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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 269

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

8. Oktober 2018

HEUTE: 1. „Alte Meister“ – Kammerspiele des Deutschen Theaters / 2. „Das Kalkwerk“ – Studio Schaubühne / 3. Kulturvolk-TV-Talk / 4. „Es ist aufgetischt“ – Ausstellung in Potsdam

1. Deutsches Theater-Kammerspiele: - Lebenswut und Daseinshass – verweht

 © Arno Declair
© Arno Declair

Seine Welt ein Würfel, etwa so groß wie die Kammerspielbühne. Eine Kiste also, geschlossen. Sie mag passen für die manisch um sich selbst rotierenden Figuren von Thomas Bernhard, diese Gefangenen ihres eigenen Denk- und Daseinssystems. Tretmühle von Geburt an bis zum Tod, so ihr Lebensgefühl, verbunden mit Wut und Hass. Und mit schwere Verachtung für all die anderen (Lästigen) in der Kiste: „Alles gemeine Nazis, verblödete Katholiken, bösartige Spießer, Voralpenschachdenker“ – denn wir befinden uns im Bernhardschen Wahn-Würfel namens Österreich. Und in seinem Roman von 1985 „Alte Meister“.

 

Da wandelt seit drei Jahrzehnten zwei Mal in der Woche der 82-jährige Herr Reger, von Beruf Musikkritiker (Musik: diese flüchtigste aller Künste), durchs Wiener Kunsthistorische Museum. Sonderlich im Bodoni-Saal bleibt er hängen (hier drastisch verkleinert auf Kammerspiel-Dimension). Jacobo Tintorettos „Weißbärtiger Mann“ hat es ihm angetan. Zur Meditation über Vollkommenes und Unfertiges, über klug Fragmentarisches oder dumm Fehlerhaftes. Gegrübelt wird übers ganz große Ganze. Und, ach!, über die elenden Lücken dazwischen. Verluste allenthalben. Tod. Die Ehefrau beispielsweise. Vor allem aber geht es um die hartleibige, tonnenschwer verklumpte Dummheit in der in der (alten) Meisterkünstlerszene wie in der neueren austriakischen Würfel-Welt.

 

Kommen wir jetzt zum Knaller dieses, um es gleich zu sagen, betörenden Abends: nämlich der kühne Zusammenschluss dieses schwerblütigen Grantel-Königs, mit dem Regisseur Thom Luz (ein feiner Coup der Intendanz). Luz, noch jung an Jahren, ist quasi Bernhard-Antipode. Ein verträumter Prinz, ein freundlicher Melancholiker, dem geschlossene Systeme, dem alles (auch das rein rhetorisch) Gewaltsame, dem alles Niederkartätschen, alles Brachiale, Rasende und Rumpelstilzchenhafte zuwider ist.

 

Was sofort ins Auge fällt: Der Würfel ist nicht wirklich dicht, sondern ein scheinbar schwebendes, in milchig weißes Licht getauchtes, nebeliges Gebilde aus Gaze und Wänden, durch die man hindurch treten kann. Eine Skulptur aus Licht, Luft, Dampf. Ein Wunderding – signifikantes Sinnbild für alles das, was womöglich jenseits des düster sarkastischen (und durchaus präzisen) Menschenbeschimpfers und Weltuntergangsbeschwörers liegt – etwa die unstillbare Sehnsucht nach Leichtigkeit, Licht, Leuchten, Seligkeit. Thom Luz bringt gemeinsam mit seinem ingeniösen Bühnenbildner Wolfgang Menardi in dieser sagen wir Thomas-Bernhard-Installation-Performance das zum Leuchten was jenseits der Qualen dieses Autors liegen mag.

 

Das hatten wir wohl noch nie in der ruhmreichen Bernhard-Rezeption. Der krass des Lebens Wahn- und Unsinn aufspießende Bernhard-Text als entrücktes Nebelspiel. Passt aber sogar zum absurden Bernhard-Lebensgefühl. Das Nichts, oder besser: Das Kaum-Etwas oder das Sofort-Verschwindende, das Schöne und vor allem endlich auch das ach so Schlimme als letztlich herrschendes Daseinsprinzip. Das rein artifiziell zu imaginieren, darum geht es Luz.

 

Also flirrende Licht- und Luftbilder statt Wortgewitter, statt Hass, Furor, Verdammnis. Fantastisch! Surreal! Eine changierende Form bildender Kunst triumphiert über den erregten Text (genauer: die nach rigider Streichung übrigen Wort-Reste). Das laut Dramatische wird verwischt durch Hingabe an eine leise, edel schattierte Entrücktheit ‑ verrückt.

 

Der Korrektheit halber sei vermerkt: Es gibt eine kleine Schar perfekt dressierter Bernhard-Stichwortgeber: Katharina Matz doppelgesichtig als Wiedergänger Regers aber auch als dessen verstobene Frau sowie der Museumswärter Irrsegler, das Sprachrohr Regers, gleich in dreifacher Gestalt mit Christoph Franken, Wolfgang Menardi und Camill Jargon, der wiederum zusammen mit Daniele Pintaudi gelegentlich die Klaviertasten streift.

 

Freilich, auch Bernhard faszinierte sehr wohl die Schönheit ‑ aber womöglich noch viel mehr das Hässliche. Bleibt die Frage, ob es ihm egal wäre, wenn sein Text rigoros beiseitegeschoben wird zugunsten einer Fantasie von Thom Luz über Thomas Bernhard. Kunstvolle Atmosphären statt stampfender Aggressionen. Womöglich würde Bernhard verständnisinnig in sich hinein lächeln angesichts des unheimlich schimmernden Nichts, das zuweilen umhüllt wird von sphärischen Tastentönen ‑ ausgerechnet Anton Bruckners Klavierstück „Steiermärker“; der Witz: Bernhard hasste Bruckner. Und Thom Luz ist ein Schelm.

 

Wahrscheinlich interessierte ihn Bernhards poetisch-hysterischer Weltuntergangssound nicht wirklich – dafür umso mehr dessen Gegensatz oder das, was ahnbar darüber hinaus ragt: Nämlich, das trotz aller letzten traurigen Gewissheiten unauslöschliche Glimmen von Gelassenheit. Eine Art lebenserhaltender Schicksalsergebenheit, zögerlichen Frohsinns, abgeklärter Komik. In achtzig zauberischen Minuten ist der sanfte Spuk vorbei, diese menschenfreundliche Seance. Was für eine Seltenheit ‑ im Himmel geerdet. Im herrlichsten Theaterhimmel.

 

(wieder 15., 19., 27. Oktober)

2. Tipp: Studio Schaubühne: - Felix Römer im „Kalkwerk“ tobend

Felix Römer © Thomas Aurin
Felix Römer © Thomas Aurin

Sensationell: Der Schauspieler Felix Römer zum 103. Mal mit einem Monolog von Thomas Bernhard, gefiltert aus dessen Roman „Das Kalkwerk“ (Dramaturgie: Maja Zade). Ein packender Text, umwerfend heftig, ganz im Gegensatz zum alle Heftigkeit auflösenden Bernhard-Zugriff von Thom Lutz im DT (zufällig ein grandioses Nebeneinander). Und noch dazu ein phänomenaler, ein einfach großer Schauspieler. Zusammen macht das tolles Theater. Weil wir die sagenhafte 100. Vorstellung verpasst haben, jetzt umso energischer der Verweis auf die dritte danach.

 

Bernhard, der große philosophische Knurrhahn, der bravouröse Sprachkünstler und nüchterne Menschenkenner, der lustvolle Alles-Infrage-Steller und sarkastisch an der Menschheit Unvollkommenheit Leidende erzählt in dem fantastischen, 1970 erschienenen 200-Seiten-Roman von einem Exzentriker (klassische Bernhard-Figur), der sich in einem stillgelegten Kalkwerk selbst eingekerkert hat, um an diesem „Idealort der Ruhe“ sein vermeintlich geniales Monumentalwerk „Das Gehör“ niederzuschreiben.

 

Dieser total verstiegene Seltsamkeits-Mensch ist ein dünnhäutiges Supersensibelchen, das sich an allen nur denkbaren Störungen durch die draußen dröhnende Welt sowie erst recht an der Verkorkstheit seiner Ehe, seinen fatalen Blockierungen und Unvollkommenheiten Herz und Hirn wund stößt. Da möchte einer sehr, sehr viel und kriegt bloß sehr, sehr wenig auf die Reihe. An der Diskrepanz zwischen obsessivem Wollen und verkrampftem Kaum-Können, zwischen erstrebter Vollkommenheit und dürftiger Realität wird dieser radikal abgehobene Kopfmensch schier verrückt. Schließlich versinkt er im Chaos aus Verzweiflung und Verstiegenheit.

 

Römer zeichnet das exzessiv ins Groteske geschraubte Bild eines hysterischen Schmerzensmanns beim alltäglichen Scheitern (Regie: Philipp Preuss). Ein aberwitziges Sinnbild des traurigen Menschlichen. Da tobt wie besessen ein elender Gigant und ein armes Würstchen zugleich. Am Ende kommt es zu einem rauschhaften Suhlen in Dreck und Schlamm. Das befreiend Animalische. ‑ Fazit: Ein so präzises wie faszinierendes Virtuosenstück des furiosen Felix Römer. Ein Ereignis! Verneigung! Gratulation!

 

(16. Oktober, 19.30 Uhr)

3. TV-Rederei über Theater

Klaus Dörr © Julian Röder
Klaus Dörr © Julian Röder

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, die „Montagskultur unterwegs“ aus dem Studio in der Friedrichshainer Rudolfstraße 1-8 (nahe S- und U-Bahnhof Warschauer Straße). Mit Alice Ströver sowie den Kritikern Anro Lücker und Stefan Kirschner. Der besondere Gast ist diesmal Klaus Dörr, Intendant der Volksbühne Berlin. Kritisch betrachtet werden die Premieren „Willkommen bei den Hartmanns“ (Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater), „Celis / Eyal“, Choreographien von Stijn Celis und Sharon Eyal (Staatsballett in der Komischen Oper), „Cry Baby“ von René Pollesch (Deutsches Theater). Später auch im Netz auf YouTube.

4. Landeszentrale für politische Bildung Brandenburg: - Guten Appetit!

 © Nel (Ioan Cozacu)
© Nel (Ioan Cozacu)

„Es ist angerichtet!“ – Schon im Doppelsinn des Titels dieser Ausstellung steckt ihr ganzer Witz. Es geht ums gute und schlechte Essen, um gute und schlechte Nahrungsmittel samt ihrer guten oder schlechten Herstellungsweise. Und schließlich darum, was nun gut ist und was schlecht – mithin gesund oder krank machend: die Menschen, die Tiere, die Natur und letztlich unsere eine ganze Welt.

 

Klingt erst mal schrecklich nach trockener Lehrveranstaltung. Doch die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung in der Potsdamer Heinrich-Mann-Allee hat sich eine höchst originelle Art der „Aufbereitung“ dieses überlebenswichtigen Themas einfallen lassen. Die für Ausstellungen zuständige Kuratorin Martina Schellhorn nutzte ihre guten Kontakte zur einschlägigen Künstlerszene und lässt ein Dutzend berühmte Karikaturisten (u.a. Henninger, HOGLI, Mette, Sakurei, Stuttmann, Wurster) den umfänglichen, dabei in aller Munde befindlichen Problemkatalog unterhaltsam aufblättern. Sensationelle Sache; so noch nie erlebt! – Nebenbei bemerkt: Die Fülle der von Schellhorn zusammen getragenen Arbeiten liefert en passant eine prima Übersicht über die ästhetische Vielfalt der Kunstform Karikatur hierzulande.

 

Natürlich steuert die Kuratorin auf knapp gefassten Infotafeln diverse Sachinformationen bei. So werden in Brandenburg fast 45 Prozent der Bodenfläche landwirtschaftlich genutzt; wobei das Land einen Spitzenplatz im Ökolandbau einnimmt. Doch weil es an weiterverarbeitenden Betrieben fehlt, verlassen viele Bio-Rohstoffe die Region, um nach längeren Transporten in anderen Bundesländern weiter verarbeitet zu werden. Übrigens, die Deutschen verwenden ein Zehntel ihres Einkommens für Lebensmittel (im Schnitt 350 Euro monatlich pro Haushalt); Tendenz steigend. Dabei stehen Fleisch (60 Kilo pro Jahr) und Fisch an erster Stelle; erst dann kommen Obst und Gemüse. Der Alkohol- und Tabakverbrauch ist rückläufig (zuletzt 42 Euro pro Monat). Dabei gilt aber noch immer: Die Deutschen sind (wie der Autor dieser Zeilen) viel zu dick – liegen aber trotzdem noch im EU-Schnitt, was kein Trost sein soll.

 

Dennoch, bei allen aufs Nötigste beschränkten Hintergrundinfos spricht die reiche Bilder-Schau mit ihrem Spott und Sarkasmus, ihren frappierenden Pointen und dem kompakten Hintersinn für sich. Die originellen Bildideen verdichten überzeugender als manche Fachvorträge komplexe Sachverhalte wie Bienensterben, Dioxin, Verschwendung, Pestizide oder Gentechnik. Die elegant präsentierte Ausstellung gliedert sich übersichtlich in 24 Themenfelder von „Kükentöten“, „Vegan“ bis hin zu „Antibiotika“, „Armut“, „Hunger“ oder „Schwein und Mensch“. Da gibt es viel zu Grinsen oder erstaunt mit dem Kopf zu schütteln. Genau so oft jedoch hält man erschrocken inne. Was haben wir nicht alles angerichtet! ‑ Aber auch: Guten Appetit beim köstlich Aufgetischten!

 

(Bis zum 26. Oktober; Potsdam, Heinrich-Mann-Allee 107.)

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