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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 432

Kulturvolk Blog | Ralf Stabel

von Ralf Stabel

20. März 2023

HEUTE: 1. Komische Oper Berlin – „Tom Sawyer“ / 2. Deutsches Theater – „Liebe, einfach außerirdisch“ / 3. Volksbühne – „Constanza Macras: Drama“

1. Komische Oper Berlin - Mark Twain begeistert in Berlin…

"Tom Sawyer" an der Komischen Oper Berlin © Barbara Braun

Ja. Die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn habe ich als Junge gelesen. Freiwillig gelesen. Und es waren die einzigen Bücher, die ich als Kind gern gelesen habe.

In der Komischen Oper wurde nun
„Tom Sawyer“ in der Inszenierung von Tobias Ribitzki mit der Musik von Kurt Weill auf die Bühne gebracht. Als Entstehungsdaten werden 1950 und 2020 angegeben. Was ist da passiert? Kurt Weill schrieb 1950 zusammen mit seinem Librettisten Maxwell Anderson fünf Huckleberry-Finn-Songs. Eigentlich sollte daraus eine vollständige musiktheatralische Variante des Romans werden. Dazu ist es dann aber nicht mehr gekommen.

John von Düffel hatte bereits ein Schauspiel über die beiden Jungen geschrieben und nun diese Fassung für die Komische Oper Berlin erarbeitet. Die schon benannten Weill-Songs wurden durch weitere aus seiner amerikanischen Zeit mit neuen Texten erweitert. Entstanden ist so eine höchst sehens- und hörenswerte Kinderoper in zwei Akten, arrangiert und dirigiert von Kai Tietje. Das Orchester der Komischen Oper nimmt einen sofort gefangen und mit auf eine Reise durch Weills musikalische Welt. Sowohl die Berliner Jahre als auch Broadway-Kompositionen klingen durch und mitunter klopft schon Hollywood an die Tür – so anschaulich sind seine Klangbilder.

Beim Eintreten wird man von einem Mississippi-Raddampfer auf der Bühnenleinwand begrüßt. Dank
Stefan Rieckhoffs Bühnen- und Kostümbild ist man sofort in der Atmosphäre der Südstaaten. Die Abenteuer der beiden Protagonisten sollen hier nicht nacherzählt werden. Nur soviel: Beide sind eher Streichen als ihren Verpflichtungen zugetan. Als sie dann aber einmal ausbüxen und für tot gehalten werden, verklärt sich ihr Bild im Andenken der Trauernden. Ihr Erscheinen auf der eigenen Beerdigung löst allgemeine Freude aus. Als sie auch noch ein Verbrechen aufklären helfen, werden sie zu Helden. Happy End!

Das Tolle an dieser Inszenierung ist, dass der Kinderchor der Komischen Oper unter der Leitung von
Dagmar Fiebach während der gesamten Aufführung lebhaft und überzeugend agiert.

In den Hauptrollen von Tom und Huck sind
Tom Schimon und Michael Heller zu erleben, die die Freundschaft der beiden doch so unterschiedlichen Jungen sehr glaubhaft und mit viel Spielfreude vermitteln. Während Huck ohne Familie lebt, hat Tom in seiner Tante Polly (Caren von Oijen) hier eine verständnisvolle Erzieherin. In Ben Harper (Nikita Voronchenko) finden beide den Freund, der mit ihnen ausreißt. Und weil es in der Geschichte auch noch eine richtige „Räuberpistole“ gibt, erleben wir Christoph Späth als angsteinflößenden Killer-Joe und Carsten Sabrowski als überzeugend trotteligen Suffkopp Muff Potter. In der Schule machen Tom – Huck geht erst gar nicht hin – sein versnobter Rivale Alfred Temple (Ferdinand Keller) und der Lehrer (Theo Rüster) zu schaffen. Und weil es in der Schule nicht nur den Ärger, sondern immer auch das Verliebtsein gibt, wird die so sympathische wie kecke Becky Thatcher (Josefine Mindus) – ganz zu Recht – angehimmelt.

Mark Twain wäre begeistert gewesen über diese musikalische Uraufführung und hätte, wie schon in seinem Reisebrief aus Berlin für die „Chicago Daily Tribune“ vom 3. April 1892, ausgerufen:
Berlin hat mich im höchsten Grade überrascht.“ Er hatte damals auch gemeint: In keiner Stadt wird wohl so viel regiert wie in Berlin, aber ich wüsste auch keine, die besser regiert wäre.“ Nichts wie hin!

Komische Oper Berlin, eventuell Restkarten für den 19., 24.und 29. April. Wir hoffen auf weitere Termine in der neuen Spielzeit.


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2. Deutsches Theater - Sophie Rois – möchte Kaffee trinken

"Liebe, einfach außerirdisch" im Deutschen Theater, v.l. Kotbong Yang, Sophie Rois, Trystan Pütter © Luna Zscharnt

Da ist erstens Sophie Rois. Sie spielt umwerfend: laut und verhalten, frech und schüchtern, aggressiv und zart und das alles in ständigem Wechsel. Ihr Spiel dominiert das Bühnengeschehen derartig, dass sich (mir) die Frage aufdrängt: Ist es eigentlich eine undankbare Aufgabe, mit Sophie Rois zu spielen? Natürlich ist es das nicht! Katbong Yang als galaktische Kollegin und Putzfrau Knoop und Trystan Pütter als Dr. Steve Albright sind völlig anders und können gerade deshalb neben ihr ein ganz eigenes Profil zeigen.

Gemeinsam erzählen sie eine irrwitzige Geschichte. Die beiden Damen sind Außerirdische, kommen in der „Verkleidung“ als Menschen auf die Erde. Sie haben die Mission, die Quelle eines Signals ausfindig zu machen, das so stark ist, dass es nicht nur auf unser Sonnensystem, sondern auf die gesamte Galaxie Auswirkungen haben könnte. Nach alter Theatermanier haben sie 24 Stunden Zeit, um unseren Planeten zu retten. Mehr nicht, aber eben auch nicht weniger. Sie sind mit allerlei Tricks ausgestattet, sodass sich Frau Knoop z. B. sichtbar und unsichtbar „schalten“ kann, was in der Konversation auf der Bühne zu Verwirrung und im Publikum für Heiterkeit sorgt.

Obwohl Sophie Rois als Sonderbeauftragte Yakushova die Leiterin der Mission ist, scheint ihre Mitarbeiterin besser vorbereitet. So weiß diese, dass die Sonderbeauftragte eine Frau
ist und dass sie weiß, was Sex ist. Deshalb gibt sie ihr den dringenden Hinweis, Dr. Albright keinen Kaffee anzubieten, denn das bedeute, mit ihm Sex haben zu wollen. Das versteht die Sonderbeauftragte sofort und sagt folgsam: „Ich darf Ihnen leider keinen Kaffee anbieten“, um wenige Augenblicke später umzuschwenken: „Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?" Spätestens hier wird klar, das Stück handelt von Sex, von außerordentlichem, von außerirdischem.

Dramaturgisch geschickt hat Autor und Regisseur
René Pollesch das Ende an den Anfang gesetzt. Sophie Rois und Trystan Pütter stehen auf einem Turm (Bühne: Barbara Steiner) und rauchen die berühmte „Zigarette danach“. Im Folgenden wird nun höchst amüsant behandelt, wie es dazu kommen konnte.
Besonders heiter wird es, wenn Sophie Rois erkennt, dass der gesamte zweite Rang ihr Spiel auf dem Turm gar nicht sehen kann: „Die, die mir am liebsten sind. Sie, die Kinder des Olymps. Die auf den billigen Plätzen. (…) Was die da oben durchmachen!“
Solidarisieren Sie sich mit dem 2. Rang. Und seien Sie dabei, wenn Trystan Pütter zu Sophie Rois sagt: „Du bist das Unglaublichste, was ich je erlebt habe.“ Denn er hat recht.

Deutsches Theater, eventuell Restkarten für den 28. März. Weitere Vorstellungstermine sind noch nicht bekannt.

 
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3. Volksbühne - Illusion never changed…

"Drama" in der Volksbühne, v.l. Campbell Caspary, Candas Bas, Miki Shoji © Thomas Aurin

Vermutlich gibt es keinen clevereren Titel für ein Theaterstück als: „Drama“. Denn was ist Theater, wenn nicht Drama. Aristoteles hat in seiner Poetik, dem vermutlich ersten Buch über Theater, geschrieben: Ziel aller Dramen ist die Handlung. Und genau das ist auch bei der Inszenierung „Drama“ in der Berliner Volksbühne zu erleben: handelnde Menschen. Wer hätte das gedacht. Doch was genau wird in diesem „Drama“ nun verhandelt? 
 
Der Abend startet wie erwartet: Während der Ouvertüre zucken Protagonist*innen der Theatergeschichte über die Bühne. Romeo und Julia sind auszumachen; der Esel, die Zauberblume und die Verliebten aus dem „Sommernachtstraum“; die drei Hexen und der Brinims-Wald aus „Macbeth“ – und die vielen anderen werden wohl auch alle eine konkrete dramen-historische Herkunft haben. Viele Messer sind unterwegs und es wird ausschweifend gemordet. Wie weiter?

Alle stehen wieder auf, verwandeln sich in Play-Mobil-Figuren und zelebrieren Familien-Dramen mit Problemfeldern wie Fremdgehen, Eifersucht, Rollenbilder und Vaterschaft. Und dann rutscht die Inszenierung in den Anklage-Modus.
Es folgt eine permanente szenische Kritik an Kolonialismus, Aneignung, Sexismus, europäischer Mitverantwortung bei der Rodung der Regenwälder und und und. Am Film-Plot „Fame“ (1980) arbeitet man sich an Rollenklischees ab, an der Idee, dass unterschiedliche Tanz-Ästhetiken sich finden und ergänzen und dass black and white sich über soziale Schranken hinweg lieben könnten. Aber das war damals eine berechtigte wirkliche Hoffnung!
Anschließend werden am Leben der legendären argentinischen Tänzerin Nelida Lobato (1934-1982) die Arbeits- und Einkommensbedingungen von Tänzer*innen im Show- oder Revue-Theater diskutiert. Doch auch das ist eine Weile her und nicht nur die Zeiten haben sich geändert.

Bemerkenswert in dieser Show sind mindestens noch drei Dinge. Zum einen wird in diesem Kritik-Reigen auch die Art, mit der sich Menschen heutzutage ganz bewusst zu Opfern stilisieren, angeprangert. Aussagen wie, dass man sich unbedingt einen Opfer-Status suchen müsse, weil man anderenfalls ansonsten automatisch Täter wäre, lassen aufhorchen. Zum anderen ist die Bühne, gestaltet von
Simon Lesemann, mit einem riesigen drehbaren Balkon mit vielen rückwärtigen Auftrittsmöglichkeiten, Terrasse und Show-Treppe als Zentrum des Geschehens großartig gesetzt. Und last but not least ist in diesem Künstler*innen-Kollektiv Campbell Caspary mit seiner stimmlichen und physischen Expressivität ein Hoffnungsschimmer in all dem Trubel, den Constanza Macras und ihre Truppe DorkyPark zur Musik von Robert Lippok anzetteln.

Nach zweieinviertel Stunden ist das Nummer-Programm vorbei. Kein Drama. Obwohl im Laufe des Abends noch weitere Anleihen in der Theatergeschichte vorgenommen werden: Faust tritt ebenso auf wie Antigone und – da sich Theater bekanntlich aus dem Mythos entwickelt hat – fehlen auch Phaeton und sein Schicksal nicht.
Alles in allem ein zur Volksbühnen-Historie passendes Agitprop-Theater mit Text, Gesang und Tanz. Schon nach dem II. Weltkrieg gab es an diesem Haus ein „Dramatisches Ballett“ unter der Leitung des „roten Tänzers“ Jean Weidt, der seine choreografische Kunst durchaus als Waffe verstand.

Doch dieses Stück endet nach all der berechtigten Kritik ohne optimistischen Ausblick. Zum Schluss herrscht das Chaos und der letzte Song repetiert: „Illusion never changed into something real.“ Wirklich? War da nicht die Rede von dem kubanischen Tänzer, der das Ausbeutungssystem einfach verlassen hat? Probleme werden nicht dadurch gelöst, dass man über sie redet! Also: Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche! (Che Guevara)

Volksbühne, 29. März, 07., 09. und 22. April, sowie 1. und 10. Mai. Hier geht’s zu den Karten. 

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