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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 227

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

9. Oktober 2017

HEUTE: 1. „It Can’t Happen Here” – Kammerspiele des Deutschen Theaters / 2. Internationales Festival „Rebell Boy“ – Schaubude / 3. Berliner Gedenktafel für Ivan Nagel

1. Deutsches Theater -Kammerspiele: - Wie ein populistischer Aufsteiger als Verbrecher endet

 © Arno Declair
© Arno Declair

Alles halb so schlimm, das wird schon wieder – dachten viele Leute nach Hitlers Wahlsieg 1933. Doch alles wurde, wie wir wissen, unvorstellbar schlimm. Schon zwei Jahre nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten schrieb der amerikanische Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis den verstörenden Roman „It Can’t Happen Here“ – aus Furcht, es könnte doch möglich sein in Amerika…

 

Es ist die satirisch grundierte Geschichte des verführerisch großmäuligen Polit-Außenseiters Buzz Windrip (Felix Goeser), der mit schillernd links- und rechtsradikalen Parolen, aber auch mit sinnvollen Forderungen bezüglich sozialer Gerechtigkeit und mit viel volkstümlich-poppigem Trallala wider Erwarten aus dem Stand die 27. Präsidentschaftswahlen der USA 1936 gegen Roosevelt gewinnt. Doch schon zur Siegesfeier droht sein Chef-Berater Lee Sarason (Michael Goldberg) „allen Reformgegnern, Verschwörern, Putschisten“ mit Schnellgerichten und Lagerhaft, was freilich untergeht im Partyrausch der Volksmassen, die ihren heldischen Befreier feiern. Die verzweifelten Warnungen von Intellektuellen wie Doremus Jessup (Camill Jammal) von der liberalen Presse verhallen ungehört, und das Verhängnis nimmt seinen fatalen Lauf: Windrips Führungsclique liquidiert mit Feuer und Eisen das demokratische System, schaltet die Gesellschaft gleich und errichtet im Handumdrehen eine totalitäre, verbrecherische Gewaltherrschaft. Widerstand zwecklos. Denn, so die Ansage vom Führer: „Das einzige Recht, was euch bleibt, ist der Gehorsam. Tod allen Kranken. Tod allen Schwachen. Tod allen Andersdenkenden. Ich werde schlachten und foltern und stehlen und ich flute die Keller mit dem Blut eurer Kinder.“

 

Sinclair Lewis‘ provozierender 430-Seiten-Politthriller mit dem sarkastisch beschwichtigenden Titel „Das ist bei uns nicht möglich“ (gerade jetzt wieder auf Deutsch erschienen) inszenierte Christopher Rüping mit einer Handvoll virtuoser Schauspieler-Performer (und intelligenter Dramaturgie John von Düffels) als erschreckend gegenwärtiges Warnstück mit grotesken Zügen; Parole: Es ist möglich!

 

Damit verbunden die permanent bohrende Frage nach dem Warum. Warum haben, als noch Zeit war, die liberalen Institutionen versagt, warum wurden die mutigen Stimmen der Aufklärung und Vernunft rigoros überhört, warum wurde den Anfängen nicht gewehrt? Die Inszenierung gibt – natürlich! ‑ keine wohlfeilen Antworten. Und wühlt doch unentwegt in unserm Gewissen, unserer Trägheit, Mutlosigkeit, Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit.

 

Rüpings Inszenierung, die zunächst als modisch-cooles Entertainment daher rockt, mag da zuweilen plakativ wirken, doch ist sie intelligent gemacht, nie moralisierend und schon gar nicht langweilig. Geschickt spielt sie (zuweilen freilich auch aufdringlich) mit Bierzelt-lustigem Mitmachtheater (das Bockwurstessen mit dem Publikum bei Windrips Siegesfeier). Und bedient sich, wie gesagt, lautstark am gängigen Showbiz (Windrips Wahlprogramm-Vortrag als Pop-Show). Aber immer klingt deutlich durch: Unter der glamourös schillernden Fascho-Show gähnen Ausmerzungswahn und Vernichtungskrieg. Unerträglich schmerzlich dann auch die Szene aus der Folterhölle, wo dem Widerständler Jessup alle Knochen gebrochen werden.

 

Der mit zweieinhalb Stunden etwas zu lange, am Ende an Konsistenz verlierende Abend hat zwei Teile. Erstens: Der unaufhaltsame Aufstieg des Diktators als glamourös-populistischer Volkstribun. Zweitens: Die mörderischen Gewaltexzesse gegen Ungehorsam im Volk wie Konkurrenten innerhalb der Führungsclique, die in farcehafter Dekadenz gleichfalls tödlich gegeneinander los gehen. Was für ein erregendes Warnbild, gerahmt in eine Dystopie des Grauens! Und was wäre zu tun? Wer feuert auf die Tyrannen? – Was für Fragen!

 

„Das ist bei uns nicht möglich“ darf als Stück der Stunde gelten und passt genau zur Eröffnung der Spielzeit; ihr Motto: „Welche Zukunft“ – ohne Fragezeichen. Es ist ein packendes Lehrstück gerade für jüngere Leute. Und solche, die „das bei uns“ für unmöglich halten. ‑ Es ist immer möglich. Überall.

(wieder 21., 28. Oktober)

2. Tipp Schaubude: - „Rebell Boy“ Internationales Festival Figuren- und Objekttheater

 © Astrid Griesbach
© Astrid Griesbach

Wer Punch und Judy kennt, der kann über unsern Kasper mit seiner Gretel nur staunen. Bei dem englischen Puppen-Paar geht es deutlich mehr als ruppig zu, mit einem Klaps mit der Klatsche auf den Kopp ist es da nicht getan, eher könnte man von Gewalttätigkeit sprechen bei Mister Punch, der eher grobe als freche Beobachter und vor allem Kommentator der Welt. Mr. Punch mag die beiden Kuratoren des diesjährigen internationalen Festivals „Theater der Dinge“, Tim Sandweg (den auffallend kreativen Chef der Schaubude) und Sandy Schwermer, auf die Idee gebracht haben, das subversiv-widerständige Potential des Figurentheaters auszuleuchten unter dem Festival-Motto „Rebell Boy“.

 

Das Berliner Figurentheater Schaubude als höchst erfolgreicher, weithin beachteter Festivalveranstalter macht denn beim fünftägigen Kontrast-Programm gleich den Anfang mit seiner Handpuppen-Eigenproduktion; gewitzt hintergründiger Titel „Kasper unser“. Die zwanzig gastierenden Ensembles aus einem Dutzend Länder bilden mit ihren stark unterschiedlichen Formen und Spielweisen eine attraktive Mischung. Zu ihr gehört beispielsweise die Arab Puppet Theatre Foundation und ihre Sicht auf aktuelle Fluchtbewegungen. Die Gruppe aus der tschechischen Stadt Lisen inszeniert in einem Militärzelt mit Matroschka-Puppen das „Russische Tagebuch“ von Anna Petrowskaja; der Slowene Matija Solce gibt mit „Happy Bones“ eine musikalisch gestützte, makaber-sarkastische Paraphrase auf die amerikanische TV-Kultserie von der Knochenjägerin. Klar, dass es noch jede Menge Workshops, Gespräche, Partys gibt. Ein Sahnehäubchen: Die Einladung des kanadischen Dragon Dance Theatre mit seiner ziemlich originellen Auffassung von politischem Protesttheater.

(Theater der Dinge ‑ Internationales Festival des zeitgenössischen Figuren- und Objekttheaters: 13. ‑ 17. Oktober, Schaubude Berlin am S-Bahnhof Prenzlauer Allee. Infotelefon/Karten: 030-4234314)

3. Ehrung: - Nagel, Keithstraße 10


Jetzt, fünf Jahre nach seinem Tod, hat auch Ivan Nagel eine „Berliner Gedenktafel“, am Haus Keithstraße, um die Ecke vom Wittenbergplatz, wo er zuletzt seine Wohnung in einer geräumigen, doch ziemlich dunklen, aber eben für einen Menschen der Künste zentral gelegenen Erdgeschoss-City-Wohnung im Hinterhof hatte. Bei den Reden zur Einweihung der schlichten schönen Tafel wurde sonderlich daran erinnert, wie energisch der Universalgelehrte den Widerspruch forderte gegen alles Provinzielle, gegen den permanent virulenten moralischen-ästhetischen Kleinmut. Noch einmal wurde Bezug genommen auf Nagels Strategie-Papier von 1992 zur Neuordnung der Berliner Theater nach der Wiedervereinigung, das zur Sicherung des Fortbestands des Deutschen Theaters und des Berliner Ensembles (unter kollektiver Leitung von Müller, Marquardt. Zadek und Matthias Langhoff) und zur Intendanz Frank Castorf/Matthias Lilienthal an der Volksbühne führte.

 

Nagel galt als einer der klügsten Köpfe in der Theaterwelt seiner Zeit. 1931 in Budapest geboren, floh er 1948 in den Westen. Dann Studium, Arbeit als Kritiker, Mitarbeiter von Fritz Kortner, Chefdramaturg der Münchner Kammerspiele, Schauspielintendant in Hamburg und Stuttgart, Hochschul-Professor in Berlin. Er schrieb Bücher über Mozart-Opern und Goyas Malerei. Der mehrsprachige Kosmopolit initiierte das Festival „Theater der Welt“.

 

Hier ein Nagel-Zitat. Es spricht berührend vom Theater als Zufluchtsort des Lebens (er für sich begriff ja Kunst als eine Lebensform), sagt, wie dafür passendes Theater sein müsse und endet mit witziger Pointe. – „Theater kann zum Zufluchtsort des Lebens werden, wenn die Aufführung keiner festen Frontziehung zwischen Gut und Böse folgt. Wenn sie intern Arbeit und Spiel, also risikoreich bleibt und extern eine Wirkung schaffende Tat ist, nicht ein bloßes Gebilde. Schauspieler schuften nicht stundenlang dafür, dass ihr Abend am Ende aussieht, wie eine Vase der Königlichen Porzellanmanufaktur; wie ein Ding von interesselosem Wohlgefallen.“

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