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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 31

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

15. April 2013

Vorfreude - Autorentheater-Tage im Deutschen Theater


Die ehrwürdige Publizistin und Kritikerin Sigrid Löffler, ja die vom „Literarischen Quartett“ damals sowie dem finalen Knatsch mit Marcel Reich-Ranicki, die hat jetzt sage und schreibe 87 ungespielte Theaterstücke gelesen, um drei davon auszuwählen. Für die Uraufführung in der „Langen Nacht“ am 15. Juni, dem Herzstück und Schlussakkord der alljährlich zweiwöchigen Autorentheater-Tage des Deutschen Theaters, einem Higlight der Szene, auf das letzte Woche in einer Presekonferenz (zu Recht) nachdrücklich hingewiesen wurde. Ich freu mich auf dieses Ereignis! Und empfehle rechtzeitige Kartenbestellung.

Interessant das Resümee der prominenten Jurorin, die für den Wettbewerb Texte eingefordert hatte, die sich mit Themen jenseits üblicher Erfahrungshorizonte beschäftigen, also „welthaltig“ sind. – Die wie in jedem Jahr enorme Fülle der eingesandten Arbeiten war es eher nicht, klagt Frau Löffler. Die sei thematisch geprägt von Kleindenkerei, Verzagtheit, Pessimismus, von des Alltags Weh und Ach. Alles wie abgeschrieben von den Seiten Drei der Politikteile großer Tageszeitungen. Die Figuren schmalbrüstig, humorlos, ohne starkes Wollen   von Visionärem ganz abgesehen. Das Gros der Stücke sei allerdings dramaturgisch ordentlich gebaut, die Dialoge gut geschrieben. Handwerkliche Gediegenheit ohne formale Wagnisse; inhaltliche Kleinkariertheit. Soweit Löfflers aufschlussreicher Blick auf die Lage in den Schreibstuben, in denen man sich -- es sind übrigens überwiegend Schreiberinnen -- offensichtlich nach wie vor heftig für den Bühnenbetrieb interessiert.

 

Die DT-Autorentheater-Tage (3. bis 15. Juni) sind allerdings sehr viel mehr als dieser Stücke-Wettbewerb mit dem alljährlich von einem Einzel-Juror Erwählten. Das inhaltlich "halbwegs" (O-Ton Löffler) übers Bionade-Biedermeier und üblich Sozialproblematische herausgehenden Sieger-Trio heißt Uta Birnbaum („Die Schweizer Krankheit“), Matthias Naumann („Schwäne des Kapitalismus“), Olivia Wenzel („exzess, mein liebling“).

Die Autorentheater-Tage sind ein überregional bedeutsames Festival! Sie sind ein opulentes zweites Theatertreffen (neben dem ersten im Mai) mit 15 Novitäten-Gastspielen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum (u.a. mit dem jüngsten Stück des Berliner Autors Moritz Rinke "Wir lieben und wissen nichts" aus Bern). Die Auswahl durch die DT-Intendanz (Applaus!!) ist meiner Meinung nach vielfältiger und spannender als das (mit 10 Einladungen) ohnehin etwas kleinformatigere Berliner Theatertreffen, das zwar nicht allein auf neue Stücke setzt, doch seit längerem schon ziemlich eng greift, was womöglich am Zwang zu Kompromissen innerhalb der siebenköpfigen Jury liegt. Das DT hingegen darf selbst entscheiden mit zumindest mich glücklicher machenden Ergebnissen.

Freilich sollen die beiden Theaterfestivals nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie ergänzen sich und sind zusammen eine tolle Leistungsschau.

 

Als ob die Autorentheater-Tage nicht schon ein Riesenkraftakt wären, hält das DT noch eine gleichfalls aufwändige Überraschung parat: Sein Vorplatz bekommt eine temporäre Neugestaltung als „Wilder Garten“ mit kleinem luftigem Gehäuse für diverse Aktionen. Schaut hübsch aus im Modell. Aber ich frage mich, ob Berlin noch eine ver-wilde-rte Fläche mehr braucht. Sehe ich doch vor meinem geistigen Auge schon Vertrocknetes, Zertrampeltes, Vermülltes. Hoffen wir trotzdem das Beste und auf üppiges Blühen. Womöglich wird es gar ein Zaubergarten…

Berliner Ensemble

Zwei tolle Nummern auf Nebenspielstätten, die dort zu Hauptsachen werden: Peter Handke „Die schönen Tage von Aranjuez“ auf der Probebühne und Friedrich Hebbel „Maria Magdalena“ im Pavillon.

Luc Bondy inszenierte die Uraufführung von Handkes Sommerdialog zu den Wiener Festwochen 2012 und wuchtete dieses ziemlich larmoyante und verstiegene Über-Lust-und-Liebe-Geplauder zwischen einem Mann und einer Frau (ohne Namen und Hintergrund) mit großem szenischem Tamtam ins Akademietheater, der Dependance des Burgtheaters. Und begrub es unter Gewese und Gewusel. Selbst das Duett der furiosen Nervenschauspieler Dörte Lyssewski & Jens Harzer blieb da bloß gelähmtes Gegurgel.

Umso erstaunlicher jetzt in Berlin gleichfalls zwei Nervenschauspieler: Sylvie Rohrer & Rüdiger Vogler, die freilich nicht sonderlich auf Nerven machen, sondern auf Lakonie und zartbittere Ernüchterung über die Vergänglichkeit allen Tuns   Handkes Thema. Dazu angehalten werden sie von dem hier ganz großartigen Regisseur (und suggestiv minimalistischen Bühnenbildner) Philip Tiedemann. Eigentlich die „echte“ Uraufführung; Bondys Regie in Wien war das missglückte, missverstandene Vorspiel. Erst jetzt unter Tiedemann kam das Weh des flüchtigen (Liebes-)Lebens wirklich zur erhaben-komischen, zur trocknen (und nicht etwa feuchten) Traurigkeit. Also kitschfreien Schönheit. Rohrer und Vogler lassen erfahrungsgesättigt, mithin ziemlich abgeklärt (aber nicht abgebrüht) ganz einfach   lässig hingelümmelt an einem Gartentisch auf Gartenstühlen   den Text kommen. Und siehe da, er vermag, wie schön und einfach, sehr zu berühren.

 

Hebbels bürgerliches Trauerspiel vom gefallenen Mädchen mit Selbstmord, ein psychologisch genau gearbeitetes Sozaldrama, spielt im BE-Pavillon quasi in der kleinbürgerlichen Wohnstubenhölle. Fast auf Tuchfühlung mit dem Publikum, mit minimal szenischem Aufwand und maximal spielerischem Einsatz unter der hochkonzentrierten, haargenauen und ersten und viel versprechenden Regie von Nicole Felden, Claus Peymanns prima Assistentin. Die wie Kollege Tiedemann bei Handke in diesem schmerzschreienden Hebbelschen Horrortrip ganz aufs Sprachliche setzt, auf den Text. Und aufs beträchtliche Vermögen des Ensembles, aus dem Roman Kaminski hervorragt. Sowie die – bei aller historischer Gebundenheit   frappierend ins Heute ragende Larissa Fuchs in der Titelrolle. Zwei große, dabei eher kurze Abende – durch ihre Intensität lang nachwirkend.

Sven Lehmann - 27. 10. 1965 – 3. 4. 2013

Stets stand er wie unter Strom, irgendeine Zumutung quälte immer. Der drahtige Kerl war dünnhäutig. Und schnell. Unvermittelt konnte es aus ihm heraus krachen wie eine Kalaschnikow. Oder dröhnen und höhnen wie ein Lachsack. Man wusste nie… Es konnte beschwerlich sein mit ihm, oder beglückend. Und das war die Stärke von Sven Lehmann. Für den Schauspieler war das Unberechenbare, diese beständig gärende, auch irgendwie dauernd schmerzende Seele ein großes Glück: Es gab all seinen Figuren eine spannungsgeladene, ruppige Vertracktheit, eine zarte ungeahnte, sehnsüchtig nach Sternen oder anderen Unmöglichkeiten greifende, also tragisch grundierte Weite. Sowie ein gewisses Geheimnis. Diese so irritierende wie auch erhellende Brüchigkeit war Grundlage der starken Bühnenpräsenz dieses Schauspielers. Dabei war Lehmann körperlich-gestisch Minimalist. Er „machte“ nie viel; hatte dafür oft etwas überwach Lauerndes. Umso mehr machte er, unglaublich konzentriert, mit Stimme, mit Text. Mit seinem harten, klirrenden, dennoch enorm modulationsfähigen, unverwechselbaren Organ. Ein Instrument, das er virtuos gebrauchte   sonderlich für den immensen Ausstoß von Subtext.

 

Sven Lehmann wurde 1965 in Borna bei Leipzig geboren. Nach einem abgebrochenem Studium der Archivwissenschaft wechselte er 1990 an die „Busch“-Hochschule. Erstes Engagement in Bremen 1994-1997, dann kurz am Münchner Residenztheater. Und seit 2001 Deutsches Theater; auf Empfehlung von Hans Neuenfels, der ihn für seine (glücklose) „Ödipus“-Inszenierung aus Bayern weg holte.

Dann kam Michael Thalheimer, für dessen reduzierte Intensivkunst Lehmann ein Gottesgeschenk war. Bei ihm war er der zwischen Aasigkeit und Charme flirrende Prinz in „Emila Galotti“; war in „Die Ratten“ der Maurer John, der verzweifelt an seiner im Selbstmord endenden Frau hängt. Und er war Mephisto, der seinen Faust in versteckter Wut und anrührender Schüchternheit liebt und ihm (deshalb?) diabolisch das Grauen der Welt ins Hirn treibt – unvergesslich. Ich gestehe: Kein „Faust“ (mit Ingo Hülsmann und Regine Zimmermann) war je aufregender. Zuletzt stand er noch auf dem Probenzettel von Horvaths „Wiener Wald“. Erst mit ihm als Zauberkönig wäre wohl diese Thalheimer-Produktion perfekt geworden. Doch zuvor schlug die Krebserei endgültig zu. Er wusste seit langem, was ihm blüht. Und steckte es eisern weg.

Gedenkfeier für Sven Lehmann: 21. April, 11 Uhr im DT.

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