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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 337

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

17. August 2020

HEUTE: 1. „Indien“ – Die Vaganten Open Air / 2. „Die wilden Weiber von Neukölln“ – Berliner Kabarett Anstalt / 3. Glückwunsch: Carmen-Maja Antoni 75 

1. Vaganten Bühne - Schnitzel-Tester unter sich

"Indien" Open Air © Manuel Graubner

Hurra, da sind sie wieder! Endlich. Die Leute von den Vaganten, dem so bewundernswerten Privattheater an der Kantstraße. Doch spielen sie jetzt nicht in ihrem Gehäuse im Souterrain vom Kino Delphi direkt neben dem Theater des Westens, vielmehr haben sie ein Open-Air-Comeback in der Nachbarschaft: Im lauschigen Garten vom Savoy-Hotel in der Fasanenstraße. Dort sitzt man im corona-korrekten Abstand an Tischen an der frischen Luft und bekommt ein Menü serviert; wahrscheinlich österreichisch, wahrscheinlich Wiener Schnitzel – als die hier passende lecker Nebensache. Denn Hauptsache ist und bleibt das Theater. Bleibt das berührend komische Zusammentreffen von Herrn Bösel und Herrn Fellner in einem Dorfgasthof in der lieblichen Wachau…

 

Bösel & Fellner sind ein klassisches Paar der Sorte gegensätzliche Typen, die sich erst gegenseitig kloppen und schließlich einander mögen. Die beiden großen österreichischen Kabarettisten Josef Hader und Alfred Dörfer haben es für ihre Tragikomödie „Indien erfunden; seit langem ein Hit im deutschsprachigen Theater, ein sowohl grobes wie auch fein gehäckseltes Futter für zwei tolle Komödianten und obendrein ‑ mit den Autoren als Protagonisten – ein Kinofilm, der zu den erfolgreichsten Österreichs gehört.

 

Natürlich geht es überhaupt nicht um Indien oder Exotik, sondern um die niederösterreichische Provinz (um Provinz überhaupt) ‑ oder: ums einfach komplizierte Leben. Dort, etwa zwischen Dürnstein, Melk und Wienerwald, ist der ältere, sarkastisch abgeklärte Heinz Bösel unterwegs mit seinem jüngeren, romantisch über Gott und die Welt schwadronierenden Kollegen Kurt Fellner. Als Hygiene-Inspektoren inspizieren sie Kneipen und Landgasthöfe auf Einhaltung diverser Vorschriften, testen die Schnitzel-Produktion wie den Zustand der Toiletten, wobei man sich zwangsläufig einander nahe kommt, was zum Zusammenprall ziemlich unterschiedlicher Lebenswelten, Ansichten, Gewohnheiten führt. Zunächst geht man sich mächtig auf den Keks. Doch allmählich wächst aus der erzwungenen Nähe eine gewisse Hassliebe und schließlich, am todtraurigen Ende, eine innige Freundschaft, gegenseitige Sehnsucht und Zuneigung.

 

Die durch brillante Dialoge und scharfe Pointen bestechende Komödie ist einerseits ein derbes Stück vom saftigen Leben einschließlich seiner ganz unterschiedlich bitterkomischen Enttäuschungen, anderseits ein sanft anrührendes Stück über den oft so schrecklich überraschend ins Dasein schlagenden Tod.

 

Das alles steht und fällt mit einer starken Besetzung; Regisseur Lars Georg Vogel fand sie mit Jürgen Haug (Bösel) und Urs Stämpfli (Fellner), sorgte – schon bei der Premiere vor gut einem Jahr ‑ für prägnant austarierte Stimmungslagen und verlegte die Handlung vom Niederösterreichischen ins Schwäbische („Indien“ als Provinz ist überall). So verstärkt das Mundartliche, perfekt beherrscht, noch das Saukomische wie herzergreifend Traurige. Und beschert gewiss auch jetzt bei der Wiederaufnahme dem schon seinerzeit hingerissenen Publikum großartiges Theater.

 

Termine: Noch Karten für 28., 29. August; 3., 4., 5., 10., 11., 12.,17., 18., 19., 24 September jeweils 18.30 Uhr. Tickets einschließlich Menü: 42 Euro. 

 

 

***

2. BKA-Theater: - Kleines Welttheater mit Neuköllner Halbwelt-Weibern

Ades Zabel & Company: Die wilden Weiber von Neukölln © Jörn Gartmann
Ades Zabel & Company: Die wilden Weiber von Neukölln © Jörn Gartmann

„Wir sind, was wir sind – und das ist ganz gewöhnlich“ trällert das weltberühmte Damen-Trio aus Neukölln: die prollige Hartz-VIII-Queen Edith Schröder, die tantenhafte Kneipenwirtin Jutta Hartmann und die frettchenhafte Legginsboutique-Besitzerin Brigitte Wuttke. Und irgendwie stimmt das schon mit dem „gewöhnlich“ im Sinne von „normal“, zumindest für Nord-Neukölln. 

 

Es stimmt aber auch im Sinn von „extrem-gewöhnlich“ oder anders gesagt von „ordinär“. Denn was die von Maria Schenk im kostbaren Kiez-Style kostümierten Weiber von Neukölln Ades Zabel, Bob Schneider und Biggy van Blond so alles ablassen zwischen Tunten-Revue, ätzend sozialpolitischem Kabarett, schmissiger Hitparade und drastischer Dating-Show (wer ganz vorn sitzt, hat die Chance, für einen Prosecco mitspielen zu dürfen), was da also mit diesem Dreier alles abgeht auch an unkorrekt Schrägem im Neuköllnical „Die wilden Weiber von Neukölln“, das ist nix für abgespreizte kleine Finger. Verbreitet aber allemal supergute Laune. Und vermittelt nebenher den zahlreichen Touristen im animierten Publikum (das längst nicht mehr nur aus Fans der Szene besteht) einen saftigen Einblick ins Berlinische Innenleben jenseits von Mitte mit Gendarmenmarkt. 

 

Allein schon die kräftig ins Absurde gedrehten real-dramatischen Stationen der Show machen klar, welch Daseins-Kosmos hier durchschritten wird: Neben Suffloch-Kneipe, Beinbekleidungs-Shop und privat-heimischem Sofa mit Spitzendeckchen auf dem Fernseher in der Nogatstraße gibt’s nämlich im Kontrast den Bio-Kaufladen, die Psycho-Therapie-Praxis, die Soja-Latte-Tränke für vegane Blogger, das Forschungslabor für Arzneimittel-Probanden sowie das Studio vom Stadtteil-Fernsehen. Damit ist fast alles gesagt. 

 

Der tobende Rest sind Tempo-Tempo, Impros, Wortwitz (klasse Script!), fliegender Kostümwechsel, urige Musiken und urkomische Filmeinspieler – Regisseur Bernd Mottl mit seinem genialen Händchen fürs trefflich Aberwitzige bringt die ausgefallene Mischung souverän unter den einen ausladenden Damentuntenhut – der freilich allemal ein bisschen mehr ist als bloß Dame und Tunte. Der also einen frechen Stich hat vom sozusagen ziemlich Speziellen ins ordentlich Allgemeine. Darauf einen Futschi! 

 

Futschi? Das ist der in jeder Hinsicht durchschlagende und vornehmlich in der Nord-Neuköllner Pumps-Szene beliebte Alkohol-Mix aus Cola-Weinbrand; das Mischungsverhältnis je nach Stimmung - die brave Norm wäre 80:20. Selbstverständlich belieben auch Edith, Brigitte & Jutta ihn lustvoll zu schlucken in schönen wie schlimmen Lebens- und Mischungsverhältnissen. 

 

(wieder 26.-29. August; 2.-5. September) 

 

*** 

 

3. Lorbeerkranz: - Carmen Maja Antoni 75

Carmen-Maja Antoni
Carmen-Maja Antoni

„Ich war elf und hatte weiße Kniestrümpfe an.“ – Ja doch, sie fing sehr früh an: Als Jungpionier mit blauem Halstuch im DDR-Kinderfernsehen mit den kabarettistisch gefärbten Nummern der „Blauen Blitze“. Prompt folgten erste Filmrollen für die süße Rotzgöre mit dem blonden Strubbelkopp aus der Reihenhaussiedlung in Berlin-Adlershof, wo Carmen-Maja Antoni am 23. August 1945 als „Nichtwunschkind“ in nicht eben üppig kleinbürgerliche Verhältnisse hineingeboren wurde. Noch vor ihrem Schulabschluss kam die Hochbegabte als jüngste Studentin an die Filmhochschule Babelsberg. Dann ans Hans-Otto-Theater Potsdam und gleich danach an die Spitze, an die Volksbühne Berlin zu Benno Besson. Seit 1976 war sie, die „Kleene“ mit der großen Klappe und dem Schalk im Nacken (oder einem allertraurigsten Ernst im Herzen), am Berliner Ensemble; zuletzt, vor Peymanns Abgang, als Gast- und Kassenmagnet.  

 

„Eine kleine große Kämpferin mit leuchtenden Augen und unverwechselbarer Stimme, die mit ihrem Körper größte Bühnen zu füllen und ihr Publikum zu verzaubern vermochte“, so beschrieb der Dichter und Dramatiker Christoph Hein „seine“ Antoni. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ rief ziemlich spät und überrascht: „In der DDR war sie ein Star!“ Das war unsereins damals im nüchternen Osten so gar nicht recht bewusst. Ja schon, die Antoni war bekannt; vor allem aber war sie den Leuten mit ihrer gewitzten Unverblümtheit so etwas wie eine Volksschauspielerin. Doch ein Star? ‑ Aber als Peter Palitzsch 1990 zurück kam ans Berliner Ensemble, da hielt er die Berühmte für eine Maskenbildnerin. Unglaublich. 

 

Erst BE-Intendant Claus Peymann begriff, was er an dieser Künstlerin hat. Jetzt feiert man sie als „Giulietta Masina des Ostens“. Peymann befeuerte alsbald und unablässig mit ganz großen Aufgaben ihre zweite grandiose Karriere, die jenseits der 55; etwa, bloß um drei Beispiele zu nennen, in Werner Schwabs schwarzem Schwank „Präsidentinnen“, in Brechts „Mutter“ und „Mutter Courage“. – CMA kannte ja noch Helene Weigel, die am Schiffbauerdamm den Planwagen zog. Die Marketenderin war deren Rolle, in der sie alsbald zur weltberühmten Legende wurde. „Nun ist es meine“, sagte die Antoni mit lässig weggestecktem Stolz. Und so wurde auch ihre Courage legendär und ganz eigenständig durch, so könnte man sagen, ihre so besondere berlinische Gewitztheit. Dafür gab es jedes Mal Standing ovations. 

 

Freilich, es dauerte seine Zeit, bis Peymann, der anno 2000 als BE-Chef antrat, diese so herrlich schrundige, durchtrieben schillernde Perle im Ensemble wirklich wahrnahm; seine Vorgänger nach 1990 waren diesbezüglich ziemlich blind. Die Antoni ist Peymann, diesem ‑ so sagt sie – „genialen Berserker“, bis heute dankbar für ihre „Wiederentdeckung“. Auch wenn es unter ihm nicht immer einfach, also immer „anstrengend“ war. Wenn es denn üblich sei, von Regisseuren herumkommandiert zu werden („eine Schattenseite des Schauspieler-Berufs“), dann kommandierte Peymann wohl besonders hingebungsvoll. „Aber ich bin Gott sei Dank überhaupt nicht nachtragend. ‑ Die Leute denken ja immer, mein Beruf besitze Sonnigkeit, doch das stimmt nicht, er besitzt Schwere. Ich freilich bin ein Zugpferd.“ Doch Zugpferde werden auch am Theater gepeitscht, nicht gestreichelt.„Zerbrechlichkeit bei der Arbeit“, die mag sie nun überhaupt nicht. „Da will ich kräftig und großartig, da will ich ganz da sein.“ 

 

Sie war es so gut wie immer; schon unter Regie-Königen wie Heiner Müller, Manfred Wekwerth, Peter Zadek oder George Tabori. Doch Benno Besson, der Lehrer aus ferner Volksbühnen-Zeit, der sei wirklich prägend gewesen. Der habe gesagt: „Willst du singen? Also sing!“. Seither hat CMA Liederabende im Repertoire. „Besson hat mich gelehrt, mein Wesen mit Frechheit auf die Bühne zu packen.“ Er war ihr großer Mutmacher, das Ureigene, das Zähe, Skeptisch-Schüchterne und das selbst im Kummer Komische pointiert auszuspielen. Und noch dazu ihr Anderssein (der Zwerg, Gnom, Clown, der Kobold und Kumpel) jenseits von klassisch-imponierender, langbeinig triumphierender Schauspielerinnen-Schönheit, was ihr, sie sei schließlich auch dünnhäutig, einige Komplexe hätte aufbürden können. Doch sie nahm es, unverwüstlich und trotzig, wie sie sich gibt, „als einen Segen“. „So konnte ich in Ruhe Schauspielerin sein.“ Zwar gäbe Schönheit eine gewisse Leichtfüßigkeit – „ich aber musste auf schweren Sohlen laufen“. Doch man merkt es nicht. 

 

Das wurde meist so gesehen und belohnt, gern auch mit Hauptrollen im Theater (Grusche, Shen Te, Eva im „Puntila“) und mit unzähligen großen, aber auch kleineren Rollen im Film; zunächst Defa und DDR-Fernsehen. Nach 1990 im TV beispielsweise „Rosa Roth“ mit Freundin Iris Berben, in der Strittmatter-Verfilmung „Der Laden“ oder den Dorfpolizist-Krause-Filmen (in Krause steckt ja ein gehöriges Stück Antoni und umgekehrt) sowie im Kino „Der Vorleser“ oder „Das weiße Band“ von Michael Haneke. 

 

Für jedes ihrer beiden Kinder verzichtete die tolle Mama auf einen großen Bühnen-Klassiker: Erst bei Sohn Jacob auf Tschechows „Möwe“, dann bei Tochter Jenny auf Shakespeares „Hamlet“. „Aber was bedeutet schon eine Hauptrolle gegen ein wunderbares, winziges neues Kind im Arm?“ Die Gören sind mittlerweile erwachsen, und die Antoni wechselte daheim längst ins schöne Fach der Großmama. 

 

Doch was heißt daheim. Es gäbe noch so allerhand alte Schachteln, die sie nicht gespielt habe, murmelt sie. – Wie schön, dass sie gerade jetzt wieder spätabends durch die Wiederholungsschleifen der dritten ARD-TV-Programme flimmert. Als ziemlich bissige alte Schachtel in der kultigen Comedy-Krimi-Serie „Mord mit Aussicht“. Da terrorisiert Antoni als Wachtmeister Schäffers ausgekochte Mutti Irmtraud in rücksichtsloser Mutterliebe dessen Eheleben. Doch Dietmar, total eingeschüchtert, kann bloß kuschen vor diesem Über-Frauchen, das all ihre Mama-Machtregister zieht als Schelm, Schalk, Hexe, Teufel. Großartig, diese Psycho-Miniaturen. ‑ Gratulation zur 75, liebe Antoni. 

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