0
Service & Beratung: (030) 86009351
Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 154

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

4. Januar 2016


„Wenn’s alte Jahr erfolgreich war, dann freue Dich aufs neue, und war es schlecht – ja dann erst recht!“ Den vor Optimismus strotzenden Spruch zum Neuen Jahr habe ich mir von Karl-Heinz Söhler geliehen, dem zumindest an der Küste berühmten Hamburger Versicherungskaufmann (1923-2005), der des Lebens Weisheit so herrlich auf den Punkt reimen konnte.

html"> „Märchenhütten im Monbijou-Park“

O ja! Da frohlockt das Herz, da walzert die Seele. Da gibt’s was zu Gucken, Staunen, Kichern, Grinsen und lauthals zu lachen. Die lieben Kleinen („ab vier Jahre“) kreischen vor Vergnügen oder sind ein paar Augenblicke stumm vor Entsetzen – dieser Horror! Doch als dem schnarchenden bösen Wolf der Bauch aufgeschnitten wird mit der großen Pappschere und die gute alte Großmutter nebst der süßen kleinen Dirn mit dem Käppchen aus rotem Sammet aus dem stinkenden Wolfsgedärm (Nase zu halten!) mopsfidel wieder hervorkriechen - da gibt's kein Halten mehr...

 

Was für ein wundersam naives, handfest und doch präzise gezimmertes, dabei feinsinnig angepinseltes (für die Kenner des Lebens auch durchtrieben doppelbödiges) Theater gibt es jetzt wie alle Jahre wieder in den beiden original aus Ostpolen importierten Märchenhütten „Jacob“ und „Wilhelm“ (Grimm) in einem lauschigen Winkel vom Monbijou-Park gegenüber dem Bode-Museum. Es ist nun schon die zehnte Winter-Spielzeit (seit 2006 350.000 Besucher) des auch sommers in der Freiluftarena so ruhmreich tätigen Monbijou-Theaters. Und auch diesmal ist alles wieder frisch, froh und tollkühn improvisatorisch – man ist auf Tuchfühlung mit dem Publikum, das ungeniert mitspielt. Die Alten lustvoll augenzwinkernd (der schnarchende Wolf), die Gören gebannt mit offenen Mündern oder total aus dem Häuschen.

 

Ja, das ist ganz einfaches, ganz groß urwüchsiges kleines Theater in der Nussschale (Holzhütte) zwischen rohen Tischen und Bänken bei Kakao und Kuchen oder Glühwein und Schmalzstulle. Das ist fantasiereiches Spiel verwegen hin und her turnend zwischen Einfühlung und Verfremdung, um es mal hochtrabend zu sagen. Schlichte Schönheit kommt heftig zusammen mit Witz, Hintersinn, hingetupfter Melancholie und brüllend komisch-grotesker Blödelei. Je zwei saftige Spieler geben ihrem Affen Zucker (nebst einer Portion ätzenden Pfeffers), schlüpfen unter Volkes Beteiligung in tausend Rollen und bringen pro Vorstellung in jeweils einer guten halben Stunde zwei Märchen kompakt gerafft aufs Brettel in der Hütt’n.

 

Und da habe ich mir mal gleich die volle Kante gegeben: Erst „Rotkäppchen“ und „Die sieben Geislein“ (mit Katrin Schwingel & Thorsten Loeb; Regie: Darijan Mihaljovic), dann nach kurzer Pause „Hase und Igel“ sowie „Das tapfere Schneiderlein“ (mit Matthias Horn & Angelos Marinis / Martha Kröger & Tobias Steinhardt; Regie: Nenad Todorovic). Alles in reichlich zwei Stunden. Und wenn man schon mal als begeisterter Kritikus dabei ist, noch eine winzige Meckerei, unsereins kann es ja nicht lassen: Unter Darijans Direktion lief das (Zusammen-)Spiel etwas - sagen wir - verspielter, verwitzter, origineller ab als bei Nenad. Also auch hier: Es gibt da schon noch feine Unterschiede…

 

Aber unterm Strich in diesem Märchen-Boulevard: Es geht einem wahrlich das Herz auf! Und das will was heißen für mich alten Zausel, der jahrzehntelang dienstlich die Samtsessel drückte, in die man oftmals versank angesichts hochbemühter Staatstheaterlangeweile. Da sind die Märchen in Grimms zünftigen Holzbuden eine einzigartige Erfrischung! Ein heißer Tipp für jedermann. Auch für jene, die das Theater ansonsten eher meiden. Freilich könnte es auch sein, dass die tolle Off-Truppe vom Monbijou die Lust weckt auf mehr Theater: Es ist ja nicht alles schlecht, was da ansonsten im mehr oder sehr viel weniger subventionierten Berliner Bühnenbetrieb so alles läuft…

 

Ein gutes Dutzend Märchen, pro Vorstellung jeweils zwei als Doppelpack. Bis zum 29. Februar vormittags, nachmittags, abends.

Deutsches Theater - Kammerspiele

Ein geschwisterliches Trio aus dem 20. Jahrhundert. Erstens: Hanns Eisler, Schönberg-Schüler, Karl Marx der Musik, von der DDR gemaßregelter Komponist der DDR-Nationalhymne, die musikalisch dem Haydn-Quartett nicht nachsteht, dafür steht der Text des dazugehörigen Deutschlandlieds weit unter dem der Becherschen DDR-Hymne. – Zweitens: Gerhart Eisler, Komintern-Funktionär, Spanienkämpe, Chef des DDR-Rundfunks. – Drittens: Ruth Fischer, kurzzeitig Chefin der KPD, später Anti-Stalinistin, 1936 in der UdSSR in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Alle drei waren als Emigranten in den USA, wurden dort 1947 verhört vom Untersuchungsausschuss für unamerikanische Umtriebe, wo Ruth gegen ihre zwei Brüder aussagte. „In dieser Familie herrschen verwandtschaftliche Beziehungen wie in den Shakespearschen Königsdramen“, rief entgeistert Charlie Chaplin.

 

Ein Wahnsinnsthema, deutsche Geschichte, ja Weltgeschichte belichtend. Im DT sind Tom Kühnel und Jürgen Kuttner seit längerem unterwegs, für die Bühne polithistorisch Archäologie des 20. Jahrhunderts zu betreiben (Zarismus, Kommunismus, Kapitalismus). Jetzt nahmen sie sich den Fall Eisler vor; Richard Nixon nannte ihn den „wohl wichtigsten“ der McCarthy-Verhöre. Und sie nannten ihr Projekt „Eine kommunistische Familienaufstellung“; so hochtrabend wie irrig übertitelt mit „Eisler on the Beach“.

 

Doch der vage informative Abend hat nicht das Geringste zu tun mit Robert Wilsons epochaler Performance „Einstein on the Beach“. Und auch nur wenig mit „Familienaufstellung“. Dafür werden übertrieben ausgiebig Verhörzitate (teils über Video-Dokumente) in ihrer absurden Komik ausgebreitet. Ganz schön, ganz lustig, nicht ganz uninformativ. Doch von der shakespeareschen Familiendramatik kaum eine Spur. Dafür immerhin ein feines kleines Konzert mit wehmütigen, ja bitteren Liedern Hanns Eislers, ziemlich schmissig begleitet von der so genannten Bolschewistischen Kurkapelle, ausladend platziert vor beiden Bühnenportalen.

 

Poetischen Glanz bekommt der Abend durch sechs grandiose Schauspieler, die das schwierige Geschwister-Trio in jeweils jungem und fortgeschrittenem Alter vorführen. Dazu fallen sie abwechselnd in sanft rotierende Bühnenbilder, die surreale Einsamkeits- und Verlorenheitsbilder des US-Klassikers Edward Hopper imaginieren. Perfekte Technik, seelische Tiefen allzu vorsichtig streifende Wirkung. Ansonsten: Flach dokumentarische Sache. Der breit getretene McCarthy-Blödsinn ist nicht recht abendfüllend. Die Eislers in ihren theatralisch scharf ausgeleuchteten, schweren Widersprüchen, das wär’s gewesen! Wer endlich schreibt die Tragödie der drei starken Eislers?

(wieder am 4., 7., 18., 21. Januar)

Verwendung von Cookies

Zur Bereitstellung des Internetangebots verwenden wir Cookies.

Bitte legen Sie fest, welche Cookies Sie zulassen möchten.

Diese Cookies sind für das Ausführen der spezifischen Funktionen der Webseite notwendig und können nicht abgewählt werden. Diese Cookies dienen nicht zum Tracking.

Funktionale Cookies dienen dazu, Ihnen externe Inhalte anzuzeigen.

Diese Cookies helfen uns zu verstehen wie unsere Webseite genutzt wird. Dadurch können wir unsere Leistung für Sie verbessern. Zudem werden externe Anwendungen (z.B. Google Maps) mit Ihrem Standort zur einfachen Navigation beliefert.

  • Bitte anklicken!