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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 327

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

10. Februar 2020

HEUTE: 1. „Drei Mal Leben“ – Berliner Ensemble / 2. „Wir sind auch nur ein Volk“ – Hans-Otto-Theater Potsdam / 3. Konzert-Tipp: Aladdin Haddads Guitar Show – Kulturvolk-Haus

1. Berliner Ensemble - Sieg der Lebenskunst, depressiv gerahmt

v.l. Constanze Becker, Judith Engel, Nico Holonics, August Diehl © Bernd Uhlig
v.l. Constanze Becker, Judith Engel, Nico Holonics, August Diehl © Bernd Uhlig

Yasmina Reza heißt die angeblich meistgespielte Autorin, eine Französin mit persischen Wurzeln, die wie kaum sonst eine Dramatikerin die schwere Kunst beherrscht, in die schmuckreichen Fassaden der Gutbürgerlichkeit mit Leichtigkeit tiefe Löcher zu hacken. Eine banale Sache eskaliert im Handumdrehen zur totalen Katastrophe. Sehr komisch, ziemlich schmerzhaft, aber auch äußerst erhellend bezüglich der bei jedermann gern und gut versteckten Charakterschweinereien.

 

Und obendrein gehörig philosophisch oder meinetwegen zivilisationskritisch wenn man bedenkt, was da in uns Bürgern der (gehobenen) Mittelklasse für Lust auf Wundenhacken beim Nächsten oder Liebsten schwelt und dann, auf der Bühne, losgetreten wird – wie beispielsweise im Reza-Klassiker nun schon älteren Datums mit dem etwas hochtrabenden Titel „Drei Mal Leben“.

 

„Drei Mal Leben“ zeigt quasi im Laborversuch hintereinander das dreimalige Aufeinanderprallen zweier gut situierter Akademiker-Ehepaare mittleren Alters bei einem abendlichen Zusammentreffen. Die improvisierte kleine Party läuft, der Reza-Dramaturgie folgend, zunehmend außer Rand und Band, nicht zuletzt auch durch kräftige Beihilfe von Alkohol. Merke: Die Decke des Zivilisatorisch-Kultivierten ist dünn.

 

Es geht um Statuskämpfe, Partnerschafts-Missverständnisse nebst erotischen Flunkereien; um eheliche Rollenverteilung, Haushalt, Essen, Kindererziehung, Klamotten und immer wieder, sonderlich zwischen den beiden Herren, um Anerkennung oder eben Nichtanerkennung beruflicher Leistung.

 

Im gemischten Doppel treten an: Der schluffige Astrophysiker Henri (Nico Holonics) und seine lässige Ehefrau Sonja (Constanze Becker), eine coole Karrierejuristin. Daneben Henris machtgeiler Vorgesetzter im Forschungsinstitut Hubert Findori (August Diehl) sowie sein schickes Heimchen am Herd Ines Findori (Judith Engel). Zwischen beiden Paaren gibt es durch die hierarchische Abstufung der Männer ein grundsätzliches Gefälle: Henris berufliches Fortkommen hängt von Hubert Findoris Wohlwollen ab.

 

Das Match besteht – sein Titel annonciert es – aus drei Sätzen. Was heißt, die Zimmerschlacht wird in drei Varianten durchspielt. Und um es gleich zu sagen: Die Schlacht fällt diesmal vergleichsweise moderat aus, führt längst nicht derart finstere Abgründe wie beispielsweise in den Reza-Klassikern „Der Gott des Gemetzels“ oder „Kunst“.

 

Zuerst herrscht da also ein verlogen verkrampftes Mauern an der Fassadenhöhe; dann weinerliches Ausbreiten depressiver Kaputtheit und schließlich keckes, kesses Ausstellen selbstironischer Souveränität. Besagtes Gefälle zwischen beiden Paaren verringert sich also dem Ende hin zusehends. Vor allem, weil in Henri ein schönes Selbstbewusstsein erblüht. ‑ Wir lernen: Man muss nur seine positiven inneren Kräfte mobilisieren, um gegen die Fährnisse des Lebens zu bestehen.

 

Starregisseurin Andrea Breth, hier im BE erstmals wieder in Berlin (zuletzt war sie, vor Thomas Ostermeier, Chefin der Schaubühne), Breth hat mit der ihr eigenen altmeisterlichen Präzision die Wechsel der Stimmungen, der Gemengelagen, das Auf und Ab der eloquenten Konversation inszeniert. Das erlesene Ensemble liefert in üblich gekonnter Selbstverständlichkeit hübsch verbale Gemetzel, wobei die Frontverläufe immerzu und überraschend sich kreuzen und queren. Neid und Eitelkeit, Verlogenheit, Frechheit und Angst köcheln. Doch Abgründe brechen eigentlich nicht auf und auch Welten brechen nicht wirklich zusammen.

 

Das alles wird uns auf tiefschwarzem Teppich serviert in einem tiefschwarzen Bühnenloch (Szenenbild: Raimund Orfeo Voigt). Die Figuren werden auf schwarzledernen Fauteuils in Zeitlupe auf Drehscheibe aus dem Nirwana zum tranig beleuchteten Schlagabtausch herein, heraus, herein gefahren. Rezas Laborversuch in Form einer Konversationskomödie wird mithin bedeutungstief sowie betont ernst mit lastendem Schwarz gerahmt. Warum nur? Warum der depressive Schleier? Das nervt. Das lähmt das Zuschauen. Das passt schwerlich zur eher luftigen Atmosphäre des Stücks.

 

Ja schon, es gibt Schlimmes und Böses, was sich wiederum kreuzt mit Alltagsfrust und Allerweltsdämlichkeiten. Also gibt es auch allerhand zum Lächeln. Oder lachend Beiseiteschieben.

 

Und das Finale gewinnt doch – Licht am Horizont ‑ unser anfangs so arg gebeutelter Henri jenseits von geschwärzten Rahmen. Nämlich mit seiner in aufgeregter Weisheit gewonnenen Freiheit, das Ganze, die Probleme und (hier vor allem) die Problemchen und womöglich gleich das ganze Leben nicht so tierisch ernst zu nehmen. Sondern – eine gelernte Kurz-Lektion Lebenskunst ‑ gelassen melancholisch und überwiegend witzig und leicht.

 

(Wieder 14.-16. Februar; 6., 7., 21., 22. März)

 

***

 

2. Hans Otto Theater Potsdam - Westler im Ostler-Familienstadel

"Wir sind auch nur ein Volk" © Thomas M Jauk

Da hat die Dramaturgie tief in den Archiven gewühlt – ihr Fundstück: Ein Script von Jurek Becker fürs Fernsehen Anfang der 1990er Jahre „Wir sind auch nur ein Volk“. Schon der Titel stellt klar: Es geht ums Deutsch-Deutsche, um Annäherungen und Abstoßungen, und es geht lustig zu. Beckers eher skizzenhafter Text war wohl die Vorstufe eines größeren TV-Projekts, nämlich einer Familienserie, die gesellschaftspolitische Friktionen mit Witz ins Persönlich-Intime übersetzt und in Küchen, Wohn- und Schlafzimmer kräftig krachen lässt. Immerhin sendete das Erste 1994/95, drei Jahre vor Jurek Beckers frühem Tod, ein paar Folgen – alles längst vergessen.

 

Und jetzt im Hans-Otto-Theater wieder ausgegraben. Passt ins Jubiläum 30 Jahre Wiedervereinigung; die entsprechenden Konflikte sind ja bis heute wahrlich nicht kleiner geworden.

 

Zum Gerüst der Story: Die ARD plant eine Serie – ein Straßenfeger soll‘s werden ‑ übers konfliktreiche Zusammenkommen von Ost und West, chartert den Autor Steinheim (Reneé Schwittay), der sich eine typische Ex-DDR-Familie suchen soll zur Grundlagenforschung und „authentischen Recherche“. Das Säckel für Spesen und Honorare ist prall gefüllt, und auch Familie Grimm, das Studiensubjekt, kann Geld gut gebrauchen.

 

Papa Grimm (Jon-Kaare Koppe), Dispatcher, ehemals SED, ist langzeitarbeitslos; Mutter Grimm (Kristin Muthwill) war und ist Lehrerin; SohnTheo (David Hörning) ist abgebrochener Philosophiestudent und sein Opa (Joachim Berger) Rentner. Desweiteren geistern noch Schwäger und Schwägerinnen, Freunde und Freundinnen in grotesk komischen, albernen oder traurigen Auftritten durchs Grimmsche Gehäuse.

 

Dafür baute die ingeniöse Bühnenbildnerin Susanne Maier-Staufen einen wie im DDR-Nostalgiemuseum zu bestaunenden Wohnturm, aus dem sich beim Drehen immerzu neue Kemenaten wundersam herausklappen lassen.

 

Unser mit Tonband, Stift und Fotoapparat bewaffneter ARD-Forscher hat also unentwegt zu tun, den leicht prekären, von diversem allgemeinmenschlichen Zwist überlagerten Grimmschen Alltag zu beobachten. Er entdeckt erquickliches Material wie der Osten, aber auch wie der Westen tickt. Findet jede Menge Vorurteile, aber auch jede Menge Wahrheiten – schöne und schlimme.

 

Doch Papa Grimm meint – Jon-Kaare Koppe als lakonischer Komödienkönig im Spiel ‑, alles noch drastisch anreichern zu müssen. Auch, um die öffentlich-rechtliche Geldquelle am Sprudeln zu halten. So engagiert er einen Kumpel, der den Ex-Schlapphut mimt, um gehörig Stasi-Geruch, Altlast-Frust und Widerstands-Geist zu verbreiten.

 

Dem Genre der Serie gemäß könnte man das aufschlussreich komische Spielchen zwischen den liebenswert schlitzohrigen Grimms und dem netten naiven ARD-Autor fortschreiben bis ins unendliche. Doch ohne Vorwarnung stoppt die Fernsehzentrale das Projekt. Kein Geld mehr für Grimms. Keinen Job mehr für Steinheim. Schluss mit lustig, gerade als man sich anschickte, einander freundschaftlich näher zu kommen.

 

Das alles klingt nach großer Komödie, bleibt aber vom Autor bloß angedeutet. Also strengt sich Regisseur Maik Priebe mächtig an, die auf Brettel-Höhe kabarettistisch angesiedelten Szenen und Szenchen aufs große Format zu wuchten und mit langem Atem für „Figurentiefe“ hingebungsvoll auszumalen. Gut zwei Stunden lang. – Aber: Viel Gepinsel und Gekleckse machen noch kein starkes Bild. Hätte er doch nur die Chose als kompakt grellen, schnellen Comic dem vergnügungssüchtigen Publikum vor den Latz geknallt. Trotzdem viel Beifall, und alle Folgevorstellungen bislang fast ausverkauft.

 

(Wieder am 14., 16. Februar, am 14. März)

 

***

3. Konzert exquisit: - Crossover auf der Gitarre

Aladdin Haddad © Maria Carrasco
Aladdin Haddad © Maria Carrasco

Der junge Syrer Aladdin Haddad ist ein Virtuose auf seinem Instrument. Die beständige Suche nach einer variablen und weiten Klanglandschaft bildet zugleich die Landkarte seiner musikalischen Orientierung ab; gibt es doch in der Welt der Musik unendlich viele Klänge zu entdecken. Crossover beschreibt am besten das breite Spektrum von Haddads Gitarren-Musik, in dem jedes musikalische Genre feinen Einfluss hat.

 

Aladdin Haddad machte seinen Bachelor an der Hochschule für Musik in Damaskus. Den Masterabschluss bekam er 2017 an der Hochschule für Künste in Bremen. Seine bisherige Konzertlaufbahn führte ihn als Gitarrist zu Gastspielen nach Jordanien, Libanon, Italien, Polen, die USA und natürlich durch ganz Deutschland. Freuen wir uns auf ein Solo-Konzert der erlesenen Art.

 

Eine Veranstaltung im Rahmen der Kulturvolk-Reihe „Montagskultur“ am Montag nächster (!) Woche, am 17. Februar, 19.30 Uhr, im Kulturvolk-Haus Ruhrstraße 6, 10709 Berlin. 15 Euro für Mitglieder. Für Nichtmitglieder 18 Euro; für diese auch buchbar via Telefon 030-86 00 9351.

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