Heute: 1. Schaubühne – „Glaube, Geld, Krieg und Liebe“ / 2. Grips – „Vier zurück“ / 3. Berliner Ensemble – "Der nackte Wahnsinn"
Ein schwarzer Raum. Schwebend im Schwarz vier Bilder mit blau-weißem Dekor, wie es die Rückseiten von Spielkarten ziert. Gedreht offenbaren sie jeweils eine As-Karte: Pik, Karo, Kreuz und Herz – die Farben eines Spiels.
Der kanadische Regisseur Robert Lepage hat zusammen mit sieben Spielerinnen und Spielern aus dem Ensemble der Schaubühne in einem über Monate währenden, immer wieder unterbrochenen und neu aufgenommenen Prozess Geschichten erdacht, Geschichten um Glaube (Pik), Geld (Karo), Krieg (Kreuz) und Liebe (Herz).
Wir tauchen ein in eine geradezu unerschöpfliche Welt von Bildern mit Tönen und Licht, die eins aus dem anderen entstehen. Zu Beginn für schlichte Rahmen gehalten, entpuppen sich die Spielkarten als technisch hochkomplexe Videoinstallationen, die – gedreht, auf den Kopf oder schräg gestellt – nicht nur Räume, sondern ganze Welten entstehen lassen: ein Kloster, ein Pariser Café, ein Filmstudio, eine Straße, einen Catwalk, ein Restaurant, ein Spielcasino, eine Galerie, ein Zugabteil, ein Flugzeug und, und und…
In diesen Räumen scheinen auch Möbel und Requisiten aus dem Nichts zu kommen und wieder dorthin zu verschwinden.
„Glaube, Geld, Krieg und Liebe“ ist eine einzige Verwandlung, in der auch die spielerischen Vorgänge einer in den anderen hinüber gleiten. Ein Säugling im Steckkissen wird hinter einem Tisch auf einem Stuhl abgelegt, im nächsten Moment schaut ein Mädchenkopf über die Tischkante, das Kind steigt auf den Tisch, ein Kleid wird ihr übergestreift und es steht da eine junge Frau – innerhalb von wenigen Augenblicken wird eine ganze Kindheit erzählt.
Vier Karten, vier Farben, vier Themen
In vier Akten erfahren wir von der Eingebundenheit eines kleinen Menschenlebens in die großen weltgeschichtlichen Zusammenhänge. Mal sind es Zufälle, die diese Leben prägen, wie in einem Spiel, in dem wir nicht wissen, welche Karten wir ziehen, mal beeinflussen vorbestimmte Determinanten das Dasein.
Dabei werden – analog zu den Bildern und in einem fast tänzerischen Fluss – einzelne Erzählstränge von Akt zu Akt mitgenommen und weitergeführt, andere brechen abrupt ab. Wie im richtigen Leben, wo Beziehungen irgendwann beginnen, manchmal ewig dauern und manchmal enden, ohne dass wir wissen, warum.
Jedes existiert für sich und alles hängt mit allem zusammen
Ein Kind wird in einem Kloster abgegeben, von den Nonnen aufgezogen und gründet als erwachsene Frau eine Stiftung zur Unterstützung von Waisenkindern Eine Frau, die mit ihrer in Nazigeschäfte verstrickten Familie gebrochen hat und auch in ihrer Ehe nicht glücklich wird, verfällt der Spielsucht. Ein Afghanistan-Veteran versucht, mithilfe einer neuartigen Therapie sein Kriegstrauma zu verarbeiten. Eine ukrainische Frau wird Leihmutter für eine deutsches homosexuelles Paar.
Sieben Spielerinnen und Spieler agieren in 60 Rollen. In atemberaubender Schnelligkeit schlüpfen sie in neue Figuren und in neue Kostüme. Die Ensembleleistung von Damir Avdic, Stephanie Eidt, Christoph Gawenda, Magdalena Lerner, Bastian Reiber, Stefan Stern und Alina Vimbai Strähler ist großartig, wird aber auch von der technisch aufwendigen, präzise ausgefeilten visuellen Inszenierung dominiert, auf die Lepage seinen Fokus gelegt hat.
Der Abend dauert mehr als fünf Stunden (mit zwei Pausen), aber die Zeit vergeht wie im Flug, der Blick bleibt die ganze Zeit haften.
Schaubühne, bis 26. November. Hier geht’s zu den Karten.
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Die Welt ist groß und man selber ist klein.
Ein Tisch ist so riesig wie ein Haus, eine Tischdecke so groß, dass man sie hinter sich herziehen muss. Was kann man machen, wenn die Tischdecke trotzdem auf den Tisch gelegt werden soll? Richtig: Man ruft um Hilfe. Und wenn Freunde in der Nähe sind, ist diese auch nicht weit.
Es gelingt: Die Tischdecke kommt auf den Tisch und wenn hinten alle ziehen, ist der Tisch plötzlich eine Bühne mit Vorhang.
Vier zusammen ist gut, aber nicht immer. Es kann schon sein, dass es einem mal zu viel wird, und dann muss er weg, muss sich verstecken und ist doch froh, wenn er wieder gefunden wird.
Im Podewil an der Klosterstraße zeigt das Ensemble um die Regisseurin Sabine Trötschel mit „Vier zurück“ für die kleinsten Zuschauer und Zuschauerinnen, dass zusammen alles besser geht und jeder Mensch besonders ist und verführt dabei mit Musik und einfachsten Mitteln in die magische Welt des Theaters.
Eine Stunde voller Poesie
Vier Menschen – Regine Seidler als Aidin, René Schubert als Ori, Asad Schwarz-Msesilamba als Tatu und Martin Fonfara als Fimm – spielen mit allem, was der Raum (Bühne und Kostüm: Clemens Kühn) hergibt: Eine Kugel, die von innen leuchtet und Füße bekommt, übergroße Löffel, Gabel und Messer, die auch als Schwerter oder Ruder in einem Ruderboot benutzt werden können, ein Stück Papier an einer Strippe, das als Schmetterling über einer Blumenwiese durch die Luft flattert, wenn das Tischtuch zur Leinwand und mit einer Taschenlampe angeleuchtet wird.
Es findet sich eine Hose für große Menschen und ein Zylinder für einen großen Kopf. Ori und Tatu klettern jeder in ein Hosenbein, Aydin bringt eine schwarze runde Brille und einen Kamm (beides riesig) – fertig ist ein Gesicht mit Hut und Schnurrbart.
Die Inszenierung ist voll von solchen zauberhaften Einfällen. Sie kommt dabei fast ohne Worte aus, sondern vertraut den Spielern auf der Bühne und der Phantasie des Publikums.
Martin Fonfara bewegt sich als Grenzgänger, ist Spieler und Musiker. Er begleitet das Spiel als Pianist und will als Fimm zu den Dreien eigentlich dazu gehören, hält aber manchmal die Nähe der anderen nicht aus, wehrt sie ab. Und ist doch was ganz Besonderes. Er kann dem roten Klavier, das als einziges Requisit sehr klein ist, wunderbare Töne entlocken. Und mit seiner Unterstützung können es die anderen Drei dann auch.
Die Inszenierung ist meine absolute Empfehlung an Eltern und Großeltern von jungen Kindern.
Eine (Neu)Entdeckung des Theaters für Alle.
Grips im Podewil, für Menschen ab 2: bis 11. Januar. Hier geht’s zu den Karten.
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Eigentlich sollte an dieser Stelle eine Kritik zur aktuellen Neuproduktion im Berliner Ensemble stehen: „Der nackte Wahnsinn“ in der Regie von Oliver Reese, Intendant des Hauses.
Aufgrund eines Krankheitsfalles im Ensemble musste die Premiere auf den 12. Oktober verschoben werden.
„Der nackte Wahnsinn“ beschreibt das turbulente Treiben innerhalb einer Tournee-Theatertruppe, sowohl während einer Vorstellung vor und hinter der Bühne als auch in den persönlichen Verstrickungen der Beteiligten untereinander.
Die Kritik liefern wir in einem unserer nächsten Blogs nach, Karten für diesen mit Sicherheit vergnüglichen Abend können Sie aber jetzt schon kaufen und zwar hier.
1. Vaganten Nathan abgespeckt und aufgepeppt
2. Berliner Ensemble Remmidemmi ohne Ende
3. Atze Musiktheater Ernst gemeint im Spiel
1. Staatsballett Zwischen Laufsteg und Happening
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1. Volksbühne Kannibalismus im digitalen Dschungel
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3. Distel Zwischen Kritik und Klamauk
1. Schaubühne Bilderfluten
2. Grips Theater für die Kleinsten
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