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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 287

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

25. Februar 2019

HEUTE: 1. „heiner 1-4 (engel fliegend, abgelauscht)“ – Berliner Ensemble / 2. „Tanke Sehnsucht“ – Renaissance Theater / 3. Gedenkblatt für Bühnenbildner Teo Otto

1. Berliner Ensemble, Kleines Haus: - Der Tod ist ein Irrtum

v.l. Veit Schubert, Bardo Böhlefeld, Carina Zichner, Kathrin Wehlisch, Felix Rech © Matthias Horn
v.l. Veit Schubert, Bardo Böhlefeld, Carina Zichner, Kathrin Wehlisch, Felix Rech © Matthias Horn

Heiner Müller auf Besuch daheim, im Berliner Ensemble, wo er in seinen frühen Jahren schon ein und ausging, das war bereits zu Zeiten der Helene Weigel, die ihm, dem linken DDR-Kritiker, gewissen Schutz bot, wenn es – politisch und sozial ‑ allzu eng wurde. Die im Berufsverbot für bescheidenen Broterwerb sorgte.

 

Jahrzehnte später, die DDR war weg und Müller wurde auf ein paar Jahre bis zum Tod Ende Dezember 1995 Chef dieses Theaters. Es war eine schwere, zugleich glückliche Zeit: Schreibblockade, Kehlkopfkrebs und große Inszenierungen („Arturo Ui“ im BE, „Tristan“ in Bayreuth). Dazu spätes Familienglück (Heirat, Vaterschaft). ‑ Es ist Müllers dramatische Endzeit, die Fritz Kater (alias Armin Petras) jetzt, just zu Müllers 90. Geburtstag, in einem fiktiven Dokuspiel beschwört: „heiner 1-4 (engel fliegend, abgelauscht)“. So kommt es, dass wir den Heiner 23 Jahre nach seinem Tod erstaunlich lebendig zurück haben vom Dorotheenstädtischen Friedhof auf einen Kurzbesuch nebenan im Berliner Ensemble.

 

Es sind signifikante Bruchstücke, die da Fritz Kater in seiner ziemlich persönlichen Heiner-Müller-Revue behutsam und klar aneinander reiht. Im Mittelpunkt steht das großformatige, schwarz eingebundene Buch „Der Tod ist ein Irrtum“, das Müllers Ehefrau, die Fotografin Brigitte Maria Mayer, anno 2005, zum zehnten Todestag ihres Ehemanns, bei Suhrkamp herausbrachte. Ein Familienalbum: Das Liebespaar; das Glück miteinander, er Anfang 60, sie Ende 20; das Ehepaar; die Baby-Tochter Anna; die Reise nach Kuba, nach Kalifornien, Villa Aurora; das Münchner Klinikum rechts der Isar; der vom Krebs Gezeichnete. Das Persönliche in aphoristischen Bildbeschreibungen.

 

Dazwischen in loser Folge, gleichfalls der Mayer-Chronik entnommen, Zitate aus Müllers Essayistik, seinen Notaten, Gedichten, Interviews; in denen wird es besonders politisch-philosophisch. Da gleißt der Weltendeuter und Systemanalytiker: Auschwitz als Sinnbild womöglich auch unseres Jahrhunderts – die Selektion („für alle reicht es nicht“); der Stalingrad-Kessel als Metapher für den realen Sozialismus („Abschottung nach außen, innen Fäulnis“); dem Sieg des Kapitalismus folgt das Ende der sozialen Marktwirtschaft („der Sieg ist immer das Ende“) oder die Vernichtung des Denkens durch Korrektheit („im deutschen Feuilleton herrscht struktureller Stalinismus“). ‑ So also geht brutal nüchternes Denken. Der tote Mann als lebendiger Zeitgenosse, sein stets leise und höflich ausgeteilter Zynismus als lautstarker, erschreckend bedrohlicher Realismus. Doch da geistert ja noch der fliegende Engel am düsteren Himmel – der Heiner als Poet; wenn womöglich nichts mehr geht, kommt das sanft tröstend Geflügelte. Oder der „Tristan“-Akkord.

 

Alles zusammen verschmilzt zu einer geradezu überwältigenden H.-M.-Collage, von einer Handvoll wunderbarer Schauspieler eindringlich und doch ganz unaufdringlich dahin gestellt: Bardo Böhlefeld, Felix Rech, Veit Schubert, Kathrin Wehlisch, Carina Zichner. Das Blättern im Fotoalbum hingegen passiert mit charmanter Ironie, liebevoller Empathie. ‑ Das alles dank der absolut sicheren, dabei herrlich leichten Hand des souveränen Regisseurs Lars-Ole Walburg. Ein das Intime lässig wie das Epochale cool fassendes Kabinettstück.

 

Dem ein hinreißendes Kabarett folgt. Nämlich das von Fritz Kater aberwitzig komprimierte Tohuwabohu der Müllerschen Intendanten-Zeit mit Schwerpunkt „Arturo-Ui“-Produktion, demonstriert von dem irrwitzigen Komödianten Veit Schubert. Eine frech anspielungsreiche, trashig aufgeschäumte BE-Backstage-Satire, in der sie alle vorkommen: der Wuttke, Zadek, Sauerbaum, Hegemann, der Schleef oder Suschke und nicht zuletzt die „idiotischen“ Jungs von der Theaterkritik. Alles eitle Genie-Kerle im Hickhack zwischen Alpha- und Beta-Männchen. So etwa war das damals im längst aufgebrauchten Chaos des Nachwende-BE.

 

Was für ein grandioses Finale dieser Müller-Visite! Warum bloß klebt Fitz Kater der heiter-ernsthaften Recherche noch seinen anstrengenden Bericht eines spröden Berlin-Spaziergangs auf? Bitte sofort streichen. Ansonsten warten wir gespannt auf künftig abgelauschte Müller-Visiten im BE. Denn einem „heiner 1-4“ dürfte ja wohl ein fünf bis acht oder gar neun bis zwölf folgen…

 

(wieder 8., 16., 20. März)

 

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2. Renaissance Theater: - Rockende Lust, sentimentale Träumerei


Eine Handvoll Schauspieler machen exquisites Popkonzert. Alle haben ordentlich was drin in der Kehle – ob solistisch oder im Chor. Obendrein haben sie das Können, mit schauspielerischen Finessen den Songs gewisse Pointen zu geben. Oder spezielle Mehrdeutigkeiten unaufdringlich auszustellen. Die Songs sind selbstredend alle Hits, weltberühmte Hits, die im intimen Rahmen des Renaissance Theaters, das doch immer gewissermaßen einem Salon gleicht, eine besondere, quasi kammermusikalische Wirkung entfalten. Freilich wird an passenden Stellen auch ordentlich aufgedreht und los gerockt.

 

Die Titelliste ist apart komponiert mit Stücken von Neil Young, Frank Zappa, Annett Louisan, Rio Reiser, von Crosby, Stills, Nash and Young bis Bob Dylan et cetera. Das geht in die Beine, geht ans Herz. – Erstaunlich, was Harry Ermer (musikalische Leitung) und seine Band (Annette Kluge, Jan Terstegen) mit allerhand Instrumenten – stark oder zart ‑ zustande bringen. Aber auch die Schauspieler Klara Brunken, Anika Mauer, Martin Schneider, Hans-Martin Stier und Guntbert Warns haben Rhythmus im Blut und Talent für allerhand Klangwerkzeuge. Tolle Sache.

 

Doch da wir ja nun mal im Theater sind und feine Schauspieler vorhanden, soll die Chose noch ein bisschen Handlung bekommen; beispielsweise die Suche einsamer Herzen nach Anlehnung. Dafür dachten sich die beiden Autoren Antoine Uitdehaag (die zugleich Regie führte) und Guntbert Warns kleine Sehnsuchtsgeschichtchen aus, die an einem verträumten Einsamkeitsort spielen, nämlich in der Kneipe einer Tankstelle im nostalgischen Irgendwo der 70-80iger Jahre. Deshalb der Titel Tanke Sehnsucht. Die ideale Location fürs Zusammentreffen und irgendwie Finden oder auch Lassen verschiedenster Typen aus gegensätzlichen Milieus. Sie alle vereint eins: Sie sind Strandgut aus einer Vergangenheit, in der sie ihre Liebe verloren; sie alle lecken ihre Wunden, sie alle treibt der Wunsch, doch noch ein Stück vom Glück zu haschen. Zwischendurch fallen ein paar pässliche Verse berühmter Dichter, garniert mit einer Prise Philosophie. Das ist ganz nett, bleibt aber klüglich im Hintergrund. Man hätte es ganz beiseitelassen können.

 

Bisschen schade ist, dass es der braven Ausstattung an Raffinesse mangelt (Bühne: Manfred Gruber) sowie den Kostümen (Alexandra Bentele) an einem zünftigen Schuss Sexyness. Könnte man ohne großen Aufwand flugs aufpeppen. Denn nicht nur Seele und Ohren gieren nach Futter, auch Augen.

 

Ansonsten sorgt das zwischen Ulk und ein bisschen Melancholie schillernde Zwei-Stunden-Konzert für Entkrampfung und prima Laune. Tut gestressten Großstadtmenschen gut.

 

(wieder 26.-28. Februar, 1.-2. März)

 

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3. Ein Zaubermeister! - Dem großen Bühnenbildner Teo Otto zum Gedenken

Bild von Teo Otto (1904-1968), Till Eulenspiegel © Stadt Heppenheim
Bild von Teo Otto (1904-1968), Till Eulenspiegel © Stadt Heppenheim

Mit siebzehn macht er seinen Traum wahr, verlässt das Elternhaus in Remscheid und will Maler werden. Sechs Jahre später, 1927, nach Akademien in Kassel und Weimar, entschied sich Teo Otto fürs Bühnenbild. Es war der Start in eine erstaunlich steile Hochleistungskarriere (800 Ausstattungen in 40 Arbeitsjahren), die viel zu früh, bereits mit 64, in Frankfurt/Main endete. Geboren wurde er am 4. Februar 1904. Wir gedenken, etwas verspätet, seines 115. Geburtstags.

 

Schon mit 24 war Otto, nach kurzer Assistenz an der Staatsoper Unter den Linden, Chefausstatter der Preußischen Staatstheater Berlin. 1933 gab er Intendant Gustaf Gründgens einen Korb, emigrierte nach Zürich und arbeitete am dortigen Schauspielhaus. Otto war Ausstatter der großen Exilstücke Brechts („Courage“ – bei bloß zwei Wochen Probezeit); „Galilei“, „Sezuan“, „Puntila“). Überhaupt waren es die „Brecht-Bühnen“, die Arbeiten für die Salzburger Festspiele sowie die „Faust“-Ausstattungen, die im Zentrum seines reichen Schaffens standen. Allein den Goethe-Klassiker brachte er 15 Mal auf die Bühne, die Hamburger Produktion 1957 mit Gründgens gilt als berühmteste.

 

Nach 1949 arbeitete Otto für Bertolt Brecht in Ost-Berlin, lehnte jedoch ein Festengagement am neu gegründeten Berliner Ensemble ab. Dafür setzte er, zusammen mit Regisseur Harry Buckwitz, Brecht in Frankfurt, im Westen, durch. Und bemerkte bestürzt, der Autor erleide nun das Schicksal seiner Heiligen Johanna der Schlachthöfe: „Das grandiose Ärgernis wird degradiert zum Bijou. Man hat seinen Zobel, seinen Picasso und neuerdings seinen Bert Brecht.“

 

Friedrich Dürrenmatt nannte Teo Otto einen „Herrn des Hintergrunds“; von einem „Mann der Zauberei“ schwärmte Max Frisch und Berlins Starkritiker Friedrich Luft rühmte seine „unauffällig überredenden“ Theaterarbeiten. ‑ Otto war Poet und Analytiker zugleich, der die Welt auf der Bühne nicht nur nachahmte, sondern neue Welten erschuf, die er zusammensetzte aus trefflichen Fragmenten. Da existierte stets das nur wirklich Notwendige, was zugleich das Charakteristische, Signifikante war. Und immer hatte er das Verhältnis von Mensch und Welt im Blick; er sah es tragisch. – Dabei pochte er auf eine Art Theater, das dem Publikum packende, nachvollziehbare Geschichten zeige, auf dass jeder, nicht etwa bloß der Regisseur allein, sich einen Vers drauf machen könne.

 

Teo Otto war kein Mann der Systeme und Programme, sondern einer des weit Offenen. „Naturalismus als Mittel kann so gut sein, wie er als Programm schlecht ist. Abstraktion als Mittel kann ebenso gut sein, wie sie als Programm tödlich wirken kann.“ Zwei Sätze gegen alle Moden- und Markenmacher der Szene, erst recht heutzutage, da rigoroser Verfremdung durch Übermalungen oder Überschreibungen der Originaltexte nur allzu gern mit ideologischer Engstirnigkeit die Dominanz eingeräumt wird.

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