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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 265

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

9. Juli 2018

HEUTE: 1. „Die Mitschuldigen“ & „Die Räuber“ – Sommerarena Monbijou-Park / 2. Der besondere Tipp: Wiederaufnahme des Kultstücks „Affe“ – Neuköllner Oper / 3. Wiener Sommergruß aus dem Burgtheater / 4. Treppe zu Klimt im Kunsthistorischen Museum Wien

1. Monbijou: - Feine Klamotte, blöder Mummenschanz

 © Bernd Schönberger/Monbijou-Theater
© Bernd Schönberger/Monbijou-Theater

Die beiden Märchenhütten für den Winter sind eingemottet, die Arena für den Sommer ist aufgebaut, die Pizzabude floriert ab Mittag, der Ausschank, der Eiscreme-Wagen ebenso. Und am Spreeufer vom Monbijoupark lockt ab 22 Uhr Strandbar Nummer 1 zum Tango unter Palmen. ‑ Romantisch gefärbter Sommerabendbetrieb auf Hochtouren!

 

Das hölzerne Amphitheater der Monbijou-Truppe, seit nun schon 15 Jahren hier, im gleichnamigen Park gegenüber der Museumsinsel,  ist rappelvoll. Und das gleich zwei Mal am Abend mit einem großen und einem kleinen deutschen Klassiker: mit Schillers „Die Räuber“ und Goethes „Die Mitschuldigen“.

 

Goethe war knapp zwanzig, als er seine kleine Burleske um einen Suffkopp lässig aus dem Ärmel schüttelte. Da ist der Alki Söller (Tobias Schulze), den Sophie (Marisa Wojtkowjak), die nicht ganz tugendhafte Tochter eines Kneipenwirts (Matthias Horn), notgedrungen ehelichte, weil ihre affengeile Jugendliebe Alcest (Jonas Kling) ausbüxte und seit Jahren nicht mehr gesehen wurde. Plötzlich taucht sie wieder auf und zwischen allen Beteiligten dieser Klamotte entbrennt ein Riesenkuddelmuddel. Es geht um Sex und Lügen, Diebstahl und Verfolgung, schweren Sozialneid, hohlen Hochmut, Eifersucht und reichlich Alkohol. Eitle Gutbürgerlichkeit wird bloß-, deftige Dummheit wird ausgestellt. Frechheit siegt, doch am Schluss sind sie alle mitschuldig am Chaos im biedermeierlichen Tollhaus.

 

Ein solches passt prima aufs Sommerbrettel. Eine saftige Chose für rasende Schauspieler, die alle kraft- und lustvoll die Sau rauslassen, ihre Figuren auf die Schippe nehmen, mit ihnen blödeln – so, wie sie es ungeniert auch mit dem begeistert johlendem Mitspiel-Publikum tun. Für Kenner immerhin ein Genuss der mit ästhetischen Finessen geschickt vollgestopften Spielerei; ansonsten: ein Jux für jedermann. Da hat der Regisseur Maurici Farré mit seiner überbordenden Phantasie und seiner Supertruppe alles richtig gemacht. Wow!

 

Bei Schiller aber ist alles anders. Der war zwar beim genialen Heraushauen seiner „Räuber“ noch einen Zacken jünger als seinerzeit Goethe mit den „Mitschuldigen“, doch Schiller ging es – wie immer eigentlich – ganz ernsthaft ums ganz Große, beispielsweise um die radikale Verbesserung der Welt. Mit (sommerlicher) Juxerei kommt man da nicht weit.

 

Freilich, in diesem Prototyp einer im Elend des Verbrechens untergehenden Jugendrevolte grüßen entfernt das Schauermärchen, die rührselige Lovestory. Auch gibt es reichlich Action. Doch die Massenszenen kippen schnell vom Besäufnis in den Massenmord. So mag das anmachende Motto dieser Inszenierung „Schnaps schmeckt allen Räubern gut“ zwar stimmen, zugleich jedoch greift es total daneben. Und „daneben“ läuft denn alles durch die zähen 95 Minuten.

 

Was auch am exemplarisch schwach besetzten Ensemble liegt, das weder mit der Action (angestrengte Lähmung) noch mit dem Schillerschen Sprach-Furor (flaues Genuschel) klar kommt. Die Tragödie verpufft, die explodierende Gewalt implodiert noch ehe Beides halbwegs aufkommt. Viel unfreiwillige Komik, statt Horror oder brutale Groteske. Auch vom Polit-Thriller keine Spur. Und gleich gar nicht vom philosophischen Denkstück.

 

Wie peinlich für das Ensemble und den ästhetisch-dramaturgisch völlig überforderten, total glücklosen Regisseur. Wie kann das nur passieren? Es ist doch Maurici Farré, derselbe wie bei den überaus geglückten „Mitschuldigen“.

 

Zum Schluss, nachdem alles versank in Mordbrennerei (die als Lachnummer rüberkommt), soll es wenigstens noch ein finales Sommertheaternachts-Grusical geben im verwunschenen Schloss. Doch was kommt, fasst alles Elend dieser Produktion zusammen: Linkisches Hin und Her, Rauf und Runter, albernes Geschrei, müdes Geplapper, paar Blitze zucken und in der Holzkiste werden Steine gerollt (Donner). „Die Räuber“ als läppischer Mummenschanz. Armer Friedrich!

(beide Stücke bis 1. September)

2. Tipp Neuköllner Oper: - „Alles ist bunt, laut und blinkt, Stadt voller Affen ist voll und stinkt…“

 ©  Philipp Plum
© Philipp Plum

Große Party mit Songs vom großen Fox. Von Peter Fox, dem Kreuzberger Musiker mit Echt-Namen Pierre Baigorry, der seine berühmten Songs mit dem Babelsberger Filmorchester einspielte, was ihnen einen sehr besonderen, dramatischen Aplomb gab. Das Fox-Album „Stadtaffe“ von 2008 wurde sofort Kult. Denn an diesen Songs ist alles stark: Der Sound, die Melodien, die Texte. Fox erzählt von Freundschaft und Einsamkeit, Liebesleid und Liebesglück, von der Sehnsucht nach Seelenruhe und, ja doch, nach Geborgensein. Aber auch ‑ und das vor allem ‑ erzählt er von der Sucht nach Entgrenzung, von der so herrlichen und gleichsam so fatalen Flucht in unwirkliche Realitäten auf Drogen-Ticket. Da folgen aus hohen Himmeln tiefe Abstürze bei den höllischen Trips durch Nächte voller Sex, Drugs, Alk und Gewalt.

 

„Alles ist bunt, laut und blinkt, Stadt voller Affen ist voll und stinkt.“ So etwa das Motto dieses Abends in der Neuköllner Oper, der nun unter dem Kurztitel „Affe“ eine Art szenisch übermalte Fox-Song-Show ist (Buch: John von Düffel und Fabian Gerhardt). Wir erleben den durch Berlin streunenden Junkie „F.“ (gemeint: Fox) mit seinem besten und bösen Kumpel, mit seiner Liebschaft, seinen horrorhaften Albträumen und dem kotzelenden Erwachen im Klinik-Bett. Wir erleben Gewaltausbrüche, gierigen Sex und zärtlichen und sehen „F.“ in Ekstase auf dem Drahtseil turnen, das hoch und quer über die Bühne spannt. Und dann liegt er eben drunten marode im Bett. – Bett und Drahtseil sind die beiden signifikanten Bestandteile des Szenenbildes – tolle Idee; ein Bravo für den Ausstatter Michael Graessner.

 

Im Mittelpunkt des fantastischen Ensembles tobt der wunderbare Anton Weil. Er gibt dem In-sich-Zerrissenen das stur Kerlige, aber auch das hilflos Kranke. Und hat dabei immer eine Maske des Gefährlichen, undurchsichtig Rätselhaften. Einer, der immer wie mit offenem Messer in der Hand losrennt. Und mit blutigem Herzen. Der wüste Rocker zugleich als armer Schmerzensmann. Was für eine Leistung – und super singen kann Weil auch noch. Klar, dass dieses wahrlich hin-, aber auch herreißende Musik- und Show-Theater absolut Kult ist. Klar, dass es jetzt wieder im Spielplan ist. Ein Ereignis! Sträflich, es zu verpassen.

(noch bis 18. Juli)

3. Sommergrüße aus dem Wiener Burgtheater

 © Lukas Riebling
© Lukas Riebling

Hier drei aktuelle Einblicke ins österreichische Nationaltheater, der hinsichtlich Etat, Ensemble, Repertoire und Sitzplatzkapazität größten deutschsprachigen Bühne. – Hugo von Hofmannsthal schrieb einst begeistert: „…eine Welt, keine wahre Welt und doch keine lügnerische. Eine gesteigerte Welt, eine Feiertagswelt. Herzog, Edelmann, Bürger und Bediener standen droben, alle waren sie pompös und gewinnend, alle waren sie im heimlichen Einverständnis miteinander, und ihr Zusammensein war ein Ganzes, auf dem viel Glanz lag. Man nannte es das Burgtheater.“

 

„Macbeth“ von Shakespeare; drei freilich großartige Spieler allein machen im Burgtheater den Schotten-Schocker: Christiane von Poelnitz (Hexe/Lady Mac.), Ole Lagerpusch (Hexe/Mister Mac.) und Merlin Sandmeyer (Hexe/Banquo. Drei, das war Untergrenze. Wegen dem orakelnden Weiber-Terzett, dem mörderischen Ehepaar sowie dem konkurrierenden Kollegen Banquo, der zudem noch ein paar Sätze von Duncan und Lady Macduff zitiert, was man dem Besetzungszettel entnimmt. Es mag ja sein, dass dem Unkundigen diverse Details der ohnehin kürzesten Shakespeare-Tragödie in dieser noch viel kürzeren, nämlich auf gerade mal hundert Minuten gestrafften Fassung, verborgen bleiben. Was aber unheimlich rüberkommt in Antú Romero Nunes‘ Inszenierung dieses tollen Shakespeare-Konzentrats, ist die Suggestion einer tiefen, unser Dasein peinigenden Ungeheuerlichkeit. – Dem machtgierigen Ehrgeiz, der geilen Leidenschaft folgt die grausame, wahnhaft Wirklichkeit ignorierende Tüchtigkeit, der unendliche Blutrausch und darauf die dauerhafte Gewissensqual und Angst, was nicht auszuhalten ist, was krank macht, irre, und in die Selbstvernichtung zwingt. Nunes gießt dieses Finale elenden Verreckens in ein starkes, abstrakt-monumentales Bild, gestützt auf Chorgesang (der Wiener Kinderchor The Vivid Voices) und Orchestermusik (die Herren Blechbläser von Post und Telekom Musik Wien).

 

Der Nachhall aus dem schottischen Jammertal eine Art Requiem. Klage und Trauer bezüglich der Menschen Hybris, die da immer und immer wieder (bis in unsere Tage) explodiert und alle Menschheitsordnung bricht. Gesang als letztes Wort, als Pointe auf den so unheimlichen, von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens schlagend schön, poetisch mächtig übersetzten Text. „Nichts ist, als was nicht ist“, röchelt die Lady, überströmt von Theaterblut. „Ich hab die Sonne langsam satt und will, dass diese Welt ihr Ende hat.“ – Es ist ihre Welt, ist ihre Sehnsucht nach dem erlösenden ewigen Schlaf. Doch gemeint ist – wir schrecken auf ‑ unsere Welt und unsere Sehnsucht. Dafür steht schon das Bühnenbild von Stéphane Laimé: Der frappierend detailgetreue, spiegelbildliche Nachbau des Zuschauersaals. ‑ Dann der Schluss mit Musik, der kindliche Singsang, schwarzer Vorhang, Erschütterung im Publikum. Und Bravo-Rufe.

 

 

Im Gegensatz dazu Simon Stones üppig wuchernde Drei-Stunden-Paraphrase auf Motiven aus Strindberg-Stücken „Hotel Strindberg“. Seine Bewohner, gegriffen aus dem Alltag von heutzutage, sind ein Ensemble erstklassiger Spieler; u.a. Caroline Peters, Martin Wuttke, Roland Koch, Michael Wächter, Aenne Schwarz. Die Bühne (Alice Babidge) im Akademietheater, der Burg-Dependance, besteht aus gestapelten Zimmern wie in einem Puppenhaus, seine höchst neurotische Belegschaft lauter Püppchen im großen allgemeinen Psychokrieg. Zwar fließt kein Blut, aber jede Menge Schweiß und Tränen im verzweifelten Ringen um ein bisschen Glück im kurzen Leben. Beglückende Kunstfertigkeit voller Verzweiflung, Wahn, Unglück.

 

 

Gleichfalls großes Ensembletheater in einem atemberaubenden Stück über die seelische Vernichtung von Menschen aus dem 19. Jahrhundert, das die Regie von Alvis Hermanis strikt im historischen Milieu des auftrumpfenden russischen Kapitalismus um 1880 belässt – und gerade dadurch ins Überzeitliche, also Heutige zielt: „Schlechte Partie“ von Alexander Ostrowski (1823-1886) im vom Regisseur entworfenen, hinreißend ausstaffierten Ambiente gemütlicher Bürgerlichkeit, in dem es hinter feinen Tapeten äußerst unfein, äußerst unbürgerlich zugeht auf der Riesenbreitwandbühne Burg.

 

Auf den Punkt gebracht geht es um eine blutjunge Schönheit und einen biederen Freier – wahrlich zwei fürchterliche Schmerzensfiguren ‑, die sich durch Eitelkeit, Dämlichkeit, Selbstbetrug und Wahn ins Unglück stürzen, an dem freilich vor allem die zynischen Intrigen und bösartigen Lügen ihres moralisch verkommenen Umfeldes geharnischten Anteil haben. Wir staunen über sensibel gesteuertes Einfühlungstheater, über diesen ätzenden Realismus der so genannten (und gern voreilig und unwissend geschmähten) alten Schule. Wir staunen über Girlanden schauspielerischer Kabinettstücke voller Lebensgier, Komik, Herzweh, Anmaßung, Verzweiflung und Kaltblütigkeit (Dörte Lyssewski, Marie-Luise Stöckinger, Peter Simonischek, Michael Maertens, Fabian Krügwer, Nicholas Ofczarek u.a.). Was für ein trauriges, elend schönes Sehnsuchts- und Trauerspiel!

4. Sommergruß von Klimt aus dem Wiener Kunsthistorischem Museum

 © Kunsthistorisches Museum Wien
© Kunsthistorisches Museum Wien

Die Ausmaße sind geradezu gigantisch; das Berliner Hohenzollern-Schloss passte locker hinein. Allein schon die Eingangshalle mit dem Treppenhaus ist Monumentalarchitektur vom Großartigsten – ein Triumph des Historismus; das machtbewusste Kaiserhaus ließ sich da nicht lumpen. Dementsprechend ist die Ausstattung. Abgesehen von der Fülle kostbarster Materialien (Marmor und Gold ohne Ende) leisteten sich die auftrumpfenden Habsburger eine grandiose bildkünstlerische Ausgestaltung der Decken und Wände. Die Stars der Szene (Hans Makart) bekamen vom Kaiser Franz Joseph I. lukrative Großaufträge; aber auch das Jung-Talent Gustav Klimt, damals 27 Jahre alt, durfte antreten mit seinen Kollegen. Die Aufgabe war, die komplizierten Flächen zwischen Säulen sowie die dreiseitigen so genannten Zwickel neben den Bögen hoch oben in Nähe der Decken zu bemalen (Öl auf Leinwand). Thema: die Versinnbildlichung vergangener Kunststile von Altägyptischer Kunst über die Antike und Renaissance bis hin zum Rokoko. Klimt und Co. begannen im Februar 1890 und waren in 14 Monaten damit fertig, ein halbes Jahr vor Eröffnung des Museums.

 

Jetzt, anlässlich Klimts 100. Todestag (6. Februar), wurde für ein paar Monate in zwölf Metern Höhe eine vier Tonnen schwere Stahlbrücke (nebst Treppe) im Stiegenhaus installiert, damit man droben die im Originalzustand erhaltenen Klimt-Arbeiten aus der Nähe betrachten kann. „Stairway to Klimt“ heißt die Sache. Und das massenhaft strömende, staunende Publikum (das Museum ist täglich geöffnet!) findet sich geradezu schwebend in luftiger Höhe der pompösen Halle dem weltberühmten Maler ganz nah. Kenner erkennen hier Klimts erste Schritte in Richtung Moderne: der Goldgrund, das Ornamentale, das Flächige, die Abstraktion vom rein Gegenständlichen. Hier nimmt es in betörender Schönheit seinen Anfang. Hier ist – aus heutiger Sicht ‑ Klimts bevorstehender Weltruhm absehbar. – Achtung! Leute mit Höhenangst könnte es schwindeln.

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