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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 250

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

26. März 2018

HEUTE: 1. „Sommergäste” – Deutsches Theater / 2. „Finale“ – Chamäleon-Theater / 3. Zum 90. Geburtstag von Superstar Christa Ludwig, Weltklasse-Sopranistin

1. Deutsches Theater: - Verstörte Menschenkinder

 © Arno Declair
© Arno Declair

Beliebteste Location der Russen: Die Datsche. Das ländliche Idyll ist denn auch die Zuflucht für Gorkis „Sommergäste“. Das Stück schrieb der (schwierige) Bolschewiken-Freund anno 1905 am Vorabend der russischen Februar-Revolution unter dem Vorsatz, eine Ansammlung gutsituierter Kleinbürger aus dem Intellektuellen-Milieu bloßzustellen. Anstatt sich praktisch (etwa durch eingreifende Parteiarbeit) um die revolutionäre Verbesserung der Welt zu kümmern, wird da in der Sommerfrische bloß endlos palavert über soziale Fragen und künftige Gerechtigkeit. Vor allem aber verliebt, betrügt, verachtet man sich gegenseitig, ventiliert die Probleme mit Herz und Unterleib, pflegt seinen Zynismus, den Weltekel, das Selbstmitleid, die innere Leere und äußere Beschränktheit und weiß nichts rechtes mit sich anzufangen außer Teetrinken und Wodka-Schlucken. Der ewige Zirkus zwischen Ab- und Aufsturz.

 

Maxim Gorki (1868-1936) hat lange Zeit an diesen „Sommergästen“ herumgebastelt. Hat die mit arg propagandistischer Rhetorik auffällig garnierte Redseligkeit seines Breitwand-Figurenpanoramas immer wieder eingedämmt und das Ganze nicht als „Stück“, sondern als „Szenenfolge“ bezeichnet, die in ihrem üppigen Gemenschel auch eher – wie wir heutzutage sagen würden – einer Sitcom gleicht als einem gut gebauten Drama.

 

Max Reinhardt hatte seinerzeit eine Inszenierung am Deutschen Theater abgelehnt; erst 1952 kam der Text auf Deutsch ohne nennenswerten Erfolg in Magdeburg heraus und sieben Jahre später unter Wolfgang Heinz (mit Inge Keller) am DT. Sein Versuch, die als Spießertum an den Pranger gestellte anämische Kleinbürgerei mit einem revolutionären Appell zu kontrastieren, blieb ohne Wirkung. Erst Peter Steins Schaubühnen-Inszenierung gelang die suggestive Beschwörung einer im privaten Klein-Klein erstarrten Bürgerlichkeit und deren Weltflucht in ein provokant naturalistisches Birkenwald-Idyll. Es wirkte wie ein Menschheitsdrama. Das war anno 1974 in West-Berlin; der Sog der 68er Bewegung befeuerte Steins zeitgenössischen Impetus. Tempi passati.

 

Jetzt nahm sich Daniela Löffner des Werks an, das – freilich ohne dessen Meisterschaft ‑ so sehr nach Tschechow klingt und nach bevorstehendem Umsturz. Ihre Inszenierung ließ das mit dem Umsturz beiseite; sie verzichtete überhaupt auf kritische Bemerkungen zur gesellschaftlichen Lage. Es sei denn, man nimmt die bizarre Show-Einlage der lüstern kecken, rundum unbefriedigten jungen Ehefrau Julija Filippowna (Kathleen Morgeneyer) als Indiz einer potentiell aufrührerischen, zeitgenössischen Gesinnung. Doch deren Performance eines Songs von Peter Licht („Gib mir eine neue Idee; schaffen wir uns ab, führ mich raus…“) bleibt seltsam fremd in Löffners Inszenierung, die sich vier Stunden lang intensiv aufs hingebungsvolle Ausbreiten der vielfältig privaten Befindlichkeiten der 15 Figuren konzentriert.

 

Doch soll das nicht gering geschätzt werden; immerhin ist die Löffner eine Regisseurin, die das kann: Nämlich ein opulentes Leporello psychologischer Skizzen feinfühlig aufzublättern mit einem großen, in jeder Rolle höchst leistungsfähigen Ensemble. Das ist gegenwärtig nicht eben häufig zu erleben: packendes, genau geführtes Menschentheater.

 

Das hat die Löffner schon einmal vorgeführt. Vor zwei Jahren in den DT-Kammerspielen mit Turgenjews „Väter und Söhne“; das brachte ihr prompt eine Einladung zum Berliner Theatertreffen. Mit Gorki, dem freilich schwächeren Autor, lief das nicht gleichermaßen rund und tief gehend. Auch war das Setting bei Turgenjew pässlicher für dessen dramatische Redeschlachten: Das Publikum saß damals auf Podesten rings um die Spielstätte in der Bühnenmitte, die mit Tischen und Stühlen bestückt war für das Gelage einer redselig verstörten Abendgesellschaft. Bei Gorki sitzen wir im Parkett vor einem geschlossenen Guckkasten (Claudia Rohner); die 15 Akteure hocken an der Rückwand, treten für ihren jeweiligen Auftritt aus dem Wartestand heraus und knipsen ihr Rollenspiel an. Wir kennen das von den berühmt-suggestiven Gosch-Inszenierungen. Diesmal bei Gorki und seinen redundant sich wiederholenden Psycho-Nummern erschlafft die Methode. Rigorose Kürzungen wären angebracht gewesen.

 

Dennoch ein Lobgesang: Man beobachtet letztlich doch beglückt das herrliche Ensemble aus Novizen wie Maike Knirsch und Gestandenen (u.a. Schneider, Seelig, Reusse, Khuon, Stempel, Mooshammer, Kohler) bei seiner gekonnten Einfühlungsarbeit. Der Menschen Leid und Lust und Wahn bleibt doch immer eine große Sache auf einer Bühne wie dem DT. Da, wo Gorki die Regie weniger inspiriert, da decken die Spieler Spannendes drüber. Es gibt also allerhand zum Schauen – mit dem Auge, mit dem Herzen. Das ist doch was! ‑ Auch das bescheidene Theaterglück ist hier ein feines und schönes.

(wieder 4., 9., 18. April)

2. Chamäleon: - Männerspagat, Wodka, Rockpalast

 © Jakub Jelen
© Jakub Jelen

Acht junge Leute, ein bisschen abgerissen, ein bisschen freakig aufgemotzt, die trollen sich an den mit Getränken und feinem Futter vollgestellten Tischen vorbei durchs animierte Publikum, flachsen, scherzen mit den Leuten, verblüffen mit harmlos-lustigen Kunststückchen. Es ist so, als seien sie launig unterwegs zu einer womöglich ziemlich undergroundigen Party irgendwo in Berlin in einem höchstens bei Insidern wahnsinnig angesagten Schuppen – ein Mix aus Fabrikhalle und Kellerloch. So nämlich sieht die Bühne aus, auf der die acht Performer sich breit machen, um sie gleich mal richtig zu rocken. Mit einem gelenkigen Schwof; doch was heißt da Schwof und gelenkig. Vielmehr steigert sich das Opening der neuen Chamäleon-Show mit dem (sinnlosen) Titel „Finale“ zu einem – freilich perfekt trainierten – bodenakrobatischen Chaos. Dazu links, an einer kleinen Wodka-Bar (man streut generös Fingerhut-Gläser unters Volk), am flippigen Ausschank also, eine exotisch sich windende Sängerin: Ena Wild. Auf einem Gerüst in der Mitte haut Schlagzeuger Lukas Thielecke Beats durch wabernde Nebelschwaden und zuckende Lichtkegel. Ein heißer Hauch von Rockpalast.

 

Das Chamäleon-Theater im lauschigen Ambiente eines Ballsaals aus der Kaiserzeit sieht sich – und zwar mit Recht, wie wir seit längerem beobachten, ‑ „als Schrittmacher für den Neuen Zirkus im deutschsprachigen Raum“. Seit einigen Jahren entwickelte es mit einer internationalen Schar Jungkünstler höchst erfolgreiche Programme, die artistische Glanznummern in einen komödiantischen, gern auch großstädtisch rotzigen Kontext stellen. Witz bis hin zur Blödelei sowie Charme und Coolness sind dabei wichtiger als Glamour und glitzernder Kostümfuror – man tritt barfuß oder in Turnschuhen und Jeans auf. Oder im improvisierten Kasperletheater-Outfit. Oft sind es die einfachen Dinge, die da, ingeniös eingesetzt oder spitzbübisch manipuliert, den großen Effekt machen, den Überraschungscoup liefern. So geht es auch in dieser Show von Florian Zumkehr, die ordentlich Spaß, Krach, Musik und Harlekinaden macht mit Bertan Canbeldek, Ole Lehmkuhl, Richie Maguire, Manda Rydman, Carios Zaspel, mit Wild, Thielicke und eben Zumkehr. Und die zwischendurch immer wieder staunen lässt über das, was da wagehalsig abgeht zwischen Party-Himmel und Bühnenboden.

 

Den atemberaubendsten Hingucker liefert freilich der beständig clownesk herumtobende Akrobat Richie Maguire, wenn er, angetan bloß mit keckem Goldhöschen, den Männerspagat demonstriert. Zunächst steht er mit je einem Fuß auf zwei wackeligen, eng nebeneinander stehenden Hochpodesten, die dann seine Kollegen wie zwei Brückenpfeiler langsam auseiander ziehen – und Richie macht die Brücke. Erst stöhnt der Saal vor Angst, dann tobt er. Bis jetzt, so ist zu hören, ist der gelenkige Richie bei seiner so grotesken wie gefährlichen Luftnummer nicht auseinander gebrochen, sondern betreibt mit gesundem Leib und frechem Kopf unentwegt seine feinen oder auch groben Späße. – Die Zirkus-Show als dickes Überraschungsei; gerade passend ins familiäre Osternest.

(bis zum 19. August täglich außer montags in den Hackeschen Höfen)

3. Gratulation Christa Ludwig zum Neunzigsten: - Aber auch ein Blümchen für 250 Kulturvolk-Blogs


Die Sopranistin Christa Ludwig ist ein Weltstar. Vier Jahrzehnte im Ensemble der Wiener Staatsoper und beständig an die großen Opernhäuser und ersten Festivals Europas berufen und, natürlich, an die Met in New York. Sie war in Berlin dabei, als die Deutsche Oper eröffnet oder die Philharmonie eingeweiht wurde. Alle (Weltklasse-)Dirigenten umschwärmten sie, das Publikum sowieso.

 

Am 16. März 1928 wurde Christa Ludwig in Berlin in einem Künstler-Haushalt geboren; die Mutter, Sängerin, war ihre einzige Lehrerin. Sie hat zwei Mal geheiratet, bekam einen Sohn, lebt heute rüstig in Klosterneuburg bei Wien. Am 14. Dezember 1994 beendete sie ihre grandiose Laufbahn als Klytaimnestra in Richard Strauss‘ „Elektra“ (Regie Harry Kupfer) in ihrer Heimat, dem weltweit wohl kostbarsten, das größte Repertoire haltenden Operntempel Staatsoper Wien. Freilich ohne den von Kupfer verordneten, ihrer Meinung nach „hässlichen“ Kopfputz. Ludwigs Karriere war eine, die so einzigartig das Dramatische furios ausspielte und das Musikalische hingebungsvoll feierte. Stolz ist C.L. auf das Durchstehen der selbst auferlegten, hammerharten Disziplin sowie das Niederkämpfen ihrer notorischen Versagensängste.

 

Ludwigs witzige Memoiren – sie hatte Humor und Nüchternheit gleichermaßen – mit dem ironischen Titel „… und ich wäre so gern Primadonna gewesen“ erschienen vor zwei Jahrzehnten und sind leider vergriffen (also auf in die Bibliotheken!). Deshalb kam jetzt pünktlich zum 90. Geburtstag ein hübsch dahin plauderndes, mit Altersweisheiten garniertes Memory-Büchel auf den Markt. Die österreichischen ORF-Journalisten Erna Cuesta und Franz Zoglauer erstellten es gemeinsam mit der Ludwig (Kindl-Edition, 17,99 Euro). Der Titel umspielt ein philosophisch aufgeladenes Zitat Hugo von Hofmannsthals aus dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss (die Ludwig sang die in jeder Hinsicht gegensätzlichen Partieren des Octavian wie der Marschallin): „Leicht muss man sein: Erinnerungen an die Zukunft“.

 

Zitat Christa Ludwig: „Man sollte das Leben nicht schwerer nehmen. Heiter ist das Leben, ernst ist die Kunst. Und was ist überhaupt Kunst? Ist Gesang Kunst? Sie singen etwas – und weg ist es.“ Dazu zitiert die Ludwig ihre Lieblingsdichterin Hilde Domin: „Nicht müde werden, / sondern dem Wunder / leise wie ein Vogel / die Hand hinhalten.“

 

Neugier aufs Leben. Auf die Kunst; welcher Art auch immer. Ich nehme Christa Ludwigs Gruß mit Hilde Domin als einen auch an uns – an mich: Ist das hier doch die 250. Ausgabe meiner Berliner Theater-Betriebsnotizen im Blog von Kulturvolk.de, des 1890 gegründeten Vereins Freie Volksbühne Berlin. Auch ein Jubiläum. Doch was sind schon 250 Internet-Blogs – „weg sind sie“ ‑ gegen ein viele Jahrzehnte langes Weltklasse-Künstlertum! – Deshalb: Möge es auch eine Woche nach Ludwigs Neunzigstem jahreszeitgemäß rote Tulpen (statt Rosen) regnen. Doch eine davon nehm ich keck für mich.

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