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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 481

Kulturvolk Blog | Ralf Stabel

von Ralf Stabel

13. Mai 2024

Heute: 1. Komische Oper – „Le nozze di Figaro – Die Hochzeit des Figaro“ / 2. Deutsches Theater – „Pygmalion“ 3. / Ballhaus Ost – „multiple membership“

Komische Oper - Übermacht und Missbrauch

"Le nozze di Figaro" in der Komischen Oper Berlin © Monika Rittershaus

Kirill Serebrennikov hat es wieder einmal geschafft, eine Mozart-Oper zu „verwursten“. Nach „Cosi fan tutte“ hat er sich nun im Rahmen seines Da-Ponte-Zyklus‘ „Le nozze di Figaro“ vorgenommen.

Im Zentrum dieser durchaus verwickelten Opera buffa stehen vier Personen. Da ist der Graf Almaviva (
Hubert Zapiór), der ein Auge auf Susanna (Penny Sofroniadou), die Zofe seiner Frau Gräfin geworfen hat. Nun versuchen die Gräfin (Nadja Mchantaf) und der Verlobte von Susanna, der Figaro (Tommaso Barea), Schlimmeres zu vermeiden. Der Graf hat ganz uneigennützig den beiden jungen Verlobten bei sich im Schloss Quartier zugewiesen. Das ganze Geschehen auf der Bühne sollte aus der Sicht von Komponist und Librettist damals als Heiterkeit verstanden werden.

Der Regisseur traut und vertraut weder der an Wendungen und Pointen reichen Handlung noch den Sänger*innen. Es wird an Reizüberflutung aufgefahren, was die Technik an Möglichkeiten bietet. In den „Spitzenzeiten“ sind dies neben der in ein Oben und ein Unten aufgeteilten Bühne: Leuchtschrift an den Wänden, laufende Texte an den Wänden, blinkende Leuchtschrift an der vorderen Bühnenseite, Übersetzungen des italienischen Textes über der Bühne in Deutsch und in Englisch. Auch SMS-Verläufe werden gern in Echtzeit projiziert.

Dazu kommen erfundene stumme Figuren, die permanent für action auf der Bühne sorgen. Dass die ursprüngliche Hosen-Rolle des Cherubino in eine Sängerin (
Susann Zarrabi) und einen „taub-stummen“ Tänzer (Gerogy Kudrenko) aufgeteilt ist, mag noch angehen, weil dieser sich eben im wahrsten Sinne des Wortes nackig machen kann und dann immer noch knackig aussieht. Denn genau das ist ja auch seine Funktion. Dass dem Grafen jedoch eine Art stummer, akrobatisch sehr bewegter Diener (Nikita Kukushkin) an die Seite gegeben wird, der nicht müde wird, Körper-Faxen zu veranstalten, sorgt für weitere Aufmerksamkeits-Verwirrung, sodass man nahezu vergisst, dass es auch das Orchester unter der Leitung von James Gaffigan mit Mozarts Musik gibt.

Erstmalig erschien mir die sonst recht unlogische Ansage am Beginn jeder Vorstellung eine Berechtigung zu haben: „Gönnen Sie sich und Ihrem Sitznachbarn einen ungestörten Musikgenuss.“ Bisher dachte ich immer, gerade in der Komischen Oper in den Genuss von Musik-Theater zu kommen. Hier aber wäre es mitunter angeraten, um die Musik genießen zu können, die Augen einfach mal zu schließen.

Die Komische Oper stand einst für Verständlichkeit von Text
und Handlung. Lang, lang ist‘s her.

Der eigentliche soziale Konflikt, dass hier jemand aufgrund seiner gesellschaftlichen Macht-Position von seinem „Recht auf die erste Nacht“ doch noch Gebrauch machen könnte, wird weichgespült. Das ganze Arrangement erinnert eher an sich anbahnenden einvernehmlichen Sex in einem Swinger-Club als an einen Akt der Übergriffigkeit – in einer für das Opfer scheinbar ausweglosen Nötigungs-Situation.

Am Premieren-Ende gab es den für Berlin üblichen Jubel. Buhs blieben aus. Vielleicht auch deshalb, weil die, die gebuht hätten, in der Pause bereits gegangen waren? Es war ein sehr schöner Sommerabend im Frühling.

Komische Oper Berlin im Schillertheater, 15., 19. und 26. Mai. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Deutsches Theater - Über Macht und Missbrauch

"Pygmalion" im Deutschen Theater © Jasmn Schuller

Deutlich steht mir noch die letzte Premiere des Musicals „My Fair Lady“ in einem der Berliner Opernhäuser vor Augen, weil ich fassungslos darüber war, wie dieses Stück in einer Inszenierung ohne irgendeine erkennbare kritische szenische Kommentierung über die Bühne ging. Noch fassungsloser machte mich, dass das Publikum jeden frauenfeindlichen Witz goutierte und im Anschluss aber auch niemand meine kritischen Anmerkungen daran verstehen konnte oder wollte.

Nun endlich gibt es eine neue Bearbeitung und Inszenierung des Themas von Bastian Kraft: „Pygmalion“ in der Kammerbühne des DT. Eigentlich sind es vier Ebenen, die hier geschickt miteinander verwoben werden. Zum einen wird das Stück von George Berhard Shaw gegeben, das 1913 im Wiener Burgtheater seine Premiere hatte. Aber: jeder Akt wird von den Schaupieler*innen hinsichtlich seiner aus heutiger Sicht durchaus problematischen Handlung und Figurenzeichnungen kommentiert und diskutiert. Anfangs und immer wieder gibt es Exkurse zum Thema, was Sprache, was Sprechen uns – in vielfacher Hinsicht – bedeutet und wie es eigentlich funktioniert. Und dann bekommt jede/r Darsteller*in Gelegenheit, in einem Monolog seine eigene Herkunftsgeschichte zu präsentieren und welche Rolle die Sprache, das soziale Umfeld, Wertevorstellungen etc. für das eigene Wollen und Werden gespielt haben.

Zentrum des Geschehens ist ein Laufsteg. Die einzelnen Rollen werden unabhängig von vermeintlichen Gender-Zuordnungen besetzt und mitunter auch von mehreren gleichzeitig gespielt, denn die Grundaussage, die gleich zu Beginn des Stückes deutlich wird, ist: E-L-I-Z-A, das sind wir alle, das ist jede/r Einzelne von uns. Wir alle sind durch unsere sprachliche und soziale Herkunft geprägt. Das betrifft die im Reichtum Aufgewachsene (Dana von Loewenich) ebenso wie die in Afrika Geborene (Mercy Dorcas Otiena), die sich aufgrund ihrer Berufs-Odyssee durch die deutschen Dialekte schlägt; das betrifft den türkisch-stämmigen Jungen (Cenar Sunar), der davon träumt, als Herzogin in einem Schloss zu residieren, ebenso wie den schwergewichtigen Mann (Jens Koch), der sich aufgrund des ästhetischen Wertekanons nicht vorstellen konnte, dass er überhaupt je als begehrenswerter Mensch betrachtet werden könnte. Sie alle „kolorieren“ mit ihren Geschichten die These von Professor Higgins (Julia Gräfner), dass die Sprache das soziale Wesen „Mensch“ erst erschafft und dadurch seine soziale Klasse und Herkunft prägt und verrät.

Entstanden und zu erleben ist ein wunderbares Stück mit authentischen Darsteller*innen, die nicht nur zeigen, wie man mit tradierten Werken umgehen kann, sondern wie man mit ihnen umgehen muss.

Bertolt Brecht, der am Deutschen Theater nach dem Krieg einige Jahre residierte, bis das Theater am Schiffbauerdamm für sein Berliner Ensemble bezugsfähig war, hatte in seiner Kritik der aristotelischen Dramaturgie darauf hingewiesen, dass sich Theater und Gesellschaft nicht entwickeln können, wenn immer nur die überkommenen Konflikte mit den überkommenen Konflikt-Lösungen gespielt werden würden – und die jeweiligen Zeitgenoss*innen sich dann also immer nur in überkommene Wertevorstellungen einfühlen würden. Man müsse entweder völlig neue Stücke schreiben, die der gesellschaftlichen Realität entsprächen, oder man müsse die alten Werke entsprechend umform(ulier)en. An dieser „Pygmalion“-Inszenierung hätte er wahrlich seine Freude gehabt.

Deutsches Theater, Kammerbühne, bis 13. Juli. Hier geht’s zu den Karten.


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Ballhaus Ost - Selbstbestimmte Handlungsmacht

"multible membership" im Ballhaus OST © Ballhaus OST

Ein Probenbesuch

Das Gender-Sternchen erhitzt die Gemüter. Für Teile der Mehrheitsgesellschaft ist es Wahn, für die Betroffenen aber Sichtbarmachung und Anerkennung ihrer Lebensweise und Identität. Wann haben Sie letztlich einen Menschen getroffen, der von sich sagt, non-binär zu sein?

Im Ballhaus Ost in der Pappelallee im Prenzlauer Berg gäbe es die nächste Gelegenheit. Rodrigo Zorzanelli zeigt dort das Stück „multiple membership“. In der Ankündigung heißt es: „In einem Solo mit Polaroidkamera inszeniert Rodrigo Zorzanelli, ausgehend von persönlichen Erfahrungen der Einbürgerung in Deutschland und des Coming Out als nichtbinär, performative Selbstporträts. (…) Es verändert das Aussehen, macht den starren Körper fließend, und löst die eindeutige Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auf.“ Die einzelnen Schritte dieser Veränderung werden dann jeweils mit einem Polaroid-Foto dokumentiert.

Rodrigo Zorzanelli verwandelt sich mittels Schminke, blonder Perücke, Stief
eletten und blauen Kontaktlinsen in etwas anderes und doch gleichzeitig auch in sich selbst, denn weder Frau noch Mann ist hier die Identität, sondern eben non-binär. Aber auch das Fremdsein und das Nicht-Angenommen-Werden als Nicht-Einheimischer sind Themen dieser Performance. Es ist fraglos eine Selbstfindungs- und Selbsterfindungs-Reise, an der die Zuschauenden teilnehmen können.

Wer also zur Mehrheitsgesellschaft gehört, könnte sich hier für einen Moment in die Lage versetzen, wie es wäre, wenn es nicht so wäre. Rodrigo Zorzanelli meint zu dieser Arbeit: „
Die Performance ,multiple memberships‘ setzt sich mit dem Konstruktionscharakter von Identität auseinander und den damit verbundenen Ausschlussmechanismen. Als ein migrantischer queerer Körper in Deutschland ist es mir wichtig, in meiner künstlerischen Arbeit eine Utopie für Menschen wie mich vorzustellen. Inwiefern kann das eigene Bild manipuliert werden, um selbstbestimmte Handlungsmacht statt eurozentrischer Unterdrückung zu erfahren? (…) Die behandelten Themen wie Bürokratie, Zugehörigkeit, Kategorisierung und Aussehen sind aber für alle Menschen relevant, die sich damit identifizieren können und wollen.“ Wollen wir?

Seltsam, dass mir gerade am Ende dieser drei Inszenierungen die Aussage von Karl Marx einfällt: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“

Ballhaus Ost, 18. und 19. Mai. Hier geht's zu den Karten.

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