhetorik doch noch zu einem packenden Spektakel zu machen. – Sind doch auch die Figuren allesamt Pappkameraden mit Sprechblasentext. Da bekommen weder Pferdefreund Albert (Philipp Lind) noch dessen suffköppiger Vater, den Heinz Hoenig mimt als Stargast, ein Persönlichkeitsprofil.

Womöglich wollten die gut und politisch korrekt meinenden Veranstalter ein kritisch unterhaltsames Kriegsmusical (wie überhaupt hätte das aussehen sollen??). Geliefert hingegen wurde verkitschtes Antikriegstheater, das sich – wie die herrlich südafrikanischen Kunstpferde im Stacheldraht der Somme-Front auch – die Gebeine bricht auf dem Boulevard.

Theater an der Parkaue

Das so vielseitig produktive, traditionsreiche Kinder- und Jugendtheater „Parkaue. Junges Staatstheater Berlin“ (30 Repertoirestücke, 11 Premieren in dieser Saison), das bestellte bei dem in Berlin-Pankow lebenden Dramatiker, Erzähler, Lyriker und Hörspielautor Lothar Trolle (69), der einst in der DDR kalt gestellt wurde, ein witziges Berlin-Stück.  Man dachte an so saftige wie poetische, obendrein historisch grundierte Geschichten über kleine Leute heute im Moloch Großstadt; Zielgruppe: Gymnasiasten ab 11. Klasse. Trolle war begeistert. Ihm schwebte Komödiantisch-Plebejisches vor wie Goldonis „Il Campiello“ – „erzählt von Berlin-Lichtenberg aus“.

 

Das Ergebnis unter dem sperrigen, bis ins Präteritum greifenden Drei-Ausrufezeichen-Titel Sie leben! Sie leben! Sie leben noch immer! Ein Berliner Märchen“: Eine fein gesponnene, kunterbunte Girlande von deftigen, zarten, sarkastischen, banalen und entsetzlichen, auch gar grauenvollen (kriminellen) Miniaturen aus dem Alltag im Proleten- und Kleine-Angestellten-Milieu. Motto: „Es ist passiert, also wird es immer wieder passieren.“ Dazu noch als das annonciert Märchenhafte einige dürftig aufgepappte Ausschläge ins Surreale. Und obendrein ins Historische: Rosa Luxemburgs Leiche im Landwehrkanal.

 

Der Zwei-Stunden-Abend besteht also im Wesentlichen aus einer losen Folge durchaus genau beobachteter sozialer Skizzen als Potpourri von Monologen – man kann auch sagen aus einem Poem im Laubenpieper-Format übers Berlin von unten. Garniert mit gesungenen Volkstümlichkeiten wie „Fritze Bollmann“ oder Sinnsprüchen wie „Wer Gott vertraut und Bretter klaut, der hat ‘ne billige Laube“. Ganz nett als Comic-Leporello, als gedrucktes Bändchen anekdotischer Berlin-Geschichtchen. Theatertauglich freilich ist die Petitesse gesammelter Kurzerzählungen nicht wirklich. Goldoni würde grinsend abwinken.

 

Nun hat sich Sascha Bunge der Uraufführung dieses Bildchenbogens angenommen. Er weiß ihn geschickt und routiniert aufzublättern. Doch bei aller inszenatorischen Fantasie: Es bleibt beim Hörspiel. Für die Bühne aufgemotzt mit mehr oder weniger originellen theatralischen Effekten, Requisiten (u.a. Currywurst, Bierpulle, Spielzeugpanzer), mit simplen Videospielereien, etwas Trallala zur Gitarre und dem üblichen Quantum jugendgemäßer Popmusik in Bühnenbildnerin Angelika Weddes hübscher Spielkiste. Die hat viele Türen, Klappen, Fenster für mannigfache, sogar komische Auf- und Abtritte der sieben schauspielernden Redner in für Berlin typisch hässlicher Proll-Kostümierung.

Kino-Tipp

Ein ätzend sarkastisches und doch ziemlich romantisches Wunderwerk ist der gallige und doch zauberhaft fantastische, dabei unheimlich leise Deutschland-Film „Finsterworld“ von Frauke Finsterwalder. Doch was heißt da Deutschland-Film. Dieses 90-Minuten-Panoptikum ist zwar unaufdringlich in der schwarz-rot-goldenen, politisch-ökologisch korrekten, von Überdruss und Unerfülltheit gequälten Überflussgesellschaft geerdet, dennoch ist es letztlich universell. Ist also menschlich und menschheitlich. Denn dieser Film imaginiert das grausam Gleichgültige, egoistisch Böse, das so einsame wie verlogene Nebeneinander und zugleich auch die unausrottbare Sehnsucht nach Verständnis, Zuwendung, Glück und Schönheit. Immer wird die eine wie die andere Seite der Medaille Mensch gezeigt. In diesem Sowohl-als-auch, diesem ominös Verquickten von Konstruktivem und Destruktivem, steckt die schier überrumpelnde Überzeugungskraft dieses Films, stecken sein Horror, seine Herzigkeit und sein Geheimnis. Ein sehr seltenes Kunststück! Voller höllischer Schläge und himmlischer Streicheleien. Und voller Kühle (und Coolness), über die gelegentlich ein wärmender, gar gnädig tröstlicher Pelz geworfen wird. Das letzte Wort nämlich hat hier nicht die Lieblosigkeit...

 

Das alles spielt sich wie selbstverständlich ab in verblüffend pointierten, episodenhaften, bestenfalls seltsam, schlimmstenfalls tödlich komischen Geschichtchen. Die hat Bestsellerautor Christian Kracht ausgetüftelt und ineinander verwoben. - Fein hingetuscht und delikat aufgetischt werden sie von durchweg ersten (Theater-)Schauspielern: u.a. von Margit Carstensen, Corinna Harfouch, Sandra Hüller, Johannes Krisch, Michael Maertens, Bernhard Schütz, Ronald Zehrfeld. Was für ein Super-Cast! Auch der eine Kostbarkeit. - Ich bin amüsiert, bestürzt, hingerissen, dankbar.

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