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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 293

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

8. April 2019

HEUTE: 1. „Memories of Fools“ ‑ Chamäleon / „Let’s Twist Again“ – Wintergarten / 2. Adelbert im Musenhof – Eröffnung Chamisso-Museum in Kunersdorf bei Wriezen

Osterei 1: - Chamäleon-Fantasy & Wintergarten-Rockabilly

Die Prager Compagnie Cirk La Putyka im Chamäleon © Jana Kießer
Die Prager Compagnie Cirk La Putyka im Chamäleon © Jana Kießer

Im lauschig hergerichteten „Chamäleon“ in den Hackeschen Höfen schimmern noch charmant die Reste von Jugendstil. Das Etablissement im Touristen-Hotspot, sein unschlagbarer Standortvorteil, durchweht ein Hauch von Alt-Berlin, von volkstümlichem Hinterhof-Vergnügen im Geist von Heinrich Zille. Dazu passt die Geschäftsidee der Direktion, hier ein Stammlokal aufzumachen für den Neuen Zirkus, dem erstaunlichen Mix aus Hochleistungsartistik und theatralisch erzählten Geschichtchen, dem gewitzten Dazwischen von glamourösem Varieté und scheinbar improvisiertem, pausbäckigem Kindergeburtstag. Einiges wirkt wie aus Uropas fleckigem Zylinder gezaubert, anderes wie coole Zitate der Popkultur.

 

Diesen originellen, verführerischen Mix aus Märchen und Musiken, entrückter Träumerei und deftigem Ulk, durchsetzt mit wagehalsigen Körper-Kunststückchen an verrückten Gerätschaften am Boden wie in der Luft, den pflegt das „Chamäleon“ nun schon seit 15 Jahren (Gratulation!). Tolle Ensembles mit Künstlern aus aller Welt feierten hier Erfolge. Und verdienstvoller Weise kümmert man sich an diesem rührigen Institut noch um den Nachwuchs, dem sonders die Bühne frei geräumt wird für seine innovativen Präsentationen – kluge Starthilfen für Karrieren.

 

Zum Einläuten des Jubiläumsjahrs gastiert die international preisgekrönte Truppe von Regisseur Rostislav Novák, dem Nachkommen und Erben einer alten böhmischen Puppenspielerdynastie: Es sind die neun Artisten und Vielfach-Könner der Prager Compagnie Cirk La Putyka mit ihrer neuen Produktion „Memories of Fools“. – Und schon die Stichworte ihrer Attraktionen umschreiben – wenn auch im Fachsprech – das Programm: Schleuderbrett, Hand auf Hand, Trapez, Zauberei, Clowning, Walking Globe, Cry Wheel, Jonglage, Objektmanipulation, Vertikalseil, Flyer, Ringe, Strapaten…

 

Klingt nüchtern, aber die Verpackung macht’s. Da ist die Geschichte einer Reise zum Mond wie Peterchen sie träumte. Und schon geht es mit viel Musik, Mummenschanz und Video-Flimmern heftig hin und her zwischen Kinderzimmer nebst anderen irdischen Welten und himmlischen Spukereien sowie gar nicht nur kindlichen Spielchen. Eigentlich ist alles ein trashig eingefärbtes Durcheinander von Brettelboden und Glanzparkett, Raketenflug, geheimnisvollem Mondstaub und sexy Glitzerkram, von Budenzauber und Villa Kunterbunt. Eine zirzensische Fantasy-Collage. Ein famoser 90-Minuten-Scherz.

 

(bis zum 18. August)

 

 

Interessant für Liebhaber der Szene: Im schicken, edel postmodern funkelnden „Wintergarten“ in der Potsdamer Straße, dessen romantische Ausstattung den Sternhimmel vom im Krieg zerstörten alten, klassischen Wintergarten am Bahnhof Friedrichstraße zitiert (auch hier: Nostalgie), da läuft parallel die rasende Retro-Show „Let’s Twist Again. Obwohl auch dieser – wie das „Chamäleon“ ‑ bewundernswerte Unterhaltungsbetrieb gelegentlich den Neuen Zirkus pflegt, setzt er diesmal ganz auf gleißend perfektionistische Show. Ein mitreißendes Konzert der rollenden Rock-Legenden; Rockabilly-Hits am laufenden Band, verwoben mit atemberaubender Artistik und scharfen Tänzen. Da tobt, gellt und blitzt der Saal. Im „Chamäleon“ schimmert er und träumt ironisch verspielt. Beide Arten Entertainment begeistern auf ihre Art. Herrlich, dass es dieses Nebeneinander gibt.

 

(bis zum 30. Juni)

 

***

Osterei 2: - Auf zu Adelbert! Frühlingsauflug zu Chamisso ins märkische Musenhof-Idyll

Chamisso Museum im Kunersdorfer Musenhof © Saeed Pirkeh
Chamisso Museum im Kunersdorfer Musenhof © Saeed Pirkeh

Er wurde 1781 zwar herrschaftlich geboren auf Schloss Boncourt in der Campagne, doch die Familie zählte zum verarmten Adel. 1790 verließ sie aus Furcht vor den Heeren der Revolution Frankreich, zog jahrelang auf abenteuerlichen Wegen durch die Niederlande, durch Süddeutschland und fand schließlich 1796 festes Domizil in der durch die erfolgreiche Zuwanderung der Hugenotten ohnehin französisch gefärbten Hauptstadt Preußens.

 

Da war der in vielerlei Hinsicht begabte Knabe Adelbert (Adelaide) von Chamisso gerade 14 Jahre alt und des Deutschen schon sehr gut mächtig – eine Spezialbegabung für Fremdsprachen, die zeitig Früchte trug. Er lernte am Französischen Gymnasium, wurde als amüsantes Multitalent – ein Jungstar seiner Zeit sozusagen ‑ Page bei Luise Friederike von Preußen, der königlichen Gemahlin Friedrich Wilhelms II. Von 1798 bis 1807 diente er als Fähnrich im Berliner Infanterie-Regiment, erhielt 1801 sein Leutnants-Patent, verkehrte als junger homme de lettres in literarischen Kreisen, etwa in dem der bewunderten Madame de Stael.

 

GENIALER KERL

 

Adelbert war überhaupt bestens vernetzt in der intellektuellen Szene Berlins, wurde Familienvater, besuchte Freimaurerlogen und die „Serapionsbrüder“, den spektakulären literarischen Freundeskreis um E.T.A. Hoffmann, der bei Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt denkend, dichtend und trinkend die Flaschen leerte.

 

Dieser Adelbert war ein toller Kerl mit gesellschaftlicher Statur: Als gebildeter, ehrenwerter Offizier, als weit gereister, weltgewandter Frei- und poetischer Feingeist (Robert Schumann vertonte seine Gedichte). Obendrein war er ein anerkannter Naturforscher und Botaniker; Pflanzen wurden nach ihm benannt, er wurde Direktor des Herbariums am Berliner Botanischen Garten und sein botanisches Kürzel ist CHAM.

 

MODERNER MUSENHOF BEIM GRAFEN ITZENPLITZ

 

Kein Wunder, dass der polyglotte und brillante Gesellschafter 1813 die Einladung von Graf Peter Alexander von Itzenplitz erhielt, den Sommer auf seinem Schloss Kunersdorf zu verbringen. Seine Gattin Henriette Charlotte hatte das ländliche Anwesen zum Musenhof erhoben; zu einer Art Salon in der märkischen Idylle, weltoffen, liberal, intellektuell, aber auch poetisch-romantisch, schöngeistig. Interessierte sich doch die aufgeklärte Gräfin nicht nur für Botanik und moderne Landwirtschaft, sondern gleichermaßen für Kunst, Wissenschaft, Politik. Mithin gaben sich die entsprechenden Persönlichkeiten – Itzenplitz-Sponsoring – im schönen Kunersdorf die Klinke in die Hand.

 

Nun also, im Sommer 1813, auch Adelbert. Er unterstützte die Gutsverwaltung in allen botanischen Fragen, klassifizierte die vor Ort vorkommenden Pflanzen, herbarisierte sie. Und erweiterte die Neuauflage von Walters „Verzeichnis der auf den Friedländischen Gütern cultivierten Gewächse“ um einen Extra-Beitrag zur „Flora der Mittelmark“.

 

WUNDERSAMER SCHLEMIHL

 

Der Knaller aber war: In Kunersdorf gelang Chamisso ein Text, der inzwischen zum Kanon der deutschen Literatur gehört, nämlich „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. – „Es war einmal ein Mensch mit Namen Schlemihl, den sprach einst einer an, ob er ihm nicht seinen Schatten verkauft? Er wär alsbald ein reicher Mann…!“

 

Das Märchen vom Verkauf des Schattens an den Teufel als Gleichnis für das Aufgeben-Auflösen von Identität, Charakter, Stärke, das Freiheit bringt, Ungebundenheit, aber auch Leid schafft und Heimatlosigkeit, diese gespenstische, zugleich sehr moderne Geschichte eines zerrissenen Menschen wurde ein knappes Jahr später schon gedruckt. Ihr berühmter Herausgeber: Friedrich de la Motte Fouqué. Die Novelle inspirierte viele Gelehrte und Künstler. Thomas Mann schrieb ausführlich darüber in seinem Chamisso-Essay von 1911 („erstaunlich, unerhört, deutsche Meisterdichtung“) und es gibt eine ZDF-Verfilmung von 1967 mit Götz George.

 

BERLINER CHAMISSO-ORTE

 

In Berlin erinnern zwei Gedenktafeln an Wohnstätten der Familie Chamisso: Friedrichstraße 235 in Kreuzberg, Haus am Kleistpark, Grundwaldstraße 6-7. Am Monbijoupark hinterm Hackeschen Markt steht auf dunklem Granitsockel eine Marmorbüste Chamissos mit weit über die Schulter wallender Haarpracht (Julius Moder, 1888). Ein schöner Mann! Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof am Halleschen Tor hinter der Gedenkbibliothek. Er starb im Hochsommer 1838 auf der Höhe seines Ruhms an einem Lungenleiden. – Übrigens, nach Chamisso ist der einzige Literaturpreis für deutschsprachige Migranten-Literatur benannt. Immerhin beschreibt er sich selber so: „Ich bin Franzose in Deutschland und Deutscher in Frankreich. Katholik bei den Protestanten, Protestant bei den Katholiken. Jacobiner bei den Aristokraten und bei den Demokraten ein Adliger. Nirgends gehöre ich hin. Überall bin ich der Fremde.“

 

ERSTES CHAMISSO-MUSEUM ERÖFFNET

 

Zurück aufs Anwesen derer von Itzenplitz im malerisch mittelmärkischen Nest Kunersdorf (200 Einwohner) bei 16296 Bliesdorf, fünf Kilometer südlich von Wriezen. Die spätbarocke aristokratische Residenz existiert nicht mehr, zerstört gegen Ende des letzten Krieges, die Ruine abgetragen – als Baumaterial für Neubauern- und Umsiedlerhäuser. Doch die großzügige, von Peter Joseph Lenné konzipierte Parkanlage wurde erst neuerdings aufwändig saniert.

 

So gilt denn jetzt als „Schlemihl-Schlösschen“ die erhalten gebliebene, villenartige und herausgeputzte Schloss-Dependance aus den 1920er Jahren: Ein technisch modernes, wissenschaftlich anspruchsvolles, dabei fein anschauliches Museum nebst Café „Cham“. A la bonheur ‑ eine Sensation! Und ein denkwürdiges Beispiel, wie aus einer privaten, von den lokalen Behörden wie der brandenburgischen Kulturpolitik hochmütig ignorierten Initiative mit idealistischem, zuweilen auch aufopferungsvollem Einsatz eine einzigartige Stätte des geselligen Begegnens und geistigen Austauschs entstand. Chapeau!

 

In fünf edlen Räumen (Kosten: 220.000 Euro) werden Leben und Werk des Dichters, Naturforschers und Weltreisenden sowie das Panorama der prominenten Musenhof-Gäste illustriert. Erstaunlich, dass es bislang nirgends eine Chamisso-Gedenkstätte gibt und sogar in Ku‘dorf bislang nichts an „Schlemihl“ erinnert. Jetzt werden hier sage und schreibe allein 104 „Schlemihl“-Ausgaben plus die Erstausgabe von Fouqué dem erstaunten Besucher vorgezeigt mit Sammlerstolz.

 

AMÜSEMENT MIT ADELBERT

 

Es ist der jahrelangen Fleißarbeit engagierter Privatpersonen zu danken (staatliche Stellen hielten sich bedeckt), dass Adelbert von Chamisso, der Deutschfranzose, Europäer, Weltbürger, endlich einen würdigen Gedenkort hat. Also Blumen für den Kurator Stefan Rohlfs, ansonsten Chef des Hauptmann-Museums in Erkner, und seiner die Ausstellungsschätze hütenden Mitarbeiterin Margot Prust sowie des unermüdlich Interessenten und Geld sammelnden Fördervereins Kunersdorfer Musenhof e.V. Freuen wir uns auf die funkelnde Perle in märkischer Weite! Auf Amüsement mit Adelbert.

 

(Festliche Einweihung am 13. April, 12 Uhr, Dorfstraße 1 Schloss Kunersdorf, ein Ortsteil von Bliesdorf bei Wriezen. Ideal für Wochenendausflüge! Geöffnet: Freitag 14-18 Uhr, Samstag und Sonntag und alle Feiertage 11-18 Uhr. Bis Ende Oktober. Auch außerhalb dieser Zeiten sind auf Anmeldung Führungen möglich. Telefon: 033456-151227Chamisso-museum@kunersdorfer-musenhof.de)

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