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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 28

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

25. März 2013

Theater im Palais


„Jawoll, meine Herrn, darauf könnse schwör‘n…“. Und auch die Damen können. Überhaupt kann jeder drauf wetten, dass ein Besuch im Theater im Palais so gut wie nie enttäuscht. Die Kammerbühne in der Nachbarschaft des „Gorki“ auf halber Strecke zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz im klassizistischen Palais am Festungsgraben gegenüber der Staatsoper gleicht einem exquisiten Salon mit Podium, das sich umstandslos in eine einfache, ordentliche Guckkastenbühne verwandeln lässt. Apropos verwandeln: Immer wieder überrascht und besticht dieses intime Etablissement durch ausgetüftelte Vielfalt der Genres, Formen und Autoren: Liederabende, musikalische Revuen, Farce, Comedy, Soloprogramme, szenische Lesungen, Lyrik, Epik, Dramatik; große Stücke mit vielen Figuren werden raffiniert adaptiert für eine Handvoll Spieler. Alles auf 30 Quadratmetern für fast allabendlich 99 Zuschauer. Das „TiP“ gilt längst als feste edle Größe im metropolitanen Kleintheater-Off. Nun schon seit 22 Jahren.

 

Es war Anfang der Neunziger, als ein Trüppchen hoch professioneller Enthusiasten, dem damals sein Theater abhandenkam, sich nicht unterkriegen ließ und schließlich im schönen alten Palais nahe Unter den Linden eine schöne neue Spielstätte aufriss. Der tolle Traum vom eigenen Theater wurde wahr! Und der kollektive Furor der aufregenden Gründerzeit ist bis heute spürbarer Kraftquell des gesamten Betriebs.

Der feiert nun seine Schnapszahl (22) im schicken Frack mit einer so schmissigen wie poetischen, von wehmütigen Reminiszenzen zwangsläufig nicht freien Show über neun Jahrzehnte (Berliner) Filmgeschichte; Motto: „Jawoll, meine Herrn!“. Gabriele Streichhahn, Jens-Uwe Bogadtke und Carl Martin Spengler lassen Stars von damals bis heute liebevoll, ironisch oder sarkastisch kommentierend und vor allem himmlisch singend antanzen (Script und Regie: Altmeisterin Barbara Abend; am Klavier die fabelhafte Ute Falkenau). Diese swingende Zelluloid-Geschichte in pointierten Geschichten und Geschichtchen ist perfekt minimalistisches, dabei trefflich komödiantisches, durchaus auch dramatisches Amüsement, aber eben auch kurzweiligstes Infotainment. Ein Geburtstagsfest vom Feinsten; wie eigentlich alles – sei es Komödie, Tragödie, Party – in diesem theatralischen Kleinod inmitten Berlins. Gratulation!

Berliner Ensemble

„Romeo wollte nichts anderes als einen One-Night-Stand“ – lästerte George Tabori. Die Regisseurin Mona Kraushaar kennt freilich solcherart Altherrengerede, versteht sich aber auch auf virile Jungsstürmerei. Vor allem aber versteht sie, die Herz-und-Trieb-Raserei der ersten großen Liebe hinreißend auf der Bühne zu entfesseln: in Shakespeares „Romeo und Julia“. Da fallen, wie immer bei diesem Autor, Lust und Leid so herrlich wie grauenvoll in eins. Denn die Albtraum-Mär ist sowohl Lovestory als auch Schlachterplatte; erzählend von der irren Gier auf Krieg, der immerzu die irre Gier auf Liebe im Wege steht – oder umgekehrt. Und eben dieses beständige Bändeln und Händeln bringt die Shakespeare-und-Leben-Versteherin Mona Kraushaar mit leichtester Hand schwer erschütternd auf die Bretter des BE.

Auf die setzte Katrin Kersten eine die ganze Bühnentiefe ausfüllende, einem Silbertablett gleichende Riesenspielfläche, aus der sich ein Plafond heben lässt als Insel der Seligen, als gefährlich überm Abgrund schwebendes Liebesnest für das spindeldürre Kerlchen Romeo und sein graziles Girlie Julia (Christopher Nell und Anna Graenzer). Hier kommt es – von der einzigartigen Swetlana Schönfeld als urmütterliche Amme beherzt betreut   zum zartesten Liebesgeständnis, das ich seit langem sah im Theater. Aber drunten gähnt ein Tümpel, dort rasen die Schmutz-Schlachten der berühmt-berüchtigten Veroneser Feind-Familien.

 

Nach der Pause das holde Paar elfengleich hingegossen auf dem halb im Bühnenhimmel hängenden Tablett: Ein Bild der Seligkeit. Wahnsinnsglück! Bis die Lerche   und nicht die Nachtigall   die göttliche Stille stört. Und das tödlich endende Unglück seinen Lauf nimmt. Wahnsinnstragödie.

Die sahen wir oft genug als rüde Possenreißerei, garniert mit Betroffenheitsbombast und Tieftrauergetümel, als flottes Schlag- und Schmachtstück oder gar als von aktuellen Kripo-Berichten fix abgeguckten Sex-and-Crime-Thriller   deshalb bin ich so besonders gespannt, wie Schauspielstar Lars Eidinger als Regisseur (!!) Mitte April „R & J“ auf die Schaubühne bringen wird.

Beim Berliner Regie-Debüt von Mona Kraushaar ist alles anders als bislang. Sie entschleunigt, tänzelt, lächelt, lacht schallend. Wird bitter und böse, schlägt schonungslos zu. Wildes Leben und elendes Sterben; uns befremdlich fern, dann wiederum ganz nah. Ein Wurf nach Sternen und in Abgründe; aus dem Off kühl kommentiert von Angela Winklers unheimlicher Engelsstimme.

Ein tolles poetisches Schau-, ein philosophisch schimmerndes Kunststück; musikalisch wie ein Aquarell untermalt von den Musikern Bobo und Sebastian Herzfeld an exotischen Instrumenten im Orchestergraben. Eine preziöse Seltenheit in der gern poltrigen Hauptstadtszene. Zum Lachen und Heulen für Abgebrühte wie Sentimentale, für Schulgören wie Professoren – wer bringt das schon für jedermann derart cool zustande. (wieder am 29. März)

Toilettentheater

Das Dokument der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg trägt die Nummer DS/0550/IV. Darin geht es um Toiletten für Menschen, „die sich (1) entweder keinem der beiden Geschlechter zuordnen können oder wollen oder aber (2) einem Geschlecht, das sichtbar nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht“. Obwohl es „auf den ersten Blick“ nicht „nach dem Gegenstand eines drängenden politischen Problems“ aussehe, habe das Geschlechterproblem bei der Toilettenbenutzung „eine große Bedeutung für den Alltag der Betroffenen“. Deshalb sollten so genannte Unisex-Toiletten öffentlich aufgestellt werden.

Ich denke mal, das sind ganz normale Klos – nur mit geschlechtsneutraler Beschriftung. Dann kann ja jeder wie er’s braucht sich’s gemütlich machen. Und die „Selbstkategorisierung in das binäre Geschlechtersystem“ wird endlich überflüssig. „Das kann selbst für Menschen, die sich prinzipiell zuordnen können, dazu aber nicht ständig angehalten werden möchten, angenehm sein. Und regt außerdem dazu an, über Geschlechtertrennungen im Alltag nachzudenken.“   Steht alles im Polit-Dokument DS/0550/IV der ach so beflissen nachdenklichen Berliner Lokalpolitik (als hinge ihr nichts Brennenderes an!). Und gleicht einem tollen Betroffenheits-Sprachkunstwerk. Ich erkläre es zum Lehrbeispiel für politisch korrektes, für großes absurdes Theater.

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