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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 324

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

20. Januar 2020

HEUTE: 1. „Ich bin nicht Mercury“ – Schlosspark-Theater / 2. „(Life on earth can be sweet) Donna“ – Deutsches Theater

1. Schlosspark-Theater: - We Are the Champions

"Ich bin nicht Mercury" © DERDEHMEL/Urbschat

„Ich bin nicht Freddie Mercury!“, brüllt Thomas Borchert, der immerhin ‑ enge Hose, golden Glitzerhemd, schmaler Schnäuzer ‑ ein bisschen so aussieht wie der ruhmreiche Queen-Sänger und Komponist (1946-1991). Kostüm und Maske mal beiseite geschoben: Borchert macht mit seiner Röhre wirklich wahnsinnig was los! Nicht umsonst zählt er zu den preisgekrönten Stars der gesamten deutschsprachigen Musicalszene.

 

Die Geschichte geht so: Unser Star Thomas spielt und singt Chris, den Frontmann der Rockband namens „UnderPressured“. Mit den Solisten Lisa, Ken und Frank probiert Chris mit der auf Erfolg erpichten Truppe letztmalig, bevor es endlich ins Studio geht. Dort sollen Songs von Mercury & Queen gecovert werden. Zwischendurch kommt es – vorhersehbar – zu diversen Klein- bis Mittelgroßkrächen bezüglich diverser Sex- und Herzensangelegenheiten  der Allstar-Band. Vor allem aber kommt es, auch vorhersehbar, zu einer grandiosen Parade mit Mercury-Queen-Hits, dass die Schlossparkbude nur so kracht, die Decke abhebt und das Publikum in Ekstase stürzt. Ein Riesen-Wow!

 

Das liegt selbstredend an den britischen Originalen, aber auch und hier vor allem an den herausragenden musikalischen Qualitäten der Musiker Harry Ermer (Leitung), Philipp Schmitt, Sebastian Vogel, Bejamin Barritt. Und an denen der großartigen Solisten, die nicht nur schmettern, krachen, säuseln, summen können, sondern dazu noch perfekt sprechen und präzise spielen. Neben Thomas Borchert sind das Frederike Haas (alternierend mit Sophie Berner), Marco Billeb und Michael Ernst. ‑ Herr Hallervorden, der Intendant, hat sich dieses ausgesprochen exquisite Casting – alles andere wäre ja auch lächerlich ‑ allerhand kosten lassen. Da muss geklotzt und nicht gekleckert werden. Bravo!

 

Man darf wissen: Für eine inszenierte Mercury-Biografie im Theater braucht es das schier unbezahlbare Große Recht. Und das so genannte Kleine Recht der Gema verbietet grundsätzlich eine komplette Biografie. Also macht der erfahrene Autor und Regisseur Thomas Schendel aus der Not ein Stück, das vorsichtig an Freddie Mercury erinnert mit dem sinnigen, Gema-freundlichen Titel „Ich bin nicht Mercury“. Sagen wir, es ist eine Art Stück mit einigen kurzen Szenen aus dem üblicherweise genervten Alltag einer Künstlergang. Müsste eigentlich gar nicht sein, stört aber auch nicht weiter. Ist wie die Deko-Petersilie auf einem opulenten Essen. Denn eigentlich ist alles ein großartiges Konzert, ein Schmankerl, von dem man nicht genug haben kann.

 

(Bis 23. Februar)

 

***

2. Deutsches Theater - Theater im Krümmungsfeld - „(Life on earth can be sweet) Donna“.

(Life on earth can be sweet) Donna © Arno Declair
(Life on earth can be sweet) Donna © Arno Declair

„Irgendwie hat es eine kleine Gruppe deutscher Theatermacher (es sind fast immer Männer) geschafft, ein Krümmungsfeld um ihre Bühnen herum zu errichten, das Oberflächlichkeit tiefgründig erscheinen lässt“, schrieb Derek Scally, Kritiker aus Dublin und langjähriger Beobachter des ihm zunehmend platt und eitel erscheinenden hiesigen Theaterbetriebs, in einem offenen Brief an den „lieben René Pollesch“. Sein Text schloss mit der sarkastischen Bemerkung, dass er nach zwanzig Jahren in Deutschland das Theater so sehr liebe, dass er künftig lieber ins Kino gehe.

 

Eine bedenkenswerte Außensicht auf unseren sagen wir so: avancierten Bühnenbetrieb, der auch hierzulande polarisiert. Dabei versteht es René Pollesch, der es versteht, eine immerhin riesige Fangemeinde um sich zu scharen. Gerade auch unter Schauspielern, wohl weil die es besonders toll finden, keinen fertigen Text „durchlatschen“ zu müssen, wie Martin Wuttke gestand. Und weil Performance erstens wichtiger ist als Text und mehr Spaß macht als lange Lernerei. Und zweitens, weil der Pollesch-Text überwiegend im Probenprozess entsteht, also jeder seinen Senf dazu geben darf. Viele Stars reißen sich geradezu darum, in Polleschs Stücken unter lässiger Pollesch-Regie (besser: Arrangement) aufzutreten, um so ihr Könnertum auszustellen, was es dann wiederum schwerer macht zu meckern.

 

So geht es mir auch – ein bisschen ‑ mit der jüngsten Produktion des designierten Volksbühnen-Intendanten am DT. Ihr Pollesch-typisch verschwurbelter Titel „(Life on earth can be sweet) Donna“. Die Kritiker-Mehrheit jubelte „Gedankenhochbeschleunigung“, ich hingegen dümpele bei der Derek-Scally-Minderheit.

 

Zugegeben, als Renè Pollesch vor zwei Jahrzehnten anfing mit seinen Hochgeschwindigkeits-Inszenierungen, in denen er komplexe kapitalismuskritische Texte mit tollen Spielern im sozial diversen WG-Ambiente durch die Zentrifuge jagte, da war das neu, erhellend, hinreißend. Denn da ging es wirklich noch um etwas, etwa Ich-AG, Jobsuche, Arbeitslosigkeit, Transferleistungen oder Mietwucher. Und das betraf viele.

 

Inzwischen, mit dem rasend ansteigenden Pollesch-Ruhm, ist das sehr anders geworden. Jetzt umkreist unser so luftig wie geschäftstüchtiger Theater-Turbo Luxusprobleme, die höchstens Insider unseres Bühnenbetriebs quälen. Da dreht man sich theoretisierend um Sein und Schein, Identität, Transformation, Zuschreibung, Präsenz und Distanz, Darstellung und Interpretation. So etwa. Kurz gesagt, es soll gegen das „selig entschlafene, lächerlich anachronistische Theater des bürgerlichen 19. Jahrhunderts mit seinen Geschlechterklischees, Charaktermasken und Einfühlungsangeboten“ gehen, so sagt es ein begeisterter Berliner Pollesch-Erklärer.

 

Die Erklärungen dazu im „Donna“-Programmheft beschränken sich auf drei Film-Tipps und vier Lektüre-Angebote, darunter der Titel „Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän“, ein Buch der Feministin Donna Haraway, die den Titel „Donna“ spendiert. Tiefgang also durch nachbereitendes Selbststudium zu Hause unter Anleitung der DT-Dramaturgie.

 

Zurück zum längst ausgelutschten Pollesch-Thema in „Donna“, dem Schmäh des uralten Einfühlungstheaters als Gefühlsdroge. (Im Kino freilich darf die Droge skrupellos genossen werden; das nebenbei.) Der Schmäh freilich fällt ziemlich luftig und unverständlich aus, aber es gibt ja gegen Langeweile die Droge Popmusik.

 

Auch bleibt das Buch der Haraway weitgehend unkenntlich. Vielmehr rekurriert man – auch bloß arg andeutungsweise ‑ auf Max Reinhardt und seine Drehbühne (vormodern?) sowie auf Bertolt Brecht und sein episches Theater (modern!) am Beispiel einer Unfall-Darstellung in „Die Straßenszene“. Die wird zum Höhepunkt des Abends: Fünf Darsteller spielen als knallbunte Pappautos verkleidet Auto-Crash. Ulk wie zum Kindergeburtstag. Ansonsten geschieht wenig auf der hin- und her ruckelnden Drehbühne; was meint: Reinhardt funktioniert nicht mehr. Weshalb sie auch keine Romantik-Deko trägt, sondern verschachtelt öde Pappwände; aufgestellt von keiner geringeren als Bühnenbildnerin Anna Viebrock.

 

Oder doch, es geschieht noch was! Nämlich eine wie aus dem Nichts geschäumte Parade von Clownerien über die Verzweiflung an des Daseins Vergänglichkeit zwischen Milan Peschel und Martin Wuttke. Einfach so, aus dem Hut mit Jux und Tollerei gezaubert, entsteht da mit zwei älteren, heterosexuellen weißen Männern, die eine hübsche Portion Gefühlsdroge liefern, ein Stückchen virtuos altmodisches Schauspielertheater. Ist nicht ganz abendfüllend, beglückt aber mit ein paar sinnigen Momenten (emotionalen) Tiefgangs. Ansonsten ist „Donna“ routiniert polierte Oberfläche plus reichlich Einspieler klassisch süffiger Pophits (Bob Dylan!, passt immer). 100 Minuten, und auch dieser Pollesch-Scherz mit „Krümmungsfeld“ ist vorbei.

 

(Wieder 24. Januar; 9., 10. Februar)

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