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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 301

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

3. Juni 2019

HEUTE: 1. „Ugly Duckling“ ‑ Kammerspiele des Deutschen Theaters / 2. TV-Theatertalk / 3. Berliner Gedenktafel für Regie-Genie Peter Zadek – Offenbacher Straße

1. Deutsches Theater-Kammerspiele: - Drag Queens als starker Dreier

Judy LaDivina, Caner Sunar © Arno Declair
Judy LaDivina, Caner Sunar © Arno Declair

Was vor fast einem Halbjahrhundert in exotisch titulierten Lokalen großer Städte Provinztouristen lockte, macht auch das DT. Travestie oder Männer als Frauen verkleidet oder geschlechtlicher Rollentausch, das ist längst staatstheatertauglich. Einen Othello im Blaumann von einer Frau gespielt gab es vor Jahrzehnten schon in Hannover; heutzutage firmiert das unter Identität, Diversität, Emanzipation, gilt als Kampfansage gegen Normierung, Fremdbestimmung, Diskriminierung. So weit so löblich.

 

Just im DT gab es kürzlich erst ein grandioses Lehrstück über die sexuelle und künstlerische Selbstfindung der Rosa von Praunheim, die immer auch mit dem Politischen heftig korrespondierte, zugleich aber nicht mit Glanz und Glamour sparte (s. Blog 243 /5. Februar 2018).

 

Jetzt, wieder in den Kammerspielen, bei „Ugly Duckling“, geht es deutlich bescheidener zu, obgleich Literarisches heftig annonciert wird: nämlich die depressive Märchenwelt des Hans Christian Andersen. Da taucht die in einen Prinzen verknallte kleine Meerjungfrau auf, die den fischigen Unterleib opfern muss, um menschlich auf die Beine und ihrem irdischen Männerschwarm entgegen zu kommen. Oder ein gemobbtes hässliches Entlein („Ugly Duckling“) schnattert um sein Leben, bis es unter viel Leid und Tränen sich in den bewunderten schönen Schwan verwandelt.

 

Verwandlung ist denn auch das Stichwort dieser ziemlich grellen, erregt umjubelten Show von Regisseur Bastian Kraft, der hier auch als Stückentwickler antritt, was seine Stärke nicht ist. Das klasse gemachte Entertainment wiederum steht im jähen Kontrast zur Schmerzensfigur Andersen, die wohl eher selbst gern ein stolzer Schwan im blendend weißen Federkleid als ein düster gebückter Graumann gewesen wäre. Aber all das Grausame, Bitterböse, Schmerzensreiche, all die (selbst)mörderischen Ängste und seelischen Nöte, die das Verwandeln, das heftige sehnsuchtsvolle Durchdringen diverser Gegensätzlichkeiten begleiten, das schließt die dem tollen Schein hingegebene Veranstaltung weitgehend aus. Und so liefern halt drei Stars der Berliner Drag-Szene – Jade Pearl Baker, Gerome Castell, Judy LaDivina ‑ hinreißende Show-Acts, gerahmt von Regine Zimmermann, Helmut Mooshammer und Caner Sunar aus dem DT-Ensemble, die sich gleichfalls ein bisschen kostümieren und anmalen. Lieblich grotesk zum Finale: Herr Mooshammer als Andersens Schwanenmädchen im bodenlangen Silbergewand (Kostüme: Jelena Miletic) und mit ausgestopftem Vogel über lockiger Haarpracht. In diesem Sinne das Schauspiel…

 

Überhaupt rückt das Umziehen und Umfärben am runden Schminktisch, der zugleich Peter Bauers Bühnenbild ist, aufdringlich in den Vordergrund. Wie hier ja alles schillernder, perfekt performter, mit Popmusik durchröhrter Vordergrund ist, der den Saal zum Kochen bringt. Der dramatische, auch tragische, der jedenfalls theatralisch ergiebige Hinter- oder Untergrund entfällt.

 

Dass die beteiligten Damen und Herren oder was auch immer sie sind oder (gelegentlich) sein möchten, dass die zuweilen ein paar Worte zu den besagten beiden Verwandlungsmärchen sowie über sich selbst (privat, biografisch) ablassen, stört nicht weiter – abgesehen von Castells nüchterner Schilderung eines entsetzlichen homophoben Überfalls, der sie/ihn fast das Leben gekostet hätte. Ansonsten triumphiert der königliche Dreier der Drag-Königinnen. ‑ „Mein Leben als Mann war die ungeschminkte Lüge“, bemerkte Castell nach hinlänglicher Verwandlungsarbeit, aufgedonnert mit Perücke, Farbe, Fummel. „Das hier ist die geschminkte Wahrheit.“ – Auch das so ein Stichwort, dem leider nicht nachgegangen wird. Womöglich mag jeder für sich tun, falls es nicht schon vergessen ist nach dem orkanartig johlenden Taumel der Begeisterung zum Schluss.

 

(wieder am 9. Juni)

 

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2. TV-Rederei über Theater

Gabriele Minz © Maurizio Gambarini
Gabriele Minz © Maurizio Gambarini

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, die 55. Sendung „Montagskultur unterwegs“ aus dem Studio in der Friedrichshainer Rudolfstraße 1-8 (nahe S- und U-Bahnhof Warschauer Straße). Mit Alice Ströver  sowie den Kritikern Arno Lücker und Reinhard Wengierek. Der besondere Gast ist diesmal Dr. Gabriele Minz, Chefin von Young Euro Classic. ‑ Kritisch betrachtet werden die Premieren „Don Quichotte“ von Jules Massenet, Deutsche Oper; „Roxy und ihr Wunderteam“ von Paul Abraham, Komische Oper; „Max und Moritz. Eine Bösebubengeschichte für Erwachsene“ nach Wilhelm Busch, Berliner Ensemble. Später auch im Netz.

 

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3. Erinnerung an Peter Zadek: - „Meine Lebensform ist Spielen“

Peter Zadek (1926-2009) hat eine Gedenktafel in Berlin-Wilmersdorf bekommen
Peter Zadek (1926-2009) hat eine Gedenktafel in Berlin-Wilmersdorf bekommen

„Ich träumte von einem Theater, das Mut macht.“ Ein schlichter, klarer Satz von Peter Zadek, von 1992 bis 1995 – neben Heiner Müller – Mitglied des Direktoriums des Berliner Ensembles. Hinter Zadeks Träumerei steckt aber auch Großes. Und dazu einer der Gründe für ein schweres Zerwürfnis: Zadek hasste Müllers zynischen Pessimismus ‑ und verließ Berlin. Jahre später nahm das Peymann-BE besagten Satz als Motto für eine bewegende posthume Gedenkfeier zum 90. Geburtstag für Peter Zadek – Theaterberlins bislang einzige Ehrung, abgesehen von einer Veranstaltung der Akademie der Künste. Blässliche Übung im Vergleich zu Wien, wo das Burgtheater zum 75. Geburtstag eine prunkvolle Gala inszenierte mit einer Parade der Stars und üppigem Festmahl im Foyer mit Kellnern, edlem Porzellan und schwerem Besteck – derart imperial feiert Österreich Großkünstler.

 

Immerhin spendierte ihm der Berliner Senat jetzt eine Gedenktafel in Wilmersdorf am Haus der Kindheit dieses bedeutenden Regisseurs, der unser Nachkriegstheater revolutionierte, sich selbst jedoch gelassen für konservativ hielt. Das bescheidene Denkmal wurde Ende Mai zu Peter Zadeks 93. Geburtstag in der Offenbacher Straße enthüllt.

 

Als Peter, der jüdische Junge aus Berlin Jahrgang 1923, anno Hitler 1933 mit den Eltern nach England emigrierte (erst im Alter von gut dreißig Jahren sollte er in die alte Heimat zurückkehren), da fiel ihm auf, dass die Deutschen glaubten, „alles schon zu wissen“. Er meinte, mit seinem Theater – in England laborierte er an kleineren Bühnen ‑ den Leuten den Kopf aufstoßen zu müssen. Und zwar mit unideologischer Lust allein durch pralles Spiel mit einer Truppe, die er fortan möglichst dauerhaft an sich band. Die sprengte, anders als ihre „wie ein Beamtenvolk“ werkelnden Kollegen, den Gips weg, den allwissende Oberlehrer über die Bildungsanstalt Bühne geschichtet hatten. Die Zadek-Familie schlug aus den alten Stücken (gern von Shakespeare) ungeahnt neue Feuer, die das Publikum entflammten zwischen Jubel und Wut. Regisseur Zadek warf mit kalkuliertem Übermut und leichter Hand die Blitzlichter des Boulevards, den saftigen Sound des Pops, die dampfenden Pferdeäpfel des Zirkus (was für V-Effekte!) gegen die Vorstellung von Theater als moralische Erbauungsanstalt. Er zeigte als einer der ersten, dass Theater auch in Fabrikhallen, Kneipen und Kellern funktioniert. Ein wahrlich toller Ausbruch aus den Konventionen der Bildungsbürgerei.

 

Immer, wenn dieser klassische Patriarch aufkreuzte mit luxuriösen Allüren und Hofstaat, mit Künstlerschal und dunkler Brille, da knisterte die Luft. Der Bohemien und Grandseigneur mit wachem, dabei deutlich mokantem Blick bekannte: „Als Kind war ich ein furchtbarer kleiner Snob. Meine Lebensform ist Spielen.“ Das blieb so bis zum Tod im Sommer 2009.

 

Er wollte, dass wir aufeinander klatschen, weiß Angela Winkler, eine von Zadeks Lieblingsschauspielerinnen. Klar, P.Z. wollte tolles Schauspielertheater. Ein Theater, das die Erfahrungen und Gefühle der Spieler mit denen des Autors konfrontiert, indem die akribisch dem Text nachspüren. Das klappt allein mit äußerst feinfühligen, besonders hingebungsvollen, sagenhaft spinnerten und ungeniert neugierigen, für (fast) alles offenen Schauspielern.

 

„Erklärungstheater“ sei ihm ein Graus; seine Kunst sei „kindlich“, gestand dieser notorische Beobachter, der nie ein Parteigänger war. Für ihn zählten Instinkt und Phantasie, was damals schon die Kritik auf den Plan brachte (Peter Stein: „Gefühlsduselei“), in den 1970er Jahren. Und erst recht später, als das Konzept-, Diskurs- oder Projekt-Theater aufkam, das wir hier nicht verteufeln wollen. Doch auch in postdramatischen Zeiten muss gelten: ästhetische Vielfalt. Alle Formen sollen sein, keine darf herrschen.

 

Psychologie plus Textanalyse, daraus erwuchs wie selbstverständlich die Gegenwärtigkeit von Zadeks besten Inszenierungen. Wobei ihm „Gesellschaftskritik“ nicht „das wichtigste“ war. Und schon gar nicht „Bewusstseinsentwicklung“, die sein Gegenspieler, der Achtundsechziger Peter Stein, so verbissen anstrebte. Zadek, der seine kometenhafte Karriere in der 1960er Jahren in Bremen begann, sich jedoch nie als Achtundsechziger sah, der war bescheiden fürs Mutmachen. Regie galt ihm als eher nachrangig.

 

Der raffinierte Spieler und naive Streuner durch der Menschen unaufgeräumtes Dasein hatte keinen Stil. Die Stilisierungsmanien, der Dekonstruktionswahn, das Ballermannhafte vieler Regisseure schon damals gingen diesem Genie des Einfühlungstheaters schwer auf die Nerven. (Uns heutzutage oft auch.) Die Dominanz einer Interpretation war ihm suspekt. Wie auch eine (deutsche?) Mentalität, die „demjenigen Recht gibt, der am lautesten brüllt“. Selbst auf ganz großer Bühne war sein Theater ein letztlich intimes Theater. Eins der befreienden Gefühle und gewagten Gedanken nebst einem irritierenden Rest Unerklärbarkeit. „Wenn man gut war“, sagte er, „merkt niemand, dass da ein Regisseur war.“

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