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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 315

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

8. November 2019

HEUTE: 1. „Don Quijote“ – Deutsches Theater / 2. „Fontanes Berlin. Fotografien & Schriften – Fiktion & Wirklichkeit“ ‑ Märkisches Museum-Stadtmuseum Berlin

1. Deutsches Theater: - Herr Spindeldürr und sein Knecht Fettwanst

Wolfram Koch & Ulrich Matthes  © Arno Declair
Wolfram Koch & Ulrich Matthes © Arno Declair

Zwei Best-Schauspieler und zwei große gegensätzliche Figuren, alles zusammen kann eigentlich nur ein ganz großer Theaterabend werden. Nun, er war ganz schön; aber nicht ganz groß.

 

Obwohl der Text aus der Weltliteratur kommt, nämlich von Miguel de Cervantes‘ Ritterroman „Don Quixote“, aus dem der so fleißige wie ambitionierte Jung-Dichter Jakob Nolte eine griffige Kurzfassung der 1600 Buchseiten destillierte auf Grundlage der trefflichen Übersetzung von Susanne Lange; von Regisseur Jan Bosse erstaufgeführt bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen, jetzt beim Kooperationspartner DT gezeigt in Berlin.

 

Es ist die von Komik wie Tragik durchsetzte Abenteuergeschichte des fahrenden Ritters Don Quijote (in dieser Schreibweise), der mit seinem Knappen Sancho Panza nebst Ross Rosinante auf Heldentaten aus ist, dabei gegen das Böse und das Unrecht ankämpft sowie unermüdlich nach seiner liebsten Traumfrau Dulcinea sucht.

 

Was da dem weltentrückt fantasierenden, spindeldürren Herrn mit den großen Stauneaugen unterm Helm mit Blümchenkranz (Ulrich Matthes) und seinem geerdeten, trotz wuchtiger Fettleibigkeit agilen Knecht (Wolfram Koch) an irdischem Unbill auch passiert und gelegentlich zu schwerem gegenseitigem Zwist führt, die beiden Clowns, der melancholische und pragmatische mit der unerschütterlichen Sehnsucht nach Glückseligkeit können doch nicht ohne einander. Immer wieder kommt es zu herziger Versöhnung, bis schließlich Quijote, des Lebens müde, sein Alter Ego aufgibt und als Alonso Onijano kraftlos in den ewigen Schlaf sinkt.

 

Was für eine Geschichte von einem Verrückten und seinem verzweifelten Helfer, die immer wieder ins philosophisch Hochbedeutende kippt; die erste und letzte Daseinsfragen umspielt sowie das schwierig verschwommene Verhältnis von Traum und Illusion, Wahn und Wirklichkeit, Sein und Schein. Sancho Panza: „Und wenn es mir je ein Rätsel war, was normal und was verrückt ist, so weiß ich nun, dass die Normalen verrückt und die Verrückten normal sind. Und wenn manchem, was wir tun, der Sinn fehlt, so lobe ich mir den Unsinn.“

 

Der russische Dichter Vladimir Nabakov sagte über Cervantes‘ Roman, er treibe „mit dem realen Leben sein Spiel“ und erzähle „von der Verzauberung und der Unangemessenheit des Zaubers in einer entzauberten Welt, ja der Narrheit allen Zaubers schlechthin“. – Jan Bosse sagt, der selbsternannte Weltenretter erkläre seine Verrücktheit zur bewussten Strategie, zur höchsten Freiheit. Seine Asozialität sei die Nische im System, aus der heraus vielleicht Veränderung möglich wäre – aber auch die „Freiheit des Spiels im Theater“.

 

Doch eben das, der emanzipatorische, umstürzlerische Impetus bleibt in der spielerischen Freiheit beider Akteure seltsam unterbelichtet – sie bleiben auf subtile Art verspielt. Sie tun immerzu das, was zwei Virtuosen tun, wenn sie nicht recht wissen, was sie tun sollen. Auch der Regisseur weiß nicht wirklich, was er mit seiner Freiheit und einer großen Holzkiste im Mittelpunkt der leeren Drehbühne anfangen soll – außer ein bisschen Herumklettern oder die Wände auf- und wieder zuklappen und vor allem reichlich Dampf machen mit der Nebelmaschine. Eigentlich ärgerlich.

 

Freilich, es gibt berührend innige Momente zwischen Matthes und Koch, die obendrein sprachliche Schönheiten zum Klingen bringen. Das ist schon was und heutzutage viel; aber es ist nicht alles, was wir uns hier erträumten. Zurück bleibt ein Zuviel an interessearmem Wohlgefallen oder gar höherer Langeweile während des einschließlich Pause doch zu langen Abends, der über all die Schmerzen, alles raue Menschenelend und alle Tragik fein hinweg wischt.

 

(wieder 30. November; 26. Dezember)

 

***

2. Stadtmuseum Berlin: - Fontane und sein Berlin

Fontanezimmer © Stadtmuseum Berlin
Fontanezimmer © Stadtmuseum Berlin

„Das Haus war schon auf, und draußen blies ein kalter Wind von der Brüderstraße her, über den Platz weg… Und nun hielt sie sich auf die Brücke zu, die nach dem Spittelmarkte führt.“ Gemeint ist die schöne Melanie van der Straaten, Hauptfigur in Theodor Fontanes großem Berliner Gesellschaftsroman „L’Adultera“ von 1882. Wie niemand sonst hat Fontane in seinen Werken Berlin beschrieben, wo er – mit Unterbrechungen – immerhin 65 von 79 Jahren seines Lebens verbrachte.

 

Dabei sah er den Aufbruch in die Moderne, den geradezu rasenden Stadtausbau mit Abriss und Neubau, erlebte die Einführung von Eisenbahn, Kanalisation, Elektrizität, Telefon; die Reichsgründung und die sozialdemokratischen Anfänge der Arbeiterbewegung. Als Journalist, Briefeschreiber und Romancier kommentierte er den Wandel der beschaulichen königlichen Residenz zur kaiserlichen Reichshauptstadt und weltstädtischen Metropole.

 

In diese Ära des „Maschinenzeiutalters“ fiel auch die Erfindung der Fotografie 1839 in Paris. Das Märkische Provinzialmuseum nutzte klugerweise dieses junge, rasch sich weiterentwickelnde Medium seit seiner Gründung 1874 systematisch. So wie das alte Berlin verschwand, wuchs durch dauerhaft großzügige Ankäufe in seinen Depots ein Bilderberg, der das Vergangene vergegenwärtigt.

 

Jetzt präsentiert die Stiftung Stadtmuseum im Märkische Museum die große schöne Schau „Fontanes Berlin. Fotografien & Schriften – Fiktion & Wirklichkeit“, die das Werk von zwölf herausragenden Fotografen aus seiner Fotosammlung – allesamt Pioniere der Stadtbildfotografie – würdigt. Es sind 130 Spitzenstücke der Sammlung, die zeitgleich mit Fontane die Stadt detailgenau beschreiben. Sie illustrieren sozusagen die Orte, die in Fontane-Texten vorkommen. Darüber hinaus geben die Fotos von Berühmtheiten wie Schwartz, Rudolphy oder Ahrendts bis hin zu Zille in der Zusammenschau ein Panoramabild vom Berlin der Fontanezeit – nicht uninteressant für heutige Stadt- und Grünflächengestalter. Zugleich zeigt sich im Einzelnen sehr genau die staatliche und bürgerliche Prachtentfaltung, aber auch das schwere proletarische Hinterhofelend.

 

Den Bogen in die Gegenwart spannt in einem gesonderten Ausstellungsteil der Fotozyklus „Tatort Fontane. Orte und Gesichter“ von Lorenz Kinzle. Der Fotograf, Jahrgang 1957, aus München stammend, seit 1991 in Berlin lebend, erkundete zwischen 2002 und 2019 mit der analogen Großformat-Kamera die Handlungsorte von elf Romanen Fontanes: Von seinem Erstling „Vor dem Sturm“ (1878) bis zum posthum erschienenen Werk „Mathilde Möhring“ (1906). Dabei ließ er sich von den realistischen Stadt- und Landschaftsbeschreibungen des Autors leiten. Sein Werk bringt Textpassagen, historische Aufnahmen in Dialog mit den heutigen Bildern der inzwischen so sehr stark gewandelten Orte und ihrer Bewohner. Eine Reise in Vergangenheit und Gegenwart zugleich, die vom immerwährenden Umbruch erzählt.

 

Übrigens, im Mai 1868 sah Fontane im Berliner Schloss Monbijou eine Ausstellung „historisch merkwürdiger Gegenstände“, die „nahezu ein Skandal ist, ein bloßer Raritäten Laden, zum Theil ein bloßes Jahrmarkts-Chaos“. Daraufhin entwickelte er den Plan für ein „national-historisches Museum, wie es die meisten anderen europäischen Hauptstädte haben“. Er selbst wollte dessen Leitung übernehmen, erhoffte sich so „eine ehrenvolle Thätigkeit, einen anständigen Titel und ein gutes Gehalt“. Daraus wurde nichts. Fontane arbeitete weiter als Journalist, schrieb an den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und an seinem ersten Roman „Vor dem Sturm“.

 

Am 8. Oktober 1874 wurde dann tatsächlich das Märkische Provinzialmuseum gegründet, sein erster Direktor war Stadtrat Ernst Friedel. Zunächst hat man die Neugründung im Köllnischen Rathaus am Köllnischen Fischmarkt untergebracht.

 

1901 schrieb Ehefrau Emilie Fontane an den berühmten Berliner Kritiker, Autor und Theaterdirektor Paul Schlenther: „Nach meinem Tode kommt der Schreibtisch mit allem was drin ist, ins neue Märkische Museum. Das hat mein Alter so gewollt, damit keins der Kinder durch den Besitz dieses teuersten Erbstücks vor den Andern bevorzugt wird.“

 

Bereits im März 1892 hatten die Eheleute Fontane ihr Testament aufgesetzt. Sie verfügten, dass der länger lebende Partner allein über das Familieneigentum zu bestimmen habe. Über die „Verwerthung oder Vernichtung“ nicht publizierter Schriften sollte eine Nachlasskommission entscheiden. Am 20. September 1898 starb Theodor, am 18. Februar 1902 Emilie. Vier Wochen nach ihrem Tod übergab Sohn Friedrich dem Märkischen Provinzialmuseum „Erinnerungen an Theodor Fontane“: dessen Schreibtisch mit den darin verwahrten Manuskripten, den Schreibsessel sowie Tintenfass, Papierkorb, Pappkästchen mit präparierten Gänsefedern sowie eine Brille. Der intime Gedenkraum wurde zum festen Bestandteil des 1908 eröffneten Museumsgebäudes am Köllnischen Park – sozusagen jetzt das Extra der Fontane-Script-und-Foto-Schau.

 

Übrigens, das von Fontane verwendete Papier ist sehr holz- und säurehaltig; die mehr als 9.000 zumeist brüchigen Manuskriptseiten, oft mit Textänderungen überklebt, bedurften dringend der Restaurierung. Sie wurde 2018 nach akribisch-komplizierter und kostspieliger Arbeit abgeschlossen. Bis Ende 2919 wird der gesamte Bestand digitalisiert sein und im Internet stehen. – Auch darüber, über die Geschichte der Romanmanuskripte, erzählt die so vielgestaltige Ausstellung und zeigt einige der kostbaren Originale. – Bei sehr genauem Hinschauen auf die eng be- und überschriebenen, leicht verklecksten Blätter kann man womöglich, hat man genug Zeit und eine Lupe bei sich, Fontanesche Worterfindungen entdecken; beispielsweise „Ängstlichkeitsprovinz“. Oder „Dunkelschöpfung“. – Alles in allem eine weitläufige, vielgestaltige, bildende und zugleich höchst unterhaltsame, ja amüsante Ausstellung. Ein Muss nicht allein für Fontane-Liebhaber und Berlin-Flaneure.

 

(Bis zum 5. Januar 2020)

 

Hinweis: Am 10. Dezember ab 19 Uhr gibt es im Märkischen Museum den „Großen Fontane-Abend“ mit der Preview der fünfteiligen Dokureihe „Die Entdeckung der Heimat“ des Senders rbb zu Fontanes „Wanderungen durch die Mark“. Der Schauspieler Fabian Hinrichs und das Filmteam um den Autor und Regisseur Johannes Unger geben Einblicke in die Dreharbeiten und erzählen von „ihrem“ Fontane. Eintritt frei. Abnmeldung unter 030-24002-162 odr info@stadtmuseum.de. Unbedingt vormerken!

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