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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 207

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

20. März 2017
HEUTE: 1. „Alles muss glänzen“ Santinis-Production im Theater am Kurfürstendamm / 2. Buchtipp: „Menschenskind“, Dagmar Manzel mit Knut Elstermann – Deutsches Theater / 3. Ein Blümchen für Hedwig Courths-Mahler zum 150. Geburtstag

1. Santinis /Kudammtheater - Sintflut vorm Küchenfenster, aber eine Flunder in der Bratpfanne.

 © Marcel Weisheit
© Marcel Weisheit

Fünf Minuten vor Weltuntergang. Was kann man da machen? Jedenfalls keine Panik. Also: Weiter so wie bisher auch immer. Das weiß Rebecca, die perfekte Hausfrau im zauberhaften Petticoat-Kleid unterm Cocktailschürzchen. Dabei schwappt schon bedrohlich die Sintflut unterm Küchenfenster vom Reihenhäuschen in der kleinbürgerlichen US-Provinz. Doch ihre brave Kleinbürgerlichkeit ist sowieso längst kaputt; die Familie desolat, der Ehemann getürmt, die Kinder entfremdet. Aus der Nachbarschaft stürzen Gewalt, Elend, Tod in die feine Wohnküche. Trotzdem: Frau Rebecca bewahrt in alttestamentarischer Festigkeit Haltung und Ordnung, auch wenn alle Welt drin (familiär) und draußen (außerfamiliär) kaputt ist und Untergang droht. Rebecca, unser helles hübsches Hausfrauenbild in der Brandung, knipst beschwingt das Radio an und lauscht den Fifties-Hits im Wunschkonzert bis sich der irre Moderator am Mikro hörbar eine Kugel in den Schädel jagt. Rebecca jedoch beharrt trotz gigantischer Unbill im verinnerlichten Status der liebevoll sorgenden, praktischen Mutti. Schließlich schnappt sie sich aus den (Sint)Fluten eine Flunder und köchelt ein prima letztes (?) Abendmahl. Bloß ist keiner mehr da, der es futtern mag.

 

„Alles muss glänzen“ schrieb der 1978 in Michigan geborene Dramatiker und Drehbuchautor Noah Haidie. Sein Script wurde vor zwei Jahren vom Fachmagazin Theater heute zum besten ausländischen Stück gewählt. Man kann sagen, es ist ein religiöses Erbauungsstück („Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, dies drei; aber die Liebe…“). Damit es aber nicht allzu erbaulich wird, verpackt es der Autor vorsorglich in eine grelle Farce. Tolle Mischung! Boulevardeskes Hochglanzgetriebe, frech versetzt mit scharfen, schmutzigen Widerhaken, die das Philosophische mit dem Banalen raffiniert kurz schließen.

 

Prima, dass Santinis das originelle Stück nach Berlin geholt hat, was perfekt in sein rühmliches Konzept passt, ohne Subventionen als freie Produzenten innovative Dramatik auf dem Boulevard zu präsentieren („nach Broadway- oder Westend-Art“). Deshalb auch spektakuläre Castings, zuletzt beispielsweise Ursula Karusseit in Tracy Letts‘ Generationendrama „Eine Familie“ – ein Kudamm-Sensationserfolg unter Regie von Ilan Ronen. Und jetzt als Rebecca Fernsehliebling Maria Furtwängler; die smarte, menschenfreundliche Kommissarin Lindholm im Hannover-Tatort. Nur deshalb auch der gigantisch öffentliche Hype um die Premiere. Nebenbei bemerkt, täte es nicht nur Berlin gut, nähmen sich die Medien dem hier gelegentlich stattfindenden großen Weltstadt-Theater im gleichen Maße an.

 

Zurück zu „The Cleaning of Life“ in der saftigen Übersetzung („Alles muss glänzen“) von Brigitte Landes. Der taffe Autor hat nicht nur einen scharfen Sinn für die Verquickung von allerweltlich überlebensnotwendiger Daseinsroutine und permanent apokalyptisch grundierter Daseinskatastrophe, sondern noch ein Händchen für geschliffene Dialoge. Doch Regisseur Ilan Ronen, dessen beide Kinder Yael und Michael, auch das sei angemerkt, auf der Gorki-Bühne reüssieren mit verrückt politischem Theater, Papa Ronen, das sei gleich grundsätzlich gesagt, wurde dem Autor in keiner Weise gerecht. Der 68jährige brachte dessen gewagt gegensätzliche dramatischen Konstrukte aus aberwitziger Komik und abgründigem Erschrecken einfach nicht zusammen. Und ließ folglich das Ensemble peinlich hilflos in der Luft baumeln, was sonderlich die Hauptdarstellerin zu spüren bekam. Entweder: Furtwängler war die fatale Fehlbesetzung. Oder: die Regie hätte ihr das peinsam nette Psychologieren rigoros austreiben und sie mutig zur wilden Groteskspielerin antreiben müssen. Was ihr womöglich überhaupt nicht liegt. Aber genau das wäre die Herausforderung gewesen, von der unser allseits beliebter TV-Star immerfort in sämtlichen Hauptstadt-Gazetten schwärmte (und träumt?).

 

Noah Haidies grell, doch tiefsinnig philosophische, fluppig schillernde Fantasie müsste Entsetzen auslösen und Erstarren gleichermaßen. Doch nichts dergleichen. Bloß elende Langweile. Dazu eine Handvoll redlich sich abrackernde Spieler. Was für ein Versagen auf ganzer Linie – mit Ronen als, es muss gesagt sein, auch wenn es weh tut, als Komplett-Versager. Da hilft auch nicht sein fern gesteuerter hübscher Plastik-Hai, der zur finalen Sintflut durch Maria-Rebeccas blitzblanke Küche fliegt, derweil unser taffes Housewife, an der die Welten- wie Daseinsstürme keinerlei Kratzer hinterlassen, das neue Fischrezept aus dem Damenmagazin probiert – die besagte Flunder.

 

Was für eine vertane Chance! Deutschlands Schauspielhäuser, Deutschlands Schauspiel-Diven, stürzt euch auf das Stück fünf vor zwölf: Apokalypse. Und dankt der Santinis-Produktion, die es am Kudamm floppen ließ – aber dennoch mit medialem Aufwand enorm publik machte. „Alles muss glänzen“ muss erst noch entdeckt werden fürs Theater. Unbedingt nachspielen, Kollegen! Nur Mut.

(Nur noch bis 26. März)

2. DT-Kammerspiele - Menschenskind, La Manzel!

„Chamäleongleich“ schaffe sie es, sich eine jede Rolle anzueignen, heißt es über Dagmar Manzel ob als freche Göre, Dame von Welt oder Halbwelt, ob als Komikerin, ob als Tragödin. Sie ist im Theater so heimisch wie auf der Operetten- oder Chansonbühne – Barrie Kosky machte sie zum Berliner Operetten-Superstar. Kollege Sylvester Groth, mit dem sie schon in ihren Anfängerjahren in Dresden auf der Bühne stand, applaudiert: „Was sie da an der Komischen Oper macht, dafür müsste man sie mit der Kutsche den Kudamm und die Linden rauf und runter fahren und bejubeln.“

 

18 alles in allem glanzvolle Jahre von schwierigen Momenten ist bei ihr auch die Rede gehörte Manzel fest zum Ensemble des Deutschen Theaters; seit 15 Jahren arbeitet sie freischaffend. Am DT gibt es demnächst am 22. April eine Manzel-Premiere. Zusammen mit Jörg Pose spielt sie Becketts „Glückliche Tage“; und mit Ulrich Matthes steht sie seit längerem schon getreu auf der Bühne in der Zweipersonen-Tragödie „Gift“ von Lot Vekemans, wofür sie 2014 den Theaterpreis „Faust“ bekam. „Ich sehe mich ganz nüchtern als Facharbeiterin für Schauspielkunst, denn ohne solide Vorarbeit keine Kunst. Dabei habe ich das meiste auf der Bühne von den Kollegen gelernt“, bekennt die 58jährige, die zwei Mal verheiratet war, die Kinder Klara und Paul hat sowie Enkelin Zara.

 

Als fränkische Tatort-Kommissarin wurde sie einem Millionenpublikum bekannt; aber auch durch TV-Filme wie Strittmatters „Laden“, Helmut Dietels „Schtonk“ oder der Adaption der Tagebücher von Victor Klemperer; bei der Defa spielte sie u.a. in Heiner Carows „Coming out“.

 

Jetzt gibt es die erste große Autobiographie des Stars: „Menschenskind“ ; gemeinsam verfasst mit dem Berliner Radiomoderator, Filmkritiker, Gesprächspartner und langjährigen Freund Knut Elstermann; erschienen im Aufbau Verlag. Der Titel des Buchs zitiert ein Lied von Friedrich Hollaender (1896-1976). Mit diesem Komponisten bestritt La Manzel einen ihrer anrührendsten, gleichwohl hinreißendsten Gesangsabende.

3. Märchen für große Kinder - Vor 150 Jahren wurde Hedwig Courths-Mahler geboren. Auch eine große Theatralikerin

„Und ihre Lippen fanden sich im heißen Kuss der Liebe.“ Klassischer kann kein Happyend klingen. Hedwig Courths-Mahler fand für jeden ihrer 208 Liebensromane einen ähnlichen Schlusssatz. Nur einmal, beim 209., wurde sie sich untreu und verzichtete auf den finalen Schmatz im Glück – das Werk vermoderte in den Buchläden. Der Rest hingegen avancierte zu einem einzigen Bestseller: 208 Romane, produziert zwischen 1905 und 1939, erreichten eine Auflage von reichlich 30 Millionen Bänden, wurden in 14 Sprachen übersetzt. Statistisch gesehen ist HCM – das „Kind der Schande“ einer Marktfrau zwielichtigen Rufs namens Mahler, das gerade mal drei Jahre lang in dem Unstrut-Nest Nebra auf der Schulbank saß – die deutsche Königin der Bücher und gewisser Herzen. Am 18. Februar hatte die Gefeierte, Verlachte, Beneidete ihren 150. Geburtstag. Man muss ihr auch einen Monat später noch lächelnd gratulieren und ein herzig Blümchen niederlegen…

 

Sie sehe ja gar nicht so kitschig aus, wie sie schreibe, lästerte einst der Berliner Star-Kritiker Alfred Kerr über die fleißige Verfasserin von, wie er schrieb, „Dienstmädchenliteratur“, die sich gefalle mit einem widerlichen Zuviel an Seele, Gefühl, Moral. Hedwig kerrte zurück, sie habe nichts weiter getan, als schwer arbeitenden Menschen jenes Leben zu zeigen, nach dem immer deren Sehnsucht ging. „Ich habe Märchen für große Kinder erdacht.“

 

In Willy Haas‘ legendärer „Literarischen Welt“ beschrieb sie 1929 ihre Traumfabrik so: „Sommers drei Wochen Ferien zum Ideensammeln, ansonsten 14-Stunden-Schreibtag.“ Kommentar ihrer witzige Verse schmiedenden Verehrerin Julie „Julchen“ Schrader: „Ach, wie viel Geist tat sie verspritzen. Sie dichtete meist, sagt man, im Sitzen.“

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