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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 257

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

14. Mai 2018

HEUTE: 1. „Endstation Sehnsucht“ – Berliner Ensemble / 2. „Der Raub der Sabinerinnen“ – Finale vor dem Abriss der beiden Kudammbühnen / 3. Buchpremiere Brecht-Biografie – Akademie der Künste / 4. Jubiläum 25 Jahre Schaubude Berlin

1. Berliner Ensemble: - Auf der Rutsche in die Hölle

 © Matthias Horn
© Matthias Horn

  1. Berliner Ensemble: Auf der Rutsche in die Hölle

Der schmerzfreieste Punkt in diesem Schmerzensstück ist ganz unten. Dort, am dunklen Tiefstpunkt ihres Daseinselends, dort hat Blanche Dubois (Cordelia Wege) in ihrem verzweifelten Kampf um Liebesglück und Anerkennung für einen Moment die einigermaßen bequeme Pause für ihre totale Erschöpfung. Dennoch versucht sie, sogar auf allen Vieren wie ein waidwundes Tier, das nach Luft schnappt, immer wieder wimmernd, keuchend, schreiend hoch und nach oben ans Licht und ins Schöne zu kommen. Es ist ihre letzte, gierige, vergebliche, im Wahnsinn endende Lebensanstrengung. Doch immer wieder rutscht dieser gefallene Engel im weißen Flatterkleid ab, stürzt zurück ins Enge, luftabschnürend Dunkeltiefe. – Weil: Für Tennessee Williams Drama „Endstation Sehnsucht“, das im französischen Viertel von New Orleans spielt und 1947 in New York uraufgeführt wurde, baute Olaf Altmann einen kaum mannshohen Schacht, der, geschnitten in eine rostige Wand (als Bodensatz aller öden menschlichen Existenz), in gefährlicher, schwindelerregender Schräge von oben rechts abfällt bis etwa ein Drittel Bühnenhöhe. Er hängt sozusagen in der Luft – schwebend wie ein Albtraum.

 

Was für ein signifikantes Sinnbild für diese grandiose Fallstudie und darüber hinaus; verzichtend auf jede pittoreske Dekoration eines Milieus der sozial Abgehängten, moralisch Erniedrigten, seelisch Verrohten auf der Endstation. Es ist der versiffte, letztlich ausweglose Ort der Zuflucht von Blanche (Geld weg, Job weg, Männer weg und obendrein straffällig geworden). Es ist dies der grausige Unort, die Behausung ihrer schwangeren Schwester Stella (Sina Martens, eine elende Mischung aus Unterwürfigkeit, Aufmotzen, fader Empathie für Blanche) sowie für deren gewalttätigen Ehemann Stanley (Andreas Döhler), ein vom Testosteron gesteuerter, von schmerzlicher Erniedrigung kaputter polnischer Einwanderer. Ein mächtiger Haufen Elend, dem Döhler durch sarkastische Coolness eine böse, trotzige, geradezu unheimliche Souveränität gibt.

 

Die brutalen, zynischen, grotesken oder larmoyanten Redeschlachten dieses extrem neurotischen Dreiers (nebst gleichsam desolaten Figuren aus der Nachbarschaft: u.a. Peter Moltzen als fieses Muttersöhnchen, das um Blanche buhlt und Kathrin Wehlisch als schrille Hausfreundin Eunice), diese schillernde, vom Autor wie fürs TV von heute wirkungsmächtig gepinselte Unterschichten-Soap interessieren Regisseur Michael Thalheimer nicht. Er hält es mit Blanche, auf die seine Inszenierung fokussiert ist. Blanche, längst abgetaucht in ihre heile Traumwelt, schreit denn gleich anfangs: „Ich will keinen Realismus!“ ‑ Die Regie will ihn auch nicht. Sie taucht das Melodram in ein Säurebad der abstrahierenden Reduktion. Übrig bleibt – kongenial dem Bühnenbild ‑ das Existenzielle. Die reine lebensfeindliche Hölle in der schon zur Urzeit die Menschheit rutschte, um dort auf ewig festzukleben.

 

Das könnte langweilig werden, weil die verfahrene Lage von Anfang an klar ist. Wird es aber nicht! Vielmehr entfesseln die Darsteller in diesem szenisch-inhaltlichen Konzentrat eine schier überwältigende Wucht sowie – tolles Paradoxon – Klarheit im wuchernd Schizophrenen. Freilich, psychologisches Fummeln, schweißtreibende, schrille, schluchzende, eklige Suhlerei im Elend, derartiges passt hier nicht. Dennoch kommt es – großes Können! – im energetisch aufgeladenen, im ätzend hohen Dauerton des Irrsinns, in dieser angespannten Künstlichkeit (oder gerade dadurch) auf wundersame Weise zu erschütternd menschlichen (zugleich allgemein menschlichen) Momenten: todunglücklich, schmerzensreich, gallig, wahnhaft, weltverloren. Alles wie im Fieber; Hauen und Stechen wie im Rausch. Und doch stocknüchtern sezierte Ausweglosigkeit. Da wird den Figuren eine verstörende Ambivalenz abgerungen – zugleich folgen sie, eingewoben von Bert Wredes unheimlichem Soundtrack, ihrem eingebrannten Fatalismus. Grandios.

 

Das letzte Wort hat Stanley. Kerlig kühl, hilflos tröstend, gnädig verlogen sagt er zur irre gewordenen Blanche: „Alles gut. Ist doch alles gut…“ Dabei ging doch alles, alles längst kaputt in diesen einhundert packenden Theaterminuten. ‑ Aber mit Cordelia Wege, der mit sicherer Hand frisch ans BE verpflichteten Schauspielerin (einstmals Volksbühne), hat das Hauptstadttheater einen neuen Star. So gesehen: Alles gut!

 

(wieder 26., 27. Mai; 6., 7., 8. Juni; 6., 7. Juli)

2. Beide Kudamm-Bühnen vor dem Abriss: - Rausschmiss mit klassischer Lachnummer nebst Träne im Knopfloch. Dann Talkshow. Dann Party mit allen

 © Joachim Hiltmann
© Joachim Hiltmann

Es mag ja das Kindsköpfige in mir sein, aber ich habe selten so gelacht im Theater wie bei Franz und Paul von Schönthans unverwüstlichem Spaß-Klassiker von anno 1884 „Der Raub der Sabinerinnen“, den, einige Jahre ist’s her, Katharina Thalbach in der Bearbeitung von Curt Goetz, erst in Rostock und dann in Potsdam und später in der Kudamm-Komödie inszenierte. Ein maximal irrwitziger Schwank, total verblödelt und dennoch eine zu Herzen gehende Hommage auf den zum Sinnbild gewordenen Theaterdirektor Striese und seine sich über alle nur denkbaren Misslichkeiten hinwegsetzende, aufopferungsvolle Liebe zum Theater wie zur Kunst überhaupt. Theaterglück, Theaterwahn – hier fällt beides in eins – hingebungsvoll demonstriert von einem All-Star-Ensemble mit Katharina, Anna, Nellie Thalbach, Markus Völlenklee, Sonja Hilberger, Richard Barenbergh, Siegfried Kadow, Wenka von Mikulicz und Ronny Miersch. ‑ Wer für die Bühne brennt, muss allen Strieses dieser Welt zu Füßen liegen! Eine kleine und doch ganz, ganz große Sache, diese Strieserei. Unvergesslich.

 

Wie wohl auch diese glanzvoll besetzte Aufführung, dem Rausschmeißer vor dem Abriss der beiden Kudammbühnen – im September geht es mit ihnen unter Martin Woelffers Direktion weiter im Schiller-Theater in der Bismarckstraße. So lange, bis an der alten, traditionsreichen Stelle ein neues Theater entstanden sein wird.

 

Übrigens: Der Urgrund der ganzen Abreißerei hängt an einer kulturpolitisch kurzsichtigen und letztlich auch für die Stadtkasse extrem nachteiligen, klammheimlichen Geschäftemacherei, indem Berlin sich die Streichung der Kudammbühnen von der in den 1990er Jahren neu erstellten gesamtberliner Landesdenkmalliste für allerhand Geld hat abkaufen lassen von einem Immobilienhändler. Damit der dann ungestört mit dem Objekt Kurfürstendamm 206/209 ordentlich Geschäfte machen konnte. Den skandalösen Sachverhalt deckte später allein (!) Alice Ströver während ihrer kulturpolitischen Tätigkeit im Abgeordnetenhaus durch aufwändige Recherchen in diversen Ämtern wie Grundbuchamt, Finanzsenator, Bauamt Charlottenburg, Kulturverwaltung etc. auf. Womit sie sich nicht nur beim damals Regierenden Bürgermeister ziemlich unbeliebt machte.

 

Weitere Veranstaltungshinweise zum großen Abschied: Ein Spezial der Veranstaltungsreihe mit Gregor Gysi „Missverstehen Sie mich richtig“ gibt es aus gegebenem Anlass am 22. Mai um 20 Uhr im Kudammtheater: Jürgen Wölffer und Martin Woelffer (Vater und Sohn) zusammen im Gespräch mit Gysi.

 

„Danke!“, das Abschiedsfest in beiden Kundammbühnen, ist am 26. Mai ab 12 Uhr bis open end – mit vielen Künstlern, Mitarbeitern, Unterhaltungsbeiträgen, Infos, Führungen durch die historische Ausstellung zur Geschichte beider Bühnen. Eintritt frei!

 

Wiederaufnahme „Raub der Sabinerinnen“ am 22. Mai. Dann weiter bis zum 27. Mai. An diesem Abend gibt es die für immer letzte Theatervorstellung am Kurfürstendamm. Anschließend Party für alle, alle, alle… Bis in den frühen Morgen am 28. Mai. Dann macht der Letzte das Licht aus.

3. Akademie der Künste: - Neue Brecht Biographie

 © Bertolt Brecht Archiv
© Bertolt Brecht Archiv

„Diese umfangreichen Biographien angelsächsischer Art, in denen das Nachweisbare stimmt und das Zweifelhafte dem Entschluss des Lesers überlassen wird“, derartige Werke vermisste Uwe Jonson in der „deutschsprachigen Gegend“. Jetzt aber ist ein solches Buch auf den Markt gekommen: Der englische Germanist Stephen Parker schrieb eine Darstellung von Bertolt Brechts Leben und Werk. – Also noch eine Brecht-Biographie, und doch ziemlich anders. In der Akademie der Künste am Pariser Platz wird Parkers Arbeit im Gespräch des Autors mit Raimund Fellinger, Irmgard Müller und Ulrich Fries vorgestellt, den Übersetzern des Buchs. Gesprächsleitung: Erdmut Wizisla. Constanze Becker vom Deutschen Theater wird einige Seiten zu dieser Buchpremiere lesen. ‑ Ein gewiss spannender Abend voller Neuigkeiten über den vermeintlich so gut bekannten B.B.

 

(Dienstag, 15. Mai, 20 Uhr)

4. Jubiläum 25 Jahre Schaubude: - Atmende Papierberge, übers Seil tanzende Federn

 © CaboSanRoque
© CaboSanRoque

Vor einem Vierteljahrhundert öffnete Die Schaubude (im ehemaligen, 1991 abgewickelten DDR-Puppentheater am S-Bahnhof Greifswalder Straße) als vom Senat geförderte Neugründung erstmals die Türen für ein Theater der Dinge. Seitdem kamen rund eine halbe Million Zuschauer ins Haus, das sich zu einer zentralen Plattform des zeitgenössischen Figuren- und Objekttheaters entwickelte – mit Strahlkraft weit über die Grenzen Berlins und Deutschlands hinaus.

 

Die Schaubude wurde zum Gastgeber für unzählige Künstler und Präsentationsort mannigfaltiger ästhetischer Handschriften. Sie gehört mit ihren internationalen Festivals, Kooperationen, Nachwuchsförderprogrammen, Such- und Forschungsbewegungen sowie ihrer pädagogischer Betreuungsarbeit zu den wichtigen kulturellen Instanzen der Hauptstadt.

 

Mit dem „Jubiläumskonzert der Dinge“ (realisiert aus Mitteln des „Theaterpreises des Bundes“ sowie des Ramon-Llull-Instituts) feiert vom 16. bis zum 20. Mai auf höchst originelle Art dieses Theater sein Bestehen und präsentiert an fünf Abenden einen Parcours mit drei ungewöhnlichen, intimen Arbeiten, die sich raffiniert zwischen Objekttheater, Klangkunst und Installation bewegen.

 

Nummer eins: „Noe m va fer Joan Brossa. Ich entstamme nicht Joan Brossa“. Das genreübergreifende Werk des katalanischen Avantgarde-Künstlers Joan Brossa macht eine katalanische Künstlergruppe auf poetische Weise hörbar durch ein faszinierendes Spektakel mit selbsttätig tippenden Schreibmaschinen, klingenden Gläsern, dröhnendem Licht, atmenden papierbergen und klirrenden Zollstöcken aus Metall.

 

Nummer zwei: „Le Petit Cirque. Der Kleine Zirkus“ des französischen Tüftlers Laurent Bigot präsentiert (ohne Worte) eine fantastische Show mit frappierende, auch unglaublich witzige Kunststückchen vollbringenden elektroakustischen Klangobjekten wie Holz, Plastik, Federn, Figuren oder alltäglicher Krimskrams. Und mit zwölf Mikrophonen. Höchst amüsant, total verblüffend!

 

Nummer drei: „Cases. Häuser“, eine begehbare Objekt- und Klanginstallation der spanischen Künstlerin Xesca Salvá. Sie entwickelt, ausgehend von Interviews mit Frauen ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft und Lage die deutschsprachige Version ihrer aus Authentischem wie Fiktivem zusammengesetzten Arbeit.

 

(Termine: 16., 17. Mai jeweils 19 und 20 Uhr; 18. Mai 18., 19., 21., 22 Uhr; 19., 20. Mai jeweils 16.30, 17.30, 20, 21 Uhr. Gesamtdauer des Parcours mit den drei Installationen ca. zwei Stunden.)

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