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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 41

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

24. Juni 2013

Mal wieder Wien!


Die alte Kaiserstadt wie Märchenland; zumindest ihr Kern. Da wurde im letzten Jahrzehnt gewienert was das Zeug hält: renoviert, rekonstruiert, modernisiert. Alle Brünnlein plätschern, überall blüht’s, grünt's, ist der Rasen frisch rasiert. Und Frühmorgens wird gegossen, sogar die (jungen) Bäume - wer täte das in Berlin. Die Stadtreinigung kutschiert bis in die letzte Nebenstraße; in Berlin fände man so viel Pflege spießig. Hier gehört das zum kommunalen Schönheitsverständnis. Und des Nachts wird gefackelt was die Strahler hergeben. Das alte Europa in funkelnder Pracht – schick, reich, sexy. Aus funzelig-schmuddeliger Berliner Sicht: Zum neidisch werden.

 

Nebenbei bemerkt: Hier sind sie noch stadtbildprägend präsent: Kulturplakate von klein bis riesig. Acht Quadratmeter Papier beispielsweise für die Fotoschau von Linda McCartney; vier Quadratmeter für „Frau Luna“ (Volksoper, Regie Peter Lund, einst Neuköllner Oper); drei Quadratmeter für Hundertwasser (Belvedere) oder die sensationell neu gestaltete Kunstkammer im Kunsthistorischen Museum, ein Prunkbau, etwa halb so groß wie das alte Berliner Schloss. Bloß ein Quadratmeter für die philharmonischen Konzerte, dafür Goldpapier. Und die Plakat-Tabelle mit dem allwöchentlichen Bühnen-Programm, hier gibt’s die noch; die geliebten gelb-grünen Berliner Berek-Plakate sind ja längst vergessen. – Meine Beobachtung: Etwa die Hälfte der Plakatwerbung gilt dem Kulturbetrieb, die andere Hälfte der Wirtschaft. Ist ein Statement!

Theater an der Wien

Hier kommen im Gegensatz zur Staatsoper prononciert neue Regiehandschriften zum Zuge – etwa Philipp Stölzl mit seiner Neuinszenierung „Il trovatore“ von Verdi. Einerseits ist die Handlung ziemlich konfus, anderseits eine quasi konzentrierte Folge hochdramatischer Exzesse. Das verführte den Regisseur, der an der Berliner Staatsoper „Parsifal“ leicht verworren und „Holländer“ hübsch surreal bebilderte, im "Troubadour" alle Figuren und Chöre als Karikaturen ihrer selbst vorzuführen, was aufs unerfreulichste mit der aufregenden Explosionsmusik kollidierte. Doch die Durchschlagskraft des Komponisten war letztlich durch keinen der allerhand albernen Regieeinfälle zu bremsen. – Demnächst kommt der Verdi-Hit in die Schillertheater-Staatsoper, neu besetzt mit Anna Netrebko und Placido Domingo. Ich bin neugierig, wie der etwas ältere Herr mit dem Strumpfhosenkostüm klar kommt.

Wiener Staatsoper

Wie feiert das vielleicht bedeutendste Opernhaus der Welt 200 Jahre Wagner? Mit Nina Stemme, der – da sind sich alle Kenner einig – absolut weltbesten Isolde-Sängerin. Sowie mit dem internationalen Spitzentenor Peter Seiffert als Tristan. 21 Minuten Beifall in der ersten Vorstellung nach der Premiere von „Tristan und Isolde“ – sollte vor knapp 150 Jahren hier uraufgeführt werden. Doch ausgerechnet die Wiener Hofoper gab das „eigentliche Opus metaphysicum aller Kunst“ (Nietzsche) nach 77 Proben genervt als „unspielbar“ zurück.

Mittlerweile ist an diesem Elite-Institut nichts mehr unspielbar. Und wahrlich, alle Nerven kochten; noch dazu bei einer Außentemperatur von 38 Grad: Die Philharmoniker unter Franz Welser-Möst tönten ohne Jackett im weißen Hemd. Und pflegten auch diesmal die hier übliche Unsitte: Nach dem ersten Vorhang beim Schlussapplaus packen sie flugs ihre Instrumente, sagen einander Tschüs und verlassen schnurstracks den Graben. Das Publikum draußen auf dem Karajan-Platz bei der Live-Übertragung auf LED-Wand hockte halbnackt auf den Klappstühlen und klatschte verzückt wie das Volk im randvollen Saal. - Bei dieser Gelegenheit ein Lob des höchst erfolgreich praktizierten Stehplatz-Systems: Für den Preis, den ein läppisches Eis am Stiel kostet, ist man drin in der Höchstkultur.

 

Ja, es war ein unerhörtes Ereignis für einen immerhin Wagner-Gestählten: Noch nie überstrahlten derart betörend klar die Stimmen des tragischen Sehnsuchtspaars die gigantischen Klangmassive. Der schlicht bemühte Regisseur David McVicar tat dabei nichts weiter zur Sache. Es war quasi ein gigantisches Konzert in irgendwie historischen Kostümen, Irgendwie-Endzeitkulisse aus Mondlandschaft mit geborstenem Holz sowie Weltuntergangsbeleuchtung. Vielleicht braucht diese „Handlung“, so Wagner, auch gar keine Regie. Was die äußerst ketzerische Frage aufwirft, ob die wirklich großen Werke des Theaters letztlich ohne interpretatorische Spielmeisterei auskommen. Sie offenbaren ihre Wirkung ganz aus sich selbst.

Theatermuseum Wien

In den Foyers der Staatsoper eine Ausstellung mit Dokumenten der Wagner-Rezeption an diesem Institut. Requisiten, Bühnenbilder, Kostüme, Theaterzettel, Partituren – eine kleine Lektion über die Künste der Altvorderen aus den Archiv-Beständen des Österreichischen Theatermuseums im Wiener Palais Lobkowitz (seit Jahrzehnten ringt man in Berlin um eine derartige Einrichtung). Obendrein glänzt das Palais mit ständig wechselnden Sonderausstellungen. Gerade eben „Peter Handke und das Theater“; spannend, wie dieser Dramatiker seit seinen „Publikumsbeschimpfungen“ den Bühnenbetrieb mit Frischluft versorgte. Am BE läuft gerade die äußerst empfehlenswerte Inszenierung des neuesten Handke-Stücks „Die schönen Tage von Aranjuez“, eine sarkastische Plauderei über die Liebe, u.a. mit Burg-Schauspielerin Sylvie Rohrer.

Dessau

Zurück aus dem prallen, bunt und kostbar schillernden Wiener Kulturbetrieb ins etwas nüchternere Sachsen-Anhalt. Die Regierung in Magdeburg hat -- noch vor dem Hochwasser -- ohne Vorwarnung über Nacht angekündigt, dem Land mal eben viele Millionen aus dem Kultur-Etat zu streichen und werkelt so an der nächsten Katastrophe. Die einzelnen Einrichtungen dürfen sehen, wie sie - allein gelassen - Luft kriegen in diesem Würgegriff. Verantwortungsbewusste Kulturpolitik geht anders!

 

Für das äußerst respektable und leistungsfähige, Tradition wie Innovation geschickt in eins bringende Dessauer Theater (einem der größten kommunalen Arbeitgeber) würde der blindlings avisierte finanzielle Aderlass die ziemlich gründliche Vernichtung des glanzvoll Bestehenden, also das Ende des Mehrspartenbetriebs bedeuten. Übrig bliebe ein läppisches Rest-Theaterchen. Dagegen wächst der Volkszorn, der mit Großdemos -- noch gar nicht lange her -- schon einmal Theatermordgelüste der Kultur(!)politik vereitelte. Jetzt also (leider) wieder, zusammen mit den Theaterleuten, die sich allerhand Spektakuläres ausgedacht haben: Protest-Happpening am 28. Juni ab 12 Uhr mittags auf dem Theatervorplatz!! Die Berliner Fans (man kennt sich von den tollen Sonntagnachmittags-Opern) und überhaupt alle, denen die Zerstörung der kulturellen Infrastruktur an die Nieren geht, sollten nicht nur die Faust in der Tasche ballen, sondern herbeiströmen, solidarisch Flagge zeigen, die Dessauer nicht im Stich lassen im Clinch mit unglaublich wurschtigen, zukunftsblinden Kulturverwesern. Danach wäre noch allemal Zeit für eine Stippvisite im Wörlitzer Park zu den alten Dessauer Aristokraten, die vor zwei Jahrhunderten das Theater gründeten.

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