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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 468

Kulturvolk Blog | Ralf Stabel

von Ralf Stabel

12. Februar 2024

Heute: 1. Berliner Ensemble – „Mann ist Mann“ / 2. Theater am Frankfurter Tor – „Die Waffeln einer Frau“ / 3. Deutsches Theater Box – „P*RN“

1. Berliner Ensemble - Austoben und ausprobieren

"Mann ist Mann" im BE mit Till Raskopf, Dominik Weileder, Joana Damberg, Nele Trebs, Philipp Jacob, Nele Rößler © Moritz Haase

Mann ist Mann“ war von Anfang an ein Work-in-Progress-Stück, an dem Bertolt Brecht und Elisabeth Hauptmann Anfang der 1920er Jahre gemeinsam gearbeitet haben. Warum also nicht daran weiter basteln? 
Die „Quellen“ sind bei Brecht wie immer vielfältig – sowohl Inhalt, Ort, Personage, Handlung und selbst den Titel betreffend. Ein richtiges Brecht-Stück also: von allem etwas und von allen etwas. 
Dramaturg
Lukas Nowak schreibt im Programm-Heft: „Den Figuren in Mann ist Mann scheint ein grundlegendes Bewusstsein dafür zu fehlen, in welcher Welt sie eigentlich leben. Daran liegt vielleicht eine Verbindung zu unserer Zeit.“

Man beachte das vielleicht!

Es ist schön, dass das Stück in der Kooperation mit der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin zur Aufführung kommt und damit von jungen Studierenden gespielt und von den ebenfalls jungen Künstler*innen vom BE inszeniert wird. Bertolt Brecht und Elisabeth Hauptmann waren bei der Erarbeitung dieses Stückes auch Anfang Zwanzig. Manchmal wird eben vergessen, dass später berühmte Menschen auch mal jung waren und sich austoben und ausprobieren wollten. 

Genau das macht dieses Team am BE um Regisseur
Max Lindemann nun mit diesem Stück. Die jungen Darsteller*innen toben auf die und auf der Bühne und – wie bei Brecht üblich – spielen und erzählen die absurde Geschichte des Galy Gay, eines Mannes, der eigentlich nur ausgehen und einen Fisch kaufen wollte, aber eben auch nicht Nein sagen kann. Die Folge ist, dass er von Soldaten in eine Reihe von unglücklichen Verwechselungen verstrickt wird, die deren Schandtaten vertuschen sollen, wodurch er am Ende zum Tode verurteilt wird, die Vollstreckung aber doch irgendwie übersteht und er, der ehemalige Galy Gay, wirklich nicht mehr weiß, wer er eigentlich ist. Ein Stück über Identitätsmanipulation und -verlust.

Das alles spielt sich um die Gulasch-Kanone der Witwe Begbick ab, gespielt von
Nele Rößler, die in der Inszenierung die Songs hinreißend singt. Und weil das Stück so brandaktuell ist und die Austauschbarkeit des Kanonenfutters vorführt, scheut man auch vor aktuellen Aussagen wie „Sind Sie sich bewusst, in welcher großen Zeitenwende Sie eigentlich leben“ nicht zurück. Man möchte antworten: Ja. Wir leben in einer Zeit, die nicht nur selbst gewendet wird, sondern in der auch jede und jeder seine eigene Identität drehen und wenden kann, wie es gerade passt.

Wer Lust auf einen schrillen, an Tempo aber auch Klamauk reichen Abend hat, wird hier auf ihre/seine Kosten kommen.

Berliner Ensemble Neues Haus, 5. März. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Theater am Frankfurter Tor - Unterhalten und nachdenklich machen

 © Theater am Frankkfurter Tor
© Theater am Frankkfurter Tor

Das Theater am Frankfurter Tor gibt es erst seit Oktober vergangenen Jahres. Es kommt ohne öffentliche Förderung aus. Johannes Hallervorden leitet es und spielt auch selbst in verschiedenen Inszenierungen mit. Kürzlich konnte man in der Berliner Morgenpost lesen, dass er großes Theater auf kleiner Bühne machen wolle und dass ihm Unterhaltung ebenso wichtig sei, wie politische Geschichten auf die Bühne zu bringen: „Die Leute sollen Spaß haben und gut unterhalten werden, aber auch nachdenklich aus dem Theater gehen, Dinge hinterfragen“, meint er. Nun gibt es für den jungen Mann, der in Schmargendorf lebt, dort viel Neues zu entdecken. Insbesondere die Älteren aus dem Kiez würden noch viel vom Osten erzählen können, sagt er. Die Mopo-Reporterin ließ sich sogleich zu der Aussage hinreißen: „Ost-Berlin ist hier noch sehr präsent.“ Man beachte das noch!

An diesem Anspruch – unterhalten und nachdenklich machen – muss sich nun die Inszenierung „Die Waffeln einer Frau“ messen lassen. Angekündigt wird der Abend mit: „Wahnwitzige Szenen, urkomische Dialoge, große Emotionen, wunderbare Musik, geschliffene Klavierkunst, Weltpolitik und Live gebackene Waffeln.“ Die beiden Darstellerinnen des Duos JETZTABA!, Marianne Blum und Anna Maria Haas, werden als „Vollblutweiber“ charakterisiert.

Wenn Frauen einen Abend über Frauen machen, geht es in erster Linie um Männer. Und das nicht ganz einfache Verhältnis der Geschlechter wird mit all den erdenklichen Klischees in der Vorstellung durchdekliniert. Und dabei fällt tatsächlich auf, dass der Humor und die Probleme, die zwei West-Frauen wahrnehmen und darstellen, mit dem Publikum der Frankfurter Allee und Umgebung wenig zu tun haben. Aber das macht nichts:
Die Menschen sind aufmerksam, lachen und applaudieren an den „richtigen“ Stellen. Durch die Pausen-Versorgung wird’s nicht nur deshalb noch heiterer, weil das Publikum die Getränke mit in den Zuschauerraum nehmen kann, sondern die Darstellerinnen tatsächlich Waffeln backen und verteilen.

Wenn an dem Abend, pädagogisch wertvoll, darauf hingewiesen wird, mit wie viel Prozent Frauen in bestimmten Berufsbildern vertreten sind und dabei auf null Prozent bei Baumaschinen-Führerin verwiesen wird, frage ich mich als gelernter Betonwerker, ob unsere Baumaschinen-Führerinnen damals alles Transen gewesen sind. Seltsamerweise wünscht sich eine der Darstellerinnen im Falle plötzlich eintretenden Reichtums einen Gärtner, einen Fahrer, einen Butler. Aber vielleicht ist auch das ironisch gemeint, weil auch die üblicherweise weiblichen Hausangestellten in eben der weiblichen Form aufgezählt werden?

Die Darstellerinnen beziehen das Publikum gern mit ein, ohne es vorzuführen. Wer also schon eine Weile als Frau und Mann zusammenlebt, vielleicht sogar Ost und West zu gleichen Teilen erfahren hat, kann diesen Abend bestimmt mit nicht nur einem Schmunzeln überstehen. Das Paar neben mir hat sich bis zum Schluss köstlich amüsiert. Für sie und viele andere war das ein
herrlicher Abend und auf keinen Fall ein dämlicher.

Im Repertoire
des Theaters lassen sich Titel wie „Der Mörder ist (fast) immer der Gärtner“, „Dinner for one – Was geschah wirklich?“ oder auch „Vom Urknall bis zum Mauerfall“ finden. Das macht neugierig!

Theater am Frankfurter Tor. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Deutsches Theater - Klug und witzig, laut und sympathisch

P*RN im DT, mit: Lukas Baubkus, Aino Bertram, Leonie Bork, Cutter Constantin Dendl, Jonathan Walker, Julie Thiele © Katja Strempel
P*RN im DT, mit: Lukas Baubkus, Aino Bertram, Leonie Bork, Cutter Constantin Dendl, Jonathan Walker, Julie Thiele © Katja Strempel

DT Jung*“, ein Ensemble aus gecasteten Jugendlichen, die sich selbst zu diesem Projekt gemeldet hatten, widmet sich einem besonderen, einem besonders tabuisierten Thema: der Pornografie. Über etwas sprechen, über das man nicht spricht, ist tatsächlich eine Herausforderung. Nicht nur im Theater. Im Progamm-Flyer heißt es zur Ausgangslage: „Und wenn Erwachsene schon nicht zu einem Konsens (zu diesem Thema) kommen, schaffen es Jugendliche doch erst recht nicht – oder?“ Man beachte das oder!

Das Regie-Team um
Sofie Boiten und Lorenz Nolting lassen dann also die Jugendlichen ihre Fragen und Aussagen zum Thema selbst finden und greifen lediglich strukturierend ein. Dabei ist nicht nur Sprachliches oder Theatrales zu bedenken, sondern auch Juristisches, denn, so wird man belehrt, wer einen pornografischen Inhalt einer Person unter 18 Jahren anbiete, überlasse oder zugänglich mache, werde mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe belegt. Damit ist klar: es ist ein Abend über Pornografie, aber ohne Pornografie. Aber es lässt sich bekanntlich vortrefflich über das Abwesende reden – und zwar untereinander, aber auch mit dem Publikum.
Und die Zuschauer*innen in der Vorstellung, die ich erlebte, standen dem Thema aufgeschlossen und neugierig gegenüber, beantworteten jederzeit jede Frage nach Porno-Konsum und dessen Grund, nach Porno-Inhalten und Orten, an denen man sie finden kann und und und…

Das Ensemble diskutierte auch, ob man grundsätzlich gegen Pornografie sein müsse, weil sie frauenfeindlich sei, oder ob man dafür eintreten solle, dass andere Pornos produziert werden sollten, die Sex auch aus der Perspektive von Frauen darstellen würden. Basisdemokratisch wurde das Publikum zur Abstimmung aufgerufen und stimmte mehrheitlich für Variante zwei.

Und das Erstaunliche ist, dass es zu keinem Zeitpunkt langweilig oder peinlich wird.

Szenenwechsel auf der Bühne ermöglichen dann auch geschickt Perspektivwechsel zum Thema. So wird am romantischen Lagerfeuer dann doch über das Verliebtsein sinniert, wird der erste Porno-Konsum „gestanden“, wird die Scham darüber und auch die Enttäuschung über die fehlende, den Sex anbahnende und damit irgendwie legitimierende Story angesprochen.

Eine „Moral von der G’schicht“ gibt es am Ende nicht. Außer vielleicht die Erkenntnis, dass man eigentlich über alles sprechen kann.
Und da Kommunikation dabei helfen kann, Vorurteile abzubauen und Konflikte zu vermeiden, wünsche ich dieser klugen und witzigen, auch lauten und dabei durchaus sympathischen Inszenierung und ihren Darsteller*innen ein möglichst vielgestaltiges, vor allem aber junges bzw. jung gebliebenes Publikum.

Deutsches Theater Box. Hier geht’s zu den Karten.

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