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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 263

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

25. Juni 2018

HEUTE: 1. „Am Königsweg“ – Deutsches Theater / 2. Party-Time zum Spielzeit-Finale: Kulturvolk-Sommerfest am 30. Juni / 3. Postkartengrüße aus Wien

1. Deutsches Theater - Leckeres Kochshow-Chaos

 © Arno Declair
© Arno Declair

Auf der Bühne ein schick weiß strahlendes Einbauchküchengebirge. Zum kraftsportmäßig drin Herumturnen und partymäßig drin Herumtoben. Aber natürlich auch zum genüsslichen Verarbeiten phallisch aussehender Lebensmittel wie Gurken, Porree und – haha! – weich läppischer Würstchen sowie, nicht zu vergessen, einer Handvoll Eier. All das wird frohen Muts von einer Handvoll verwegener Kochkünstler fleißig zerstückelt, zusammen gerührt und lustvoll sich gegenseitig in die Visagen verspritzt. So ungeniert, wie in dieser rüden Kochshow mit den Fressalien umgegangen wird, so verhackstücken, verrühren und verspritzen Anja Schneider, Linn Reusse, Holger Stockhaus, Bozidar Kosevski und Marcel Kohler den von Rollen- und Figurenzuschreibungen völlig freien 93-Druckseiten-Fließtext von Elfride Jelinek „Am Königsweg“.

 

Die österreichische Literatur-Nobelpreisträgerin von 2004 schrieb ihn – flink wie sie ist – als Replik auf die Wahl von Donald Trump, freilich ohne diesen je beim Namen zu nennen. Schließlich geht es ihr um Höheres: Beispielsweise um die weltweit um sich greifende Sucht der Wähler selbst in altgedienten Demokratien nach – deshalb Würste, Gurken, Eier! ‑ autokratischer Führung (da schlägt die Autorin den Bogen kühn bis in die Antike). Oder um Fremdenhass, Staatsschulden, Finanzkrise, Rechtspopulismus, Migration, Digitalterror, Genderschnickschnack, entgrenzter Wirtschaftsliberalismus, die Dummheit der Wähler wie der Gewählten bis hin zu hilflosem Heidegger-Wahn, hilflosem Jelinek-Irresein (an sich, uns, der Menschheit). ‑ Dieses unentwegte Hauen und Stechen...!

 

Klaro: Es geht der hellsichtig verstörten Autorin um alles: Um die unheimliche, gefährlich ins Selbstzerstörerische driftende Schieflage der Welt. Ums unheimliche, Alternativen beiseite schiebende Nähern an den globalen Abgrund. Da versagen auch die bislang probaten Diskurs- und Erklärmuster Links und Rechts (ach, Parteien, ach Ideologien). Da herrscht ja längst nur noch Chaos in unseren Köpfen, unserer Welt, in der von Katja Haß auf die DT-Bühne gebauten Küche. In der – diesem Befund entsprechend ‑ Regisseur Stephan Kimmig ein säuisches, eklig albernes, geistlos lächerliches, geistvoll groteskes, gern auch zynisch durchgeknalltes, sarkastisch mit Versatzstücken der Kulturindustrie um sich werfendes Chaos aus Gewalt und niederem wie höheren Blödsinn inszeniert. ‑ „Falls Sie Ihre Weltanschauung suchen; ich habe sie auch nicht“, schreibt Jelinek. Eben.

 

Und eben diese Leerstelle, dieses allgemeine diffuse Gefühlt des Nicht-mehr-weiter-Wissens, diese entsetzlich allerorten grassierende Orientierungslosigkeit inszeniert kurz und bündig in seiner knapp zwei Stunden dauernden, virtuosen Schlacht zwischen Spüle und Kühlschrank Regisseur Kimmig mit einer pfiffigen Auswahl von Fetzen aus Jelineks Textkaskaden mit den tsunamihaften Assoziationswellen.

 

Man kann das freilich auch ganz anders machen. Opernhaft ausladend von Kabarett bis Tragödie wie Falk Richter in vier satten Stunden zur Uraufführung im Hamburger Schauspielhaus. Kimmig macht es kurz in Berlin; quasi als übel stinkenden Furz – trotzdem zum Lachen, zum Gaudi des Publikums. Was zuförderst an den bravourösen, locker hingerotzt performativen Höchstleistungen der sensationellen fünf Show-Artisten (und natürlich Artistinnen: die Schneider! die Reusse!) liegt.

 

Ein Überwältigungs-Happening als Menetekel an die Küchenwand und uns vor den Kopp gekloppt. Aber noch köcheln wir ja noch „gut drauf“ in unserem privilegierten Kochstudio. Aber wie lange noch? Was für ein entsetzliches Theater-Entertainment! Aber eben auch: Zum Bravo-Schreien. Ach, diese Kunststücke tollen Theaters. Ach, Jelinek. Nun zucken schon selbst Nobelpreisträgerinnen ahnungsvoll, doch entnervt mit den Achseln. ‑ Genau das demonstriert Kimmig.

(wieder 26. Juni und in der nächsten Spielzeit)

2. An alle! An alle! - Sommerfest in der Ruhrstraße


Herzliche Einladung zum diesjährigen Sommerfest von Kulturvolk | Verein Freie Volksbühne Berlin in und vor der Ruhrstraße 6. Es wird, wie immer, ein spektakuläres Straßenfest geben mit mehrstündigem Unterhaltungsprogramm im großen Festzelt – die Ruhrstraße als Kulturmeile mit vielfältigen Angeboten für jede Altersklasse (extra für Kinder das „Theater aus dem Koffer“). Und mit Public Viewing der Fußball-Weltmeisterschaft. Und wieder mit Tombola und dem Glücksrad sowie reichlich zu Futtern und zu Schlucken. An der langen Ladenzeile präsentieren sich die Kulturvolk-Kooperationspartner Berlins und Brandenburgs mit ihren mobilen Informationsständen. Also großer Bahnhof und gute Unterhaltung mit Kulturvolk in der Ruhrstraße. Am Samstag, 30. Juni, ab 15 Uhr bis gegen 22 Uhr.

3. Wiener Postkarten mit Grüßen vom Kaiser - von Andreas Gabalier, Gottfried Helnwein sowie dem Sachertortenhotel

Hofburg Wien um 1900
Hofburg Wien um 1900

Erstens: Seine K.K. Majestät & Co. im Auktionshaus Dorotheum – Schlapfen, Zigarren, Sonnenschirm

 

Bedienstete, die den imperialen Herrschaften am Hof zu Wien besonders nahe standen, bekamen je nach Wertschätzung diverse Gebrauchsgegenstände geschenkt; nach Gebrauch, versteht sich. Die konnten sie, je nach Laune und Umständen, ehrerbietig aufbewahren oder meistbietend veräußern, dazu hatten sie das von den Habsburgern sogar verbriefte Recht. So beispielsweise kamen einst durch den Leibkammerdiener Eugen Ketterl zwei Paar kaiserliche Schlapfen (so heißen hier die Hauslatschen) aus feinstem Ziegenleder mit Seidenfutter sowie zwei Seidensatin-Schuhe mit Perlenstickerei von Elisabeth (Sissi) sowie deren Sonnenschirm seltsamerweise aus schwarzer Seide mit floralen Stickereien sowie der Stephanskrone (sie war ja zugleich Königin von Ungarn) auf den öffentlichen Markt.

 

Jetzt, Mitte Juni anno 2018, wurden die Memorabilien zusammen mit 300 weiteren kaiserlichen Kostbarkeiten vom weltberühmten Versteigerungshaus Dorotheum ‑ das Palais gleicht einem riesigen Antiquitätenmuseum ‑ angeboten für seine Sonderauktion „Kaiserhaus und Historika“ – diesmal die bislang größte aller Zeiten (!). Der Schätzwert der imperialen Treter lag zwischen 5000 und 8000 Euro, das des Schirms bei 5000. Der Hammer wurde fleißig geschwungen, auch für Taschentücher, Bilder, Geschirrteile, fünf eigens für den Kaiser angefertigte Zigarren Marke Regalia Media plus Zigarrenspitze, Reitsporen, Silberzeug, Bestecke, Fotos vom Kronprinz Rudolf oder das chirurgische Besteck des kaiserlichen Leibarztes Dr. von Kerzl, mit dem er ‑ laut eigener Aussage Franz Josephs ‑ das majestätische Fleisch gelegentlich traktierte.

 

Übrigens, alle Ersteigerungen dürfen legal außer Landes gebracht werden; gern nach Süddeutschland oder auch ‑ oho! – nach China. Ausnahme: Eine handgeschriebene k.k. Audienzliste aus dem Jahr 1918 (Schätzwert 400 Euro), auf der Besucher wie der Hofjuwelier Köchert, Minister und enge Mitarbeiter des Hofes genannt sind. Für die 16 Seiten liegt eine „Unterschutzstellung des Österreichischen Staatsarchivs“ vor.

 

Schließlich wurde (fast) alles teuer verkloppt an liquide Habsburg-Fans, kaisertreue Nostalgiker oder geldgierige Spekulanten aus aller Welt. Rekorderlöse (besagte ausgelatschte Kaiser-Trittchen gingen weg für 11.250 Euro)! – Was wohl würde seine Hoheit dazu sagen? Das, was sie immer schon sagte: „Hat mich sehr gefreut.“

 

 

Zweitens: Andreas Gabalier ‑ Jogi, Jogi, Jogi

 

Der österreichische Volks-Rock’n’Roller Andreas Gabalier (33) singt eine WM-Hymne auf Deutschlands Trainer Jogi Löw für den Radiosender Antenne Bayern. Die krachledern hedonistisch-katholische Pop-Röhre (fünf Millionen verkaufte CDs) triumphiert gerade mit seinem neuen Album „Vergiss mein nicht“ („In einem christlichen Land hängt ein Kreuz an der Wand“ oder „Nach einem Zeltfest im Rausch im Heuboden die Unschuld riskieren“). Für die Fußball-Piefkes gab es freilich keine Neukomposition, sondern eine textliche Adaption seines Hits „Hulapalu“. Im Refrain heißt es jetzt statt „Hodi odi ohh do ho dieh“ ganz einfach schlachtrufmäßig  „Jogi, Jogi, Jogi Löw“. Toooor!

 

 

Drittens: Gottfried Helnwein – Torte im Hotel Sacher

 

Anno 1976 kam der DDR-Regisseur, Schriftsteller und Maler Einar Schleef (1944-2001) für eine Burgtheater-Produktion zu den Proben nach Wien (und blieb fortan im Westen). Natürlich probierte er auch die angeblich „berühmteste Torte der Welt“; natürlich am authentischen Ort. Schleef, gerade auch als Kritiker und Wüterich ein Extremist, fand sie „schrecklich“ und zertrampelte sie, so geht die Saga, vorm Hotel Sacher.

 

An dieser Stelle ein Privatissimo: Meine geliebte Tante Hanne aus Wien buk selbst ihre Sachertorten. Und zwar mit reichlich Marmelade zwischen Teig und Schokolade – sehr saftig. Daran gewöhnt, finde ich käufliche Sachertorten viel zu trocken. Das am Rande.

 

Zurück zur Firma Sacher, die ihr edles Schokogebäck für beträchtlichen Aufschlag in einer hübschen Holzkiste verpackt. Der werbewirksame Effekt, die Schachtel der Saison darf jeweils ein berühmter Künstler gestalten. Jetzt, zur zehnten Edition, ist es der Maler Gottfried Helnwein. Der Österreicher pendelt zwischen Los Angeles und Irland, wo er mit Kindern und Kindeskindern lebt, aber selbst nichts Süßes isst, kam nun zur „Vernissage“ der Jubiläums-Box von „Sachers Artist’s Collection“ extra nach Wien ins historische Luxushotel zwischen Staatsoper und Albertina. Schwarze Klamotten, schwarzes Stirnband, dunkle Brille, so tauchte er auf im Café Sacher und hielt ein Exemplar der auf 555 limitierten Edition der Presse vor die Smartphones.

 

Zu sehen sind mächtig aufstürzende Eisschollen. Sehr cool und passend zur sommerlichen Hitze (kühlende Anmutung). Das leicht bearbeitete Motiv stammt vom romantischen Malerkönig Caspar David Friedrich; sein 1884 entstandenes, populäres Ölbild (97x121 cm) „Eismeer“ hängt in der Hamburger Kunsthalle. Nun prangt es, diskret verwandelt, auf der Tortenschachtel und dient, das immerhin, einem karitativen Zweck. Der Kauferlös geht an Projekte der Stiftung „Kindertraum“. Das Süße, Schöne, Sinnvolle im Terzett. Klingt doch gut.

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