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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 241

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

22. Januar 2018

HEUTE: 1. „Das Missverständnis“ – Kammerspiele des Deutschen Theaters / 2. Dreißig Jahre Gerhart-Hauptmann-Museum Erkner. Ein städtisches Kulturzentrum / 3. Der besondere Hinweis: Ein Abend mit dem Soziologen Heinz Bude – Reithalle Forum, Hans-Otto-Theater Potsdam

1. Deutsches Theater-Kammerspiele: - Irrt Gott oder hat er Recht

 © Arno Declair
© Arno Declair

Die Szene eine schummrige Hotelhalle im Nirgendwo mit Treppe ins Nichts, gespenstisch vermüllt von Volker Hintermeier. Mit Tresen. Mit Batterien von verheißungsvoll grün schimmernden Suffpullen. Mit Jukebox, Sitz- und Lümmel-Möbeln, einem Hackklotz, drüber eine Wäscheleine mit Babysachen, Blindenarmbinden, Christenkreuz, daneben Ramsch aller Arten und Zeiten. Eine Chaos-Kammer voller (Frage-)Zeichen; an der Rampe das gelbe Absperrband der Ordnungshüter POLICE LINE DO NOT CROSS – ein letzter Hinweis auf die irre innere Unordnung der Hotelbesitzerin: Es ist Barbara Schnitzler, die so nüchtern wie möglich, so herzig wie nötig im Existenzialisten-Modus paradiert. In dem etwas läppischen Drama „Das Missverständnis“ von Albert Camus. Die Schnitzler gibt die Mama Hausdame, assistiert von Linda Pöppel als deren Tochter Maria.

 

Der gute alte Camus teilt uns zwischen Grauen und Gelächter in seinem „Schauspiel in drei Akten“ von 1941 in teils grotesk-lustig aufgelöster Sprache („Dingen, Dingeling, dong, dong“) freilich nichts umwerfend Neues mit: Beispielsweise das Menschenleben sei schwierig oder sinnlos; die Freiheit mörderisch; die Welt überhaupt unvernünftig, ein Missverständnis und nur zum Untergang geschaffen. Aha!

 

Wäre da nicht der hellsichtig entrückte, abgründig liebevolle, zart zynische Jürgen Kruse, dieser rockig traumtänzerische Wundertüten-Regisseur mit seiner unseren moderaten Herzschlag enorm peitschenden Plattensammlung, wir würden uns mit diesem gefühlt uralten Das-Dasein-ist-Scheiße-Drama tödlich langweilen.

 

Doch dafür interessiert sich Kruse klüglich kaum. Freilich, den Plot lässt er, mit folgsamem, dabei fein belustigtem Blick auf den Autor, korrekt raus. Dieser arg ertüftelte Plot geht so: Nach langer Abwesenheit kehrt nach „19,99 Jahren“ der vermeintlich verlorene Sohn namens Jan (Manuel Harder), ein das Testosteron sintflutartig ausschüttender Kerl, zurück ins Hotel Mama (die Schnitzler). Leider wird er weder von Schwester noch von Mutti erkannt (der Dussel sagt aber auch nix). Also murkst ihn letztere ab und schmeißt ihn in einen nahen Fluss. So hält man es nämlich gern gewinnbringend mit Gästen dieser fatalen Herberge. Das hinterlassene Geld der bislang allerhand Toten verbessert die klamme Kasse. ‑ Doch als Mama morgens in der Frühe in den Pass der Wasserleiche schaut: Zusammenbruch.

 

Anlass für ein Großgeschrei, faszinierend martialisch, ordentlich existenzialistisch. Eine tolle Nummer für die große Barbara Schnitzler. Anfangs gibt sie bis hinein in die Artikulation die aparte Königin des kaltschnäuzigen Sarkasmus‘; des vornehm Rüden. Ein elegant souveränes Miststück. Dann aber, wie gesagt, kommt ihr alle Welt erschütternder Schmerzensschrei als Muttertier, als Kindsmörderin. Unheimlich. Schrecklich.

 

Die Story soll, so der Autor, hinreichen für eine moderne Tragödie. Der Regisseur pfiff drauf. Er inszenierte einfach ein-sein Menschen-Gruselstück. Einen mal wüstenheiß, mal eisig durchwehten Horrortrip auf einer windigen Geisterbahn – immerhin auch ein taugliches Daseinsgleichnis, wehmütig untermalt von Bob Dylans „Blowin‘ in the Wind…“

 

Trotzdem fragt da frech ein Leuchtkasten, installiert am Bühnenrand: „Chambre? Liberté?“Also keine Behausung, keine Freiheit, kein gutes Dasein auf dieser Welt. Aber da blinken unübersehbar die beiden Fragezeichen…

 

Tja, wer schon weiß genau Bescheid in Kruses so spielerisch ins Unendliche bummelnden Phantasterei, diesem Albtraum-Trip, in den ‑ auch das noch! ‑ von oben ein Batzen Weltraum schwebt. Zum beglückenden Erstaunen. Zum Erschrecken.

 

Und zwischendurch fesselnde Pop-Oper. Mit dem ‑ als Leitsatz passend für diese saftige Seltsamskeits-Séance ‑ das krächzende Solo von Wolf Biermann aus dem Lautsprecher: „Vom Himmel fallen auf die Erde die Engel sich tot“. Stark gesagt! Feines Motto für diese Meditation über – ja über was: Vielleicht übers Missverständnis des Lieben Gottes, als er guten Glaubens die Menschheit schuf und fatalerweise erkennen muss/musste: Der Mensch, ein missratenes Projekt.

 

Kann auch sein, Kruse sieht in Camus‘ Mordsding ein Auferstehungsstück. Immerhin reißt er am Ende die Traumata-Kammer weit auf. Eislicht stürzt aus apokalyptisch schwarzem Bühnenhimmel. An der Bühnenrampe herzt Martha (Alexandra Finder), die Frau von Jan, den die Mama soeben ins Jenseits beförderte, ihr just geborenes Baby (eine Babypuppe). Sexy Jan hat also Gott sei Dank (oder etwa nicht?) für den Fortbestand der Menschheit gesorgt. – Ist also Camus‘ Endspiel-Betrieb etwa nicht für immer beendet? Läuft der Laden irgendwie weiter? Ist die Tür zum Paradies noch einen Spalt breit offen? Hat man was zu tüfteln…

(wieder 24. Januar, 17., 22., 28. Februar)

 

2. Gerhart Hauptmann in Erkner: - „Grundlegende Jahre, mit der märkischen Landschaft innigst verbunden...“ Jubiläum eines Literaturmuseums

 © Gerhart-Hauptmann-Museum
© Gerhart-Hauptmann-Museum

Der Großschriftsteller Gerhart Hauptmann (1862-1946) lebte mit seiner jungen Familie ‑ die Ehefrau und deren drei Söhne ‑ von 1885 an bis 1889 zur Miete in dem beschaulichen Berliner Vorstädtchen Erkner. In einer nach ihrem Besitzer Lassen benannten, ländlich-bescheidenen Villa. Bereits Ende der 1920er Jahre begann die Stadtverwaltung mit dem Gedenken an den weltberühmten Dichter und Dramatiker – zunächst mit einer schlichten Gedenktafel am Gebäude als äußerlichem Zeichen.

 

Nach dem Tod des Nobelpreisträgers folgte die Einrichtung eines Gedenkraums am authentischen Ort. Schließlich begann die Stadt 1987, also noch zu DDR-Zeiten, mit dem Um- und Ausbau der Lassen-Villa zum Hauptmann-Museum, das vor einigen Jahren erst aufwändig erweitert, grundsaniert und nach aktuellen Maßstäben der Ausstellungstechnik und Museumspädagogik modernisiert und auf den letzten Stand der Forschung gebracht wurde.

 

Direktor Stefan Rohlfs entwickelte mit großem nicht nur organisatorischem Aufwand das Gerhart-Hauptmann-Museum zum kulturellen Zentrum Erkners, das mit seinem vielfältigem Veranstaltungsprogramm literarischer, musikalischer oder populärwissenschaftlicher Art (sowie der Liste prominenter Gastkünstler) bis ins nahe, im S-Bahn-Bereich liegende Berlin ausstrahlt.

 

Ende vergangenen Jahres feierte das Literaturmuseum sein dreißigjähriges Bestehen; die opulente Festveranstaltung glich einem kleinen Staatsakt mit Prominenz der Regional- und Landesregierung und natürlich der geballten städtischen Prominenz und Öffentlichkeit.

 

Doch keine Museums-Feier ohne neue Ausstellung (neben dem ständig in Entwicklung befindlichen Archivs sowie der opulenten Dauerausstellung, die, nebenbei bemerkt, mit exquisiten Memorabilien prunkt): Zum Jubiläum also die Schau „30 Jahre Gerhart-Hauptmann-Museum Erkner – Entwicklung einer Gedenkstätte und eines Kulturstandorts als städtischem Mittelpunkt“; das war, wie sich denken lässt, ein steiniger, nur selten leichter Weg. Heute sind freilich auch einstige Skeptiker stolz auf das hochmoderne, unterhaltsame und nicht zuletzt sehr schicke Museum. Derartiges hat ja nicht jede Kommune.

 

Daneben gibt es als Extra im Rathaus eine nicht nur für Kenner des Ortes höchst interessante Foto-Ausstellung, die in einer Fülle von Momentaufnahmen den Wandel (1900 bis 2017) der Villa Lassen vom Gast- und Wohnhaus bis hin zum heutigen Museum illustriert.

 

„Ich habe vier Jahre in Erkner gewohnt; und zwar für mich grundlegende Jahre. Mit der märkischen Landschaft aufs innigste verbunden, schrieb ich dort „Fasching“, „Bahnwärter Thiel“ und mein erstes Drama „Vor Sonnenaufgang“. Die vier Jahre sind sozusagen die vier Ecksteine für mein Werk geworden.“ – Hauptmann im September 1936 in einem Brief an die Gemeinde Erkner.

Museums-Öffnungszeiten: Täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr. Nächste Sonntagsführung: 28. Januar, 11 Uhr.

 

Die aktuellen Veranstaltungen:

25. Januar, 19 Uhr: „Nun hier Fuß gefasst in Berlin… ‑ Charlotte E. Pauly in Friedrichshagen“; Buchvorstellung mit Autorin Anita Kühnel, Reihe Frankfurter Buntbücher 61, herausgegeben von Wolfgang de Bruyn. – Pauly lebte bis 1946 im schlesischen Agnetendorf und war befreundet mit Hauptmann, der dort seinen sommerlichen Zweitsitz hatte. Anno 1946 kam die Malerin und Schriftstellerin (1886-1981) nach Berlin im Sonderzug der Sowjets, der den Leichnam Hauptmanns aus Schlesien nach Stralsund brachte zur Bestattung auf der Ostseeinsel Hiddensee. Pauly zog nach Friedrichshagen nahe Erkner. Ihre Atelier-Wohnung wurde zum intellektuellen Treffpunkt; auch ich hab sie gelegentlich dort besucht. Mit Nonchalance zeigte sie ihre ungeordneten, prall gefüllten Skizzenmappen. „Sucht euch was aus“, ihr generöses Angebot. Geld nahm sie keins. Wolf Biermann erinnert sich an die „wildromantische Boheme-Bude einer greisen Weltenbummlerin“.

 

26. Januar, 19 Uhr: Der besondere Film mit Filmwissenschaftlerin Katrin Sell: „Erwin Geschonneck – Lebenserinnerungen“.

 

29. Januar, 18 Uhr, Montagsakademie: „Aus 175 Jahre Eisenbahn Berlin-Frankfurt und viel weiter: Von Erkner bis zur Adria“, Teil 1: Von den Anfängen bis 1890. Mit Frank Retzlaff, Historiker.

 

Kabarett am 8. Februar, 19 Uhr: „Zivilblamage. Alle doof außer mich“. Mit Ralph Richter

 

18. Februar, 14 Uhr: Schreibwerkstatt; offen für alle.

3. Hans-Otto-Theater: - „Die Macht von Stimmungen“ – der Soziologe und Autor Heinz Bude in Potsdam

„Angst ist ein Begriff für das, was die Leute empfinden, was ihnen wichtig ist, worauf sie hoffen und woran sie verzweifeln. In Begriffen der Angst wird deutlich, wohin die Gesellschaft sich entwickelt, woran Konflikte sich entzünden, wann sich bestimmte Gruppen innerlich verabschieden und wie sich mit einem Mal Endzeitstimmungen oder Verbitterungsgefühle ausbreiten. Angst zeigt uns, was mit uns los ist“, schreibt Heinz Bude, einer der bedeutendsten Soziologen Deutschlands („Gesellschaft der Angst“, Hamburger Edition 2014).

 

Nicht nur Angst, auch Stimmungen sind prägend für uns, steuern die Wahrnehmung, weshalb sie sonderlich für Politiker so wichtig sind. Stimmungen können Wahlen entscheiden, dabei sind sie vage, flüchtig, eher unberechenbar. Wer verstehen will, wie Demokratie funktioniert, muss von der Macht der Stimmungen über Menschen wissen. Professor Budes jüngstes Buch „Das Gefühl der Welt. Über die Macht der Stimmungen“ (Hanser Verlag 2017) zeigt, wie Stimmungen entstehen, wie sie beeinflusst werden können, wie sie wirken, aber auch wie sie kippen und vor allem: wie sie hinterrücks die Politik steuern.

(Vortrag und Diskussion am 29. Januar, 19 Uhr im Reithalle Forum, Schiffbauergasse)

Und heute Abend: Helmut Baumann! - Im Gespräch mit Kulturvolk, 22. Januar, 19.30. Ruhrstraße. Nicht verpassen.

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