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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 426

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

6. Februar 2023

HEUTE: 1. Komische OPER BERLIN – „la cage aux folles“ / 2. Kleines theater – „der sittich“ / 3. deutsche oper berlin – „simon boccanegra“

1. Komische Oper Berlin - Schillernde Show als Statement

Umringt von Paradiesvögeln: Stefan Kurt als Revue-Star Zaza in „La Cage aux Folles“  © Monika Rittershaus
Umringt von Paradiesvögeln: Stefan Kurt als Revue-Star Zaza in „La Cage aux Folles“ © Monika Rittershaus

In seiner ersten Inszenierung als Ex-Intendant zündet Barrie Kosky mit seinem Team in der Komischen Oper Berlin ein Feuerwerk für Toleranz und Lebenslust, wie man es sich brillanter und anregender kaum wünschen kann. Natürlich durfte man das auch erwarten, wenn ein Künstler wie er „La Cage aux Folles“ auf die Bühne bringt, das Musical, das wie kaum ein anderes den queeren Geist beschwört. Dieses Element hat Kosky schon so oft in seinen Arbeiten eingesetzt, da war anzunehmen, dass er bei dem Broadway-Hit von Jerry Herman und Harvey Fierstein noch ein bisschen schriller vorgehen musste. Er tat es. Und das ist auch gut so.

Denn eigentlich ist „La Cage aux Folles“, basierend auf einem Bühnenstück von Jean Poiret aus dem Jahr 1973, ein alter Hut. Der Titel verweist auf den Nachtclub an der französischen Riviera, wo Barbesitzer Georges Riesenerfolge feiert mit dem, was man früher Travestie nannte. Sein Lebenspartner Albin ist als Drag-Queen Zaza seit vielen Jahren Star der Revue.

Eine echte Diva, aber auch zugleich eine aufopferungsvolle Mutter. Denn Georges hat aus einer früheren Affäre einen Sohn, den er gemeinsam mit Albin/Zaza großgezogen hat. Jetzt, mit 30, will Jean-Michel heiraten. Ausgerechnet die Tochter eines rechtskonservativen Politikers, der dem homosexuellen Laster den Kampf angesagt hat. Wenigstens beim Kennenlerntreffen soll den künftigen Schwiegereltern „Normalität“ vorgegaukelt werden.


Spiel mit dem Retro-Look


Dass fast jeder die Handlung kennt, liegt vor allem an der Filmversion von 1978. „Ein Käfig voller Narren“ schaute man sich damals gemeinhin an, um über Tunten zu lachen. Und doch sensibilisierte die Kino-Komödie für die Nöte und Gefühle gleichgeschlechtlicher Liebe. So auch, allerdings äußerst vorsichtig, das Musical, das 1983 in New York uraufgeführt wurde: Keiner der Hauptdarsteller traute sich damals, mit männlichem Lebenspartner auf der Premierenfeier zu erscheinen.

Einiges hat sich inzwischen in punkto Akzeptanz geändert. Doch die Homophobie nimmt wieder zu. Kosky thematisiert das nicht, und doch ist seine schillernde Show ein Statement. Bühnenbild (Rufus Didwiszus) und besonders die schillernden Kostüme (Klaus Bruns) spielen lustvoll und ironisch mit dem Retro-Look. Allerdings hätte sich vor 40 Jahren niemand getraut, solch ein Wohnzimmer zu zeigen, das wie ein Reich der Phalli erscheint.

Nicht ein Käfig, sondern gleich mehrere Käfige voller Paradiesvögel hinterlassen in den Revueszenen Rieseneindruck. Eine Opulenz, die zeigt, was subventioniertes Theater mit Musical anstellen kann. Das betrifft auch die Größe des Orchesters, das unter dem Stab von Koen Schoetz ein schönes Klangpanorama entfaltet, sowie die Personalstärke bei den ausgelassenen, ja waghalsigen Tanzeinlagen (Choreographie: Otto Pichler). Die Girl- oder Kerl-Reihe der „Cagelles“ könnte es fast mit dem Friedrichstadt-Palast aufnehmen. In den knappen bunten Kostümen stecken Männlein und Weiblein. Anfangs rätselt man noch, wer was ist, aber dann gibt man es auf. Denn es spielt keine Rolle.


Auch Paradiesvögel werden älter


„Ich bin, was ich bin“, lautet auf Deutsch der größte Hit des musikalisch eher konventionellen Musicals, der Song „I am what I am“ wurde zur Gay-Hymne. Nicht auf der Showbühne, sondern einsam in der Garderobe hat Stefan Kurt als Zaza seinen größten Auftritt. Wenn er weiß, dass er vorübergehend verschwinden soll, wenn er sich in Unterwäsche, ohne Perücke und Schminke, im grellen Scheinwerferlicht entblößt, um von Takt zu Takt der Musik neues Selbstbewusstsein zu finden. Es ist auch eine Komödie über das Älterwerden. Die Stimme darf durchaus brüchig wirken, wie in den Duetten mit seinem Georges. Peter Renz ist ausgebildeter Tenor, ja Kammersänger, Stefan Kurt gelernter Schauspieler. Trotzdem passen die beiden stimmlich wunderbar zusammen.

Ein hyperventilierender Kontrapunkt ist Daniel Daniela Ojeda Yrurets als spanisch parlierende Butler/in, der/die von der großen Bühnenkarriere träumt. Durchgängig ist das Spektakel trefflich besetzt, aber auf eine Rolle sei noch besonders hingewiesen: Helmut Baumann inszenierte 1985 im Theater des Westens die deutsche Erstaufführung und verkörperte dabei die Zaza. Jetzt spielt er anrührend die Restaurantchefin Jacqueline.

„La Cage aux Folles“: Dieses Feuerwerk hat alle Chancen, ein Dauerbrenner zu werden.

Komische Oper Berlin. Leider sind alle unsere Kontingente bereits ausgeschöpft. Sie haben die Möglichkeit, sich auf die Warteliste setzten zu lassen. Sie erreichen unseren Service unter 86009351.


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2. Kleines Theater - Ausbruch aus dem Ehekäfig

Im Ehe-Clinch: Eva Manschott streitet mit Matthias Freihof in der Beziehungskomödie „Der Sittich“ © Jörn Hartmann
Im Ehe-Clinch: Eva Manschott streitet mit Matthias Freihof in der Beziehungskomödie „Der Sittich“ © Jörn Hartmann

Um einen Vogelkäfig geht es auch im Kleinen Theater in Friedenau. Allerdings steht er im Zweipersonenstück „Der Sittich“ für die Beziehung, in der sich ein Ehepaar jenseits der Silberhochzeit zunehmend beengt fühlt. Bis es zur großen Abrechnung kommt.

„Wie soll ich mich nach dir sehnen, wenn du stets bei mir bist?“, sang vor Jahren die unvergessene Sängerin Françoise Cactus mit ihrer Berliner Band Stereo Total. Audrey Schebat, ihre französische Landsfrau, formuliert es in ihrem ersten Theaterstück ähnlich: „Wie soll ich dich denn noch anschauen, wenn ich dich immer sehe?“

Dabei hat der Abend so schön begonnen. Auf dem schmuck gedeckten Tisch warten Wein und Hors d’œuvre, in der Küche schmort der Braten. Doch wenn ein Dinner auf der Theaterbühne stattfindet, droht meistens Ungemach. Das Telefon klingelt. David, der Freund und Kollege aus der Anwaltskanzlei, ist dran. Bei ihnen sei eingebrochen worden. Seine Frau Catherine, die vor kurzem eine Handlung mit Ziervögeln eröffnete, ist nicht erreichbar. Jedenfalls wird es nichts mit der Verabredung.


Verdächtigungen und Missverständnisse


Wir werden David und Catherine nicht zu Gesicht bekommen. Nur die beiden verhinderten Gastgeber, die namenlos bleiben. Mit Sie und Er sind wohl wir alle gemeint, sofern wir in einer Beziehung leben. Aus den Sorgen um die Gäste wächst alsbald ein Dickicht aus Mutmaßungen und Missverständnissen. An der Wohnungstür der Freunde wurden keine Einbruchsspuren gefunden und merkwürdigerweise sind nur die Sachen der Frau verschwunden. Hat Catherine David verlassen? Wenn ja, warum? Aus diesen Fragen entwickelt sich eine zunehmend hitzigere Diskussion über das eigene gemeinsame Leben.

„Der Sittich“, in Schebats Regie 2017 am Théâtre de Paris uraufgeführt, ist für ein prominentes Paar auf der Boulevardbühne das ideale Tourneestück, auch wenn die Auseinandersetzungen in ihrer Heftigkeit die Grenzen des Genres überschreiten. In der Berliner Erstaufführung gehen Eva Mannschott und Matthias Freihof in den Beziehungs-Clinch. In der souveränen Regie von Theaterchefin Karin Bares harmonieren sie darstellerisch prächtig miteinander, wenn sie die ehelichen Disharmonien in gewitzten Dialogen an die Oberfläche befördern. Der gönnerhafte Gatte gerne von oben herab argumentierend, während die Frau mit vorgeblicher Naivität kontert. Es gibt viel zu lachen, schließlich sehen wir eine Komödie.

Liebe ist alles? Nein, Liebe ist Arbeit. Und muss jeden Tag neu erkämpft werden.

Kleines Theater, 15.-19. Februar, 15.-19 März, 6.-9. April. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Deutsche Oper Berlin - Verdi in Breitwandformat

Düsterer Opern-Thriller: George Petean, Attilio Glaser und Maria Motolygina in Verdis „Simon Boccanegra“ © Bettina Stöß
Düsterer Opern-Thriller: George Petean, Attilio Glaser und Maria Motolygina in Verdis „Simon Boccanegra“ © Bettina Stöß

Lesen Sie die Inhaltsangabe gründlich, bevor sie diese Opernaufführung besuchen. Denn bei „Simon Boccanegra“ von Giuseppe Verdi könnte es passieren, dass Sie den roten Faden verlieren bzw. gar nicht erst finden. Gerade in der Neuinszenierung der Deutschen Oper Berlin. Was nicht heißen soll, dass der Abend keine Spannung liefert.

Die Person des Simon Boccanegra ist historisch verbürgt. Im frühen 14. Jahrhundert lebte er in Genua, damals als Handels- und Militärmacht ein harter Rivale der Republik Venedig, zugleich erschüttert von inneren Auseinandersetzungen. Boccanegra wird zum Dogen gewählt, abgesetzt, gelangt erneut an die Macht und stirbt als Opfer eines Giftanschlags. Von Verdis Oper existieren zwei Versionen. Die Uraufführung der ersten Fassung, nach dem Libretto von Francesco Maria Piave, endete 1857 in einem Fiasko. Bald 25 Jahre vergingen, bis sich der Maestro mit Arrigo Boito, dem Librettisten der späten Jahre, an eine gründliche Umarbeitung machte.

Die Fassung, die 1881 an der Mailänder Scala mit Erfolg uraufgeführt wurde, steht heute in einer Reihe mit den altersweisen Spätwerken „Otello“ und „Falstaff“. Musikalisch bietet sie so ziemlich alles, was wir an Verdi lieben, ergreifende Arien und Duette, große Chöre, meisterhafte Zeichnung von Situationen und Charakteren.


Im Strudel zwischen Liebe und Macht


Vasily Barkhatov
, dem 39-jährigen Theaterregisseur aus Moskau, geht es vor allem um den gescheiterten Versuch zweier Machtmenschen, politischen Erfolg mit einem glücklichen Familienleben zu verbinden. Dafür stellt er der späten Fassung den Prolog aus der frühen Version voran. Simon, der vom Volk verehrte Korsar, hat ausgerechnet mit der Tochter seines erbitterten Widersachers Jacopo Fiesco eine Beziehung. Die junge Frau stirbt, die gemeinsame Tochter bleibt unauffindbar. Simones Suche nach ihr prägt den weiteren Verlauf der Handlung.

Der Regisseur vergleicht den Umgang mit historischen Fakten in der Oper des 19. Jahrhunderts mit Historienfilmen Marke Hollywood, in denen die Handlung zum größten Teil frei erfunden ist. Dementsprechend erleben wir nun eine Art Director’s Cut. Was der Regisseur für unglaubwürdig erachtet, etwa dass Simon in der Schülerin Amelia seine verschollene Tochter erkennt, wird per Lichtregie als Traum markiert.

Der Palazzo Ducale erscheint in Zinovy Margolins ungemein breit angelegter Bühne als funktionaler Bürobau von Heute, innen nüchtern vertäfelt, wie es mittlerweile gang und gäbe ist auf Berlins Opernbühnen, man muss es halt mögen. Die Bürger erscheinen als Adel in schicken Salongewändern (Kostüme: Olga Shaishmelashvili) oder als aufmüpfige Demonstranten mit Protestschildern. Es gibt viele ironische Verweise auf unser Medienzeitalter, Gazetten, Schlagzeilen, Fernsehausschnitte, das sorgt für manchen Lacher in dem düsteren Thriller. Man darf sich wieder mit dem Widerspruch befassen zwischen dem, was man hört, und dem, was man sieht.

 

Das was man hört, ließ zumindest bei der Premiere kaum Wünsche offen. Jader Bignamini, Chefdirigent des Detroit Symphony Orchestra, zeigt sich als Meister des italienischen Fachs und lässt das Orchester der Deutschen Oper aufblühen. Auch für die Sängerinnen und Sänger gab es diesmal einhelligen Jubel. Die Vorstellungen im Februar, die letzten dieser Spielzeit, sind jedoch alternierend besetzt.

Deutsche Oper Berlin, 9., 17. und 25. Februar. Hier geht’s zu den Karten.

 

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